Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (3) — 1823
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https://doi.org/10.11588/diglit.22118#0757
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No 144-157 (Dezember 1824)
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- Einband
- Titelblatt
- [Inhalt]
-
No 1-13 (Januar 1823)
-
No 14-25 (Februar 1823)
-
No 26-39 (März 1823)
-
No 1 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 40-52 (April 1823)
-
No 53-65 (Mai 1823)
-
No 66-78 (Juni 1823)
-
No 2 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 79-91 (Juli 1823)
-
No 92-104 (August 1823)
-
No 105-117 (September 1823)
-
No 3 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 118-130 (Oktober 1823)
-
No 131-143 (November 1824)
-
No 144-157 (Dezember 1824)
-
No 4 Intelligenzblatt zur Charis
- Inhalt
- Einband
- Maßstab/Farbkeil
ZE
Rheiniſche Mo
rgenzeitung fuͤr g
ebildete Leſer.
—* —
Nro. 155. Sonnabend den 2. Dezember 1823.
* 5
*.
.—.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedric Karl Freiberr von Erlach.
*
An den Morgenſtern.
Du Stern, vor dem ſich Nacht und Morgen ſcheiden,
Blick nicht ſo kalt, Gefaͤhrte bittrer Leiden,
So klar von deiner Hoͤhe nicht herab.
O laͤchle nicht, haſt du denn ganz vergeſfen,
Wie viel der Thraͤnen neue Tag' erpreſſen,
Waͤhnſt du, es ſey auf Erden mehr kein Grab?
Warum nicht bleidt die Welt in Schlaf verſunkern,
Was zieheſt maͤchtig an des Lichtquells Funken,
Beſcheinſt du Schuld und Mord und Treubruch gern?
Du daͤmmerſt weg beim Zauberblick vom Morgen,
Dein Laͤcheln, deine Strahlen ſind verborgen,
Wie gleicht das Menſchenherz dir, kalter Morgenſtern!
A. o d n a g'el.
Malwin a.
— ö — —
— (Schiu 6.
Aer erſchien wie der fürchterliche Bote der Nacht. Zwar
deugte ihn der Verluſt ſeiner Gemahlin tief aber er er-
mannte ſih zuerſt wieder, und blickte die Lievenden kalt
an. Theodor entfernte ſich mit einem eigenen Schauder.
Wie ſein und Malwina's Gemüth vom Schmerz zerriſ-
ſen worden in dieſer langen mondhellen Nacht, das ver-
mag ich nicht zu ſchildern. Aus dem truͤben Nebelmeere
ſtiegen die entſetzlichſten Geſtalten vor ihnen auf; ein blut-
rother Strom floß durch das herbſtliche Gefilde, welchem
Todtenblumen entſproſſen voll Moderduft.
Am folgenden Morgen trat der Kammerherr in Theo-
dors Zimmer. Nein lieber junger Mann!“ ſprach er
mit abgemeſſenem Tone: „Mein Haus wird Ihnen ſtets
Vieles verdanken. Da Malwina nun des Lehrers nicht
mehr bedarf, ſo hab' ich Ihnen die Stelle eines Profeſſors
an dem Gymnaſium in D. ausgewirkt. Sie müſſen aber
heut ſchon dahin abreiſen. Dies ſcheint mir um ſo noͤthi-
ger, da Sie — Verzeihung meiner Aufrichtigkeit! — mit
Malwinen andere Abſichten zu haben ſcheinen. Bedachten
Sie es denn nicht, daß ſie Katholikin und ein Fraͤulein
vom aͤlteſten Adel iſt? Ich beurtheile indeß Ihr Verfah-
ren nicht ſtrenge, da jeder junge Mann ſeine romanhaften
Ideen erſt durch echte Weltkenntniß laͤutern muß. Bleiben
Sie auch ferner unſrem Hauſe gewogen. Naͤchſtens werd'
ich meine Tochter als Braut des Herrn von Kalkried er-
klaͤren./
„Was der Kammerherr weiter ſagte, vernahm Theodor,
deſſen Herz ſchon gebrochen war, nicht mehr. Mechaniſch
ließ er ſich von Salden in das Beſuchzimmer führen.
