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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928

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Heft 12
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Giedion, Sigfried: Vom zukünftigen Bauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.41322#0429
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Petroltank, Betonbrücke, Straße, Bahneinschnitt (Marseille)

in untrennbarem Zusammenhang stehen. Die Wissenschaft leitet aus gewissen
Körpertypen bestimmte Charaktere ab. Man entdeckt den Zusammenhang
zwischen Atem und seelischem Gleichgewicht. Die Gestaltung eines Körpers
beginnt von innen her durch Atmung, Gymnastik, Sport. Einen Armmuskel
hypertroph zu entwickeln oder das Gesicht wie einen isolierten Körper in
Kosmetik zu tauchen, während die Adern erstarren, wird als Unzulänglichkeit
verworfen.
Auch Konstruktion ist nicht bloß Ratio1. Die Einstellung, die das ver-
gangene Jahrhundert dazu trieb, die Kenntnis der Materie so weit zu vertiefen,
daß daraus eine vorher unbegreifliche Beherrschung resultierte, ist ebenso Aus-
druck instinktmäßigen Getriebenseins, wie irgend ein künstlerisches
Symbol.
Man sagt, die Kunst fühle vor, aber man muß, wenn man von der Unteilbar-
keit des Lebensprozesses überzeugt ist, hinzufügen: Auch die Industrie fühlt
vor, die Technik, die Konstruktion.
Wir gehen weiter: Die Architektur, die allerdings den Namen Kunst vielfach
mißbrauchte, hat uns ein Jahrhundert lang im Kreis geführt, von einem Ver-
sagen zum andern.
1 Wir meinen hier nicht allein jene schöpferische Intuition, die jeder große Konstruk-
teur haben muß. Es ist bekannt, daß dieser meistens gefühlsmäßig dimensioniert und
die Rechnung vielfach erst als Probe nachfolgt. Wirmeinen die Konstruktion selbst,
die keineswegs nur zweckbedingt ist, sondern über den rationalen Wert hinaus auch
ausdrucksgesättigt erscheint. Damit wird aucti einem alten Vorurteil entgegengearbeitet,
das meint, Kunst und Konstruktion könne man dadurch reinlich scheiden, daß man die
Kunst »absichts«- und »zwecklos« und die Konstruktion als allein »zweckbetont« hinstellt.

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