Weh; das Herz hoͤrbar pochend! O, auch der kaͤlteſte
Menſch haͤtte ſie bemitleiden müſſen! Salden allein ſtand
ruhig da: denn ſein eiſerner Sinn hatte die Trennung be-
ſchloſſen. Seine Gegenwart erlaubte den Liebenden den
letzten Kuß nicht. Ihre Blicke aber ſchienen ſich zu ver-
mählen; Worte ſprach keines aus, nicht einmal ein Lebe-
wohl. Malwina hatte die Haͤnde des theyern Mannes
umfaßt; krampfhaft hielt ſie dieſelben; da wurde ſie bleich;
ein durchdringendes „Ach!“ rang ſich aus ihrer Bruſt;
ſie ſank ohnmaͤchtig hin. Wie Theodor in den Hof gekom-
men, wußte er nicht. Der Kammerherr hob ihn in die
Kutſche, und vom gluͤhenden Schimmer des Fruͤhlingsro-
thes umglaͤnzt, fuhr der Leidende ſeinem Ziel entgegen.
6.
Drei Monate nach dieſer Begebenheit ſchrieb Theodor
an einen Freund, der ſeinen Gemüthszuſtand faſſen konnte:
„Lieber!“
Kannſt Du Dir eine ſchrecklichere Lage denken, als die
eines Wanderers, der hinter ſich oͤde Klippen und traurige
Wuͤſteneien erblickt, vor deſſen Augen ein reizendes Maien-
thal ſich ausbreitet, von dem ihn ein reißender Strom
trennt?
Der Wandrer bin ich; die Klippen ſind Adelsſtolz und
Fanatismus, die Wüͤſteneien Rangſucht und der leidige
Mammon; das Frühlingsthal iſt ein Bild meiner guten,
ſanften Malwina. Als Strom aber fluthet die furchter-
liche Zeit hin. ö
Dieſen Abend wandelt' ich unter dem großen Himmel.
Die erhabenen Welten blinkten wie ewige Ampeln in dem
Tempel der Natur. Ach! rief ich und ſchaute nach dem
hellen Jupiter hin: du leuchteſt ſo klar; willſt du mir etwa
hinauf winken, hinauf zu deinen Seen und Blumen und
Lichtthaͤlern? Willſt du immer kuͤnden, auf dieſer dunkeln
Erde gebe es nichts, als Thränen und Schmerz? Hier
ſteh' ich und blicke mit umfloͤrtem Auge zu dir, holder De-
mant der Sternenkrone! Mein Herz löst ſich in unſaͤgli-
chem Jammer auf. Ach! ſo ſteht auch wohl Malwina in
ihren Wieſen, und blickt tief weinend nach deiner Strah-
lenhoͤhe!
ö O Malwina ich liebe dich treu und rein! Die Stunde,
in der ich von dir ſchied, ſchwebt, ein Denkmal unvergaͤng-
licher Erinnerung, vor mir. Noch ſeh' ich deinen thraͤnen-
ſchweren Blick, noch fuͤhl ich den innigen Druck deiner
zitternden Haͤnde, die mich feſthalten wollten, ach! es nicht
konnten!! — —
Wo ich gehe und ſtehe, mein Erich, da ſchwebt die holde
Jungfrau vor mir. Sie beſtimmt und heiligt jetzt mein
ganzes Leben. ö ö
Die kalten, herzloſen Menſchen, die von der Religion
nichts kennen, als die ſieben Sakramente und die Marien-
Litaneien, und von der Menſchheit nichts, als den Na-
mensadel und die Orden und Hofämter, werden die holde
Malwina von mir auf ewig trennen.
Aber ſie ſoll mein bleiben. Nie zwar wird ihr Buſen
mir entgegenwallen, nie ihr Auge in dem meinigen ſich
ſelig lächelnd ſpiegeln. Aber ihr Andenken, ihr Gemuͤth,
das in Naturtoͤnen,-mir allein verſtaͤndlich, mich umwehen
und umlispeln wird, dies muͤſſen mir die Menſchen laſſen!
Und, Malwina, ich will deiner wuͤrdig ſeyn. Ich will
feſt und ſtandhaft bleiben, auch dann noch, wenn das innre
Leiden mein Herz ſchon bald zernagt hat. Die Natur ſoll
mir fortan nur ein Spiegel des Himmels ſoyn. Denn im
Himmel gibt's keinen Adel, keine Modethoren und keine
Schurken; dort, im Reiche der Geiſter, gilt nur, was gei-
ſtig iſt, und über das Gemeine, Erbaͤrmliche wird dort ein
furchtbares Gericht gehalten werden. ö
Das hat mir der Geiſt der Natur zugerufen, und er
kann nicht luͤgen. ö ö — ö
Jetzo klingt's, wie Aeolsharfentöne,
Leiſ' in tiefem Schmerz.
Jetzo rauſcht's, wie Sturm der Alvenrieſen,
Und umfängt mein Herz.
O wann geh' ich dort auf Sternenauen?
