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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

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Nr. 176 - 202 (1. August 1898 - 31. August 1898)
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Telephon-Anschluß Nr. 82.

Montag, drn 1. August

1898.

auf den Boden der

seinem Lebenswerke

Fürst Bismarck
Friedrichsruhe, 31.Juli. Fürst
Bismarck ist gestern Abend 11 Uhr
gestorben. (Wiederholt aus einem gestern
ausgcgebenen Extrablatt.)
Ein glänzender Stern am Himmel der Menschheit ist
Elchen; die stärkste und schönste Eiche im deutschen Na-
wnalwalde ist zusammengestürzt: der große Bismarck ist
""2 dieser Zeitlichkeit geschieden.
Viele sterben täglich dahin, ohne daß ihr Weggang
°Merkt wird. Wenn aber ein Großer, Einer, der die
ch^tgeschjchte in neue Bahnen gelenkt hat, zurücksinkt und
Augen für immer schließt, dann zieht ein Schauer der
^furcht durch die Herzen der Menge. Das Geheimniß
Leben und Tod wird nie so unmittelbar fühlbar, als
dem Augenblick, da ein Gewaltiger diese Welt verläßt.
Und ein gewaltiger Mann war unser Bismarck, ein
"^nn, strotzend in der Urkraft eines mächtigen Willens
"Nb einer mächtigen Intelligenz.
Millionen und Millionen werden jährlich geboren, aber
, glückt ßxr Natur der Wurf, daß sich alle Elemente
n Einem zusammenfinden, die nöthig sind, wenn dieser
'"e ein großer Mann werden soll. Ein großer Mann
' deßhalb der kostbarste Schatz einer Nation und wir
um unfern Bismarck wahrlich genug beneidet worden,
^an denke sich ihn aus der Weltgeschichte fort: wo und
stände es dann heute um Deutschlands
. 3n ihm haben wir den Hauptbegründer des neuen
Aschen Reichs zu verehren, den Mann der Deutschland
"u» dem Jammer der Zerrissenheit und der Ohnmacht her-
^geführt hat; er hat Deutschland auf den Boden der
'"igkeit gestellt, der die Grundlage ist für das Empor-
uhen der nationalen Macht, der kräftigen nationalen
"fiurentwickelung.
Fürst Bismarck hatte gehofft an
's zu seinem letzten Athemzug zu arbeiten. Wie Faust,
Hou erblindet, mit unermüdlichem Eifer an der Gewinnung
"" neuem Land arbeitete, so glaubte er bis zu seinem
für Deutschland arbeiten zu dürfen. Es ist anders
Kommen, obgleich er, wie man diese acht Jahre hin-
"rch beobachten konnte, bis zum letzten Moment die
Ästige Krafj. und bis in die letzten Tage hinein auch das
^Perlichx Vermögen besessen hätte, die Kanzlerschaft des
^'ches zu führen.
So war er in den letzten Jahren nicht mehr Mit-
Sender auf der Bühne der Weltgeschichte, sondern Zu-
chauer in der Proszeniumsloge. Oft hat er bedenklich
Kopf geschüttelt und häufig hat er laut kritisirt, was
vorging. In den letzten Jahren war er zufriedener mit
Fortgang, den sein Werk nahm. Nun hat er seine
^I^Angenden Augen für immer geschlossen. Möge sein

Geist unsere Staatsmänner erhellen und regieren, damit
Deutschland auf der Bahn, die er ihm angewiesen hat,
weiter geführt werde. Was er geschaffen hat, das gilt
für alle Zeiten.
Es wird die Spur von seinen Erdentagen
Nicht in Aeonen untergehn.

