Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (3) — 1823
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.22118#0661
DOI chapter:
No 131-143 (November 1824)
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.22118#0661
- Einband
- Titelblatt
- [Inhalt]
-
No 1-13 (Januar 1823)
-
No 14-25 (Februar 1823)
-
No 26-39 (März 1823)
-
No 1 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 40-52 (April 1823)
-
No 53-65 (Mai 1823)
-
No 66-78 (Juni 1823)
-
No 2 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 79-91 (Juli 1823)
-
No 92-104 (August 1823)
-
No 105-117 (September 1823)
-
No 3 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 118-130 (Oktober 1823)
-
No 131-143 (November 1824)
-
No 144-157 (Dezember 1824)
-
No 4 Intelligenzblatt zur Charis
- Inhalt
- Einband
- Maßstab/Farbkeil
10 0
.
V‚
Nro. 135. Montag den 10. November 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
4 ——
Der Knabe und die Roſe.
Romanze.
Ein Knabe pflegte ſpaͤt und früh
Ein Röslein in dem Garten;
Und ſaumte nicht mit gleicher Muͤh
Es taͤglich abzuwarten.
Und wie er ſtets mit treuer Hand
Die Knospende begoſſen,
So war's die Erſte auch im Land
Die ihren Kelch erſchloſſen.
Froh lauſchet der Knabe mit heimlichen Sinnen
Der Roſe, die taͤglich ihm ſchoͤner erbluht,
Und meinet: Jetzt koͤnne er's freudig beginnen
Was ſtill er getragen im treuen Gemuth.
Zu Maly der Holden, hegt laͤngſt ſchon im Stillen
Er heimliche Liebe, doch ſchweigt er verzagt,
Jetzt foll ihr die Roſe das Raͤthſel enthüllen.
Ausſprechen, was nimmer die Lippe gewagt.
Am Abend, wenn im Wieſenthal.
Die Bächlein voller rauſchen,
Kommt ſie daher im goldnen Strahl
Dem ſußen Spiel zu lauſchen.
Hier, meint der Knabe, ſey der Ort
Ihr ungeſtort zu nahen,
Und machtig drängt ſein Herz ihn fort
Sein Urtheil zu empfahen.
Schon ſieht er von Ferne den flatternden Schleier.
Die holde Geliebte, ſie nahet, ſie naht!
Im Herzen der Liebe hochheilige Feier, ö
Harrt bebend der Knabe am ſchattigen Pfad.
Und ſchüͤchtern — die Roſe in zitternden Händen,
Begrüßt er die Hohe, doch kann er vor Scheu
Nur leiſe die zagenden Worte beenden:
„Nimm, lieb liche Maly! Ich liebe dich treu!“
Da truͤbet ſich der Holden Blick,
Und ſie beginnt zu klagen:
„Nimm' deine Roſ', o Hirt, zurück.
Ich darf ſie nimmer tragen!
In treuer Lieb' iſt Herz und Hand
Nur Einem zugewendet,
Drum ſey dein ſüßes Liebespfand
Der Wuͤrdigern geſpendet! —“
Da ſchauet der Knabe mit traurigen Blicken
Tiefſchweigend zu Boden, und muͤht ſich mit Macht
Die perlende Thraͤne im Aug' zu erſticken
Denn Stolz iſt und Schmerz ihm im Buſen erwacht.
und die Roſe nimmt er; und tief in die Wogen
Blickt lang' er in wilder Bewegung hinab:
„Fuͤr Eine nur hab ich dich freudig erzogen! “
So ruft er, und wirft ſie ins fluthende Grab.
ö Aanes Franz.
.
V‚
Nro. 135. Montag den 10. November 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
4 ——
Der Knabe und die Roſe.
Romanze.
Ein Knabe pflegte ſpaͤt und früh
Ein Röslein in dem Garten;
Und ſaumte nicht mit gleicher Muͤh
Es taͤglich abzuwarten.
Und wie er ſtets mit treuer Hand
Die Knospende begoſſen,
So war's die Erſte auch im Land
Die ihren Kelch erſchloſſen.
Froh lauſchet der Knabe mit heimlichen Sinnen
Der Roſe, die taͤglich ihm ſchoͤner erbluht,
Und meinet: Jetzt koͤnne er's freudig beginnen
Was ſtill er getragen im treuen Gemuth.
Zu Maly der Holden, hegt laͤngſt ſchon im Stillen
Er heimliche Liebe, doch ſchweigt er verzagt,
Jetzt foll ihr die Roſe das Raͤthſel enthüllen.
Ausſprechen, was nimmer die Lippe gewagt.
Am Abend, wenn im Wieſenthal.
Die Bächlein voller rauſchen,
Kommt ſie daher im goldnen Strahl
Dem ſußen Spiel zu lauſchen.
Hier, meint der Knabe, ſey der Ort
Ihr ungeſtort zu nahen,
Und machtig drängt ſein Herz ihn fort
Sein Urtheil zu empfahen.
Schon ſieht er von Ferne den flatternden Schleier.
Die holde Geliebte, ſie nahet, ſie naht!
Im Herzen der Liebe hochheilige Feier, ö
Harrt bebend der Knabe am ſchattigen Pfad.
Und ſchüͤchtern — die Roſe in zitternden Händen,
Begrüßt er die Hohe, doch kann er vor Scheu
Nur leiſe die zagenden Worte beenden:
„Nimm, lieb liche Maly! Ich liebe dich treu!“
Da truͤbet ſich der Holden Blick,
Und ſie beginnt zu klagen:
„Nimm' deine Roſ', o Hirt, zurück.
Ich darf ſie nimmer tragen!
In treuer Lieb' iſt Herz und Hand
Nur Einem zugewendet,
Drum ſey dein ſüßes Liebespfand
Der Wuͤrdigern geſpendet! —“
Da ſchauet der Knabe mit traurigen Blicken
Tiefſchweigend zu Boden, und muͤht ſich mit Macht
Die perlende Thraͤne im Aug' zu erſticken
Denn Stolz iſt und Schmerz ihm im Buſen erwacht.
und die Roſe nimmt er; und tief in die Wogen
Blickt lang' er in wilder Bewegung hinab:
„Fuͤr Eine nur hab ich dich freudig erzogen! “
So ruft er, und wirft ſie ins fluthende Grab.
ö Aanes Franz.