Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (3) — 1823
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https://doi.org/10.11588/diglit.22118#0432
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No 79-91 (Juli 1823)
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- Einband
- Titelblatt
- [Inhalt]
-
No 1-13 (Januar 1823)
-
No 14-25 (Februar 1823)
-
No 26-39 (März 1823)
-
No 1 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 40-52 (April 1823)
-
No 53-65 (Mai 1823)
-
No 66-78 (Juni 1823)
-
No 2 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 79-91 (Juli 1823)
-
No 92-104 (August 1823)
-
No 105-117 (September 1823)
-
No 3 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 118-130 (Oktober 1823)
-
No 131-143 (November 1824)
-
No 144-157 (Dezember 1824)
-
No 4 Intelligenzblatt zur Charis
- Inhalt
- Einband
- Maßstab/Farbkeil
Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.
Nro. 89. Sonnabend den 26. Juli 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
An Baron von Laßberg
Herausgeber des Liederſaals, des Nibelungenlieds und anderer
altdeutſchen Schriften.
Der Motten Raub friſch wiederum entringen
Willſt du der deutſchen Vaͤter heilig Lied?
Die alten Saͤnger wieder uns zu bringen
Biſt du mit Ernſt wie wenige bemuht?
Was auf der Abentüre kühnen Schwingen
Und was im Scherz ſie kraͤftig ausgeſpruͤht,
Kunſtlos, doch wahr und warm — willſt du dem Leben
In neuen Glanzes Uebergülde geben.
Den Mantel reicher Phantaſie gebreitet
Um's karge Leben hat uns ihr Geſang.
Wie mit dem Speer ſie Ehre ſich erbeutet,
So mit des Lieds lichtvollem Wunderklang.
Der Frauen Preis, der Ritter Ruhm erweitet
Hat uns ihr Lied die deutſche Flur entlang,
Und ſie allein ſie ließen wir, vergeſſen‚
Der Buͤchergruft, von Motten angefreſſen?
Nein! fahre fort, ins Leben das zu wecken,
Was feuchter Woͤlbung morſcher Schrank umhegt,
àMit neuem Ehrenſchilde zu bedecken
Die Männer, die der Ehre treu gepflegt.
Und ſollten dich auch ſchaale Krittler necken
Wird hier der Neid, der Stumpfſinn dort erregt,
Und ſollt' es gar der Ecklen Zahn verdrießen,
Die Wackern wird manch Wackrer warm begrüßen:
Schau' aus von deiner Paradieſes-Aue,
Wo du jetzt lebſt, wo ſie vordem gelebt,
Und von den Burgen dort im goldnen Thaue
Wo früͤhe dich ihr heitrer Geiſt umſchwebt,
Wo noch ihr Laut in deinem Segensgaue
Im Volkesmund in kraͤft'ger Sprache webt.
Sie winken dir, ſie danken dir die Geiſter
Der ſinnbegabten ſangesreichen Meiſter.
(Fortſetzung.)
Der Geſang verſtummte, und die letzten Zitherklaͤnge ver-
hallten wie Fluͤſtern der Geiſter im Abendhauch, der die
verfallnen Fenſter der Burg umſpielte. Das Lied hatte
mich traurig und nachdenklich gemacht; die Erinnerungen
an ungluͤckliche Liebe ſind nimmer erfreulich, am wenigſten
dem, der die Seinigen ſo unendlich gluͤcklich durch die Liebe
weiß, oder es ſelbſt iſt. Es ward mir unheimlich bei den
ſchaurigen Trümmern der Burg, und ich erhob mich ſo eben,
um in das mit vielen Lichtern ſchimmernde Dorf hinabzuſtei-
gen, als es durch die Gebüſche rauſchte, und eine kleine
wunderliche Figur neben mir ſtand, die mich ſonderbar
freundlich fragend anſah. Das Geſicht, vom aufſteigenden
Monde beleuchtet, war leichenblaß, auf der erhabnen Stirn
ſchien geheimer bittrer Kummer zu laſten, um Mund und
Nro. 89. Sonnabend den 26. Juli 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
An Baron von Laßberg
Herausgeber des Liederſaals, des Nibelungenlieds und anderer
altdeutſchen Schriften.
Der Motten Raub friſch wiederum entringen
Willſt du der deutſchen Vaͤter heilig Lied?
Die alten Saͤnger wieder uns zu bringen
Biſt du mit Ernſt wie wenige bemuht?
Was auf der Abentüre kühnen Schwingen
Und was im Scherz ſie kraͤftig ausgeſpruͤht,
Kunſtlos, doch wahr und warm — willſt du dem Leben
In neuen Glanzes Uebergülde geben.
Den Mantel reicher Phantaſie gebreitet
Um's karge Leben hat uns ihr Geſang.
Wie mit dem Speer ſie Ehre ſich erbeutet,
So mit des Lieds lichtvollem Wunderklang.
Der Frauen Preis, der Ritter Ruhm erweitet
Hat uns ihr Lied die deutſche Flur entlang,
Und ſie allein ſie ließen wir, vergeſſen‚
Der Buͤchergruft, von Motten angefreſſen?
Nein! fahre fort, ins Leben das zu wecken,
Was feuchter Woͤlbung morſcher Schrank umhegt,
àMit neuem Ehrenſchilde zu bedecken
Die Männer, die der Ehre treu gepflegt.
Und ſollten dich auch ſchaale Krittler necken
Wird hier der Neid, der Stumpfſinn dort erregt,
Und ſollt' es gar der Ecklen Zahn verdrießen,
Die Wackern wird manch Wackrer warm begrüßen:
Schau' aus von deiner Paradieſes-Aue,
Wo du jetzt lebſt, wo ſie vordem gelebt,
Und von den Burgen dort im goldnen Thaue
Wo früͤhe dich ihr heitrer Geiſt umſchwebt,
Wo noch ihr Laut in deinem Segensgaue
Im Volkesmund in kraͤft'ger Sprache webt.
Sie winken dir, ſie danken dir die Geiſter
Der ſinnbegabten ſangesreichen Meiſter.
(Fortſetzung.)
Der Geſang verſtummte, und die letzten Zitherklaͤnge ver-
hallten wie Fluͤſtern der Geiſter im Abendhauch, der die
verfallnen Fenſter der Burg umſpielte. Das Lied hatte
mich traurig und nachdenklich gemacht; die Erinnerungen
an ungluͤckliche Liebe ſind nimmer erfreulich, am wenigſten
dem, der die Seinigen ſo unendlich gluͤcklich durch die Liebe
weiß, oder es ſelbſt iſt. Es ward mir unheimlich bei den
ſchaurigen Trümmern der Burg, und ich erhob mich ſo eben,
um in das mit vielen Lichtern ſchimmernde Dorf hinabzuſtei-
gen, als es durch die Gebüſche rauſchte, und eine kleine
wunderliche Figur neben mir ſtand, die mich ſonderbar
freundlich fragend anſah. Das Geſicht, vom aufſteigenden
Monde beleuchtet, war leichenblaß, auf der erhabnen Stirn
ſchien geheimer bittrer Kummer zu laſten, um Mund und