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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928

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Heft 17
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Biermann, Georg: Eine bisher unbekannte "Piazza von San Marco" des Francesco Guardi
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https://doi.org/10.11588/diglit.41322#0591
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EINE BISHER UNBEKANNTE »PIAZZA VON
SAN MARCO« DES FRANCESCO GUARDI
VON GEORG BIERMANN
Der letzte Biograph Francesco Guardis, Giuseppe Fiocco, der nach dem Eng-
länder Simonson die bisher gründlichste Arbeit über den Maler Venedigs
lieferte1, feiert im Schlußwort seines Buches Guardi als einen der ersten Im-
pressionisten der Malerei schlechthin und erinnert im Hinblick auf das von
ihm immer wieder bevorzugte Motiv an Claude Monets venezianische Im-
pressionen.
Das ist ein kluger Vergleich, der Guardis Modernität erweisen soll, aber doch
nur zu einem kleinen Teil den Nagel auf den Kopf trifft.
Denn Guardis Kunst ist genau wie die seines Schwagers Tiepolo nur aus der
Tradition der Lagune selbst zu verstehen. Die Wurzel beider Künstler liegt
mehr oder weniger im Cinquecento verankert: Venedig, das auf der einen
Seite zuerst die reine Landschaft aus dem nur schablonenhaft geübten Beiwerk
zum selbständigen Bildmotiv erweckte (Giorgione und Tizian), das andererseits
zuerst die große Geste der Dekoration auf griff und von Veronese bis zu Tiepolo
fortentwickelt hat.
Das Jugendwerk Guardis ist diesem traditionell Dekorativen sowohl im Hin-
blick auf reine Altarbilder als auch mythologische Darstellungen eng verhaftet,
gleitet erst einmal über die Longhi-Exempel in den Darstellungen der Nonnen-
sprechzimmer und der ridotti hinweg, auf denen schon die ausgefranste Pinsel-
führung sichtbar ist} aber selbst, als bewußter das Gefühl für das rein Landschaft-
liche in ihm erwacht und er sich ganz den Motiven der Lagune hingibt, deren
Atmosphäre mit ihrem sfumato fortan den höchsten Reiz seiner Kunst aus-
macht, wird es ihm schwer, sich von der Vedute zu lösen. Das gelingt ihm
erst, als er dem romantischen Drang seines Blutes Freipaß gibt, die Lagune
als solche nur noch Vorwand ist, dem Gefühl für das rein Malerische zu folgen.
Da wird Venedig auf seinen Bildern ein Spiel von Farben, das dem Eindruck
der Tagesstunden folgt, da wird geschaute Realität vergeistigt zu einem Kon-
zert von immer neuen Variationen des Erlebens, die schließlich nur das Er-
lebnis sind: Venedig, die Stadt seiner Väter, das große Wunder.
Diese Bildbeschreibung aber ist, wenn der Ausdruck gestattet sein mag, durch-
aus transzendenter Art. Denn hinter all dem äußerlich Bewegten und von den
Stimmungen des Tages und der Jahreszeiten Beeindruckten sieht er — ein
Dichter wie etwa Goldoni, der Spaßmacher — in den Spiegel der Schöpfung,
und so ist das von ihm mit flüssigen und spitzen Pinseln verewigte Gesicht der
Lagune Venedig schlechthin, so wie es allen Veränderungen zum Trotz ein-
mal bestand und über viele Jahrhunderte für uns bestehen wird. Die Turner
und Monet etwa sind, neben tausend anderen, die täglich mit den Malkästen
vor der Lagune arbeiten, immer nur die Kopisten der Wirklichkeit. Guardi
sieht dagegen noch in der scheinbar zufälligsten Figur eines Fischers oder
Gondoliere den Sinn der Natur, die hier Bewegung und Leben weckte.
1 Fiocco, Francesco Guardi, Luigi Battistelli. Editore Firenze.

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