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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (3) — 1823

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No 14-25 (Februar 1823)
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Nachrüchten uͤber Kunſt,

22* ——— 2 ———

Le ben. und Wiſſenſchaft.

TEeEENASei ten.
Mainz, den 3. Februar 1823.
Die Tinte war mir dieſe Zeit über eingefroren und per Kom-
pagnie ſo halb und halb auch das Herz. Danken Sie dem
Thauwetter „daß Sie endlich einen Brief von mir erhalten.
Wir hatten hier einen recht impertinenten Winter, fünfzehn-
gradige, ruſſiſche Kälte. Man ſoll zwar dem Himmel nicht
naſeweis vorgreifen, aber ich denke doch wir ſind nun gebor-
gen, und es bleibt dabei, geſtrenge Herrn regieren nicht lange.
Der hohlblaſende, hektiſche Februar hat uns dieſesmal einen
erwünſchten Willkomm gegeben. Mit Vorhülfe der letzten
Januartage hat er uns allen Schnee weggekehrt, und alles
Eis zu Nichts verhaucht. Freilich machten die Kaſſeler Wirthe
ſaure Geſichter dazu, denn ihre Aufſchreibekreide war bisher
in permanenter Bewegung. Drei breite Chauſſeebahnen führ-
ten nach der Länge der Stadt hinüber zu dem freundlichen
Orte, der alle ſeine Wirthsſchilde, als ſo viele winkende Arme,
zum Empfang bereit, ausſtreckte. Dieſe drei breiten Straſſen
waren an den Sonntägen voll wie indiſche Wallfahrtswege,
und das Gewimme! von kleinen und großen Schlitten voll
luſtiger Leute, die Tanzrhythmen der Schrittſchuhläufer, das
Kommerz zu Fuß, zu Pferd und zu Wagen von und zu den
Kaſſeler Weinflaſchen und Bubenſchenkeln (mürbe Weke), da-
zwiſchen Bänkelſänger, Harfenmädchen mit Jungfernkranz-
lied und Jägerchor, Kolporteurs und Künſtemacher aller Gat-
tung; die hundertfaltigen Gruppen belebten den glatt zuge-
frornen Strom, wie einen Jahrmarktsflecken. Der Rhein
war bei uns in mehreren Jahren nicht ſo ſolid gepanzert wie
dieſesmal, und dieſes gewährte uns eine intereſſante Neuheit,
welche wahrlich nicht ungenoſſen blieb. — So war das noch
vor fünf Tagen. Am letzten Donnerſtage gingen noch Fuhr-
ladungen hin und her; am Freitag verhütete die Polizei die
Paſſage, ſo gut ſie das konnte. An demſelben Abende knallte
von der Bocksbatterie herab ein ſo kräftiger Laͤrmſchuß, daß
die Fenſter am nächſten Hauſe zerſprangen, und die Menſchen
ſirömten zum Nheine, ws in Eile Pechpfannen leuchteten.
Es war aber nur ein kleiner Schub oberhalb der Stadt, der
dieſe Bewegung veranlaßte. Am Samſaage Rachmittag be-
wirkte ſich wieder auf dem Rheine ein kleiner, aber geräuſch-
voller Ruck, der ein zweites Signal zum Aufbrach des Eiſes
vergebens gab. Geſtern erſcholl zum drittenmal das nun be-
deutſam gewordene Signal'gleich nach ein Uhr Nachmittags.
Man denke ſich den Sonntag, milderz Sonnenſchein, die
Stunde nach dem Eſſen und vor der Kirche! Die halbe Stadt
lief zu dieſem großen Naturſchauſpiele zuſammen; der Ufer-
ſtrand, die Walle und Mauern waren mit Menſchen bedeckt;
alles in der geſpannteſten Erwartung, denn man war von dem
großen Unglücke unterrichtet, welches vor etlichen Tagen die
Moſel bei ihrem Eisgange, bei der Steinbrücke von Koblenz,
und auch ſonſtwo andre Wäſſer angerichtet hatten. — Gott-
lob/ daß dieſes Schauſpiel ſich ſo befriedigend endigte/ daß es
kein Spektakelſtück von einer mörderlichen Kataſtrophe gewor-

