Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928
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Heft 24
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loren haben, weder Verfall noch Fortschritt
zu zeigen. Es fehlt heute den Salons jede Art
von Berechtigung. Noch in der Zeit des Im-
pressionismus war ein „Salon“ für den Künst-
ler die einzige Gelegenheit, das Publikum für
sein Werk zu gewinnen. Jetzt wird jede Spur
von Talent von dem Kunsthandel erspäht und
in Sonderausstellungen vorgeführt. Aber die
Mittel, mit denen man die Krankheit zu hei-
len versucht, sind zweifellos verkehrt: Man
öffnet die Türen immer weiter, so daß sich
der Dilettant immer mehr der großen Ausstel-
lungen bemächtigt. Der absoluten Freiheit,
alles zu zeigen, sind wir jetzt satt: die besten
Künstler ziehen sich zurück, und damit meh-
ren sich die empfindlichen Lücken.
Solche Betrachtungen sind am Platze, weil für
das 25. Jahr seines Daseins der Salon d’Au-
tomne eine Jubiläumsausstellung veranstaltet
hat, wo jedes der Gesellschaft vor i914 ange-
hörende Mitglied ein Werk, und besser gesagt
ein altes Werk zu zeigen, eingeladen wurde.
Obwohl die Auswahl nicht durchweg glücklich
war (z.B. ist Renoirs Akt uninteressant), so
beweist die Tatsache als solche, welch’ eine
Bolle der Herbstsalon für die nachimpressio-
nistische Zeit gespielt hat. Auf Vuillards
,,Square Vintimille“ ist jeder Zentimeter
kostbar, das Ganze in seiner scheinbaren Be-
scheidenheit zauberhaft. Bonnards Phanta-
sie ist auch sehr gut vertreten. Unter den Jün-
geren merkt man mit einiger Melancholie, daß
so begabten Malern wie V1 a m i n c k oder
M a r q u e t die heutige Massenproduktion nicht
gerade vorteilhaft ist (nicht jeder verträgt sie
wie ehemals Renoir). Vor den älteren Bil-
dern erwärmt sich das Gefühl zusehends.
Dennoch, das Juwel der Ausstellung, das allein
den Besuch lohnt, ist Maillols Venus. Ob-
wohl der Bildhauer daran seit Jahren arbei-
tete, stellt er sie zum erstenmal aus. Eine
prachtvolle Plastik, so voll und ruhig wie ein
griechisches Werk der besten Zeit, aber von
etwas massigerem Bau und stark sinnlichem
Akzent, der trotz der Schwere der Beine an
der Überlieferung des französischen Dixhui-
tieme festhält. Dieses so ganz ohne Übertrei-
bung, ohne Romantik — und auch ohne
Schwäche — realisierte Werk, stellt zu der
großartigen Masse des Balzac von Rodin —
der auf dem Podest der Treppe steht — den
stärksten Kontrast dar.
Außer dem Herbstsalon verdient eine Aus-
stellung der neuesten Zeichnungen und Aqua-
rellen von Dignimont in der Galerie B e r -
nier Erwähnung. Dieser Künstler, dessen äl-
teren Arbeiten noch etwas Illustratives anhaf-
Aristide Maillol Venus
Jubiläums ausstell ung des Pariser Herbstsalons 1928
Photo Librairie de France
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