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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928

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Heft 20
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Friedländer, Max J.: Memlings Persönlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.41322#0689
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MEMLINGS PERSÖNLICHKEIT
VON MAX J. FRIEDLÄNDER
Auf Daten und Monumente zurückblickend, die Beobachtungen ordnend, zeichne
ich die Persönlichkeit und ihre Stellung im geschichtlichen Zusammenhänge,
wobei sie, wie es nicht anders sein kann, die Bedeutung annimmt, die ihr für
den Kunstfreund unserer Tage zukommt.
Zwischen 1450 und 1455 geboren — am Mittelrheine, lernte Hans Memling
sein Handwerk irgendwo in Deutschland und zog dann in das Niederland. Dies
taten manche deutsche Gesellen, aber in der Regel kehrten sie heim. Er aber
blieb, behauptete sich und gewann eine neue Heimat in Brügge, in der Stadt,
wo Jan van Eyck tätig gewesen war. Vor 1466, wenn nicht schon vor 1453,
ließ er sich dort nieder. Ein Generationsgenosse des kölnischen Meisters des
Marienlebens, ihm blutsverwandt und ähnlich nach Art und Grad der Begabung,
setzte er sich in Brüssel, in Rogiers Werkstätte in den Besitz der überlegenen
niederländischen Kunstmittel. Malweise, Komposition, Typik und Raumvor-
stellung nahm er auf und machte sich fähig, den Ansprüchen zu genügen, die
in den flandrischen Städten gestellt wurden — in dem Grade, daß er in Brügge
zu hohem Ansehen stieg und vor den dort geborenen Kunstgenossen bevorzugt
wurde, namentlich von den italienischen Kaufherren. Zugute kam ihm der
Geist der Zeit. In einer Periode des Ausruhens gefiel seine Ausmünzung älterer
Errungenschaften den Erben und satten Bürgern. Das machthungrige Eroberer-
wesen, das von dem burgundischen Hofe her auf die niederländische Produktion
eingewirkt hatte, ging zu Ende mit dem Tode Carls des Kühnen (1477). Da-
nach waren es zumal friedliebende, um ihren Besitz besorgte Männer, deren
Neigungen und Wünsche die Kunstgestaltung bestimmten.
Anscheinend wurde Memling ein niederländischer Maler. Ein Unterschied aber
zwischen ihm und den hier wurzelnden Meistern bleibt spürbar. Er handhabt
die Mittel nicht so wie jemand, der sie sich aus eigener Sehweise geschaffen
hat. Das Niederländische war ihm nicht in Blut und Saft übergegangen.
Originalität —- im höchsten Sinn —- ist Memlings Kunst nicht zuzuerkennen.
Merkmale der Originalität sind innerliche Einheitlichkeit und Folgerichtigkeit
in äußerlich voneinander verschiedenen, unvermuteten Äußerungen. Schon
weil der Widerspruch zwischen Geblüt und Anlage einerseits, dem Wirkungss
boden und der hier geforderten Leistung andrerseits dem organischen Aufwuch-
entgegenwirkte, haftet seiner Gestaltung etwas wie kluge Vorsichtigkeit und
rücksichtsvoller Takt an.
Memling überrascht nicht, überwältigt nicht, macht uns nicht verstummen,
aber er versagt auch nicht und verfehlt nicht, das Erwartete mit stetiger
Tüchtigkeit hervorzubringen.
Durchdringt der kritische Blick den Behang, so stößt er auf ein unfestes Gerüst.
Wohl verfügt Memling über die verfeinerte Malkunst, die in den flandrischen
Werkstätten gefordert wurde, aber seine kühle, helle und opake Farbe bleibt
an Glut und Tiefe zurück. Den höchsten Grad von Illusion — im Stofflichen,
im Fleisch, Haar und Gewebe — erreicht er nicht.
Sein Vortrag gleitet mit eleganter Sicherheit, verweilt nirgends länger als nötig.
Das Ziel wird auf dem kürzesten Weg erreicht. Homogene Farbflächen breiten
sich weithin aus, so daß bei mittlerem Maßstab Ausgeglichenheit, bei größerem
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46 Der Cicerone, XX. Jahrg., Heft 20
 
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