Was Bismarck dem deutschen Vaterland gewesen ist,
steht allen unfern Lesern tief ins Herz geschrieben. Was
er für Deutschland gearbeitet, gewagt und errungen, das
ist der lebenden Generation bis zu den Jüngsten herab
bekannt. Darum seien hier nur einige chronologische Daten
aus seinem Leben wiedergegeben. Geboren zu Schönhausen
am 1. April 1815 trat er nach absolvirtem juristischem
Studium in den preußischen Staatsdienst, verließ denselben
aber schon 1841, um die Verwaltung von Schönhausen
zu übernehmen. 1846 wurde er in den sächsischen Pro-
vinziallandtag gewählt, 1847 und 1848 nahm er an dem
vereinigten Landtag der preußischen Monarchie in Berlin
theil. 1851 kam er als Legationssekretär zur preußischen
Gesandtschaft beim Bundestag in Frankfurt, einige Monate
später wurde er Gesandter in Frankfurt. 1859 kam er
als Gesandter nach Petersburg, 1862 wurde er, nachdem
er noch kurz als Gesandter in Paris geweilt, zum preuß.
Ministerpräsidenten ernannt. Nach Gründung des Reichs
wurde er Reichskanzler. 1890 wurde er vom Kaiser aus
seinen Aemtern entlassen.
Hamburg, 30. Juli. Die Hamburger Nachrichten
melden: Am Donnerstag Abend war auf eine Verschlim-
merung, wie sie seit Oktober v. Jahres wiederholt stattge-
funden, eine Linderung im Befinden des Für st en Bismarck
eingetreten, welche es dem Fürsten erlaubte, bei Tische zu
erscheinen, an der Unterhaltung lebhaft theilzunehmen,
Champagner zu trinken und gegen die Gewohnheit der
letzten Tage mehrere Pfeifen zu rauchen. Das Befinden
war derart befriedigend, daß Geheimrath Schweninger,
nachdem sich der Fürst zur Ruhe begeben, Friedrichsruh
verlassen konnte, um am Sonnabend wieder dorthin zurück-
zukehren. Auch am Freitag war der Zustand des Fürsten
relativ befriedigend. Am Sonnabend Morgen las der
Fürst die Hamburger Nachrichten und sprach über Politik
namentlich über die russische, nahm im Laufe des Vor-
mittags Speise und Trank zu sich und beklagte sich dabei
scherzhaft über den geringen Zusatz von geistigen Getränken
zu dem Wasser, welches man ihm reichte. Da trat plötzlich
eine Verschlimmerung durch acutes Lungenoedem ein.
Im Laufe des Nachmittags verlor der Fürst häufig
das Bewußtsein, in den Abendstunden des Sonnabends
nahmen die bedenklichen Erscheinungen zu. Der
Tod trat leicht und schmerzlos gegen 11 Uhr ein.
Geheimrath Schweninger, der kurz vorher eingetroffen
war, suchte dem Sterbenden noch durch Linderung
der Athmungsbeschwerden Hilfe zu leisten. Die letzten
Worte des Fürsten waren an seine Tochter, die
Gräfin Rantzau, gerichtet, welche ihm die Stirn
getrocknet hatte: Danke, mein Kind. Am Sterbelager war
die ganze fürstliche Familie versammelt, außer dem Professor
Schweninger, Dr. Chrysander, Baron und Baronin Merck.
Nachdem Geheimrath Schweninger während 3 Minuten
keinen Athemzug und Pulsschlag wahrgenommen hatte, er-

Fiirst Bismarck todt.
Vismarck todt! — Ihr deutschen Eichen trauert!
Voi i '/Hes Volk, verhülle stumm Dein Haupt,
Tnsü >?^Aen Scheidens vollem Weh durchschauert:
' nt der Held, an den du treu geglaubt!
Kosten durst' er des Jahrhunderts Wende,
Kfifis bs Jahrhunderts größter deutscher Mann.
D aM Wirken ward ein ruhig Ende;
"k wm für alles, was er uns gewann!
Di- Macht, der Stolz des deutschen Lebens,
Bja-7Khelt und die Größe der Nation!
hjx„i"O'smarck litt, das litt er nicht vergebens,
leben schon ward ihm ein schöner Lohn:
Di- bieler Tausende, die Thränen,
Der »"> '.h" stossen einst in schwerer Zeit,
V - »»oMnde blaffe Furcht und banges Wähnen,
"underung, die der Erdball ihm geweiht!
link .
stell ^"Monarch, der seinen Bismarck kannte,
Der ^elt, dem er ins Herz geschaut,
D-8,menn die Welt den Großen schwer verkannte,
neusten Dieners klarstem Geist vertraut.
T-^I^uen sie aus andern Welten beide
ÄZjr Ä' mahnend auf ihr Volk herab:
find ? buchen Trost in tiefstem Leide
"eten schwörend an des Kanzlers Grab:
lln's, putschen Eichen, hört die deutsche Klage
»Eo weiter deutscher Männer Wort:
Leku Treue keine fromme Sage,
-orsmarcks Bild in deutschen Herzen fort!