O wann werd' ich dich, Malwina, ſchauen?
Ach! umſchweben meiner Kindheit Engel * ö
Mich in Klarheit nicht? ——
Werden meine Leiden nie gedeutet?
Häöüllt ſich ſtets mein Licht?
Geh' ich nimmer dort auf Sternenauen?
Werd' ich nimmer dich, Malwina ſchauen?
Es ſind große Fragen, die ich hier thue. Schon naht
die ernſte Mitternachtſtunde; ich bin noch allein mit mei-
nem Schmerz. Ich trat eben ans Fenſter, um den ewigen
Himmek anzublicken. Wehe! kein Stern leuchtet mehr.
Die ganze Schoͤpfung zeigt ſich mir wie Eine Todtengruft.
Alles iſt ſtumm; ich höre nur das einförmige Picken mei-
ner Uhr. Aber ein Stern geht in meiner Bruſt auf; in
heiligen Tönen klingt es von ihm friedſelig und klar:
vJa! ſie wird erſcheinen jene Stunde,
Wo die Harfe klingt, —
Die dein Weſen, von der Erd' entkettet,
Hin zum Himmel bringt.
Dann ergehſt du dich in Sternenauen;
Dann, o dann wirſt du Malwinen ſchauen!“
Gute Nacht, mein Erich! — Der Stern in mir ſoll
7 —
nicht untergehn! Theodor.
7.
Malwina hatte fuͤr die Erde ihr Lieben aufgeopfert.
Ihr Vater zwang ſie, den Legationsrath Kalkried zu hei-
rathen, und ſo traf denn ihre frühere Ahnung ſchrecklich
ein. Kalkried berechnete jede ſeiner Handlungen ſchlau,
und huldigte dem bloßen Verſtand in ſeinem ganzen Stre-
ben. Eine Zeitlang konnte er auch den Gemuͤthsmenſchen
taͤuſchen, weil er wirklich mit Scharfſinn in das Bereich
der menſchlichen Seele eingedrungen war und darum eine
ſeltene Kenntniß ihrer Kraͤfte beſaß. Aber bald zeigte ſich
ſeine ſchroffe Seite. Schlimm verfuhr er nie; man konnte
mit ihm ganz leidlich umgehn. Aber Selbſtſucht war das
Geprage ſeines Geiſtes; ſein Ich ſollte der Mittelpunkt ſe i⸗
ner Welt ſeyn. ö
In dieſem Sibirien athmete die frühlingsmilde Mal-
wina. Mit glühender, dichteriſcher Kraft ſtieg ſie in den
Menſch haͤtte ſie bemitleiden müſſen! Salden allein ſtand
ruhig da: denn ſein eiſerner Sinn hatte die Trennung be-
ſchloſſen. Seine Gegenwart erlaubte den Liebenden den
letzten Kuß nicht. Ihre Blicke aber ſchienen ſich zu ver-
mählen; Worte ſprach keines aus, nicht einmal ein Lebe-
wohl. Malwina hatte die Haͤnde des theyern Mannes
umfaßt; krampfhaft hielt ſie dieſelben; da wurde ſie bleich;
ein durchdringendes „Ach!“ rang ſich aus ihrer Bruſt;
ſie ſank ohnmaͤchtig hin. Wie Theodor in den Hof gekom-
men, wußte er nicht. Der Kammerherr hob ihn in die
Kutſche, und vom gluͤhenden Schimmer des Fruͤhlingsro-
thes umglaͤnzt, fuhr der Leidende ſeinem Ziel entgegen.
6.
Drei Monate nach dieſer Begebenheit ſchrieb Theodor
an einen Freund, der ſeinen Gemüthszuſtand faſſen konnte:
„Lieber!“
Kannſt Du Dir eine ſchrecklichere Lage denken, als die
eines Wanderers, der hinter ſich oͤde Klippen und traurige
Wuͤſteneien erblickt, vor deſſen Augen ein reizendes Maien-
thal ſich ausbreitet, von dem ihn ein reißender Strom
trennt?
Der Wandrer bin ich; die Klippen ſind Adelsſtolz und
Fanatismus, die Wüͤſteneien Rangſucht und der leidige
Mammon; das Frühlingsthal iſt ein Bild meiner guten,
ſanften Malwina. Als Strom aber fluthet die furchter-
liche Zeit hin. ö
Dieſen Abend wandelt' ich unter dem großen Himmel.
Die erhabenen Welten blinkten wie ewige Ampeln in dem
Tempel der Natur. Ach! rief ich und ſchaute nach dem
hellen Jupiter hin: du leuchteſt ſo klar; willſt du mir etwa
hinauf winken, hinauf zu deinen Seen und Blumen und
Lichtthaͤlern? Willſt du immer kuͤnden, auf dieſer dunkeln
Erde gebe es nichts, als Thränen und Schmerz? Hier
ſteh' ich und blicke mit umfloͤrtem Auge zu dir, holder De-
mant der Sternenkrone! Mein Herz löst ſich in unſaͤgli-
chem Jammer auf. Ach! ſo ſteht auch wohl Malwina in
ihren Wieſen, und blickt tief weinend nach deiner Strah-
lenhoͤhe!
