Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928
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https://doi.org/10.11588/diglit.41322#0767
DOI Heft:
Heft 22
DOI Artikel:Schubring, Paul: Gherardinis "Esau und Jakob"
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A. Gherardini Die Versöhnung Esaus und Jacobs
Berlin, Privatbesitz
Gherardini hat aus dieser Begegnung eine Huldigung des Landmannes vor dem
Fürsten und Heerführer gemacht. Ihm mochten wohl Szenen vorschweben,
wo ein siegreicher Condottiere die Huldigung der Landbevölkerung empfängt.
Esau hat keine Frauen bei sich — die Bibel erwähnt drei Frauen —, er hat
nur seine Leibgarde, drei behelmte Krieger und einen zarten schönen Pagen
als Pferdehalter mitgebracht. Eben ist er vom Pferd gestiegen, eilt herbei und
will den Bruder aufheben, der sich demütig vor ihm beugt und beteuernd die
Linke aufs Herz legt. Der Kontrast dieser beiden Hauptfiguren ist das eigentlich
Dramatische in dem Bilde. In Esau streitet das entgegenkommende Wesen mit
dem üblichen Soldatentyp ; man erinnere sich z. B., wie Bismarck in Kürassier-
uniform auf Napoleon III. nach Sedan zureitet. Jakob seinerseits beugt reich-
lich tief die Knie. Die primitive Kunst kannte die Szene einer Visitation, wo
eine Frau vor einer Frau kniet, sogar die Altere vor der Jüngeren; man denke
an die Robbiaplastik in Pistoja oder an Ghirlandajos Bild im Louvre. Da steht
eine aufrechte Figur neben einer knieenden im rechten Winkel, horizontal
liegen die Arme der beiden Frauen. Hier rauscht die Esaufigur im wogenden
Pathos des Bogenkonturs von links heran, gegen sie schiebt sich von rechts
unten die stoßende gestreckte Figur Josephs. Hinter ihm müßten nach dem
biblischen Bericht zuerst die Kebsweiber mit ihren Kindern, dann Lea mit
ihren Kindern, zuletzt Rahel mit Joseph kommen (Genesis 53, 2). So hatte es
sich Jakob ausgedacht, um Rahel gegen eventuelle Verunglimpfungen am
besten zu schützen. Gherardini beschränkt sich aber zum Glück auf Lea und Rahel
und als Nebenfigur eine Magd. Mit Scheu und Sorge nähert sich namentlich
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