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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (3) — 1823

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No 40-52 (April 1823)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22118#0198

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ſchlagen waͤre. Mir war, als muͤßte ich mein naͤch-
ſtes Geſchick an den uͤberdufteten Fenſterſcheiben abs-

gebildet finden. Sind nicht Ahndung, Andacht,

Aberglauben, Liebe, Luſt, und wie die Lebensfarben

alle heißen, alle in einen Knoten feſtgebunden, und
umflattern den Naturmenſchen, wie die bunten
Baͤnder am Huthe eines Throler Teppichbuben?
Dichte, ſchwer herabhaͤngende Baumaͤſte waren auf
der großen Fenſterſcheibe froſtig gebildet; an einen
Stamm gelehnt war eine Figur, die mich an den
Wilddieb auf der Mauer gemahnte; das ſpaniſche
Rohr ging ihm durch den Unterleib, und auf der
emporgehenden Spitze deſſelben ſtand ein Wuͤrfel,
um den Buchſtaben F. gefroren, den ich eines Tags
mit einem ſcharfen Feuerſtein eingeſchnitten hatte.
— „Das waͤre mir, dachte ich zwiſchen Lachen und
Aerger, ein grimmiger Spaß des Zufalls, wenn
es ſich fuͤgen koͤnnte, daß der verwuͤnſchte Wilddieb
auf irgend einem Wege noch mein Brautwerber
wuͤrde.“ — Ich hauchte haſtig an die aͤrgerliche Fi-
gur, ſie ſchmolz ſchnell hinweg, und uͤber ihr ſank
Stamm und Buſchwerk zuſammen, als ging ein
Birkenſchlag in moorigem Boden unter. — Und
die duͤrren Eichen ſtanden drauſſen in der Morgen-—
ſonne, und von den Fichten traͤufte der Duft, wie
das Seifenwaſſer vom Haare eines badenden Maͤd⸗
chens; der Kirchthurm von Zellau glaͤnzte golden,

eine weiße Fahne mit rothem Kreuz wehte von

der Zinne, und das Wechſelgelaͤut der Glocken
hallle feierlich heruͤber. — „Herrliche Axt, freute
ich mich, — die das alte Eichenpaar dort am Huͤ—
gel faͤllte, und dieſe Durchſicht gab!“ — Und ſieh'
links der Kirche, hoͤher am Berge war das Dach
ſichtbar mit dem Bodenloch von Gertrudens Haus!
„Baſtian! ſattle meinen Fuchs!“ — Auch mir rief
ia das Chriſtgelaͤut, und ich ritt hinuͤber in das
frommbewegte Dorf. —
Ich hatte in dieſen Tagen den Unbekannten mit
dem ſpaniſchen Rohre beſuchen oder eigentlich heim-
ſuchen wollen, aber heut zogen mich die Graͤber
an, die umher lagen im Frieden der Kirche, wie
ſchlummernde Kuͤchlein unter den Fluͤgeln des
Glaubens und der Hoffnung. Friſch war das Lein-

tuch des Schnees uͤber den Friedhof gebreitet, und

und es war ruͤhrend anzuſehen, wie von dem be-
tretnen Hauptweg nach der Kirche ſchmale Fuß-

tritte zu den einzelnen Graͤbern gingen, gleich dem
Gerippe am Blatt der glaͤnzenden Silberpappel.
Und wie ich' ſo träumeriſch umherging, traurig,
daß kein Todter unter der Erde, und kein leben-
des Pfarrkind uͤber derſelben mir angehoͤrte, und
ich ſo anker⸗ und ſeegellos auf der truͤben Flut des

Lebens ſchwanke, kam Gertrude verſpaͤtet uͤber den

Kirchhof. Ich ſprach ſie an, und wider meinen
Willen theilte meine Wehmuth ihr meine eben ge-
machte Bemerkung mit. Ihr Blick war geſenkt
vom Verſtaͤndniſſe meines Gefuͤhls. Und ich fuhr,
kuͤhner vor dem geſenktem Blicke fort: Laſſen Sie
mich auf dem geweihten Boden, der die Ewigkeit
der Abgeſchiedenen deckt, werben fuͤr die kleine le-
bendige Zukunft eines ſtillen Hauſes. Ich bin
nicht voreilig, indem ich ſo eile, nicht unbeſonnen,‚
ſo kurz ich mich beſinne: aber es gibt Augenblcke,
wo das Leben, wie ein neckiſches Maͤdchen ihrem
ſtillen, hoffendlaͤchelnden Pathchen die zuſammenge-
haline Schuͤrze im Nu oͤffnet und ſchließt, und dem
geſpannten Auge den ganzen Schatz ſeines Chriſt-
geſchenks fluͤchtig zeigt. So war mir's, als ſich
bei unſrer erſten Zuſammenkunft Ihr Innerſtes
oͤffnete. Was Sie mir geben koͤnnen, laſſen Sie
mich heut als Chriſtgeſchenk vorausſehen, oder ſen-
den Sie mich weg, wie ein Kind, dem ſeine Pathe
geſtorben iſt. ö ö
Ich ſchwieg, ſie auch. Ich blickte nach ihren
Fuͤßen wohin ſie auch blickte, und auf der glatten
Flaͤche des Schnees war wie ein kleines Sieb aus-
gehoͤlt von Troͤpfchen. Sie weinte wohl ſo ſtill
hin. — „Nun Gertrud?“ fragte ich mit jenem Auf-
lachen, das der rechtfuͤhlende Menſch fuͤr ein freu-
diges Weinen nimmt. Endlich ſagte ſie ſtill be-
wegt: „Es fuͤgt ſich ſeltſam! Was Sie mir an-
bieten, ehrt mich ſehr und bewegt mich tief. Aber
zu meinen Verhaͤltniſſen fuͤgt es ſich ſo ſeltſam,
daß ich es wohl erſt genauer anſehen muß, ob die
unnennbare Hand, die unſre Pfade zieht und ver-
wirrt, ſich einen Scherz mit mir machen will, oder
einen nicht getraͤumten Ausweg bereiten in einer
ſonderbaren Verwirrung.“ „Wie, fragte ich, — Sie
ſind doch frei in ihrer Wahl 24 — „Ich will Sie
nicht lange in Ungewißheit laſſen,‚ erwiederte ſie;
— kommen Sie naͤchſten Sonntag Abends dahin,
wo ich zuletzt von Ihnen ſchied, — an unſerm
 
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