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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928

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Heft 19
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Friedländer, Max J.: Ein unbekanntes Bild von Joos van Cleve
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https://doi.org/10.11588/diglit.41322#0664
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EIN UNBEKANNTES BILD VON JOOS VAN CLEVE

Das farbig nachgebildete Gemälde, das sich jetzt bei Herrn Dr. James Simon in
Berlin befindet und, soviel ich weiß, nirgends erwähnt ist, fügt sich leicht
ein in das umfangreiche »Werk« des Meisters, der mit einiger Sicherheit Joos
van Cleve genannt wird. Damit ist uns nicht nur ein Bild mehr gewonnen
von der Hand dieses Malers, sondern auch eine neue Bildidee, eine Komposition
von ihm. Bekanntlich hat sich Joos häufig wiederholt, abgesehen von den
vielen Nachahmungen und Kopien, die aus seinem fruchtbaren Werkstatt-
betrieb hervorgegangen sind. Die Figur des auf der geflügelten Weltkugel
stehenden Christusknaben habe ich anderswo nie gesehen, kenne keine Replik
oder Kopie davon.
Der Form und der Farbe nach gehört das kleine und anspruchslose Werk zu
den glücklichsten Äußerungen des Meisters. Blond, in rosiger Lokalfarbigkeit
hebt sich das Fleisch ab von dem entschiedenen durchsichtigen Blau des Him-
mels. Der schwellende, im Raume sich wölbende, schlanke Leib des kind-
haften Knaben bietet reich bewegten Umriß mit vielen Überschneidungen.
Freiplastisch, sicher, im Kontrapost der Glieder, hält sich die Gestalt im Gleich-
gewicht auf der Kugel, bewegt sich mit Unbefangenheit und spielerischer
Leichtigkeit. Der Kopf breit und gesund, mit überhoher Stirn und nach hinten
mächtig gewölbtem Schädel ist mit Haar bedeckt, das an reifes Korn erinnert.,
Die Tafel ist um 1520 enstanden, gehört in die mittlere Periode. Wir datieren
die Werke dieses Meisters ziemlich genau. Joos van Cleve nahm allerlei auf,
was direkt oder mittelbar vom Süden kam, namentlich aus dem Bereiche Lio-
nardos, aber die neuen Ansprüche und Bestrebungen störten ihn nicht in seiner
harmlos freundlichen Betrachtungsweise, und die Wandlung, die wir Schritt
für Schritt verfolgen, erstreckt sich auf die Formensprache, nicht aber auf die
Auffassung.
MAX J. FRIEDLÄNDER
 
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