2—.—.——

den iſt / denn die ſes geßel, gegen die Regel, ſo dem Publi-
kum beſſer. Ohne viel Gelärm ſchwamm die vom ſchwellen-
den Waſſer um ein Paar Schuhe gehobene Eisbrücke mit all
ihren Chauſſeen Schlitten⸗ und Schlittſchuhbahnen vorüberz
langſam, feierlich, ja majeſiütiſch ſich voranbewegend, ſelbſt
einigemal ſtille haltend, gleichſam um Zeit für den Empfang

des Abſchieds aus ſo viel tauſend Augen zu gewinnen. End-

lich theilte ſich die große Eisfläche in Stücke, und thürmte,
wo es die Strömung antrieb, gleichſam ſich lebendigrührende
Eiswälle. Kleine Hügel walmten ſich auf und ſchüttelten
ihre raſſelnden Wipfel in das ziſchend aufſpritzende Waſſer
hinab. Nun trieben die koloſſalen Eisflöſſe, großen Eisblöcken
untergeſchoben, vorüber, die wie grünliche Kryſtallen glänzten,
dazwiſchen der zermörſerte Eisſchaum, und wieder wie Rie-
ſenleiber erhoben ſich gewaltige ſchwarzerdige Klumpen des
geborſtenen Grundeiſes. Was dieſes Schauſpiel verſchönte,
war der glückliche Umſtand, daß man nirgends Unglückstrüm-
mer/ nirgends Spuren eines gewaltſamen, zerſtörenden Raubs
auf dem treibenden Eiſe, oder in den ſtrömenden Fluthen
entdeckte, oder daß, wie das ſonſt ſo häufig der traurige Fall
war, die Stockungen des Eisganges durch Aufthürmung zer-
malmender Eisberge und vielfache Unterſchiebung der Eisblät-
ter eine Ueberſchwemmung hervorbrachten, welche den, dem
Strome zunächſt liegenden, tieferen Theil der Stadt ſchon

ſo oft unter Waſſeer geſetzt hatten, was denn nie ohne Nach-

theil der Geſundheit, wie der Gebäulichkeiten und Effekten
ablief. Wir haben nun wieder einen Fluß, und hoffen, daß
wir auch bald wieder eine Brücke haben werden, wiewohl
die Briefpoſt bis jetzt nur einen Tag ausblieb. Das Näch-
ſtemal mehr. — Ich darf nicht unbemerkt laſſen, daß das trei-
bende Eis noch einmal in Stockung kam, und eine lange
Pauſe hindurch ſich vor unſrer Stadt befeſtigte. Geſtern Abend
nach acht Uhr kündigeen zum viertenmal Lärmſchüſſe die ſen
letzten Aufbruch an, und nun erwarten wir nur noch das Eis
vom Oberrheine, welches aber freie Bahn ſindet. M.

Karlsruhe, den 11. Januar 1823. [Fortſetzung!
Die queckſilberne Beweglichkeit ſeines Körpers könnte nicht ſelten
die eines galanten Herrn vorſtellen, der ſich nur eben zwiſchen
Männern, ſtatt in der Geſellſchaft von Mädchen findet und da-
her vergißt, daß er würdigen Perſonen keinen Rücken zuzu-
kehren habe. Gar viel theatraliſche Jahrmarktströdelei ver-
dirbt einem die einfache Anſicht und macht alles bunt. Sehr
zu tadeln war der Theſeus, der wohl wußte, daß er zu über-
treiben habe, aber es gar nicht wußte, daß er die Uebertrei-
bung nicht zu übertreiben habe, denn man mußte glauben,
er werde ſein ganzes Theater mit ſamt allem daran hän-
genden Pappendeckel auffreſſen. Und daß die arme Ariadne
ohne Mann abziehen muß/ ohne daß ein Dionyſos ſich ihrer
in ihren Schmerzen erbarme, thut auch im Luſtſpiele dem
Gefühle weh. Es muß durch ziemlich kühle Feuerwerkerei
ein Haus abbrennen) worin ſie beinahe ihr Leben verloren
hätte — verſteht ſich, alles, um Lachen zu machen! (B. f.)

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+ —I—IF IFIJIJFTIJIITIUJI—I————— BII.I.I..IICIJIJCJCCJJJ—J—I‚I—————— — ——4—— ——

Verleger: Karl Groos, Neue akademiſche Vuchhandlung in Heidelbers. — Druckerei von F. Kaufmann ſeel. Witwe.
 
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