ö O Malwina ich liebe dich treu und rein! Die Stunde,
in der ich von dir ſchied, ſchwebt, ein Denkmal unvergaͤng-
licher Erinnerung, vor mir. Noch ſeh' ich deinen thraͤnen-
ſchweren Blick, noch fuͤhl ich den innigen Druck deiner
zitternden Haͤnde, die mich feſthalten wollten, ach! es nicht
konnten!! — —
Wo ich gehe und ſtehe, mein Erich, da ſchwebt die holde
Jungfrau vor mir. Sie beſtimmt und heiligt jetzt mein
ganzes Leben. ö ö
Die kalten, herzloſen Menſchen, die von der Religion
nichts kennen, als die ſieben Sakramente und die Marien-
Litaneien, und von der Menſchheit nichts, als den Na-
mensadel und die Orden und Hofämter, werden die holde
Malwina von mir auf ewig trennen.
Aber ſie ſoll mein bleiben. Nie zwar wird ihr Buſen
mir entgegenwallen, nie ihr Auge in dem meinigen ſich
ſelig lächelnd ſpiegeln. Aber ihr Andenken, ihr Gemuͤth,
das in Naturtoͤnen,-mir allein verſtaͤndlich, mich umwehen
und umlispeln wird, dies muͤſſen mir die Menſchen laſſen!
Und, Malwina, ich will deiner wuͤrdig ſeyn. Ich will
feſt und ſtandhaft bleiben, auch dann noch, wenn das innre
Leiden mein Herz ſchon bald zernagt hat. Die Natur ſoll
mir fortan nur ein Spiegel des Himmels ſoyn. Denn im
Himmel gibt's keinen Adel, keine Modethoren und keine
Schurken; dort, im Reiche der Geiſter, gilt nur, was gei-
ſtig iſt, und über das Gemeine, Erbaͤrmliche wird dort ein
furchtbares Gericht gehalten werden. ö
Das hat mir der Geiſt der Natur zugerufen, und er
kann nicht luͤgen. ö ö — ö
Jetzo klingt's, wie Aeolsharfentöne,
Leiſ' in tiefem Schmerz.
Jetzo rauſcht's, wie Sturm der Alvenrieſen,
Und umfängt mein Herz.
O wann geh' ich dort auf Sternenauen?
O wann werd' ich dich, Malwina, ſchauen?
Ach! umſchweben meiner Kindheit Engel * ö
Mich in Klarheit nicht? ——
Werden meine Leiden nie gedeutet?
Häöüllt ſich ſtets mein Licht?
Geh' ich nimmer dort auf Sternenauen?
Werd' ich nimmer dich, Malwina ſchauen?
Es ſind große Fragen, die ich hier thue. Schon naht
die ernſte Mitternachtſtunde; ich bin noch allein mit mei-
nem Schmerz. Ich trat eben ans Fenſter, um den ewigen
Himmek anzublicken. Wehe! kein Stern leuchtet mehr.
Die ganze Schoͤpfung zeigt ſich mir wie Eine Todtengruft.
Alles iſt ſtumm; ich höre nur das einförmige Picken mei-
ner Uhr. Aber ein Stern geht in meiner Bruſt auf; in
heiligen Tönen klingt es von ihm friedſelig und klar:
vJa! ſie wird erſcheinen jene Stunde,
Wo die Harfe klingt, —
Die dein Weſen, von der Erd' entkettet,
Hin zum Himmel bringt.
Dann ergehſt du dich in Sternenauen;
Dann, o dann wirſt du Malwinen ſchauen!“
Gute Nacht, mein Erich! — Der Stern in mir ſoll
7 —
nicht untergehn! Theodor.
7.
Malwina hatte fuͤr die Erde ihr Lieben aufgeopfert.
Ihr Vater zwang ſie, den Legationsrath Kalkried zu hei-
rathen, und ſo traf denn ihre frühere Ahnung ſchrecklich
ein. Kalkried berechnete jede ſeiner Handlungen ſchlau,
und huldigte dem bloßen Verſtand in ſeinem ganzen Stre-
ben. Eine Zeitlang konnte er auch den Gemuͤthsmenſchen
taͤuſchen, weil er wirklich mit Scharfſinn in das Bereich
der menſchlichen Seele eingedrungen war und darum eine
ſeltene Kenntniß ihrer Kraͤfte beſaß. Aber bald zeigte ſich
ſeine ſchroffe Seite. Schlimm verfuhr er nie; man konnte
mit ihm ganz leidlich umgehn. Aber Selbſtſucht war das
Geprage ſeines Geiſtes; ſein Ich ſollte der Mittelpunkt ſe i⸗
ner Welt ſeyn. ö
In dieſem Sibirien athmete die frühlingsmilde Mal-
wina. Mit glühender, dichteriſcher Kraft ſtieg ſie in den