daß ein durchsichtiges Lebensbild entsteht.
(Merkwürdigerweise erfährt man nicht das Ge-
burtsjahr.) Daß das Lebensbild selber etwas
nüchtern wird, schadet bei Krüger nichts. Hin-
gegen sind in den Bildern selber Reize und Ei-
genschaften, die von einer Kunstwissenschaft
eindringlicher angegeben und enthüllt
werden müßten, was bei dem etwas nüchtern
inventarisierenden Text nicht immer zustande
kommt. Zum Beispiel müßte, um nur eines
herauszugreifen, der Sinn gepackt werden,
den das „Vernachlässigen der Gelenke“ in den
besten Bildern hat, die gerüstbildende Sachver-
steifung, die in diesem Frührealismus des ig.
Jahrhunderts noch oft liegt, im 18. Jahrhun-
dert nicht gewollt war. Auch wird Krüger
nicht von seinen Vor-, Nach- und Nebenstufen
abgestellt, was man auf zwei Seiten hätte er-
reichen können. Bei so asketischem Forscher-
typus erwartet man einen umfassenden Oeu-
vrekatalog, der jedoch ausbleibt. Man hätte da
wenigstens eine „Liste der erreichbaren Arbei-
ten“ anhängen sollen, um eine Grundlage zu
besitzen, an die man allmählich weiteres hätte
herankristallisieren können. Roh
PIERRE DE COLOMBIER: ALBERT
DÜRER. Paris 1927. Albin Michel. (In
der Reihe: Les Maitres du Moyen Age et de
la Renaissance. Collection puhliee sous la
direction de M. Edouard Schneider.)
Eine Darstellung Dürers und seiner Kunst in
französischer Sprache fehlt seit Maurice Ka-
mels und Auguste Marguilliers Schrift (1902),
und so wird auch für Frankreich das 4oo. Ju-
biläumsjahr von Dürers Tode eingeleitet durch
eine neue Betrachtung seiner Persönlichkeit
und seines Schaffens. Das Buch von Colom-
bier ist sehr kritisch. Vielleicht für unsere Auf-
fassung stellenweise allzu kritisch. Die Radie-
rung der „Großen Kanone“, einen Bilderbo-
gen von Epinal, bereichert um eine schöne
„Hintergrundslandschaft“, zu nennen, ist ein
wenig hart. Aber es ist trotzdem an diesem wis-
senschaftlich sehr solide und mit großer Mate-
rial- wie Literaturkenntnis gearbeiteten Buche
etwas, das man nicht in der Dürer-Literatur
missen möchte: Der Verfasser entwirft ein sehr
plastisches und anschauliches Bild Dürers, un-
voreingenommen im Urteil, aber nie respekt-
los. Das Doppelgesichtige in Dürers Wesen,
diese Mischung von kalten und warmen Strö-
men in seinem Herzen, dieser Widerstreit zwi-
schen Abstrakten und Realismus in seiner
Kunst, zwischen Gotischem und Renaissance-
mäßigem in seiner Entwicklung ist gut charak-
terisiert und als Problem klar hingestellt. Al-
les Historische ist mit glänzender Gabe erzählt,
besonders in den Einleitungskapiteln, wo von
Nürnberg und seinem Leben, seiner Kultur
und Kunst die Rede ist und wo wieder einmal
die kulturhistorischen Dinge zur Sprache kom-
men, die in dem Kleinmeister bände der „Mei-
ster der Graphik“ (Verlag Klinkhardt & Bier-
mann) geschildert wurden. Die Akzente sitzen
richtig und überzeugend. Man mag im Einzel-
nen, .auch abgesehen von der Echtheitskritik,
etwas anderer Meinung sein, als der Verfasser,
zum Beispiel wenn er hinter die m.E. doch
wohl unanfechtbare Tatsache von Dürers er-
ster Italienfahrt ein allerdings sehr vorsichti-
ges Fragezeichen setzt; und wenn er zu dem
Terenz- und Narrenschiff-Illustrator nicht
ganz positive Stellung nimmt, llöttingers im
Jahre 1926 erschienene Schrift über Dürers
Doppelgänger ist ihm vor der Drucklegung
nicht mehr zu Gesicht gekommen. WennRöt-
Carl Spitzweg / Felsenschlucht mit Nymphen
Versteigerung am 6. März bei Math. Lempertz,
Köln
115
(Merkwürdigerweise erfährt man nicht das Ge-
burtsjahr.) Daß das Lebensbild selber etwas
nüchtern wird, schadet bei Krüger nichts. Hin-
gegen sind in den Bildern selber Reize und Ei-
genschaften, die von einer Kunstwissenschaft
eindringlicher angegeben und enthüllt
werden müßten, was bei dem etwas nüchtern
inventarisierenden Text nicht immer zustande
kommt. Zum Beispiel müßte, um nur eines
herauszugreifen, der Sinn gepackt werden,
den das „Vernachlässigen der Gelenke“ in den
besten Bildern hat, die gerüstbildende Sachver-
steifung, die in diesem Frührealismus des ig.
