Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928

DOI Heft:
Heft 19
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41322#0667
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Louis Kolitz Fest im Walde

RUNDSCHAU

EINE STÄDTISCHE GALERIE IN KASSEL
VON HANS F. SECKER
Innerhalb der geographischen Kreislinie Ber-
I in—Hamburg—Köln — F rankf urt— Dresden
bildet Kassel seiner Lage nach annähernd den
Mittelpunkt; auf keinem dieser riesigen Ra-
dien liegt eine großstädtische öffentliche
Kunstsammlung vom Range der berühmten
Kasseler Staatsgalerie. Diese Isolierung muß
man sich vergegenwärtigen, um die besondere
Kulturaufgabe der im Herzen Deutschlands
vereinsamten Hessens ladt zu begreifen. Einge-
bettet in eine der schönsten Landschaften führt
die alte Residenz, heute noch in Erinnerungen
an ihre landgräflichen und kurfürstlichen Tage
versunken, ein halbvergessenes Dasein. Ein
ausgedehnter Stadtteil, winklig aus hohen Ba-
rockhäusern und gotischen Kirchen gebildet,
blieb bis in die Gegenwart beinahe unberührt.
Aber schon in die städtebaulich bewunderns-
werte Anlage des Friedrichsplatzes hat die Wil-
helminische Ära mit maßlosem Unverstand
eine Bresche geschlagen. In einer Ecke erhebt
sich ohne jede Notwendigkeit ein neues Wa-
renhaus hoch über die umlaufende Firstlinie
der alten breitgelagerten Fassaden. Der Platz
wurde einst nur in Hufeisenform umbaut und
mit großzügiger Gesinnung nach der weiten
Landschaft hin offen gelassen. Nach dieser
Seite senkt sich der gewaltige Platz, und wie
die Chronik berichtet, hat man als Höhe der

Randgebäude jene Linie vorgeschrieben, die
für den Standpunkt am obersten Ende des
Hufeisens sich von Natur für das Auge er-
gibt: den fernen Horizont einer feingeschwun-
genen Bergkette, die den Ausblick beschließt.
Es war ein wahrhaft genialer Gedanke, auf
solche Weise landschaftliche Architektur und
Stadtbaukunst in eine sinnenfällige Beziehung
zu bringen. Und ausgerechnet an dieser of-
fenen Seite des Platzes ist das Monstrum eines
Wilhelminischen Hoftheaters errichtet wor-
den, das in seiner Silhouette die ruhige Wir-
kung des Platzes zerstört, den Ausblick auf
die großartige Landschaft behindert, den edlen
Baugedanken zunichte macht. — Es ist nun
müßig, die Frage aufzuwerfen, ob die Stadt
sich gegen diese ungeheuerliche Verschande-
lung dazumal hätte erfolgreich wehren kön-
nen. Der Staat von heute jedenfalls würde eine
ähnliche Barbarei wohl kaum auf sein Gewis-
sen laden. Der Staat von heute, zu arm, seiner
alten Kasseler Galerie, die längst schon zum
Stillstand verurteilt war, in einem neuzeitli-
chen Sinne weiterzuhelfen, hat nun mit einer
dankenswerten Geste die frische Initiative des
Kasseler Oberbürgermeisters Dr. Stadler da-
durch unterstützt, daß er eine helle Flucht
wohlgeeigneter Räume des an diesem Fried-
richsplatz gelegenen Residenzschlosses für die
Einrichtung einer modernen Städtischen Ge-
mäldegalerie zur Verfügung gestellt hat. Die
631
 
Annotationen