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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (3) — 1823

DOI chapter:
No 131-143 (November 1824)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.22118#0655

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Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

Nro. 134. Sonnabend den 8. November 1823.

Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.

*
Morgendämmerung.

Schwebend wandelt durch die dunkeln Thore
Kühler Nacht, bedeckt mit grauem Flore,
Hoch vom Himmel Goͤttin Daͤmmerung.
Alles, alles fühlet neues Leben,
Das ihr Athem liebevoll gegeben,
Alles, alles bringt ihr Huldigung.

Sie erſcheint im traͤufelnden Geſchmeide
Frühen Thaues, gleich der Braut, voll Freude;
Wonnelächelnd iſt ihr Morgenblick.
Wenn ſie wandelt wird der Erdkreis heller,
Und der Puls der Schoͤpfung klopfet ſchneller,
Trübe Schatten fliehn vor ihr zuruͤck. ö
Voll des Taumels jauchzt der Berge Gipfel,
Rauſchend toͤnt der Haine hoher Wipfel,
Fluren wachen von dem Schlummer auf.
Heiter tauchen in des Sees Spiegel
Ihre Haͤupter grüngelockte Hüͤgel;
Raſcher fließt des Stromes Wellenlauf.
Groß und herrlich ſteigt, im Jugendglanze,
Hellumwunden mit dem Feuerkranze,
Aus dem Ocean das Flammenlicht:
Schnell entwehen felſigen Altaͤren
Blumenduͤfte; freudenvollé Zaͤhren
Weint der Thaler thauiges Geſicht.

L. A. Jung.

Edelmuthund Liebe.

Ein betagter Foͤrſter war im franzoͤſiſchen Revolutionskriege

aus Treue mit ſeinem Herrn, einem ziemlich beguͤterten
Landedelmann, auf das rechte Rheinufer heruͤber gefluchtet

und lebte nun ſeit mehreren Jahren zu ** in der größten

Duͤrftigkeit, da ſeinem Gebieter ſelbſt kaum ſo viel übrig
blieb, um ſein Leben mit einigem Anſtande durchzubringen.
Als Auswanderer hatte er alle ſeine Guͤter verloren und
damit auch beinahe ſeinen ganzen Kredit. Dem Forſter
mußte es um ſo ſchlimmer gehen, da ihm ſeine Alters-

ſchwaͤche nicht erlaubte, ſich etwas mit ſeiner Haͤnde Arbeit

zu verdienen und er waͤre ſicher ein Raub des aͤußerſten
Elendes geworden, haͤtte ihm nicht ſeine einzige Tochter
durch ihren taaͤglichen Verdienſt ſein hinſiechendes Leben ge-
friſtet. Geſund und wohlgeſtaltet hatte ſie noch nicht völ-
lig das achtzehnte Jahr zurückgelegt und all' ihre Sorge
ging nur auf die Erhaltung des guten Vaters. So vieler
Augen ſie auch durch ihre einnehmende Bildung auf ſich zog
und ſo luſtern auch mancher Verfuͤhrer ſeine Angel nach

ihr auswarf, lebte ſie doch in ſtrengſter Eingezogenheit,

unbewußt des Eindrucks, den ſie auf ſo manche Maͤnner-
herzen gemacht hatte, und die Züge ſtiller Wehmuth und
Trauer, welche ſich ihrem Geſichte ſanft eingedrückt hatten,
erhoͤheten dergeſtalt ihre Reitze, daß ihr Anblick bei aller
Armuth, Hochachtung und Ehrfurcht gebot. —
Der Foͤrſter bewohnte ein kleines, dunkles Kaͤmmerlein
in der übrigens nicht unſcheinbaren Wohnung eines Bür-
 
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