Jahrhunderts noch oft liegt, im 18. Jahrhun-
dert nicht gewollt war. Auch wird Krüger
nicht von seinen Vor-, Nach- und Nebenstufen
abgestellt, was man auf zwei Seiten hätte er-
reichen können. Bei so asketischem Forscher-
typus erwartet man einen umfassenden Oeu-
vrekatalog, der jedoch ausbleibt. Man hätte da
wenigstens eine „Liste der erreichbaren Arbei-
ten“ anhängen sollen, um eine Grundlage zu
besitzen, an die man allmählich weiteres hätte
herankristallisieren können. Roh
PIERRE DE COLOMBIER: ALBERT
DÜRER. Paris 1927. Albin Michel. (In
der Reihe: Les Maitres du Moyen Age et de
la Renaissance. Collection puhliee sous la
direction de M. Edouard Schneider.)
Eine Darstellung Dürers und seiner Kunst in
französischer Sprache fehlt seit Maurice Ka-
mels und Auguste Marguilliers Schrift (1902),
und so wird auch für Frankreich das 4oo. Ju-
biläumsjahr von Dürers Tode eingeleitet durch
eine neue Betrachtung seiner Persönlichkeit
und seines Schaffens. Das Buch von Colom-
bier ist sehr kritisch. Vielleicht für unsere Auf-
fassung stellenweise allzu kritisch. Die Radie-
rung der „Großen Kanone“, einen Bilderbo-
gen von Epinal, bereichert um eine schöne
„Hintergrundslandschaft“, zu nennen, ist ein
wenig hart. Aber es ist trotzdem an diesem wis-
senschaftlich sehr solide und mit großer Mate-
rial- wie Literaturkenntnis gearbeiteten Buche
etwas, das man nicht in der Dürer-Literatur
missen möchte: Der Verfasser entwirft ein sehr
plastisches und anschauliches Bild Dürers, un-
voreingenommen im Urteil, aber nie respekt-
los. Das Doppelgesichtige in Dürers Wesen,
diese Mischung von kalten und warmen Strö-
men in seinem Herzen, dieser Widerstreit zwi-
schen Abstrakten und Realismus in seiner
Kunst, zwischen Gotischem und Renaissance-
mäßigem in seiner Entwicklung ist gut charak-
terisiert und als Problem klar hingestellt. Al-
les Historische ist mit glänzender Gabe erzählt,
besonders in den Einleitungskapiteln, wo von
Nürnberg und seinem Leben, seiner Kultur
und Kunst die Rede ist und wo wieder einmal
die kulturhistorischen Dinge zur Sprache kom-
men, die in dem Kleinmeister bände der „Mei-
ster der Graphik“ (Verlag Klinkhardt & Bier-
mann) geschildert wurden. Die Akzente sitzen
richtig und überzeugend. Man mag im Einzel-
nen, .auch abgesehen von der Echtheitskritik,
etwas anderer Meinung sein, als der Verfasser,
zum Beispiel wenn er hinter die m.E. doch
wohl unanfechtbare Tatsache von Dürers er-
ster Italienfahrt ein allerdings sehr vorsichti-
ges Fragezeichen setzt; und wenn er zu dem
Terenz- und Narrenschiff-Illustrator nicht
ganz positive Stellung nimmt, llöttingers im
Jahre 1926 erschienene Schrift über Dürers
Doppelgänger ist ihm vor der Drucklegung
nicht mehr zu Gesicht gekommen. WennRöt-
Carl Spitzweg / Felsenschlucht mit Nymphen
Versteigerung am 6. März bei Math. Lempertz,
Köln
115