Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (3) — 1823
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https://doi.org/10.11588/diglit.22118#0428
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No 79-91 (Juli 1823)
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- Einband
- Titelblatt
- [Inhalt]
-
No 1-13 (Januar 1823)
-
No 14-25 (Februar 1823)
-
No 26-39 (März 1823)
-
No 1 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 40-52 (April 1823)
-
No 53-65 (Mai 1823)
-
No 66-78 (Juni 1823)
-
No 2 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 79-91 (Juli 1823)
-
No 92-104 (August 1823)
-
No 105-117 (September 1823)
-
No 3 Intelligenzblatt zur Charis
-
No 118-130 (Oktober 1823)
-
No 131-143 (November 1824)
-
No 144-157 (Dezember 1824)
-
No 4 Intelligenzblatt zur Charis
- Inhalt
- Einband
- Maßstab/Farbkeil
Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.
Nro. 88. Mittwoch den 33. Juli 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
Der leztre 3 a hen.
Geſchrieben auf einer Reiſe, in Nürnberg, am 7. Juni 1823.
Der erſten Zaͤhne Gluth und Schmerzen
Fuͤhlt ich in dir, du gute Stadt;
Wo man, durch ſüße Koſt und Scherzen
Gewiß das Kind getroſtet hat,
In weiter Fern', in Jugendtagen,
Kam dann der erſte Weisheitszahn.
Es kündete ein Lied voll Klagen
Sein Kommen einer Freundin an.
Weil damals man den Perlenreihen
Und Roſen meinen Mund verglich
Warb ſchwach Geſchwaͤtz und Spoͤttereien
Der armen Maͤnner Beifall ſich.
Weit über's halbe Seculum
O geit vol Wechſel! Schnell entwichen.
Der Mund jezt zahnlos und verblicheß
Gern ſchweigt er jungem Pablikum.
Doch horchte dieſem alten Munde-
Der Kenntniß und Erfahrung hat,
In geiſtuerwandten Zirkels Runde
Manch edles Weſen dieſer Stadt!
Allein bei jeder Freudenſcene
Ward ich oft gramlich oder ſtumm-
Denn ach, der lezte meiner Zaͤhne
Gieng ganz rebelliſch mit mir um.
Jezt hat ihn ſanfter Zwang genommen,
Den Schlimmen, der mir weh gethan.
Wo ich die Erſten einſt bekommen
Verlohr ich auch den lezten Zahn. ö
Philippine Engelhard, geborne Gatterer.
—2—— 2—— — — — — — —..——— —
Der Hofrath.
Reiſeabentheuer von Albert Schulz.
Die Schweiz und das noͤrdliche Italien hatte ich geſehn
und genoſſen, und war nun im Begriff mich nach dem hei-
mathlichen Deutſchland zuruͤckzuwenden. Noch voll der herr-
lichen Bilder, die meinem Auge, wie in einem Traume,
entzuͤckend aber flüchtig vorübergegangen waren, warf ich
mich zu Baſel in die Schnellpoſt, druͤckte die Augen zu, und
überließ mich, mochte auch die Reiſegeſellſchaft den ſtummen
Deutſchen hgimlich belächeln, ungeſtoͤrt dem Phantaſien-
ſtrome, der mich in ſanften Schwingungen zur herrlichen
Schweiz zurückführte. Immer noch klang mir die ſehnende
Melodie des Kuhreihens, und das frohliche Jauchzen und
hallende Godeln der Hirtenknaben in den weiten Bergthaͤ⸗
lern vor den Ohren, und es war, als ob ſie mich bittend
zuruͤckriefen zu ihren ſchattigen Thaͤlern, zu ihren blumigen
Alpen, und den ewigen Gletſchern. Nur erſt, als ich das
liebliche Heidelberg, meinen künftigen Wohnſitz, das ſich
Nro. 88. Mittwoch den 33. Juli 1823.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
Der leztre 3 a hen.
Geſchrieben auf einer Reiſe, in Nürnberg, am 7. Juni 1823.
Der erſten Zaͤhne Gluth und Schmerzen
Fuͤhlt ich in dir, du gute Stadt;
Wo man, durch ſüße Koſt und Scherzen
Gewiß das Kind getroſtet hat,
In weiter Fern', in Jugendtagen,
Kam dann der erſte Weisheitszahn.
Es kündete ein Lied voll Klagen
Sein Kommen einer Freundin an.
Weil damals man den Perlenreihen
Und Roſen meinen Mund verglich
Warb ſchwach Geſchwaͤtz und Spoͤttereien
Der armen Maͤnner Beifall ſich.
Weit über's halbe Seculum
O geit vol Wechſel! Schnell entwichen.
Der Mund jezt zahnlos und verblicheß
Gern ſchweigt er jungem Pablikum.
Doch horchte dieſem alten Munde-
Der Kenntniß und Erfahrung hat,
In geiſtuerwandten Zirkels Runde
Manch edles Weſen dieſer Stadt!
Allein bei jeder Freudenſcene
Ward ich oft gramlich oder ſtumm-
Denn ach, der lezte meiner Zaͤhne
Gieng ganz rebelliſch mit mir um.
Jezt hat ihn ſanfter Zwang genommen,
Den Schlimmen, der mir weh gethan.
Wo ich die Erſten einſt bekommen
Verlohr ich auch den lezten Zahn. ö
Philippine Engelhard, geborne Gatterer.
—2—— 2—— — — — — — —..——— —
Der Hofrath.
Reiſeabentheuer von Albert Schulz.
Die Schweiz und das noͤrdliche Italien hatte ich geſehn
und genoſſen, und war nun im Begriff mich nach dem hei-
mathlichen Deutſchland zuruͤckzuwenden. Noch voll der herr-
lichen Bilder, die meinem Auge, wie in einem Traume,
entzuͤckend aber flüchtig vorübergegangen waren, warf ich
mich zu Baſel in die Schnellpoſt, druͤckte die Augen zu, und
überließ mich, mochte auch die Reiſegeſellſchaft den ſtummen
Deutſchen hgimlich belächeln, ungeſtoͤrt dem Phantaſien-
ſtrome, der mich in ſanften Schwingungen zur herrlichen
Schweiz zurückführte. Immer noch klang mir die ſehnende
Melodie des Kuhreihens, und das frohliche Jauchzen und
hallende Godeln der Hirtenknaben in den weiten Bergthaͤ⸗
lern vor den Ohren, und es war, als ob ſie mich bittend
zuruͤckriefen zu ihren ſchattigen Thaͤlern, zu ihren blumigen
Alpen, und den ewigen Gletſchern. Nur erſt, als ich das
liebliche Heidelberg, meinen künftigen Wohnſitz, das ſich