Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928

DOI issue:
Heft 11
DOI article:
Grohmann, Will: Kunst in Sachsen vor hundert Jahren
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41322#0399
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
KUNST IN SACHSEN VOR HUNDERT JAHREN
VON WILL GROHMANN

Als um 1900 die Anfänge einer neuen deut-
schen Kunst von Dresden ausgingen, getragen
von Künstlern, die vorwiegend in Sachsen ge-
boren waren, hatte die sächsische Kunst einen
schlechten Ruf und war mehr in ihrem Ver-
fall bekannt, in den die Nachfolge Schnorrs,
der nach Dresden berufenen Düsseldorfer und
eigene Unzulänglichkeit im Laufe des 19. Jahr-
hunderts geführt hatte. Zwar starben v. Rayski
erst 1890, J. Scholtz 1893, Gille 1899, aber
sie lebten vergessen, und unbegabte Akademi-
ker drückten auf jede freie Entwicklung. Eine
wie große Vergangenheit Dresden als Kunst-
zentrum zu ßeginn des 19. Jahrhunderts ge-
habt hatte, ergab sich erst bei der großen Ber-
liner Jahrhundertausstellung 1906.
Von begeisterten Kunstfreunden ist 1828 der
„Sächsische Kunstverein“ gegründet worden,
der zur Zeit aus Anlaß des hundertjährigen
Restehens in seinen zweckmäßig umgestalteten
Räumen unter Leitung der Direktoren Posse
und v. Man teuf fei und der Kustoden Jälinig
und Müller eine Sächsische Jahrhundertaus-
stellung veranstaltet. Es hätte verlockend er-
scheinen können, eine Nachlese zu Rerlin 1906
zu machen, die alle lokalen Größen in den be-
stehenden Rahmen hineinfügte, eine künstle-
risch zu rechtfertigende Auffüllung des Tat-
bestandes hätte sich nicht ergeben. Man zog
vor, die Größe der Rahnbrecher nicht in den
Schatten der allzuvielen Mitläufer zu stellen,
die zu allen Zeiten in der Überzahl sind. Es
hat sich in den letzten zwanzig Jahren genug
erstklassiges Material der bekannten Meister
wiedergefunden, um eine neue Ansicht dieser
Epoche zu geben, dazu sind eine Menge da-
mals noch unbekannter oder wenig geschätz-
ter Künstler hinzugekommen, die dem Rild
der Zeit Vielfalt und Reichtum zurückge-
ben. Niveaulose Lokalkunst blieb unberück-
sichtigt, wenn auch die Auswirkung einzelner
Meister am Beispiel unbedeutenderer Schüler
in ein paar Fällen mit Recht gezeigt wurde
(hei den Nazarenern und Düsseldorfern). Die
öffentlichen und privaten Sammlungen
Deutschlands, besonders Sachsens, außerdem
die von Oslo ,'und Kopenhagen haben sich
großzügig für einige Monate von Teilen ihres
Besitzes getrennt. So sind über 5oo Arbeiten
zusammengekommen, Gemälde und Iland-
zeiclmungen, dazu ca. 4o Plastiken, und außer
Runge, dessen Werk man nur in Hamburg
bewundern kann, fehlt kein wesentlicher Ver-
treter der Zeit.

Die Anziehungskraft Dresdens auf die aus dem
Norden kommenden Anreger beruhte auf dem
Reichtum der Galerie, der Schönheit der
Landschaft und dem geistigen Fluidum der
damaligen Gesellschaft. Es soll nicht ver-
schwiegen werden, daß die nach 1800 in Dres-
den lebenden Maler und Dichter zum großen
Teil zugewandert waren. War schon Anton
Graff, die erste starke in Dresden tätige Per-
sönlichkeit, die nach Gründung der Kunst-
akademie (1764) im Jahre 1766 berufen wurde,
aus der Schweiz gekommen, J. Roos aus Wien,
R. Mengs, der Leipziger F. A. Tischbein aus
dem Ausland, Oeser aus Österreich, so kam die
Mehrzahl der ausschlaggebenden romantischen
Maler aus dem Norden, C. D. Friedrich, Ker-
sting von der Akademie in Kopenhagen,
Dahl und Fearnley aus Norwegen. G. v. Kü-
gelgen stammt aus Bacharach, Gille aus Bal-
lenstedt, nur Garus ist, wie die meisten Ver-
treter der zweiten Generation, in Sachsen ge-
boren. Das Neue war, daß aus diesen auswär-
tigen und den wenigen einheimischen Malern
eine sächsische Malerschule Avurde, die in Dres-
den und seiner Umgebung Entdeckungen für
die Landschaftsmalerei machte, wie sie nur in
dieser Atmosphäre möglich waren. Die über-
raschenden Lichtbrechungen im Elbtal, die
plötzlich umschlagenden farbigen Stimmun-
gen, die merkwürdigen Nebelbildungen, die
malerischen Formen und Kontraste im nahen
Elbsandsteingebirge, die Musikalität des böh-
mischen Mittelgebirges stellte vor immer neue
Aufgaben, und jeder der vorübergehend an-
sässigen Maler setzte sich mit ihnen auseinan-
der. (Vgl. Blechens „Landschaft aus dem
Liebethaler Grund“ [1823] und Gieses „Adler
über1 Felsschlucht“ [Sächsische Schweiz, 1818]).
Es ist ein Verdienst der Ausstellung, Bilder
bevorzugt zu haben, die in engster Beziehung
zur sächsischen Landschaft stehen wie zur Ge-
schichte der Stadt.
Um zu erkennen, wie revolutionär die dama-
ligen Maler waren, vergegenwärtige man sich
das Niveau der damals hier herrschenden Aka-
demiker wie Ilartmann, Matthäi, Mechau und
das der vorausgehenden Landschaftsmalerei.
Es gibt Landschaften von J. A. Thiele aus dem
18. Jahrhundert, auf denen die Sächsische
Schweiz aussieht wie das Italien Salvator Ro-
sas. Auch Dietrichs Landschaften lassen jede
konkrete Beziehung zur Wirklichkeit vermis-
sen, erst Klengel („Landschaft mit Ruhe auf
der Flucht.“) findet sie langsam durch alle

569
 
Annotationen