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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (3) — 1823

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No 66-78 (Juni 1823)
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faltet in ihrem Schooße. Eben hob ſie das muͤde
Haupt, und wollte ihre Sehnſucht nach ihrer Pfle-
gerin ausſprechen, als die Thuͤre ſich. offnete und
dieſe hereintrat.
Es war eine hohe, majeſtaͤtiſche Jungfrau von
zartem Alter, in ganz ſchwarze Kleidung gehuͤllt
und das Lockenhaar mit weißen Roſen geziert; die
Zuͤge voll chriſtlicher Milde und Guͤte ſpiegelten
ſich in ihrem Antlitz, aber auch ein finſterer, frucht-

los verborgener ́Gram mahlte ſich ſichtbarlich darin

ab. An ihrer Hand fuͤhrte ſie einen bildͤſchoͤnen
kleinen Knaben, von dem ſie faſt beſtaͤndig beglei-
tet war; aber weder uͤber ſich, noch ihn hatte ſie
je ein Wort verrathen. ö
Liba laͤchelte ihr leiſe bei ihrem Eintritt entge-
gen. Du haſt mich lange harren laſſen, liebe
Schweſter, ſagte ſie, da ich doch Troſt und Unter-
haltung ſo ſehr bedarf.
Zuͤrne mir nicht darum, gute Liba, bat die
Fremde, du weißt, daß mir das jedesmal das Herz
zerreißt und Schuld trage ich niemals daran. Zu-
mal ſtrahlt auch eine ferne Morgenrdthe auf dei-
nen Wangen, und das macht mir cine rechte Freude.
O du weißt nicht, Lodoiska, ſprach Liba, wie
ich ſelbſt vergnuͤgt ſeyn koͤnnte, trotz aller Gefah-
ren, die ich zu beſtehen habe, wenn ich wuͤßte,
daß dir dieſe Worte von Herzen kaͤmen.
Und warum denn nicht, ſagte Lodoiska mit er-
zwungenem Laͤcheln, und ſie wollte weiter ſprechen,
aber eine Thraͤne trat ihr in das ſeelenvolle, lieb-
athmende Auge.
Liba ſah ſie wehmuͤthig an und konnte ſich ſelbſt
des Weinens nicht erwehren, und der kleine Knabe
ſagte: Aber liebe Lodoiska, du mußt auch nicht
immer weinen und traurig ſeyn, ſonſt kann ich
ſelbſt gar keine Freude mehr haben, ſo gern ich moͤchte.
— Guter Sigismund! ſchluchzte Lodoiska und be-
deckte des Kindes Wangen mit tauſend Kuͤſſen,
dann ſagte ſie zu Liba: Ich bitte, Schweſter, er-
innere mich nicht allzu oft an dieſe meine Trauer,
denn der Erinnerung bittres Gefuͤhl ſchmerzt mich
zu ſehr. — Ich will dir gerne, erwiederte Liba, in allen
Theilen zu Willen leben, aber ich begreife dich
nicht. Du haſt ja doch auch mich getroͤſtet und
gepflegt in meinem Leiden, ſollt' ich denn nun nicht
dankbar gegen dich ſehn, ſo viel ich jetzt kann.

Aber wie verſchieden ſind doch auch meine Lei-
den von den deinen, ſagte Lodoiska und preßte

Liba'n feſt an's Herz.

Da ſchrie ploͤtzlich der kleine Sigismund, der
bisher am Fenſter geſtanden, in vollem Jubel auf:
Ach, wie da ein herrlicher Reiter in den Hof
ſprengt. Sieh doch, ſieh doch Lodoiska, ſo hab'
ich noch keinen geſehn!
Gott, ſagte Liba, ſollte ſchon mein Bruder —
Er iſt es ſicher, rief die ans Fenſter getretene
Lodoiska, denn er gleicht euch ſehr, und eilt ſchon
herauf. — Sie trat hinweg, Liba richtete ſich froh
erſchrocken auf und Bohuslav ſtuͤrzte herein.
Seh' ich dich wieder? rief er im Uebermaas des
Entzuͤckens und ſchloß die weinende Schweſter feſt
in den Arm. Und wie mir ſcheint, faſt geneſen?
Gott half mir, ſprach Liba, und ſchenkte mich
der Welt wieder.
Aber um Gott, lenkte Bohuslav ab, wie wird
das gehen, du biſt wohl noch nicht faͤhig, die Kam-
mer zu verlaſſen, und jede Minute bringt uns dem
Verderben naͤher. ö
Nicht doch, ſagte Liba. Meine treue Pflegerin
hat mir das ſchon laͤngſt zugeſichert, nur fehlte
mir noch der Muth dazu, der mich aber bei dei-
ner Ankunft recht freudig durchgluͤht. Aber nun
biſt du wohl ſelbſt allein hierher gekommen —
Nein, nein! ſagte Bohuslav. Ich habe eine
ſtarke Bedeckung, die mir auch ſchon gute Dienſte
leiſtete. Man iſt in furchtbarer Angſt, die Thore
der Stadt ſind doppelt beſetzt und man ſagte mir
dorten, daß ich, einmal in der Stadt, nicht mehr
hinaus gelaſſen wuͤrde. Mir blieb nichts uͤbrig,
als mit Gewalt das Thor zu beſetzen.
Wie, fuͤrchtete Liba, du haſt dich mit der gan-
zen Stadt entzweit —
Das hat keine Noth, erſicherte er; aber um
deinetwillen mußte ich doch alles wagen. Aber nun
eile, was du kannſt. Dein Geraͤthe nimm nur
theilweiſe mit dir und dann muͤſſen wir in Win-
deseile fort, denn ſchon werden die naͤchſten Berge
roth bon den Wachtfeuern der Huſſiten.
Liba richtete ſich ganz auf und verſuchte mit Er-
folg, einigemal in der Stube auf und ab zu gehen.
Sie lehnte ſich an Bohuslavs Bruſt, ſvrechend:

Ich bin bereit, mein Bruder.
 
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