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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928

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Heft 2
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Wendland, Hans: Expertisenhandel oder Kunsthandel?
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https://doi.org/10.11588/diglit.41322#0094
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EXPERTISENHANDEL ODER KUNSTHANDEL?
VON HANS WENDLAND
Das Bestreben der letzten Generation, in den kunsthistorischen Betrieb eine exakte wissen-
schaftliche Methode zu bringen, hat viele Vorteile gezeitigt, aber zu einer Überschätzung des
Wahrheitswertes der Resultate kunstgeschichtlicher Forschung geführt. Es ist interessant, daß
die Länder, die am meisten zu dieser Überschätzung neigen, Deutschland und Nordamerika,
auch die stärksten Auswüchse des Expertisenwesens zeigen.
Die Gruppierung verwandter alter Gemälde ist die Hauptaufgabe der Kennerschaft. Es ist
aber unmöglich, für alle Gruppen den Namen eines Künstlers ausfindig zu machen, weil
uns die Denkmäler und Dokumente nur zum kleineren Teil erhalten sind. Der Sammler
wird also oft Gemälde kaufen müssen, deren Autor nicht mehr mit Sicherheit festzustellen
ist oder wenigstens im Augenblick nicht festzustellen ist. Dagegen sträubt sich aber oft sein
Stolz. Er hat populäre Kunstgeschichten gelesen und ihnen entnommen, daß der historische
Ablauf, die sogenannte Entwicklung im großen und ganzen klargestellt sei, und daß man den
Stil aller guten Meister festgestellt habe. Daher kann der Sammler oft schwer begreifen, daß
er anonyme Werke zu kaufen gezwungen sein sollte, und es ist natürlich, daß er leicht mit
Händlern oder Experten bekannt wird, die ihn in seinem Irrtum lassen. Mit diesen primitiven
Anschauungen und seinen großen Mitteln verdirbt er aber endlich den seriösen Kunsthändler,
der früher vielfach ein der Sammler- und Kennerleidenschaft verfallener Sonderling, nun
unter dem Druck der Forderung der Kundschaft sich zu einem betriebsamen Agenten, Manager
und Finanzmann entwickelt. Um sein eigenes Urteil gar nicht mehr befragt, läßt er den ihm
liierten Kunstexperten sprechen und lehnt jede andere als kaufmännische Verantwortung ab.
Ein Objekt der Neigung, oft mit Wahrscheinlichkeit einem großen Meister zugeschrieben,
wird so zu einem abgestempelten ,,Sachwert“, den der Expert „macht“ und der Händler wie
ein Bankier kauft und verkauft. Nur noch Namen gelten, Namen, die der Expert gegeben hat,
Bilder ohne Namen sind so gut wie wertlos.
Um den ganzen Widersinn dieses Systems zu begreifen, nehme man ein analoges Beispiel aus
dem Antiquitätenhandel: ein Kunsthändler kauft eine wertvolle französische Kommode aus
der Zeit um 1760. Er zeigt sie einem Kunstschriftsteller, der ein Buch über französische
Möbel geschrieben hat. Dieser erklärt, er könne nicht genau sagen, ob das Möbel von Jacob
sei oder nicht. Nach Analogie des Bilderhandels würde eine solche Antwort den Wert des
Möbels auf den dritten Teil herabdrücken. Gott sei Dank gibt es aber unter den Sammlern
und Händlern antiker Möbel mehr urteilsfähige Kenner als unter den Bildersammlern. Die
Kommode wird nach ihrer Schönheit und Erhaltung bewertet werden, die Frage nach dem
Künstler wird den kultivierten Sammler ziemlich gleichgültig lassen, und die Verantwortung
für die Echtheit wird er dem Antiquitätenhändler aufbürden, der sein Metier kennt und liebt,
nicht aber dem Theoretiker, der keine materielle Verantwortung übernimmt.
Niemand wird die Sammler schutzlos kaufen lassen wollen, die mit Begeisterung starten, aber
nicht über genügende Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, um den Händler wie das Bild
richtig zu wählen. Berater sind notwendig. Meist werden die Museumsleiter diese Rolle gern
übernehmen, weil sie dabei den Kreis ihrer Erfahrungen erweitern. Es ist auch nichts da-
gegen einzuwenden, daß Kunstexperten dies gegen Bezahlung tun, obgleich diese Frage viel-
fach unter Kunsthistorikern Gegenstand des Streites war und ist. Leider wurde sie immer
falsch gestellt. Jedermann hat das Recht, für eine Leistung, von der ein anderer profitiert,
Honorar zu verlangen, und es ist weltfremd, dagegen ankämpfen zu wollen. Aber hierin liegt
gar nicht das Problem, sondern in der Beantwortung der Frage, ob der Kunsthistoriker rich-
tig handelt, der sich von dem Verkäufer eine Expertise honorieren läßt, deren Zweck es ist,
den Sammler zum Ankauf eines Kunstwerks zu bewegen.
Die Honorarexperten oder ihre Freunde erklären, daß sie sich der Zweideutigkeit ihrer Posi-
tion bewußt seien, aber in die Notwendigkeit versetzt, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen,
die oben charakterisierten Schwierigkeiten in Kauf nehmen müßten. Ich kann mich diesem
Argument nicht anschließen.
Entweder ist der Expert ein wirklicher Kenner, oder er ist es nicht. Der zweite Fall ist häufig,
denn offenbarer Mangel an Kennerqualitäten schließt von der Karriere des Honorarexperten
nicht aus, nur muß er Bücher über „sein“ Gebiet geschrieben haben. Öfters wissen die Händler
 
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