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Heidelberger Zeitung — 1900 (Juli bis Dezember)

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Nr. 150-175 (02. Juli 1900 - 31. Juli 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37614#0009

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Durch die Post bezogen
vierteljährl. 1.25 Mk.
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Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82


Dikuslllg, den 3. Juli

IW«.

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auf die Heidelberger Zeitung für das III. Vierteljahr 1900
werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
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Expedition, Untere Neckarstr. 21, fortwährend angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht; durch die Post bezogen Mk. 1.25 vierteljährlich,
mit Zustellgebühr Mk. 1.65.

Die Vorgänge in China.
Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung 'schreibt: „Nach
einer Zeitspanne bangen Zweifels und sich widersprechender
Nachrichten kam endlich die traurige Aufklärung. Der
deutsche Gesandte Frhr. v. Kette ler wurde nach der
vorliegenden Nachricht, während er mit einem Dolmetscher
zum Tsung-li-Iamen ritt, vom Pferde gerissen und er-
mordet. Der Dolmetscher wurde verwundet, konnte sich
aber retten. Die Gesandtschaften sind größtentheils nieder-
gebrannt. Die übrigen Vertreter der Mächte sind mit dem
Personal und der kleinen Marineschutzwache, soweit die
Nachrichten reichen, noch im Kampfe um ihr Leben begriffen;
doch soll die Munition bereits knapp sein, sodaß auch hier
das Schlimmste zu erwarten ist. Es ist eine erschütternde
Nachricht, die aus der Hauptstadt des Reiches der Mitte
kommt. Ganz Deutschland wird die Kunde von dem
Schicksal des Genannten mit dem Gefühl größter Theil-
nahme und Trauer, aber auch mit tiefer Empörung auf-
nehmen." Das Blatt gedenkt sodann der rastlosen Energie
und dienstlichen Gewandtheit v. Kettelers, verbunden mit
einem offenen, sympathischen Wesen, das leicht alle Herzen
gewann und ihn auf allen Posten zu einem gern gesehenen
Mitarbeiter und Kameraden machte. Das Blatt rühmt
seine persönliche Unerschrockenheit und die Hintansetzung
seiner eigenen Person, wenn es galt, ein als gut erkanntes
Ziel zu erreichen. Diese selbstlose Aufopferung dürfte
auch die unmittelbare Ursache seines tragischen Geschicks
sein. v. Kctteler hatte sich augenscheinlich nicht gescheut,
sich dem tobenden Pöbelhaufen auszusetzen, als er sich am
18. Juni nach dem Tsung-li-Aamen begab, um seiner
Pflicht gemäß dort Vorstellungen zu erheben. Der Artikel
schließt: Wenn es etwas gibt, was die Verwandten,
Freunde und Landsleute Kettelers trösten kann, so ist es
das Bewußtsein, daß er in treuester Erfüllung seiner
Pflicht wie ein Held auf dem Schlachtfelde gefallen ist.
Hiernach sieht also die Nordd. Allg. Ztg. die Nach-
richt von der Ermordung des Frhrn. v. Kctteler auch als
richtig an.
Inzwischen ist vom deutschen Geschwaderchef von Taku
folgende Bestätigung in Gestalt eines Telegrammes vom
30. Juni eingeaangen: Ich habe einen Brief von der
Gesandtschaft in Peking erhalten, daß dieselbe
belagert ist und ihre Vorräthe ausgehen. Die Lage
sei verzweifelt. Ich habe von dem Ueberbringer des
Briefes erfahren, daß der deutsche Gesandte am 16.
v. Mts. ohne militärische Bedeckung auf dem Wege von
der Gesandtschaft zum chinesischen Regierungsgebäude durch
chinesische Truppen angegriffen und viermal verwundet
wurde. Er starb im Regierungsgcbäude. Sein ebenfalls
verwundeter Dolmetscher ist in eine Gesandtschaft
entkommen. Am 25. d. M. war nur noch das deutsche,
das französische und das englische Gesandtschaftsgebäude
unzerstön und von Truppen besetzt. Der Kommandeur
der Schutztruppe und die Ausländer befinden sich in der
englischen Gesandtschaft. Die Ehinesenstadt in Peking
ist niedergebrannt. Außerhalb Pekings standen etwa
30 000 chinesische Soldaten. Die Kaiserin-Wittwe

29)

Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
(Fortsetzung.)

