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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928

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Heft 7
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Térey, Edith von: Kulturübertragung
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https://doi.org/10.11588/diglit.41322#0266
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KULTURÜBERTRAGUNG
VON EDITH VON TEREY
Es erscheint dem europäischen Gefühl als Ungerechtigkeit, daß ein Land, das niemals eine
eigene, ursprüngliche Kultur besessen, Geld genug hat, die Kulturblüten anderer Völker
langsam aufzukaufen. Die Annahme, daß Amerika dies nur tut, um beneideten Besitz und
große Namen anzustapeln, trifft nicht immer zu.
Ein aufrichtiges Bestreben, durch Anschauung und Wissen einen lebendigen Kontakt zum
kostbaren Gut der Vergangenheit herzustellen, ist immer mehr im Wachsen begriffen und
macht sich vor allem in der erzieherischen Arbeit der Museen bemerkbar.
Es ist ein eigentümliches Phänomen, daß ein Volk wie das amerikanische, das, wie Keyser-
ling es so klar ausgedrückt bat, mehr in der Zukunft als in der Gegenwart lebt, von einem
brennenden Durste sozusagen gequält wird, diese Zukunft mit der Vergangenheit in Ver-
bindung zu bringen. Infolgedessen hat das amerikanische Museum eine ganz andere psycho-
logische Funktion als das europäische, das vor allem den Standpunkt des Historischen bat
und den Zweck, die künstlerischen Genüsse der Vergangenheit und Gegenwart zugänglich
zu machen. In Amerika hat das Historische für die Bevölkerung wenig Bedeutung, mit Aus-
nahme der Intellektuellen und Professionellen, die in Europa gelebt haben. Dem Durch-
schnittsmenschen bedeutet das Museum eine Gelegenheit, wo er das intime Leben der
Menschen anderer Zeiten beobachten kann. Gerade wie in den Zeitungen, so muß deshalb in
den Museen das Material so gruppiert werden, daß dem Besucher ein Einblick in die intime
Existenz jeder Epoche erleichtert wird. Das Museum von Philadelphia, das gerade jetzt
fertig wird, ist deshalb vom Standpunkt der verschiedenen Perioden organisiert, so daß der
Besucher in jedem Raum einen Ausschnitt aus dem Leben erhält. In zweiter Linie kommt
das technische Moment. Amerika hat nicht, wie andere Länder, technische Traditionen, und
die schnelle Entwicklung des 19. Jahrhunderts hat eine Verbilligung der technischen Mittel
zufolge gehabt, die jetzt mit Hilfe der Museen bekämpft wird. In einem Museum, wo
Möbel, Teppiche, Bilder usw. in vollkommenen Exemplaren ausgestellt sind, kann der
Handwerker oder Künstler seine Technik so verbessern, daß sich dies in kurzer Zeit in
den Produktionen von Architektur und Raumkunst widerspiegeln wird. Das amerikanische
Museum hat deshalb auch eine soziale Funktion, die in ihrer Größe, Verzweigtheit und wei-
teren Entwicklungsmöglichkeit in Europa nur wenigen bekannt ist.
W er einmal im Metropolitain Museum die Gruppen beobachtete, die unentgeltlich in den Ab-
teilungen herumgeführt werden, oder die verschiedenartigen Klassen gesehen hat, die in
eigens zur Verfügung gestellten Räumen ihre Studien betreiben, der wird bald zur Über-
zeugung kommen, daß in Amerika Kulturübertragung versucht und wahrscheinlich erfolg-
reich durchgeführt wird. Der Wunsch, es den Lernenden möglichst leicht zu machen, führt
allerdings öfters zu Mißgriffen. Wenn ein Schwarm von Kindern, wie losgelassene Wilde,
ernste Museumsbesucher störend, „die Jagd nach dem Schatze“ unternehmen (die Aufgabe
ist gegeben, irgendein bestimmtes Kunstwerk möglichst schnell zu eruieren), so mag dies auf
den ersten Blick wenig förderlich sein. Wenn aber dieselben Kinder während der Unter-
richtsstunden nach ihren Lieblingskunstwerken und dem Grund ihrer Vorliebe gefragt
werden, so zeigen ihre überraschenden Antworten ein Interesse, das die neue Erziehungs-
methode rechtfertigt.
Da die Erwachsenen meistens ebenso erziehungsbedürftig sind wie die Kinder, werden auch
sie auf eine möglichst unterhaltende, leicht faßliche Art unterrichtet. Bei der Erklärung
von Kunstwerken wird weniger ihr kunstgeschichtlicher Wert hervorgehoben als ihre Be-
ziehung zu Leben und Geist ihrer Epoche. Sobald die Sphäre des Kunstgewerblichen be-
ginnt, wird eine Analysis der Objekte gegeben, damit der Teppichweber, der Dekorateur oder
der Juwelier lernen können, wie man die Farben und Formentheorie auf die Produktion
anwendet. (Aus solcher Anregung hervorgegangene Waren werden den Besuchern des
Museums in periodischen Ausstellungen gezeigt.)
Eine große erzieherische Rolle spielt der Film. Es wird z. B. die Herstellung von Por-
zellan oder von Töpfereien in beweglichen Bildern vorgeführt. Wir sehen die allen
Ägypter pflügen oder weben und als Parallele dieselben Funktionen der heutigen Ägypter,
die das Beharrungsvermögen gewisser fundamentaler Bewegungen demonstrieren.
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