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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928

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Heft 19
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Kunst-Literatur
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KUNST-LITERATUR

LOUIS DIMIER: HISTOIRE DE LA PEIN-
TURE FRANgAISE DU RETOUR DE
YOUET A LA MORT DE LERRUN. 1627
ä 1690. Tome I et II. Paris et Bruxelles.
G. van Oest, editeur.
Eine Geschichte der französischen Barockmale-
rei hat es in dieser Form noch nicht gegeben.
Hier ist ein Versuch gemacht, dem Begeiste-
rung für den Gegenstand nicht fehlt. Denn
Dimier sieht in seinen Künstlern vom Schlage
der Youet, Poussin und Lebrun die eigentli-
chen Begründer jener französischen Malweise,
deren Erfüllung dann das Dix-huitieme ge-
bracht hat und die — so dürfen wir heute sa-
gen— das große Glück einer folgerichtigen
Weiterentwicklung bis in unsere Tage hinein
erlebte. Wenn Renoir z.B. den Kampf um
die „Reihe“ das eigentliche Bemühen seines
schöpferischen Werkes nannte, so meinte er
damit nichts anderes als die Fortsetzung jener
Tradition in die Gegenwart hinein, die auch
bei den Modernsten dieser Schule immer wie-
der den logischen Anschluß an Vergangenes
erkennen läßt. Man muß also diese Vouet, Le-
brun und andere ihrer Zeit, zunächst einmal er-
fassen, um einen der Ausgangspunkte französi-
scher Malerei richtig zu begreifen. Daß diese
scheinbar viel später beginnt als diejenige an-
derer Völker', liegt vielleicht nur daran, daß
unendlich viel von dem verloren gegangen ist,
was speziell das i5, und 16. Jahrhundert hin-
Icrlassen, die innerhalb der Architektur und
der angewandten Kunst (auch die Plastik darf
nicht übersehen werden) viel bedeutsamer her-
aus Ire len als auf dem Gebiete der Malerei, des-
sen Erforschung zudem bisher immer noch
reichlich vernachlässigt ist.
Aber auch ohne diesen Anknüpfungspunkt an
die noch ältere Tradition zu umreißen, wird
das völlig Neuartige in der französischen Ba-
rockmalerei sofort deutlich, und wie in ande-
ren europäischen Ländern entwickeln sich auch
hier jene zwei Richtungen, die klassisch-my-
thologische, deren Endpunkt die fetes galantes
eines Boucher zu sein scheinen und die des
kirchlichen Barock, die von Vouet ausgehend
über Lahire, Poussin und Lesueur bis zu Pu-
vis de Chavannes hinführt.
Daneben als bereits traditionell selbständig die
Gattung des Porträts, gleichzeitig repräsenta-
tiv etwa im Geiste der Ph. de Champaignc und
Lebrun und bürgerlich im Stil der Lefebre
und Mignard. Die reine Landschaft bildet
schließlich noch einen Sonderfall. Die Vedu-
tenmalerei Claudes ist scheinbar isoliert und

mündet in die niederländisch beeinflußte
Landschaft des van der Meulen aus, der auch
einer der ersten Schlachten-Genremaler ist, der
den Ruhm LudwigsXIV. verkündet hat.
Dimiers zweihändiges Werk ist als Lektüre
reizvoll und als Ausschnitt aus dem euro-
päischen Barock wissenschaftlich grundlegend.
()() Lichtdruck tafeln, die klug ausgewählt sind,
sind in den Text verstreut. Biermann
ROBERTO LONGHI: PIERO DELLAFRAN-
CESCA. Casa Editrice d’Arte: Valori
Plastici. Roma.
Es sind fast genau hundert Jahre vergangen,
seit Rumohr über Pieros Fresken in Arezzo
schrieb, sie seien „mit Fertigkeit gemalt, doch
sehr maniert“: „der schwächliche Geist, der
sich darin ausspricht, kann weder auf den Pe-
rugino, noch überhaupt auf die damalige
Kunstentwicklung eingewirkt haben“. Ein
Vierteljahrhundert später urteilte Burckhardt:
„Rumohrs abschätziges Urteil ist mir ein Rät-
sel,“ aber auch er vermißte in den Fresken
„eine höhere Auffassung der Tatsachen“ und
widmete dem Meister knapp eine halbe Seite
seines Cicerone, während er für Luca Signo-
relli zwei, für Perugino fast vier als notwen-
dig erachtete. Es vergehen Jahrzehnte, ehe
Piero in Deutschland in Vischer einen Anwalt
fand, der Verständnis für die eigentümliche
Größe dieser geltenden Abstellungen schwer
sich einfügenden Persönlichkeit besaß; auch
was Woermann in der „Geschichte der Male-
rei“ um dieselbe Zeit zu sagen hatte, wurde,
wenn auch zeitlich bedingt, seiner historischen
Stellung doch einigermaßen gerecht. Die erste
Alonographie über den Meister, die diesen Na-
men verdient, wurde vor drei Jahrzehnten in
deutscher Sprache von F. Witting geschrie-
ben, eine sorgfältige Arbeit, die auch heute
noch einen gewissen Wert behält. Dieser Ar-
beit gegenüber bedeutete die Piero gewidmete
Alonographie von Waters (London 1901) einen
fatalen Rückschritt; sie besaß nur den einzi-
gen Vorzug, daß sie Illustrationen brachte, de-
ren die deutsche Arbeit entbehrte.
Das Verdienst, der Welt von diesem Genius,
der das Unglück hatte, daß sein Hauptwerk
sich nicht in Florenz oder Rom befand, eine
Vorstellung gegeben zu haben, gebührt zwei
großen Publikationen: der von Corrado Ricci
1910 und der von Gräber 1920. Erst durch
diese Publikationen und ihren die Fresken in
Arezzo mit zahlreichen Details wiedergeben-
den Tafeln wurde sozusagen das öffentliche
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