Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928

DOI Heft:
Heft 21
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41322#0736
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
RUNDSCHAU

DIE „GELBSUCHT“ IM LOUVRE
In den Fachzeitschriften ist in den letzten Mo-
naten so oft die Frage der Restaurierung alter
Meister diskutiert worden, daß dieser Beitrag
seine Existenzberechtigung nicht erst zu bele-
gen braucht. Hieß damals die Frage allgemein,
ob und bis zu welchem Grade es zulässig sei,
Gemälde alter Meister mit den Mitteln einer
neuzeitlichen Chemie der Restaurierung zu
unterziehen, so stellt nunmehr der Louvre das
Problem zur Diskussion, ob es im Interesse der
Konservierung überkommener Kunstschätze
statthaft sei, die Meisterwerke der Museen und
insonderheit dieses Museums einfach unter
einem Jahrhunderte alten trüben Firnis be-
stehen zu lassen, ohne daß sich irgendeine
Hand zur Erhaltung dieser Bilder rührt.
Den Franzosen, deren liebenswerteste Seite
vielleicht der ererbte Konservativismus ist, der
auch heute noch das Bild ihrer gesellschaft-
lichen Formen, aber auch ihrer städtebaulichen
Großzügigkeit bestimmt, darf zum Trost ge-
sagt werden, daß diese „maladie jaune“ —
wie ich sie nennen möchte — noch keine akute
Gefahr darstellt. Immerhin gibt es Meister-
werke des Louvre, genannt sei in erster Linie
die „Felsgrottenmadonna“ Lionardos, die un-
ter der trüben, Jahrhunderte alten Firnis-
schicht schon jetzt einen Zersetzungsprozeß
erlebt, der die Existenz dieses Bildes ernst-
lich gefährdet. Wo aber ist die Feuerglut der
Farben Rembrandts geblieben, die ausnahms-
los stumpf und gelb erscheinen, so gelb, daß
kein strahlendes Rot mehr zum Äuge des Be-
trachters durchdringt! Wie soll man im Lou-
vre den alten Tizian noch studieren können,
dessen glühendes Kolorit hier in einer einför-
migen braungelben Sauce ertränkt ist. Diese
Bilder sehen aus wie schlechte Dreifarben-
drucke. Der alte Tizian ,abcr, der mit den
Äugen die Sonne Venedigs trank, liegt unter
der alten und noch älteren Firnisschicht der
Jahrhunderte begraben.
Dies nämlich ist der Punkt, der hoffnungs-
freudig stimmt -— wenigstens bis zu einem ge-
wissen Grade. Man sieht es diesen Bildern an,
was man z.B. von vielen Gemälden in italieni-
schen und deutschen Galerien gleicherweise
nicht behaupten kann (eklatantes Beispiel u.a.
die „Sixtina“), daß sie vor dem Zugriff der
Restauratoren und malender Galerieinspekto-
ren verschont geblieben sind. Man hat nie den
allen Firnis heruntergenommen und ist der
originalen Epidermis auf den Leib gerückt. Da-
für hat man über den alten Firnis neue Schich-

ten gelegt, die vielleicht für kurze Zeit den
Glanz der Bilder erneuern konnten, die aber
auf die Dauer durch den Einfluß von Tem-
peratur und Staub die Trübung nur verdop-
pelthaben. Trügt mich mein Äuge nicht, glaube
ich feststellen zu können, daß diese Firnis-
schichten unter sich wohl zu einer metallisch fe-
sten Masse verschmolzen sind, daß aber die ori-
ginale malerische Struktur dieser Bilder kaum
noch einen Zusammenhalt mit diesem Panzer-
mantel in Gelb besitzt, der seit Jahrhunderten
die Malerei von jeder Luftzufuhr abschneidet,
sie vielmehr dem inneren Verdorrungsprozeß
überantwortet hat. Dies scheint mir vor allem
die große Gefahr, die keine Versäumnis mehr
rechtfertigt. Noch zehn und zwanzig Jahre die-
sem Zustand zuschauen, ohne daß ein Eingriff
der „Ärzte“ erfolgt, heißt Kulturwerte einem
unvermeidlichen Untergang opfern. Diese
„maladie jaune“ im Louvre muß bekämpft
werden, ehe es zu spät ist. Es gibt in Europa
erfahrene Restauratoren die Menge, Speziali-
sten jeden Genres, die die Erfahrung jahr-
zehntelanger Arbeit besitzen und leicht für
eine solche Aufgabe zu gewinnen wären. Es
sind Hunderte von Bildern, die die ärztliche.
Behandlung dringend nötig haben (viele über
die hier erwähnten Beispiele hinaus), man.
sollte keinen Augenblick mehr versäumen.
Würden wir aber eines Tages diese Wiederge-
burt der alten Meister erleben und ihre Werke
wieder so vor uns sehen wie etwa die Schülzen-
stücke von Frans Hals in Haarlem, die ein
Schulbeispiel für technische Könnerschaft auf
diesem Gebiete sind, welche Fülle von male-
rischer Pracht wäre den modernen Augen zu-
rückgewonnen ; wie würde man sich dieser neu-
geweckten Farbenglut der Tizian und Rem-
brandt — von anderen zu schweigen — beu-
gen und jenem schönen, durch Ehrfurcht be-
stimmten konservativen Geist Frankreichs dan-
ken, der uns die Werke großer Meister auch
unter dem Firnis der Jahrhunderte rein er-
hielt, um sie der Menschheit in diesen Tagen
mit der Jugendfrische ihrer ursprünglichen
Pracht zurückzugeben.
Diese Zeilen sind aus einem Wunsch heraus
geschrieben, nur der Kunst zu dienen; denn
der Louvre ist eine Angelegenheit der Welt.
Sein Reichtum ist unermeßlich. Für die Kunst-
freunde aus fünf Erdteilen ist er Mekka und
Medina in eins. Seine Weiten sind unerhört,
und die Fülle seiner Schätze ist märchenhaft.
Die großzügige „Ungeordnetheit“ seiner Gale-
rien ist sogar Balsam für jeden künstlerischen

700
 
Annotationen