Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (3) — 1823
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https://doi.org/10.11588/diglit.22118#0527
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No 105-117 (September 1823)
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- Einband
- Titelblatt
- [Inhalt]
-
No 1-13 (Januar 1823)
-
No 14-25 (Februar 1823)
-
No 26-39 (März 1823)
-
No 1 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 40-52 (April 1823)
-
No 53-65 (Mai 1823)
-
No 66-78 (Juni 1823)
-
No 2 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 79-91 (Juli 1823)
-
No 92-104 (August 1823)
-
No 105-117 (September 1823)
-
No 3 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 118-130 (Oktober 1823)
-
No 131-143 (November 1824)
-
No 144-157 (Dezember 1824)
-
No 4 Intelligenzblatt zur Charis
- Inhalt
- Einband
- Maßstab/Farbkeil
Nro. 108. Montag den 8. September 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
R oman ze.
Einſam ſaß die Jungfrau ſchon
In dunkler Schatten Grün,
Sah bleich die Sonne untergehn,
Das Abendroth vergluͤhn.
Truͤbe ward ihr heit'rer Blick,
Der Buſen ſeufzerſchwer.
Was nützt ihr Schönheit, Reichthum, Glück!
Denn ach, das Herz iſt leer.
Rauſcht es ploͤtzlich durch den Hain,
Das Maͤgdelein erbebt,
Und Räuber dringen auf ſie ein;
Umſonſt ſie widerſtrebt.
Reißen wild ſie auf ein Roß,
Hin in den duͤſtern Wald
Flieht eilig nun der Maͤnner Troß,
Und Siegesjubel ſchallt.
Bald doch ſchweigt der grauſe Sang;
64. Ein Faͤhnlein ſtürmt heran.
Der Tapf'ren Degen hell arklang;
Der Raͤuber Hauf' entrann.
Doch ein Ritter, todtenblaß,
Der ſie zuerſt befreit,
Sinkt blutend in das feuchte Gras; —
Dem Jungfraulein ein Leid.
Hebt ihn auf, und fuͤhrt ihn fort;
Nicht war die Müh' zu ſchwer;
Und heilet ihn an ſich'rem Ort,
Und denkt des Leids nicht mehr.
Scherzt um ihn, und pfleget ſein;
Er fühlt ſich wie zu Haus,
Wünſcht aus dem traͤulichen Verein
Sich nimmermehr hinaus.
A. Schulz.
(Sch lu 6.) ö
Mehrere Tage vergingen ſeitdem. Reinhold hatte waͤh⸗
rend dieſer Zeit die gefuͤrchtete Operation unternommen,
und Gott ſeine Hand mit Heil geſegnet. Adelens Geſicht
war der Preis ſeiner Geſchicklichkeit, ihr ſtummes Dank-
gebet, der Lohn ſeines Herzens. — Das Maas ſeines
Glückes war voll. Kein trüber Blick ſtoͤrte ihn im Genuß
deſſelben. Er ſelbſt hatte ſeinen Himmel entwoͤlkt, ſeine
Roſen erzogen. — ö
„Ich moͤchte wohl fragen, wie es Ihnen gelang, ein
liebendes Herz von ſeinen einmal gefaßten Hoffnungen ab,
und einer ſo ſichtlichen Zufriedenheit zuzuwenden!“ begann
die Baronin, als ſich einſt Reinhold mit ihr allein befand.
— „Ich hatte das Herz ihrer Nichte ſtudirt, als es noch
ruhig und ungeſtoͤrt vor mir lag,“ entgegnete Jener: „Ich
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
R oman ze.
Einſam ſaß die Jungfrau ſchon
In dunkler Schatten Grün,
Sah bleich die Sonne untergehn,
Das Abendroth vergluͤhn.
Truͤbe ward ihr heit'rer Blick,
Der Buſen ſeufzerſchwer.
Was nützt ihr Schönheit, Reichthum, Glück!
Denn ach, das Herz iſt leer.
Rauſcht es ploͤtzlich durch den Hain,
Das Maͤgdelein erbebt,
Und Räuber dringen auf ſie ein;
Umſonſt ſie widerſtrebt.
Reißen wild ſie auf ein Roß,
Hin in den duͤſtern Wald
Flieht eilig nun der Maͤnner Troß,
Und Siegesjubel ſchallt.
Bald doch ſchweigt der grauſe Sang;
64. Ein Faͤhnlein ſtürmt heran.
Der Tapf'ren Degen hell arklang;
Der Raͤuber Hauf' entrann.
Doch ein Ritter, todtenblaß,
Der ſie zuerſt befreit,
Sinkt blutend in das feuchte Gras; —
Dem Jungfraulein ein Leid.
Hebt ihn auf, und fuͤhrt ihn fort;
Nicht war die Müh' zu ſchwer;
Und heilet ihn an ſich'rem Ort,
Und denkt des Leids nicht mehr.
Scherzt um ihn, und pfleget ſein;
Er fühlt ſich wie zu Haus,
Wünſcht aus dem traͤulichen Verein
Sich nimmermehr hinaus.
A. Schulz.
(Sch lu 6.) ö
Mehrere Tage vergingen ſeitdem. Reinhold hatte waͤh⸗
rend dieſer Zeit die gefuͤrchtete Operation unternommen,
und Gott ſeine Hand mit Heil geſegnet. Adelens Geſicht
war der Preis ſeiner Geſchicklichkeit, ihr ſtummes Dank-
gebet, der Lohn ſeines Herzens. — Das Maas ſeines
Glückes war voll. Kein trüber Blick ſtoͤrte ihn im Genuß
deſſelben. Er ſelbſt hatte ſeinen Himmel entwoͤlkt, ſeine
Roſen erzogen. — ö
„Ich moͤchte wohl fragen, wie es Ihnen gelang, ein
liebendes Herz von ſeinen einmal gefaßten Hoffnungen ab,
und einer ſo ſichtlichen Zufriedenheit zuzuwenden!“ begann
die Baronin, als ſich einſt Reinhold mit ihr allein befand.
— „Ich hatte das Herz ihrer Nichte ſtudirt, als es noch
ruhig und ungeſtoͤrt vor mir lag,“ entgegnete Jener: „Ich