Noch manche Wallfahrt hin zu seinem Steine
Sei auch von uns in trüber Zeck getban,
Daß er im Tod sein Volk noch warn' und eine,
Sein Deutschland leite auf des Ruhmes Bahn!"
Baden-Baden, 31. Juli 1898.
Dr. Gottfr. Kratt.

Ans dem Zweirade.
1) Eine Novellette von Emil Steinweg.
„Pfingsten, das liebliche Fest war gekommen," sehnsüchtig
erwartet und freudig begrüßt von Allen, denen ihr Loos den
Zwang auferlegt, ihre Tage zwischen nüchternen vier
Wänden zuzubringen und die schaale Luft eines geschlossenen
Raumes zu athmen. „Hinaus ins Freie!" war beut' die
Losung und daher strömten unzählige Schaaren aus Berlins
Thoren oder stürmten die Vorortzüge und die Anlegebrücken
der Svreedampfer, fuhren singend auf dicht besetzten Krem-
sern die Landstraße entlang oder sausten auf dem Zweirade
daher, einzeln, gruppenweise oder gar zu Zweien auf dem
Phönix der Velocipede, dem Triumph des Erfindergenies,
der endlich gefundenen Lösung des höchsten bicyclistischen
Problems, der endlich gelungenen vollkommensten Verkörpe-
rung des bicyclistischen Gedankens, der darum auch Tandem
genannten Maschine.
Unter der letzteren Kategorie der Ausflügler, den Sausern,
befand sich auch Johannes Schmuck, ein stattlicher Herr, dem
die Locken noch ziemlich jugendlich blühten, und der nicht
blos mit der ganzen Kraft seiner muskulösen Schenkel das
Stahlroß zu bearbeiten, sondern es auch mit höchster An-
muth zu führen verstand und, seinem Namen Ehre machend,
so stolz auf seinem schwanken Bügel thronte, wie nur irgend
ein goldbetreßter Gardehusar aus dem Rücken seines vier-
beinigen Kleppers. Auch er strebte hinaus in die blühende
Schöpfung, um nach rüstiger Radfahrt auf schwellendem,

klärte er, daß der Tod eiugetreten sei. Der Fürst wir^
seinem Wunsche gemäß auf einer Anhöhe gegenüber dem
Schlosse in der Nähe der Hirschgruppe bei gesetzt.
Bergen, 31. Juli. Der Kaiser erhielt gestern
Abend spät die erste besorgnißerregende Nachricht über das
Befinden des Fürsten Bismarck und heute Morgen tief-
erschüttert die Todesnachricht. Die Flagge der „Hohen-
zollern" weht halbmast. Die Flaggenparade unterblieb.
Der Kaiser befahl sofortige Rückkehr nach Deutsch-
land und trifft Montag Abend in Kiel ein.
Berlin. Das Hinscheiden des Fürsten Bismarck
wurde in der Reichshauptstadt durch Sonderausgaben der
Blätter bekannt gegeben. Ueberall ist die Bevölkerung sehr
tief.bewegt und schmerzlich ergriffen. Die Morgen-
blätter erscheinen mit Trauerrand und geben in warm
empfundenen Artikeln der Nationaltrauer um den dahin-
geschiedenen großen Staatsmann Ausdruck.
München. Anläßlich des Todes des Fürsten Bis-
marck, eines Ehrenbürgers der Stadt München, sind die
öffentlichen Gebäude mit Trauerflaggen versehen. Am
nächsten Dienstag halten die beiden Stadtkollegien eine
gemeinsame Trauersitzung ab. Zur Beisetzung wird wahr-
scheinlich eine städtische Deputation abgesandt werden. Die
meisten bayerischen Zeitungen kündigten den Tod des
Fürsten durch Extrablätter mit Trauerrand an.
Cron berg. Kaiserin Friedrich hat heute früh die
beabsichtigte Besichtigung des historischen Festzuges zum
500jährigen Jubiläum absagen lassen, infolge der Nach-
richt vom Tode des Fürsten Bismarck.
Semmering. Auf die Nachricht von dem Ableben
des Fürsten Bismarck hat sich der Staatssekretär des
Aeußeren von Bülow nach Berlin begeben.
Budape st. Sämmtliche Blätter widmen dem Fürsten
Bismarck einen sehr warm empfundenen Nachruf und
geben in ergreifenden Worten der Theilnahme der Ungarischen
Nation über den schweren Verlust, welchen nicht nur Deutsch-
land, sondern auch die ganze civilisirte Welt durch das
Hinscheiden des größten Staatsmannes dieses Jahrhunderts
erlitten hat. Die Blätter heben insbesondere die warme
Sympathie hervor, welche Fürst Bismarck für Ungarn ge-
hegt hat.