- Er blieb, und es trat ein beklommenes Schweigen ein.
^>e batte ihm etwas zu sagen, aber es schien ihr schwer zu
Kerben. Längst batte sie erkannt, daß er sie liebte. Der un-
wgliche Kampf gegen ihr eigenes Herz, in welchem sie ein
bleich leidenschaftliches Gefühl vergebens niederzuringen
Uchte, und die gänzliche Hoffnungslosigkeit dieses stummen,
UauSgesprochenen Bündnisses batten zur Verschlimmerung
chres Seelenzustandes mehr beigetragen als alle anderen
Heiden. Nun sah sie den Mann, der ihr so viel geworden,
Ar ihr jetzt Alles in dieser Welt war. in seinem heiligsten
Wefühle aufs schmerzlichste enttäuscht, denn ihr seines
Empfinden hatte sie sofort errathen lassen, was in ihm vor»
uwg, als der Detektiv jenes verhängnißvolle Wort gesprochen.
^ »Ich bade Schweres ertragen, vielleicht das Schwerste,
vas einem armen Menschenkinde ausgebürdet werden kann,"
«sgann sie endlich; „aber zu wissen, daß das unbegrenzte
^ertrauen, welches Sie mir vom ersten Augenblick an ent-
Mengebracht haben, erschüttert sei, — das kann ich nicht er-
äugen. Daß ich Ihnen etwas zu verschweigen hatte, wußten
keinen Augenblick darf ich Sie jedoch in dem Glauben
gaffen, daß ich mich meines Geheimnisses zu schämen habe-
sr o tollen Sie denn die Wahrheit hören, keine Folter würde
»i uus mir Herauspressen, — nur dem Manne, von dem ich
ichl verkannt sein möchte, vertraue ich sie an."
Blick haftete voll und ruhig auf ihm; es war der
"""ck eines reinen Gewissens.
»Es war der sehnlichste Wunsch meiner Mutter," fuhr sie
ff.", „mich unter sicherem Schutz zu wissen, ehe der Tod
jahrelangen, unheilbaren Leiden erlöste. Sie
»tzte, daß ich dann nicht länger im väterlichen Hause bleiben

ist aus Peking entflohen. Hier ist die Lage
äußerst ernst, da anscheinend große chinesische Truppen-
massen auf Tientsin Vorrücken.
Erwähnt sei noch, daß der deutsche Konsul in Tientsin
unterm 29. Juni meldete: Durch einen chinesischen Boten
ist soeben folgende schriftliche, mit Robert Hart Unterzeich-
nete Nachricht aus Peking eingetroffen: Herr v. Bergen
(2. deutscher Legationssekretär) an den Kommandeur der
europäischen Truppen: Die Fremdencolonie wird in den
Gesandtschaften belagert. Die Situation ist verzweifelt.
Eilt Euch. — Sonntag Nachmittag 4 Uhr. Ein angeb-
lich von einem Missionar aus Peking abgeschickter Bote
berichtet soeben, daß der deutsche Gesandte v. Kctteler auf
dem Wege zum Tsungli-Aamen ermordet und die Mehrzahl
der Gesandtschaften verbrannt wurden. Die Schutzwachen
litten Munitionsmangel.
Auch die Konsuln in Shanghai haben die Nachricht
von der Ermordung des deutschen Gesandten erhalten.
Durch die Ermordung des Gesandten gilt die Lage für
sehr verschlimmert. Sämmtliche Konsuln in Tientsin
haben bereits vor einiger Zeit vorgeschlagen, der chinesischen
Regierung im Namen sämmtlicher Mächte mit der Zer-
störung der Königsgräber zu drohen, wenn sie
nicht für die Sicherheit und Freilassung der Gesandten
sorge. Der Vorschlag ist bisher an dem Widerstand des
englischen Kabincts gescheitert. Man hofft, daß dieses jetzt
zustimmen wird.
Es fragt sich indessen: wer regiert gegenwärtig in
China? Wenn die Kaiserin geflohen ist, dann hat ver-
muthlich Prinz Tuan, der Vater des kürzlich zum Thron-
folger bestimmten Prinzen, sich der Rcgierungsgewalt be-
mächtigt. Der Prinz vertritt das dünkelhafte Altchinesen-
thum, das von der Berührung mit Fremden nichts
wissen will.
Der japanische Minister Abki, der die Lage in China
wohl sicher zu beurtheilen vermag, hat sich darüber wie
folgt ausgelassen: Die Pekinger Regierung habe nichts
gethan, die Wirren zu unterdrücken und die Mächte stän-
den thatsächlich vor einer unformellen Kriegserklärung der
leitungslosen Millionen Chinas gegen die übrige Welt.
Das chinesische Volk hasse die offene Handelsthür und
grolle bitter gegen neuerliche fremde Angriffe. Er habe
anfänglich eine Beschränkung des Aufstandes erhofft, heute
sei es dazu zu spät und die Mächte müßten, wie er fürchte,
gefaßt sein, die Chinesen zu überwältigen oder das Feld
zu räumen. Nach seiner bestimmten Ansicht stelle die Ver-
treibung der fremden Gesandten einen oasus Kolli dar;
es sei unmöglich, mit einer thatsächlich nicht bestehenden
Regierung zu verhandeln. Es stehe übrigens zu hoffen,
daß die Theilung Chinas außer Frage bleibe. Sollte sie
aber unvermeidlich sein, so wäre Japan sicher nicht ge-
willt, zurückzustehen, denn seine Interessen seien denen der
andern Mächte gleichwerthig.
Auch in London wird die Auffassung der Lage immer
düsterer. Man nimmt auch dort an, daß man es mit
einer allgemeinen Erhebung des Chinesenthums zu thun
hat. Die in der Mandschurei lebenden Europäer flüchten,
52 europäische Flüchtlinge trafen aus Niutschwang mit
der Nachricht in Tschifu ein, die russisch-chinesische Eisen-
bahn sei von Boxerhorden angegriffen, die Schienen auf-
gerissen, Gebäude und Schuppen zerstört worden. Auch
das Dorf Laoyang bei Mukdcn wurde niedergebrannt.
Die Verbindung mit Port Arthur ist zerstört. In Mukden
selbst wurde die englische Mission zerstört und sonstiger
Besitz von Ausländern verwüstet. Die Chinesen waren
ziemlich gut bewaffnet, aber schlecht ausgcbildet. Der An-
griff auf Niutschwang stand unmittelbar bevor und die

