Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (3) — 1823
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https://doi.org/10.11588/diglit.22118#0181
DOI Kapitel:
No 26-39 (März 1823)
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- Einband
- Titelblatt
- [Inhalt]
-
No 1-13 (Januar 1823)
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No 14-25 (Februar 1823)
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No 26-39 (März 1823)
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No 1 Intelligenzblatt zur Charis
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No 40-52 (April 1823)
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No 53-65 (Mai 1823)
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No 66-78 (Juni 1823)
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No 2 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 79-91 (Juli 1823)
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No 92-104 (August 1823)
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No 105-117 (September 1823)
-
No 3 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 118-130 (Oktober 1823)
-
No 131-143 (November 1824)
-
No 144-157 (Dezember 1824)
-
No 4 Intelligenzblatt zur Charis
- Inhalt
- Einband
- Maßstab/Farbkeil
Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.
Nro. 38. Sonnabend den 29. Maͤrz 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
LSeſr mit der Freude.
Wenn du, o Freude, meinem Kreiſe
Mit goldnem Kelch' erſcheinſt/
Warum iſt's immer deine Weiſe,
Daß du halb lachſt, halb weinſt? —
„O kaum betret' ich dein Gemach,
So folget mir Weh auf der Ferſe nach,
Und ſchnell ſich umdüſtert der ſtrahlende Tag.“
So hab' auch ich's gefaßt. — Erſt neulich
Verkündeteſt du mir: —
—Ach, mit verhaltnen Thränen freilich! —
Das Glück ſteh' an der Thür. —
„Und jetzt war's eben eingekehrt,
Da ſangen die Geiſter: dem Tod gehört
Dein Kind, das der Buſen der Mutter noch nährt!⸗
Wir hätten gern zurückgegeben
Was uns das Glück gebracht,
Wär' unſers holden Säuglings Leben
Geſunken nicht in Nacht. —
VD doyppelt würd' ich Göttin ſeyn, —
Könnt' immer, von Gall' und von Wermuth rein,
Den labenden Becher ich Sterblichen leihn!“
Fr. Raßmann.
Der Wilddie
(Sortſetzun g.)
Die ſpaͤten Herbſttage, gleich wohlhabenden alten
Jungfern reich an Mitgift, aber welk und falb, gingen
zu Ende mit ihren vergnuͤglichen Jagden; und die viel-
fache Thaͤtigkeit in Feld und Wald ſollte mit dem
Kirchweihfeſte beſchloſſen werden. — Der Amtmann in
dem, nur ein halbes Stuͤndchen von meinem Wiloͤü—
garten entlegenen Zellau hatte ſaͤmmtliche Vorneh-
men der Umgegend zu ſich geladen, und ich war
auch dabei. Zum erſten Mal ſah ich meine ein-
zeln beſuchten Nachbarn beiſammen mit Weibern
und Toͤchtern. — Jezt laͤchelt ihr, und meint die
Liebſchaft muͤſſe kommen: und wirklich kommt ſie
auch. ö ö
Was wurde da nicht geſprochen und geſchwatzt!
und auf mir wurden, leicht begreiflich, alle langen
und kurzen Faͤden der Unterhaltung aufgewickelt.
Ich ging von Hand zu Hand, und wurde gehoben
und befuͤhlt wie eine Martinsgans, an der Jedes
am beſten ſchaͤtzen will, was hinter Haut und Fe-
dern ſitzt, und was darauf zu wagen und zu wet-
ten ſey. Endlich hatten ſie mit viel Zartheit den
rechten Flecken herausgefuͤhlt: es zogen ſich die ge-
furchten Geſichter der Muͤtter und Muhmen wie
ausgerungene naſſe Waͤſche freundlich auseinander,
Nro. 38. Sonnabend den 29. Maͤrz 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
LSeſr mit der Freude.
Wenn du, o Freude, meinem Kreiſe
Mit goldnem Kelch' erſcheinſt/
Warum iſt's immer deine Weiſe,
Daß du halb lachſt, halb weinſt? —
„O kaum betret' ich dein Gemach,
So folget mir Weh auf der Ferſe nach,
Und ſchnell ſich umdüſtert der ſtrahlende Tag.“
So hab' auch ich's gefaßt. — Erſt neulich
Verkündeteſt du mir: —
—Ach, mit verhaltnen Thränen freilich! —
Das Glück ſteh' an der Thür. —
„Und jetzt war's eben eingekehrt,
Da ſangen die Geiſter: dem Tod gehört
Dein Kind, das der Buſen der Mutter noch nährt!⸗
Wir hätten gern zurückgegeben
Was uns das Glück gebracht,
Wär' unſers holden Säuglings Leben
Geſunken nicht in Nacht. —
VD doyppelt würd' ich Göttin ſeyn, —
Könnt' immer, von Gall' und von Wermuth rein,
Den labenden Becher ich Sterblichen leihn!“
Fr. Raßmann.
Der Wilddie
(Sortſetzun g.)
Die ſpaͤten Herbſttage, gleich wohlhabenden alten
Jungfern reich an Mitgift, aber welk und falb, gingen
zu Ende mit ihren vergnuͤglichen Jagden; und die viel-
fache Thaͤtigkeit in Feld und Wald ſollte mit dem
Kirchweihfeſte beſchloſſen werden. — Der Amtmann in
dem, nur ein halbes Stuͤndchen von meinem Wiloͤü—
garten entlegenen Zellau hatte ſaͤmmtliche Vorneh-
men der Umgegend zu ſich geladen, und ich war
auch dabei. Zum erſten Mal ſah ich meine ein-
zeln beſuchten Nachbarn beiſammen mit Weibern
und Toͤchtern. — Jezt laͤchelt ihr, und meint die
Liebſchaft muͤſſe kommen: und wirklich kommt ſie
auch. ö ö
Was wurde da nicht geſprochen und geſchwatzt!
und auf mir wurden, leicht begreiflich, alle langen
und kurzen Faͤden der Unterhaltung aufgewickelt.
Ich ging von Hand zu Hand, und wurde gehoben
und befuͤhlt wie eine Martinsgans, an der Jedes
am beſten ſchaͤtzen will, was hinter Haut und Fe-
dern ſitzt, und was darauf zu wagen und zu wet-
ten ſey. Endlich hatten ſie mit viel Zartheit den
rechten Flecken herausgefuͤhlt: es zogen ſich die ge-
furchten Geſichter der Muͤtter und Muhmen wie
ausgerungene naſſe Waͤſche freundlich auseinander,