Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928
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https://doi.org/10.11588/diglit.41322#0761
DOI Heft:
Heft 22
DOI Artikel:Avermaete, Roger: James Ensor / Der Graphiker
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James Ensor Le Triomphe romain. 1889 (18x25cm)
ist doch nicht so blind, um in diesen Grotesken nicht seinesgleichen zu erken-
nen. Daher sein Haß. Ein Haß, der sich um so leichter erklärt, als die Maler,
die wie Ensor einen satirischen Stift fuhren, in Belgien äußerst selten sind.
Und um das psychologische Bild zu vollenden, muß man außerdem die Schrif-
ten Ensors erwähnen, die wie seine Zeichnungen und seine Radierungen die-
selbe beißende Ader verraten.
Es ist nicht übertrieben, wenn man behauptet, daß der Geist Ensors sich voll-
ständig nur in seinem graphischen Werk und in seinen Schriften offenbart. In
der Malerei kommt dieser Geist nur in seinen Masken und Grotesken zum
Ausdruck. Selbst hier selten mit derselben Kraft. Das hat seinen Grund darin,
daß Phantasie und Satire die beiden Dominanten in Ensor sind, aber mit der
Einschränkung, daß seine Phantasie immer — oder fast immer — im Dienst
seines satirischen Geistes steht. Da die Satire intellektuellen Wesens ist, kommt
die Vorherrschaft, die ihr Ensor zuweist, nicht zur vollen Geltung in der Ma-
lerei, einer Kunst, die wohl in ihren Direktiven, nicht aber in ihren Ausdrucks-
mitteln intellektuell ist.
Wenige Künstler haben in der Radierung eine Meisterschaft erreicht, die der
Ensors vergleichbar wäre. Er weiß seine Platten mit einer Menge winziger
Personen zu beleben, die mit einer Feinheit und einem Esprit in den unglaub-
lichsten Einzelheiten gezeichnet sind, während er dem Ganzen dabei doch den
Charakter der Größe erhält. Eine der schönsten Platten in dieser Hinsicht ist »La
Cathedrale«, wo eine furienhaft wühlende Menge mit der imposanten Masse
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