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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (3) — 1823

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No 92-104 (August 1823)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22118#0462

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Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

Nro. 05. Sonnabend den 9. Auguſt 1823.

Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.

Die Häfnet⸗Jungfrau.

Aus Hebels Allemanniſchen Gedichten metriſch übertragen
von O. C. Freiherrn von Budberg.

Vetter, wo ſind wir doch jetzt? — faſt glaub' ich daß wir verirrten.
Schlägt doch keine Uhr, man hört nicht Glocke noch Hahn'ruf;
Wie man auch horcht und wie man auch ſchaut, rings zeigt ſich kein Fußtritt.
Laßt uns hinab den Fußſteg geh'n! es iſt mir wir ſeyen
Nicht mehr fern vom Häfnet⸗-Bühl. Sonſt graußt es mich wenn ich
Drüber muß, jetzt wär' ich froh. — Der Sonne nach möcht' es
Schier wohl zehne ſchon ſeyn. Das wär' kein Unglück, wir kämen
Immer doch wohl noch zeitig genug nach Steine zum Mittag.
Gelt, was hab' ich geſagt! — Gott lob! da ſind wir am Häfnet,
und jetzt weiß ich Weg und Steg. — Du haſt doch gebetet
Heute früh will's Gott, und gewaſchen und 's Haar dir gekämmet
Mit dem Kamm? wohl müſſen die Finger auch manchmal dir Dienſt thun
Und der Fall ſcheint heut' mir zu ſeyn. — Ja, Vetter, ich rath' euch,
Wenn wir zum Brunnen gelangt, du mögeſt dich waſchen und kämmen.
Sieh' im Wieſenthal ſteht, dort in der einſamen Matte
Noch ein Haus, man nennt's nur immer das Steinauer Schlößchen.
Handwerksleute die dort, und Fröhner die bauen geholfen,
Bis vollendet das Schloß mit ſeinen Stufen und Giebeln,
Ruhen, und ſchmerzt ſie kein Zahn; ſie liegen friedlich im Boden; —
Nicht ſo die Häfnet⸗Jungfer die vor undenklichen Zeiten

Dort in dem Schloſſe gehauſt, zuſammen mit Vater und Mutter.

Ja eim Zwingherr wohnete dort und des Frohn's war kein Ende;
Bald zur Treibiagd, bald zum Bau, und Nachts auch zur Feldhut,
Hat er die Bauern geylagt, — und wußte die Frau und der Zwingherr
Nichts mehr zu fordern, ſo hat das Töchterlein annoch gerathen;
Gar ein zivpꝛierliches Ding/ mit Hals und Geſicht wie von Zucker.
Da ward Einer nach Vaſel geſchickt, ein And'rer noch weiter
Salben holen und dies und das zum Waſchen und Kämmen;

Schuhe mit Blumen geſtickt und köſtliche goldene Kappen
Fein mit Franzen beſetzt, und ſeidene Bänder und Handſchuh'.
Glaubt ihr denn wohl ſte wär“‘, auf blanker Erde nur jemals
Mit den papier'nen Schuh'n zur Kirche nach Steine gegangen?
Weißen Tüffend, mein Seel' vom beſten ſo man konnt' finden,
zußten ſte breiten für ſie, vom Schlößchen an bis nach Steine,
hin durch's ganze Dorf und über den Kirchhof zur Kirchthür.
Montags mußten ſie's waſchen, und drauf am kommenden Samſtag
nußte es ſauber ſeyn, wie neu vom Weber und Walker.
Einſtmal traf's daß ein Greis, es wußte niemand woher er,
Stand an der Kirchhofthür, hart an dem wollenen Fußweg.
»„Höret Jüngferchen hört!“ ſo ſprach er, „ich warne bei Zeiten
„Jüngferchen, höret mein Wort: mit dem Ort iſt gar nicht zu ſpaſſen! ͥ —
„Geht man ſo in die Kirch' und über die graſigen Gräber?
„Sagt / in der Bibel wie heißt's? — doch werd't ihr's nimmer wohl wiſſen,
„Erde ſollſt du werden — aus Erde biſt du genommen!
„Jüngferchen gebt wohl acht, — ich fürcht'!“ — Er ſprach's und
verſchwand drauf.
Dasmal noch ging ſie zur Kirch' auf Grobwolltuch, und nicht mehr dann!
Künftigen Sonntag muß Flanell gar herbei mit rothen
Bänderchen rechts und links, und unten und oben verbrämet.
D! wie manchmal haben die Leut', im Stillen gewünſchet:
»Holte dich doch nur ein Mann im Elſas oder im Breisgau
»Oder wo ſelbſt der Pfeffer wächſt! er ſoll dir gegönnt ſeyn! —
Aber es hat ſie keiner gemocht. — Geſtorben darauf ſind
Mutter und Vater dazu, ſie liegen neben einander;
Endlich kömmt auch ein Gang der das CTöchterlein führt auf den
Kirchhof,
Auch nicht Flanell mehr braucht und nicht mehr ſchmutzig die
Schuh' macht. —
Von vier Richtern nun ward im Sarge zur Gruft ſie getragen
Keiner doch weinet ihr nach. Ein „Vater unſer“ gebetet
Haben all und geſagt: Gott gebe dir ewigen Frieden!“
Alles verſöhnet der Tod, doch muß zu ſpät es nicht werden.
 
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