dortigen Engländer und Amerikaner erhielten Weisung,
nach Tschifu zu gehen.

Deutsches Reich
— Major v. Glasenapp, u 1a auits des großen
Generalstabes, welcher das deutsche Expeditionscorps als
Generalstabsoffizier nach China begleitet, verfügt über ein:
genaue Kenntniß chinesischer Verhältnisse, welche sich für
das deutsche Corps von hohem Werth erweisen dürste.
Major v. Glasenapp ist drei Jahre hindurch als Instruk-
teur in Tientsin thätig gewesen und daher mit dem Ge-
lände bei diesem wichtigen Punkt, der fortan die Basis
für die weiteren militärischen Unternehmungen zur Sicher-
stellung der Verbindung mit Peking bilden wird, genau
vertraut, ein Umstand, der umsomehr ins Gewicht fällt,
als es an zuverlässigen und detaillirten Karten völlig ge-
bricht. Von der chinesischen Regierung wurde der Major
v. Glasenapp wegen seiner Verdienste um die Ausbildung
der ihm unterstellten Truppen durch Verleihung der ersten
Stufe der III. Klasse des Ordens vom doppelten Drachen
ausgezeichnet.
— Die Schantung-Eisenbahn-Gesellschaft in Berlin er-
hielt am Vormittag des 3. d. folgendes Telegramm aus
Tientsin: Die Eisenbahnarbeiten sind infolge
politischer Wirren eingestellt. Unruhen sind vorgekom-
men zwischen Kiauho und Wai-Hien. Die Eisenbahn-
Ingenieure wurden von Aufständischen geplündert und
mußten sich zurückziehen.
Kiel, I.Juli. Das erste Seebataillon und die
Pionierabtheilung sind Nachmittags in Stärke von
1116 Mann in zwei Sonderzügen nach Wilhelmshaven
abgefahren. Sie waren vom Kasernenplatz abmarschirt
und hatten auf dem Schloßplatz Halt gemacht. Prinzessin
Heinrich winkte den Scheidenden vom Fenster aus Grüße
zu. In den Straßen hatte sich eine große Menschenmenge
angesammelt, welche die Soldaten mit Hurrahrufen begrüßte.
Baden. 8.0. Karlsruhe, 1. Juli. Nunmehr liegen
auch die Kommissionsberichte der Ersten Kammer über
das Veranlagungsgesetz (erstattet von Geh. Kommer-
zienrath Sander) und über das Einkommensteuer-
gesetz rc. (erstattet von Geh. Kommerzienrath Dissens)
vor. Die Kommission beantragt Genehmigung beider Ent-
würfe in der ihnen von der Zweiten Kammer gegebenen
Fassung mit (unwesentlichen) Abänderungen. — Die Bitte
der Ccntralkommission der Bauarbeiter Badens um
Abstellung der Mißstände im Badischen Baugewerbe be-
antragt die Petitionskommisflon der Zweiten Kammer,
(Berichterstatter Abg. Fendlich) in dem Sinne Großh.
Regierung empfehlend zu überweisen, daß die vorhandene
Lücke in der Gesetzgebung über diese Materie ausgefüllt
wird durch ein dem Landtag vorzulegendes oder auch im
Verordnungsweg zu erlassendes Landesgesetz, das ein nicht
zu eng gestecktes Minimum von Bau-Unfall-Verhütungs-
vorschriftcn enthält, dessen Ergänzung gemäß den örtlichen
Verhältnissen den lokalen Behörde« überlassen wird. —
Zu den Petitionen der Flaschenbierhändler Frei-
burgs und Pforzheims sowie des bad. Gastwirtheverbands
stellt die Petitionskommission der Zweiten Kammer folgende
Anträge: Die Kammer wolle über die Wünsche der Pe-
tenten, soweit sie eine Konzessionsertheilung für den
Flaschenbierhandel verlangen und hiefür die Bedürfnißfrage
eingeführt und den ambulanten Flaschenbierhandel verboten
haben möchten, zur Tagesordnung übergehen; be-
züglich der gesundheitspolizeilichenBehandlung des Flaschen-
biergeschäftes (Reinlichkeit, entsprechende Räume, Abfüll-
apparate) aber wolle die Kammer die Wünsche der Petenten

