Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (3) — 1823
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https://doi.org/10.11588/diglit.22118#0012
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No 1-13 (Januar 1823)
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- Einband
- Titelblatt
- [Inhalt]
-
No 1-13 (Januar 1823)
-
No 14-25 (Februar 1823)
-
No 26-39 (März 1823)
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No 1 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 40-52 (April 1823)
-
No 53-65 (Mai 1823)
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No 66-78 (Juni 1823)
-
No 2 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 79-91 (Juli 1823)
-
No 92-104 (August 1823)
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No 105-117 (September 1823)
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No 3 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 118-130 (Oktober 1823)
-
No 131-143 (November 1824)
-
No 144-157 (Dezember 1824)
-
No 4 Intelligenzblatt zur Charis
- Inhalt
- Einband
- Maßstab/Farbkeil
2
ö EEE
ö
Nro. 2. Sonnabend den 4. Januar 1823.
Verantwortlicher Redakteur und. Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
Der uUnbekannte.
(For tſetzung.)
Fluſcht.
Am andern Morgen beim Erwachen brachte ihr die
Kammerfrau ſchon ein Billet von der Baronin,
voll zaͤrtlicher Beſorgniß um ihre Geſundheit, und
lebhaften Verſicherungen von dem Schmerz ihres
— 2 —
Sohnes, ſie geſtern nicht geſehen zu haben, da er
durch einen Reiſegefaͤhrten verhindert ſey, ihr eher
als am fol genden Tage ſeine Aufwartung zu machen.
Schnell kleidete ſie ſich an, und eilte zur Tante,
der ſie das Billet mit den Worten gab: „Siehſt
Du, es faͤngt ſchon an! Und weißt Du, was nun
geſchieht? Ich reiſe Morgen nach Brauberg, der
Verwalter dringt ſchon lange darauf — der junge
Herr mag indeſſen ſein Herz ſonſt wohin adreſſiren.“
Amalie hatte, den Beweggrund abgerechnet, nichts
gegen dieſe Reiſe einzuwenden; ſie ſelbſt wollte erſt
ſpaͤter, wenn keine Winterſtuͤrme mehr zu befuͤrch-
ten waͤren, nachkommen, und Hortenſia reißte noch
am Nachmittag ab, von niemand begleitet als von
Charlotten, ihrer Kammerfrau. Ihre Koffer waren
—
*
mehr mit Buͤchern und Mahlergeraͤthen angefuͤllt,
als mit Kleidern, ſie wollte einmal recht einfach
leben, ſagte ſie — „Diaͤt um den Appetit zu reitzen!“
fuͤgte Amalie hinzu. ö
Ihr war nun ſo leicht, ſo wohl; alle Briefe an
Amalien enthielten das Lob des Landlebens und der
Einſamkeit; ſie geſtand, ſie ſehne ſich zwar in man-
cher Stunde nach einer geiſtreichen Unterhaltung,
und ſelbſt das liebſte Buch koͤnne ihr dieſe nicht
immer erſetzen; daß aber die Ruhe und Ungeſtoͤrt-
heit, doch jene Entbehrung weit uͤberwiege, und
wenn nur ſie erſt da ſey, werde ihr nichts zu wuͤn⸗
ſchen uͤbrig bleiben.
Schon wieder!
Brauberg war weit genug von der Reſidenz ent-
fernt, um vor Beſuchen von dorther ſicher zu ſeyn;
aber in der Gegend ſelbſt ward es bald bekannt,
daß die ſchoͤne Beſitzerin angekommen ſey, und
nun beeiferten ſich alle Standesgenoſſen, der Nach-
barin, die nach der Meiſten Meinung ſehr von
Langeweile leiden muͤſſe, ihren Aufenthalt ſo ange-
genehm als moͤglich zu machen. Hortenſia war zu
ö EEE
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Nro. 2. Sonnabend den 4. Januar 1823.
Verantwortlicher Redakteur und. Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
Der uUnbekannte.
(For tſetzung.)
Fluſcht.
Am andern Morgen beim Erwachen brachte ihr die
Kammerfrau ſchon ein Billet von der Baronin,
voll zaͤrtlicher Beſorgniß um ihre Geſundheit, und
lebhaften Verſicherungen von dem Schmerz ihres
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Sohnes, ſie geſtern nicht geſehen zu haben, da er
durch einen Reiſegefaͤhrten verhindert ſey, ihr eher
als am fol genden Tage ſeine Aufwartung zu machen.
Schnell kleidete ſie ſich an, und eilte zur Tante,
der ſie das Billet mit den Worten gab: „Siehſt
Du, es faͤngt ſchon an! Und weißt Du, was nun
geſchieht? Ich reiſe Morgen nach Brauberg, der
Verwalter dringt ſchon lange darauf — der junge
Herr mag indeſſen ſein Herz ſonſt wohin adreſſiren.“
Amalie hatte, den Beweggrund abgerechnet, nichts
gegen dieſe Reiſe einzuwenden; ſie ſelbſt wollte erſt
ſpaͤter, wenn keine Winterſtuͤrme mehr zu befuͤrch-
ten waͤren, nachkommen, und Hortenſia reißte noch
am Nachmittag ab, von niemand begleitet als von
Charlotten, ihrer Kammerfrau. Ihre Koffer waren
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mehr mit Buͤchern und Mahlergeraͤthen angefuͤllt,
als mit Kleidern, ſie wollte einmal recht einfach
leben, ſagte ſie — „Diaͤt um den Appetit zu reitzen!“
fuͤgte Amalie hinzu. ö
Ihr war nun ſo leicht, ſo wohl; alle Briefe an
Amalien enthielten das Lob des Landlebens und der
Einſamkeit; ſie geſtand, ſie ſehne ſich zwar in man-
cher Stunde nach einer geiſtreichen Unterhaltung,
und ſelbſt das liebſte Buch koͤnne ihr dieſe nicht
immer erſetzen; daß aber die Ruhe und Ungeſtoͤrt-
heit, doch jene Entbehrung weit uͤberwiege, und
wenn nur ſie erſt da ſey, werde ihr nichts zu wuͤn⸗
ſchen uͤbrig bleiben.
Schon wieder!
Brauberg war weit genug von der Reſidenz ent-
fernt, um vor Beſuchen von dorther ſicher zu ſeyn;
aber in der Gegend ſelbſt ward es bald bekannt,
daß die ſchoͤne Beſitzerin angekommen ſey, und
nun beeiferten ſich alle Standesgenoſſen, der Nach-
barin, die nach der Meiſten Meinung ſehr von
Langeweile leiden muͤſſe, ihren Aufenthalt ſo ange-
genehm als moͤglich zu machen. Hortenſia war zu