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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928

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Heft 16
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Steinbart, Kurt: Die Gemälde auf der Ausstellung "Religiöse Kunst aus Hessen und Nassau"
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https://doi.org/10.11588/diglit.41322#0559
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DIE GEMÄLDE AUF DER AUSSTELLUNG
»RELIGIÖSE KUNST AUS HESSEN UND NASSAU«
VON KURT STEINBART
Daß Plastik und Kunstgewerbe auf der Marburger Ausstellung den weitaus
größten Platz beanspruchen, ist kein Zufall, sondern liegt in der Natur der Ver-
hältnisse begründet. Denn Hessen-Nassau ist arm an Tafelmalereien. Wenn es
darum gelungen ist, neben allgemein bekannte Stücke einige mehr oder
weniger beachtete, ja gänzlich unbekannte, noch dazu von Rang, zu fügen,
bleibt das Resultat der Suche um so erfreulicher und rechtfertigt die Bemü-
hungen.
Um so mehr als die bedeutendste Leistung: Das Tafelbild aus der Altstädter
Kirche in Hofgeismar1 den frühesten uns bekannten Gemälden zuzurechnen
ist und sie hinsichtlich der künstlerischen Gestaltungskraft übertrifft. Die der
Wissenschaft bislang völlig fremde Arbeit diente aller Wahrscheinlichkeit nach
als Retable, was sich aus dem langgestreckten Format folgern ließe. In vier
schlanke gotische Bögen, die in den oberen Teilen mit schlichten Vierpaß-
hälften ausgestaltet sind, reihen sich von links nach rechts ablesbar die Szenen:
»Gethsemane«, »Gefangennahme« (Abb. 1), »Auferstehung« (Abb. 2), »Maria
am Grabe« (Abb. 5). Die sich aus der Architektur ergebenden fünf Zwickel sind
links und rechts mit je einem geflügelten Engel ausgefüllt, der die zum Gebet
gefalteten Hände emporhebt und sich dem Zentrum zuwendet, dessen Zwickel
zwei sich von einander abwendende Engelsfiguren schmücken, als läge das ge-
samte Bildgerüst hier in den Angeln. Nach der gleichen Gesetzmäßigkeit sind
die einzelnen Kompositionen in sich abgewogen, indem Christus als Haupt-
gestalt in den ersten drei Szenen vertikal die Mitte einnimmt und sich ihm
Jünger, Häscher und Engel beiderseits zuordnen, während ein breites Schrift-
band mit den Worten des Engels: »Surexit non est hic« die obere Mitte der
letzten Szene ziert und sich die beiden Randfiguren dem Text entgegenwenden.
Ein goldener Hintergrund dient als Folie. Obwohl schlimm übermalt, muß er
auch ursprünglich vorhanden gewesen sein, und es bleibt nur die Frage offen,
ob er neutral gehalten oder gemustert war. Eine gründliche, sachgemäße,
übrigens geplante Säuberung dürfte hierin Klärung schaffen und die Tafel von
den immerhin zahlreichen, später arg zugestrichenen Partien befreien, die heute
als Fremdkörper unangenehmer wirken, als es offensichtliche Fehlstellen täten,
denen durch leichte Abtönung und Angleichung an die Lokalfarben zu Gun-
sten des Gesamtaspektes die Schärfe zu nehmen wäre. Dabei ist zu betonen,
daß der Erhaltungszustand im Allgemeinen ein guter ist und als besser im Hin-
blick auf die meisten sonstigen frühesten Tafelbilder bezeichnet werden darf,
die heute nur infolge einstiger, veralteter Restaurierungsmethoden über ihre
fast rudimentäre Konservierung hinwegtäuschen.
So besteht denn die Möglichkeit, auf Grund größtenteils bester Beschaffenheit dem
Werdegang nachzuspüren. Über die vertikal zusammengeleimten sechs Bretter,
die fest in einen breiten, vorspringenden Rahmen gespannt sind, wurde ein
Kreidegrund von besonderer Dichte gebreitet, der von vornherein eine leichte
1 Nr. 205 des provisorischen Ausstellungskataloges. H. 110 cm, B. 250 cm.

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