Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (3) — 1823
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https://doi.org/10.11588/diglit.22118#0050
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No 1-13 (Januar 1823)
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- Einband
- Titelblatt
- [Inhalt]
-
No 1-13 (Januar 1823)
-
No 14-25 (Februar 1823)
-
No 26-39 (März 1823)
-
No 1 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 40-52 (April 1823)
-
No 53-65 (Mai 1823)
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No 66-78 (Juni 1823)
-
No 2 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 79-91 (Juli 1823)
-
No 92-104 (August 1823)
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No 105-117 (September 1823)
-
No 3 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 118-130 (Oktober 1823)
-
No 131-143 (November 1824)
-
No 144-157 (Dezember 1824)
-
No 4 Intelligenzblatt zur Charis
- Inhalt
- Einband
- Maßstab/Farbkeil
Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer
Nro. 10. Mittwoch den 22. Januar 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Heraus geber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
Der Winter.
Aut Hebels Allemanniſchen Gedichten metriſch übertragen
von O. C. Freiherrn v. Budberg.
Iſt etwan oben Baumwoll' feil? —
Sie ſchü tten doch ein redlich Theil
Herab in Gärten und auf's Haus;
Es ſchneit mein Seel', es iſt ein Graus/
Und an dem Himmel, merk' ich wohl
Hängt Schnee noch mancher Wagen voll.
Und wo ein Mann von Weitem lauft
Hat ſolche Baümwoll' er gekauft;
Er trägt ſie auf der Achſel nach
Und auf dem Hut, und läuft ſo jach! —
Was läufſt du ſo du närr'ſcher Wicht,
Geſtohlen haſt du ſie doch nicht? —
Und Garten ab und Garten auf
Hat jeder Pfahl ein Käppchen auf
Wie große Herren bläh'n ſie ſich
Als hätten ſie's appart für ſich.
Ey gar! — leer ging hier niemand aus,
Seht nur die Kirch', des Schloßherrn Haus.
Nur Schnee und Schnee wohin man ſchaut
Und Straß' und Steg weiß überbaut.
Manch Saamenkörnlein klein und zart
Liegt unterm Boden wohl verwahrt
*
Und ſchnei's ſo lang' es ſchneien mag
Es harrt auf ſeinen Oſtertag.
Manch Käferlein von ſchöner Art
Liegt auch im Boden wohl verwabrt; ö
»Es hat nicht Kummer, hat nicht Plag'
Und harrt auch auf den Oſtertag.
Und währt's auch lang, es macht nichts aus
Ihm iſt ia wohl im Mutterhaus'! —
Doch wenn des Frühlings Schwälblein ſingt
Die Sonnenwärme obwärts dringt,
Potz Stern! da wacht's in jedem Grab
Und ſtreift ſein Todtenhemdlein ab.
Und wo ſich nur ein Löchlein zeigt
Zu Tag das junge Leben ſteigt! —
Dort fliegt ein hungrig Spätzlein her/ —
Ein Krümmchen Brod wär' ſein Begehr.
Es ſieht ſo bittend aus, und ſpricht:
„Seit Geſtern aß ich Aermſter nicht!“
Gelt Bürſchchen jetzt iſt andre Zeit
Als wenn zur Saat das Korn man ſtreut? —
Da nimm! laß andern auch etwas!
Biß hungrig, komm, kriegſt wieder was.
Ja wahr muß ſeyn, wie's Sprüchlein ſpricht:
„Sie ſäen nicht und ärndten nicht,
Sie haben weder Pflug noch Noch,
Und Gott im Himmel nährt ſie doch!“
Nro. 10. Mittwoch den 22. Januar 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Heraus geber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
Der Winter.
Aut Hebels Allemanniſchen Gedichten metriſch übertragen
von O. C. Freiherrn v. Budberg.
Iſt etwan oben Baumwoll' feil? —
Sie ſchü tten doch ein redlich Theil
Herab in Gärten und auf's Haus;
Es ſchneit mein Seel', es iſt ein Graus/
Und an dem Himmel, merk' ich wohl
Hängt Schnee noch mancher Wagen voll.
Und wo ein Mann von Weitem lauft
Hat ſolche Baümwoll' er gekauft;
Er trägt ſie auf der Achſel nach
Und auf dem Hut, und läuft ſo jach! —
Was läufſt du ſo du närr'ſcher Wicht,
Geſtohlen haſt du ſie doch nicht? —
Und Garten ab und Garten auf
Hat jeder Pfahl ein Käppchen auf
Wie große Herren bläh'n ſie ſich
Als hätten ſie's appart für ſich.
Ey gar! — leer ging hier niemand aus,
Seht nur die Kirch', des Schloßherrn Haus.
Nur Schnee und Schnee wohin man ſchaut
Und Straß' und Steg weiß überbaut.
Manch Saamenkörnlein klein und zart
Liegt unterm Boden wohl verwahrt
*
Und ſchnei's ſo lang' es ſchneien mag
Es harrt auf ſeinen Oſtertag.
Manch Käferlein von ſchöner Art
Liegt auch im Boden wohl verwabrt; ö
»Es hat nicht Kummer, hat nicht Plag'
Und harrt auch auf den Oſtertag.
Und währt's auch lang, es macht nichts aus
Ihm iſt ia wohl im Mutterhaus'! —
Doch wenn des Frühlings Schwälblein ſingt
Die Sonnenwärme obwärts dringt,
Potz Stern! da wacht's in jedem Grab
Und ſtreift ſein Todtenhemdlein ab.
Und wo ſich nur ein Löchlein zeigt
Zu Tag das junge Leben ſteigt! —
Dort fliegt ein hungrig Spätzlein her/ —
Ein Krümmchen Brod wär' ſein Begehr.
Es ſieht ſo bittend aus, und ſpricht:
„Seit Geſtern aß ich Aermſter nicht!“
Gelt Bürſchchen jetzt iſt andre Zeit
Als wenn zur Saat das Korn man ſtreut? —
Da nimm! laß andern auch etwas!
Biß hungrig, komm, kriegſt wieder was.
Ja wahr muß ſeyn, wie's Sprüchlein ſpricht:
„Sie ſäen nicht und ärndten nicht,
Sie haben weder Pflug noch Noch,
Und Gott im Himmel nährt ſie doch!“