Deutsches Reich.
Berlin, 30. Juli.
— Aus Bergen, 30. Juli, wird berichtet: Der
deutsche Kaiser begab sich gestern Mittag mit Gefolge
in die Villa des deutschen Konsuls Mohr, wo das Mahl
eingenommen wurde. Abends fand zu Ehren des mit der
Jacht „Jello" hier eingetroffenen italienischen Kron-
prinzen paareS ein Mahl auf der „Hohenzollern" statt.
Das Wetter ist kühl und windig.
— Der Köln. Ztg. wird aus Berlin gemeldet: Der
durch die Gänsefrage hervorgerufene wirthschaftliche
Zwischenfall mit Rußland ist beigelegt. Die Einigung
erfolgte dahin, daß Rußland auf das Eintreiben der Gänse
auf der ganzen Grenzlinie verzichtet, wogegen Deutschland
die Gänseeinfuhr auf dem Fußmarsch an 24 genau be-
stimmten Punkten zur nächsten Eisenbahnstation gestattet.
— In Barmen streiken die Kassenärzte, weil die
Krankenkassen, die sich unter sozialdemokratischer Leitung
befinden, ihre Gebühren zu stark heruntergedrückt haben.
grünen Moose zu liegen, die balsamischen Frühlingslüfte
einzuathmen und durch das hellgrüne Laub der Birke den
blauen Himmel und die schimmernden „Segler der Lüfte"
die Hellen Frühlingswölkchen, suchend, einmal still und unge-
stört seinen Gedanken nachzuhängen, die dann wahrscheinlich
erst nach und nach verschwimmen und zuletzt in Morvheus'
Schooß versinken würden. , So war sein Plan, sein Pstngst-
traum, aber — „Träume find Schäume" — es kam anders.
Zwei Damen sausten, ihn überholend, an ihm vorbei und
warfen dem faulen Kameraden, der langsam, wie traumver-
loren, dahinfuhr, einen spöttischen Seitenblick zu. Er
zuckte zusammen und legte sich unwillkürlich stärker ins Zeug
wie ein temperamentvolles Kutschpferd, dem ein anderer
Wagen vorbeisährt; aber nur einen Augenblick! Es waren
Blondinen, wozu sollte er denen nachjagen? Eine Blondine
ist nichts auf dem Rade. Sie ist der Typus des Weichen.
Sanften, spezifisch Weiblichen, und der Radsport ist eine
Kraftäußerung. Kraft aber, und Thatkraft insbesondere,
kleidet nur die Dunkle, das von Rabenhaar umwallte, mit
schwarzen Augensternen blitzende Antlitz.
„Weil' auf mir, Du dunkles Auge!" —
Warum fiel ihm dieser Vers gerade jetzt ein? — Ach,
er kannte solch' ein dunkles Auge von den letzten Winter-
bällen her! — Wenn es ihm doch hier begegnete. Aber
nein! Wie sollte das möglich sein? Hier leuchteten ihm
nur die Blumen, hier schaute ihn nur Gottes Schöpfung
mit ihren tausend groben und kleinen, träumerischen Kinder-
augen an! — Halt da! — Aufgepaßt! — Beinahe wäre er
mit einer Radlerin zusammengesahren, die aus einem Seiten-
wege des Thiergartens hervorgeschossen kam und in seinen
Weg einbog. Noch im letzten Augenblick vermieden sie Beide
durch eine knappe, in entgegengesetzten Richtungen aus-
geführte Wendung den Zusammenstoß. Sie fuhren unbehin-
dert weiter, er aber rannte auf die Wegseite auf und mußte
schleunigst den Fuß zu Boden setzen, um nicht zu stürzen.
Blitzschnell wandte er sich nach ihr um; denn ein Blick hatte
 
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