DOI Kapitel:
No 92-104 (August 1823)
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.22118#0484
Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.
Nro. 100. Mittwoch den 20. Auguſt 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
—
Homo sum, nihil humani a me alienum puto.
Ja, heil'ger, unſichtbarer Geiſt der Erde,
In mir empfind' ich, deine hoͤh're Macht,
Die trotz der überwundenen Gefaͤhrde
Den neuen Sturm in meine Bruſt gebracht;
Der Geiſt allein nicht ruft das große Werde,
Weil ewig uns der Sinne Lockung lacht;
Der Geiſt muß mit den Sinnen ſich verbinden,
Will er des dunkeln Raͤthſels Loͤſung finden.
Es faͤllt der Menſch anheim den irrd'ſchen Maͤchten,
So laͤng er in der Erde Wildniß irrt,
Nie wird er ſich die Palme ganz erfechten,
Denn, wie ein dräuendes Geſpenſt verwirrt
Die Tauſchung ihn; wer wagt's mit dem zu rechten,
Zu dem kein Pfad in klarem Licht uns fuͤhrt 2
Das aber iſt dem Sterblichen gegeben,
Daß opfernd er erringe ſich das Leben.
0
Und wenn mit ihren eiſigen Genoſſen
Die Leidenſchaft vor ſeine Tugend tritt, —
Er hat vergebens nicht den Bund geſchloſſen,
Sie führt zum Schutz ihm ihre Engel mit.
Ob eig'ne Schuld den Pfad ihm auch verſchloſſen, ——
ö Es füͤhrt ſein Herz ihn einen ſichern Schritt;
Nur moͤg' er ſich vor ſtolzem Dünkel wahren,
Allein zu trotzen jeglichen Gefahren.
Dem Uebermuthe zurnen alle Götter,
Der Menſch vergeſſe ſeiner Schwaͤchen nicht;
Wohl fühlt er ſich, duͤnkt ſich ſein eig'ner Retter,
Wenn uͤber ihm des Schickſals Woge bricht:
Doch kann erneuen ſich das wilde Wetter,
Den Stolz zermalmen, der im Herzen ſpricht:
„Wo ſind ſie, die mit Blitz und Donner ſpielen?“ —
Denn blut'ge Antwort ſaust aus ihren Kielen.
(Forrſetzung.)
Der Waffenſtillſtand, welcher waͤhrend Reinholds Aufent-
halt in Friedheim von den kriegführenden Maͤchten be-
ſchloſſen wurde, bot ihm die erwünſchte Gelegenheit den·
ſelben noch einige Zeit zu verlaͤngern, er fuͤhlte ſich hei-
miſch an dieſem Ort, zumal da der glückliche Erfolg ſei-
ner Kur ihm das Wohlwollen der Varoneſſe, wie Betty's
Dankdarkeit, immer ſichtlicher gewann. Die hohe Ausbil·
dung ſeines Geiſtes, welche er theils ſeinen frühern kuͤnſt-
leriſchen Beſchaͤftigungen, theils dem Einfluß einer ſchoͤ⸗
nen weiblichen Seele verdankte, wurde ſeinen Umgang
anziehend gemacht haben, auch wenn die Sphaͤre, in wel-
cher die Baronin zu leben gewohnt war, minder einfach
und ſtill geweſen wäre; ſo aber mußte das Erſcheinen
Nro. 100. Mittwoch den 20. Auguſt 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
—
Homo sum, nihil humani a me alienum puto.
Ja, heil'ger, unſichtbarer Geiſt der Erde,
In mir empfind' ich, deine hoͤh're Macht,
Die trotz der überwundenen Gefaͤhrde
Den neuen Sturm in meine Bruſt gebracht;
Der Geiſt allein nicht ruft das große Werde,
Weil ewig uns der Sinne Lockung lacht;
Der Geiſt muß mit den Sinnen ſich verbinden,
Will er des dunkeln Raͤthſels Loͤſung finden.
Es faͤllt der Menſch anheim den irrd'ſchen Maͤchten,
So laͤng er in der Erde Wildniß irrt,
Nie wird er ſich die Palme ganz erfechten,
Denn, wie ein dräuendes Geſpenſt verwirrt
Die Tauſchung ihn; wer wagt's mit dem zu rechten,
Zu dem kein Pfad in klarem Licht uns fuͤhrt 2
Das aber iſt dem Sterblichen gegeben,
Daß opfernd er erringe ſich das Leben.
0
Und wenn mit ihren eiſigen Genoſſen
Die Leidenſchaft vor ſeine Tugend tritt, —
Er hat vergebens nicht den Bund geſchloſſen,
Sie führt zum Schutz ihm ihre Engel mit.
Ob eig'ne Schuld den Pfad ihm auch verſchloſſen, ——
ö Es füͤhrt ſein Herz ihn einen ſichern Schritt;
Nur moͤg' er ſich vor ſtolzem Dünkel wahren,
Allein zu trotzen jeglichen Gefahren.
Dem Uebermuthe zurnen alle Götter,
Der Menſch vergeſſe ſeiner Schwaͤchen nicht;
Wohl fühlt er ſich, duͤnkt ſich ſein eig'ner Retter,
Wenn uͤber ihm des Schickſals Woge bricht:
Doch kann erneuen ſich das wilde Wetter,
Den Stolz zermalmen, der im Herzen ſpricht:
„Wo ſind ſie, die mit Blitz und Donner ſpielen?“ —
Denn blut'ge Antwort ſaust aus ihren Kielen.
(Forrſetzung.)
Der Waffenſtillſtand, welcher waͤhrend Reinholds Aufent-
halt in Friedheim von den kriegführenden Maͤchten be-
ſchloſſen wurde, bot ihm die erwünſchte Gelegenheit den·
ſelben noch einige Zeit zu verlaͤngern, er fuͤhlte ſich hei-
miſch an dieſem Ort, zumal da der glückliche Erfolg ſei-
ner Kur ihm das Wohlwollen der Varoneſſe, wie Betty's
Dankdarkeit, immer ſichtlicher gewann. Die hohe Ausbil·
dung ſeines Geiſtes, welche er theils ſeinen frühern kuͤnſt-
leriſchen Beſchaͤftigungen, theils dem Einfluß einer ſchoͤ⸗
nen weiblichen Seele verdankte, wurde ſeinen Umgang
anziehend gemacht haben, auch wenn die Sphaͤre, in wel-
cher die Baronin zu leben gewohnt war, minder einfach
und ſtill geweſen wäre; ſo aber mußte das Erſcheinen