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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928

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Heft 1
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Rundschau
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Bonnard Bildnis von A. Vollard
Aus der Bildnisausstellung in der Galerie Bernier, Paris

fassen, einige Beobachtungen machen, die
wichtig sind. So fällt es auf, wie schon in der
Zeit in Nuenen, also zwischen i883 und i885,
der eigentümliche Yan-Gogh-Stil da ist. Wir
sehen da Bäume, die ihre kahlen Äste in den
Himmel hinausstrecken und mit Hunderten
von kleinen dürren Zweiglein sich mit Luft
und Wolken zu vermählen suchen. Der Ein-
fluß Ostasiens würde nicht genügen, diese viel-
fachen Knickungen und Windungen, diese un-
übersehbaren Verflechtungen zu erklären, die-
ses Insichaufrollen und dann wieder dieses
Ausgangsuchen in ein Unendliches hinaus. Nir-
gends ein fester Kontur, ein Zusammenneh-
men der Persönlichkeit, nirgends jene Statik
und Plastik, die so charakteristisch ist für den
Menschen klassischer Bildung, der sicher auf
seinen Füßen steht, und die Welt ruhig an
sich selbst mißt.
Dann in Paris ein paar Jahre später, als der
Künstler die Bekanntschaft mit dem Impres-
sionismus machte, seine Aquarelle den Ein-
fluß der duftigen Freilichtmalerei zeigen,
auch da haben seine Zeichnungen von Häusern
und S traßen nirgends die Blockhaf tigkeiten, den
systematischen Aufbau, wie ihn Cezanne mei-
sterhaft dokumentiert. Die Erscheinungen wer-
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den in Strichen aufgelöst, so daß sie schim-
mernd und unwirklich in der Atmosphäre
stehen. Die Ungreifbarkeit der Welt, ihre Rät-
selhaftigkeit, die sich der suchenden Hand ent-
zieht, spricht schon aus diesen Zeichnungen.
Später steigert es sich dann ins Maßlose;Baum
und Strauch lodern in den Himmel hinein.
Eine Verwandtschaft mit Munch ist kaum zu
übersehen; man vergleiche etwa ,,La fenetre
de Bataille“ von 1887, ein Pastell aus der Pa-
riser Zeit mit einem ähnlichen Sujet von
Munch. Die Art, wie das Harmloseste: ein Fen-
ster, daneben auf gehängt ein Herrenüberzieher
und ein Hut, draußen auf der Straße zwei Per-
sonen, ins Gespenstische, in eine furchtbare
\ ision von Einsamkeit und Verlassenheit ge-
steigert wird, ist der Munchsclien Vorstel-
lungsweise der Frühzeit innig verwandt. Wenn
auf einem Blatt wie „Mondnacht“ (St. Remy)
zwei Arbeiter über das Feld gehen, so scheint
es fast, als sei es der Tod selbst mit seiner
Sense, der unter einem glühenden Mond da-
hinschleicht, oder zwei finstere Verbrecher,
die ihr schreckliches Geschäft vorbereiten. Auf
allen Blättern ist immer der Mensch winzig
klein, überwältigt von Feldern und Bäumen,
vom Himmel mit seiner kreisenden Sonne,
 
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