Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (3) — 1823
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https://doi.org/10.11588/diglit.22118#0476
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No 92-104 (August 1823)
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- Einband
- Titelblatt
- [Inhalt]
-
No 1-13 (Januar 1823)
-
No 14-25 (Februar 1823)
-
No 26-39 (März 1823)
-
No 1 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 40-52 (April 1823)
-
No 53-65 (Mai 1823)
-
No 66-78 (Juni 1823)
-
No 2 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 79-91 (Juli 1823)
-
No 92-104 (August 1823)
-
No 105-117 (September 1823)
-
No 3 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 118-130 (Oktober 1823)
-
No 131-143 (November 1824)
-
No 144-157 (Dezember 1824)
-
No 4 Intelligenzblatt zur Charis
- Inhalt
- Einband
- Maßstab/Farbkeil
N
48
ii
Rheiniſche Morgenzeitun
ᷓVòoS
ꝑ,
g fuͤr gebildete Leſer.
Nro. 98.
Sonnabend den 16. Auguſt 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Heraus geber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
Sankt Thereſia.
Der Morgen naht; die Sonne hebt ſich wieder,
Die Sorge ſcheuchend einer trüben Nacht;
Im Thale toͤnen tauſend Morgenlieder,
Die mild ihr freundlich Leuchten angefacht,
Und von den Bergen ſieht es laͤchelnd nieder,
Wie neues Leben dieſem Gruß erwacht:
Ja überall hoͤrt man in tauſend Weiſen
Des neuen Tages großen Schöͤpfer preiſen.
Nur dort allein aus jenes Thales Mitte
Schallt dumpf vom Kloſter her ein Klaggeſang,
Als wenn ein vielgeliebtes Leben litte,
So tönt das heil'ge Lied die Flur entlang —
Den Schöpfer rufend in geweihter Bitte
Um nahe Rettung — des Erfolges bang —
Auch hör' ich dort ein einfach Glockenlaͤuten,
Das ſchmerzlich toͤnt von den Kapellgebäuden.
Und, o! wie kann ich Euch den Jammer nennen,
Der dieſe Mauern wehmuthsvoll erfüllt,
In welchem Laute ſoll ein Herz entbrennen,
Das tiefe Trauer maͤchtig eingehüllt?
Und wer vermag den Kummer zu verkennen,
Dem noch kein Laut den innern Gram geſtillt?
Ja, wer umfaßte würdig dieſe Leiden,
Die ſich in keinen eitlen Wortprunk kleiden?
Da liegen ſie in ſtummen Schmerz begraben
Und an dem Ather haͤngt der naſſe Blick,
Ob ſie ſich betend auch ergoſſen haben —
Er ſinket kalt und unerhört zurück.
Nichts hoffend von des ew'gen Vaters Gaben
Erwarten ſie den einen Augenblick,
Der ihnen all' ihr Erdenglück entriſſe,
Fuͤr den ein jeder gern ſein Leben miſſe.
Und ſie — die zarte Huldin, die ich meine,
Die nie ein edler Sänger würdig pries,
Die nicht an dieſem Erdenwahn alleine
Der Gottbeſeelte Geiſt verweilen ließ,
Die es verdient, daß jeder um ſie weine,
Dem ihre Lippe je ein Wort verhieß,
Die nicht die Menſchen würdig anerkannten,
Die Engel aber traulich Schweſter nannten —
Sie iſt dahin! Auf weichem Flaum gebettet,
Entfloh der Geiſt zu einer beſſern Bahn;
Da liegt die Hülle, an die Welt gekettet,
Die ſie von manchem eitlen Thorenwahn,
Pon mancher ird'ſchen Schwachheit einſt gerettet,
— Da hoͤrte ſie den Lebenden noch an! —
Sie iſt dahin! Und ihrer Schweſtern Klagen,
Sie moͤgen Euch von ihrem Werthe ſagen.
Ach! manch ein Greis, den ſtille ſie geleitet,
Er ruft ihr knieend fromme Wünſche nach;
48
ii
Rheiniſche Morgenzeitun
ᷓVòoS
ꝑ,
g fuͤr gebildete Leſer.
Nro. 98.
Sonnabend den 16. Auguſt 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Heraus geber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
Sankt Thereſia.
Der Morgen naht; die Sonne hebt ſich wieder,
Die Sorge ſcheuchend einer trüben Nacht;
Im Thale toͤnen tauſend Morgenlieder,
Die mild ihr freundlich Leuchten angefacht,
Und von den Bergen ſieht es laͤchelnd nieder,
Wie neues Leben dieſem Gruß erwacht:
Ja überall hoͤrt man in tauſend Weiſen
Des neuen Tages großen Schöͤpfer preiſen.
Nur dort allein aus jenes Thales Mitte
Schallt dumpf vom Kloſter her ein Klaggeſang,
Als wenn ein vielgeliebtes Leben litte,
So tönt das heil'ge Lied die Flur entlang —
Den Schöpfer rufend in geweihter Bitte
Um nahe Rettung — des Erfolges bang —
Auch hör' ich dort ein einfach Glockenlaͤuten,
Das ſchmerzlich toͤnt von den Kapellgebäuden.
Und, o! wie kann ich Euch den Jammer nennen,
Der dieſe Mauern wehmuthsvoll erfüllt,
In welchem Laute ſoll ein Herz entbrennen,
Das tiefe Trauer maͤchtig eingehüllt?
Und wer vermag den Kummer zu verkennen,
Dem noch kein Laut den innern Gram geſtillt?
Ja, wer umfaßte würdig dieſe Leiden,
Die ſich in keinen eitlen Wortprunk kleiden?
Da liegen ſie in ſtummen Schmerz begraben
Und an dem Ather haͤngt der naſſe Blick,
Ob ſie ſich betend auch ergoſſen haben —
Er ſinket kalt und unerhört zurück.
Nichts hoffend von des ew'gen Vaters Gaben
Erwarten ſie den einen Augenblick,
Der ihnen all' ihr Erdenglück entriſſe,
Fuͤr den ein jeder gern ſein Leben miſſe.
Und ſie — die zarte Huldin, die ich meine,
Die nie ein edler Sänger würdig pries,
Die nicht an dieſem Erdenwahn alleine
Der Gottbeſeelte Geiſt verweilen ließ,
Die es verdient, daß jeder um ſie weine,
Dem ihre Lippe je ein Wort verhieß,
Die nicht die Menſchen würdig anerkannten,
Die Engel aber traulich Schweſter nannten —
Sie iſt dahin! Auf weichem Flaum gebettet,
Entfloh der Geiſt zu einer beſſern Bahn;
Da liegt die Hülle, an die Welt gekettet,
Die ſie von manchem eitlen Thorenwahn,
Pon mancher ird'ſchen Schwachheit einſt gerettet,
— Da hoͤrte ſie den Lebenden noch an! —
Sie iſt dahin! Und ihrer Schweſtern Klagen,
Sie moͤgen Euch von ihrem Werthe ſagen.
Ach! manch ein Greis, den ſtille ſie geleitet,
Er ruft ihr knieend fromme Wünſche nach;