Die Stunde des Abſchieds war da. Malwina zerfloß
in Thraͤnen. Wie ſie daſtand, die zarte Jungfrau, gleich
einer ſich beugenden Lilie! Die Augen ein Bild des un-
ſaͤglichſten Schmerzes; der Buſen aufwallend in dem tiefen
Rheiniſche Mo
rgenzeitung fuͤr g
ebildete Leſer.
—* —
Nro. 155. Sonnabend den 2. Dezember 1823.
* 5
*.
.—.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedric Karl Freiberr von Erlach.
*
An den Morgenſtern.
Du Stern, vor dem ſich Nacht und Morgen ſcheiden,
Blick nicht ſo kalt, Gefaͤhrte bittrer Leiden,
So klar von deiner Hoͤhe nicht herab.
O laͤchle nicht, haſt du denn ganz vergeſfen,
Wie viel der Thraͤnen neue Tag' erpreſſen,
Waͤhnſt du, es ſey auf Erden mehr kein Grab?
Warum nicht bleidt die Welt in Schlaf verſunkern,
Was zieheſt maͤchtig an des Lichtquells Funken,
Beſcheinſt du Schuld und Mord und Treubruch gern?
Du daͤmmerſt weg beim Zauberblick vom Morgen,
Dein Laͤcheln, deine Strahlen ſind verborgen,
Wie gleicht das Menſchenherz dir, kalter Morgenſtern!
A. o d n a g'el.
Malwin a.
— ö — —
— (Schiu 6.
Aer erſchien wie der fürchterliche Bote der Nacht. Zwar
deugte ihn der Verluſt ſeiner Gemahlin tief aber er er-
mannte ſih zuerſt wieder, und blickte die Lievenden kalt
an. Theodor entfernte ſich mit einem eigenen Schauder.
Wie ſein und Malwina's Gemüth vom Schmerz zerriſ-
ſen worden in dieſer langen mondhellen Nacht, das ver-
mag ich nicht zu ſchildern. Aus dem truͤben Nebelmeere
ſtiegen die entſetzlichſten Geſtalten vor ihnen auf; ein blut-
rother Strom floß durch das herbſtliche Gefilde, welchem
Todtenblumen entſproſſen voll Moderduft.
Am folgenden Morgen trat der Kammerherr in Theo-
dors Zimmer. Nein lieber junger Mann!“ ſprach er
mit abgemeſſenem Tone: „Mein Haus wird Ihnen ſtets
Vieles verdanken. Da Malwina nun des Lehrers nicht
mehr bedarf, ſo hab' ich Ihnen die Stelle eines Profeſſors
an dem Gymnaſium in D. ausgewirkt. Sie müſſen aber
heut ſchon dahin abreiſen. Dies ſcheint mir um ſo noͤthi-
ger, da Sie — Verzeihung meiner Aufrichtigkeit! — mit
Malwinen andere Abſichten zu haben ſcheinen. Bedachten
Sie es denn nicht, daß ſie Katholikin und ein Fraͤulein
vom aͤlteſten Adel iſt? Ich beurtheile indeß Ihr Verfah-
ren nicht ſtrenge, da jeder junge Mann ſeine romanhaften
Ideen erſt durch echte Weltkenntniß laͤutern muß. Bleiben
Sie auch ferner unſrem Hauſe gewogen. Naͤchſtens werd'
ich meine Tochter als Braut des Herrn von Kalkried er-
klaͤren./
„Was der Kammerherr weiter ſagte, vernahm Theodor,
deſſen Herz ſchon gebrochen war, nicht mehr. Mechaniſch
ließ er ſich von Salden in das Beſuchzimmer führen.
Die Stunde des Abſchieds war da. Malwina zerfloß
in Thraͤnen. Wie ſie daſtand, die zarte Jungfrau, gleich
einer ſich beugenden Lilie! Die Augen ein Bild des un-
ſaͤglichſten Schmerzes; der Buſen aufwallend in dem tiefen