Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (3) — 1823
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https://doi.org/10.11588/diglit.22118#0396
DOI Kapitel:
No 79-91 (Juli 1823)
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- Einband
- Titelblatt
- [Inhalt]
-
No 1-13 (Januar 1823)
-
No 14-25 (Februar 1823)
-
No 26-39 (März 1823)
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No 1 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 40-52 (April 1823)
-
No 53-65 (Mai 1823)
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No 66-78 (Juni 1823)
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No 2 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 79-91 (Juli 1823)
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No 92-104 (August 1823)
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No 105-117 (September 1823)
-
No 3 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 118-130 (Oktober 1823)
-
No 131-143 (November 1824)
-
No 144-157 (Dezember 1824)
-
No 4 Intelligenzblatt zur Charis
- Inhalt
- Einband
- Maßstab/Farbkeil
98
*
I½
EE
Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.
Nro. 81. Montag den 7. Juli 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
Des Liedes Ketten.
R oman ze.
Suͤßen Laut der Harf' entringend,
In der Lauſcher weitem Kranz
Stand der Saͤnger, leiſe ſingend,
Still und abgeſondert ganz.
Alſo hebt, im Schneegewande,
Singend uͤber'm Ozean,
Zwiſchen gruͤnem Lenzeilaͤnde
Sich der königliche Schwan.
Aber enger wird die Runde,
Dichtgeſchloſſ'ner wird der Kreis:
Wie das Lied aus Saͤngers Munde
Herzen zu beſtüurmen weiß.
Jede Sylbe wird zur Kette,
Jeder Wohllaut wird zum Band,
Daß entzückt ſich näher trete,
Was ſich erſt noch ferne ſtand.
Und es zieht die Lauſcher naaͤher
Zu dem Spender ihres Gluͤck's;
Zu dem goldgelockten Seher,
Der da ſingt, verklaͤrten Blick's:“
Naͤher — enger — immer enger,
ö Bis an ſeine Bruſt und Hand:
Eingeſchloſſen ſteht der Saͤnger,
Der noch erſt alleine ſtand.
Johann Gahbriel Seidl.
Die Huſſiten.
(Fortſetzun g.)
Am andern Tage, es war gerade einer der ſchönſten des
Sommers — ergiengen ſich Sophia und Lodoiska mit dem
kleinen Sigismund in einem höchſt anmuthigen Luſtwaͤld-
chen in der Naͤhe von Raby, wo ſich die Einwohner der
Stadt gewöhnlich zu verſammeln pflegten. In ſich gekehrt
und ernſt ſchritten die Frauen miteinander einher und miſch-
ten ſich wider Willen unter die Menge. Sigismund fand
Behagen an dem Spiele vieler muntrer Knaben, und mit
Erlaubniß der Mutter nahm er freudigen Antheil daran.
Unverſehens entfernte ſie ihr Spiel von den beiden Frauen
und zuletzt, als dieſe aufmerkſam wurden, und ihnen nach-
eilten, erhub ſich ploͤtzlich ganz nahe ein fürchterlicher Laͤrm,
und aus dem Waͤldchen eilte eine ungeheure Menge Men-
ſchen theils jammernd, theils fluchend gerade auf die beiden
los. Die Huſſiten! hoͤrte man rufen, und ein Angſtſchrei
Lodoiska's nach ihrem Sigismund verlor ſich in dem regel-
loſeſten Tumult. Sophia eilte ihr nach, der Spur des Kna-
ben folgten ſie, als ploͤtzlich von dorther ein Haufen Volks
gerannt kam, und dicht hinter ihnen die Spieße der Feinde
blitzten. Vergebens jammerten Lodoiska und Sophia, der
reibende Strom der fliehenden Maſſe nahm ſie gewaltſam
mit ſich fort, und wollten ſie ſich durchdraͤngen, zurückbleiben
und das verlorne Kleinod aufſuchen, ſo drohte ihnen ge-
wiſſer Tod. Verzweifelnd, dem Wahnſinn nahe, eilte Lo-
doiska, um bei Bohuslav Rath zu holen.
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I½
EE
Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.
Nro. 81. Montag den 7. Juli 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
Des Liedes Ketten.
R oman ze.
Suͤßen Laut der Harf' entringend,
In der Lauſcher weitem Kranz
Stand der Saͤnger, leiſe ſingend,
Still und abgeſondert ganz.
Alſo hebt, im Schneegewande,
Singend uͤber'm Ozean,
Zwiſchen gruͤnem Lenzeilaͤnde
Sich der königliche Schwan.
Aber enger wird die Runde,
Dichtgeſchloſſ'ner wird der Kreis:
Wie das Lied aus Saͤngers Munde
Herzen zu beſtüurmen weiß.
Jede Sylbe wird zur Kette,
Jeder Wohllaut wird zum Band,
Daß entzückt ſich näher trete,
Was ſich erſt noch ferne ſtand.
Und es zieht die Lauſcher naaͤher
Zu dem Spender ihres Gluͤck's;
Zu dem goldgelockten Seher,
Der da ſingt, verklaͤrten Blick's:“
Naͤher — enger — immer enger,
ö Bis an ſeine Bruſt und Hand:
Eingeſchloſſen ſteht der Saͤnger,
Der noch erſt alleine ſtand.
Johann Gahbriel Seidl.
Die Huſſiten.
(Fortſetzun g.)
Am andern Tage, es war gerade einer der ſchönſten des
Sommers — ergiengen ſich Sophia und Lodoiska mit dem
kleinen Sigismund in einem höchſt anmuthigen Luſtwaͤld-
chen in der Naͤhe von Raby, wo ſich die Einwohner der
Stadt gewöhnlich zu verſammeln pflegten. In ſich gekehrt
und ernſt ſchritten die Frauen miteinander einher und miſch-
ten ſich wider Willen unter die Menge. Sigismund fand
Behagen an dem Spiele vieler muntrer Knaben, und mit
Erlaubniß der Mutter nahm er freudigen Antheil daran.
Unverſehens entfernte ſie ihr Spiel von den beiden Frauen
und zuletzt, als dieſe aufmerkſam wurden, und ihnen nach-
eilten, erhub ſich ploͤtzlich ganz nahe ein fürchterlicher Laͤrm,
und aus dem Waͤldchen eilte eine ungeheure Menge Men-
ſchen theils jammernd, theils fluchend gerade auf die beiden
los. Die Huſſiten! hoͤrte man rufen, und ein Angſtſchrei
Lodoiska's nach ihrem Sigismund verlor ſich in dem regel-
loſeſten Tumult. Sophia eilte ihr nach, der Spur des Kna-
ben folgten ſie, als ploͤtzlich von dorther ein Haufen Volks
gerannt kam, und dicht hinter ihnen die Spieße der Feinde
blitzten. Vergebens jammerten Lodoiska und Sophia, der
reibende Strom der fliehenden Maſſe nahm ſie gewaltſam
mit ſich fort, und wollten ſie ſich durchdraͤngen, zurückbleiben
und das verlorne Kleinod aufſuchen, ſo drohte ihnen ge-
wiſſer Tod. Verzweifelnd, dem Wahnſinn nahe, eilte Lo-
doiska, um bei Bohuslav Rath zu holen.