konnte, denn sie kannte bereits die Stiefmutter, die bestimmt
war, an ihre Stelle zu treten. Erst am Tage meiner Ab-
reise erfuhr ich meinen Bestimmungsort. Meine Mutter pab
mir ein verschlossenes Schreiben an Professor Georai. Ich
hatte diesen Namen nie vorder gehört ; aber sie sagte mir.
sie lege mein Schicksal in die Hand eines edlen Mannes, der
sich als treuer Freund bewähren, für mein Fortkommen
sorgen und mich in keiner Lage des Lebens verlassen werde.
Ich nahm Abschied von der Theueren, die ich nie Wiedersehen
sollte. Unmöglich kann ich die stumme Szene mit Worten
schildern, als ich vor den Professor Georai trat. Mein Name
klang ihm fremd, er schüttelte den Kopf und starrte mich an,
wie eine Erscheinung aus der andern Welt. Kaum fagig,
zu sprechen, stammelte er unzusammenhängende Worte, und
als ich ihm den Brief meiner Mutter gereicht hatte, zitterte
dieser heftig in seinen Händen. Während er ihn las, rollte
Thräne anfThräne über seine Wangen. Dann blickte er mich
lange, lange an. Ob ich den Inhalt des Briefes kenne?
war das erste, was er in zusammenhängender Rede hervor-
zubringen vermochte. Ich verneinte. Wie es schien, hätte er
eine bejahende Antwort lieber gehört; aber er hieß mich mit
tiefbewegten Worten willkommen. „Schreiben Sie Ihrer
lieben Mutter noch heute, daß mir das Andenken, welches
sie mir in ihrer Tochter schickt, fortan das größte Heiligthum
sein werde, und daß sie mir einen schöneren Beweis der
Freundschaft nicht hätte geben können." Dann legte er
segnend die Hände auf mein Haupt und küßte mich aus die
Stirn."
Die Erinnerung an diesen Augenblick entlockte den Augen
der Erzählenden einen heißen Thränenstrom.
Es waren heilige Thränen, von denen der junge Arzt
sich tief ergriffen fühlte. Bitter bereuete er bereits das Ge-
fühl eifersüchtigen Argwohns, welches er in sich hatte aus-
kommen lassen.
Als Konstanze ihre Empfindung bemeistert hatte, fuhr sie
fort: „Ich hatte geglaubt, Professor Georgi würde mir
irgendwo ein Unterkommen verschaffen; aber er dachte gar

nicht daran, mich wieder von sich zu lassen, sondern gab mir
in seinem Hause die Stelle einer Vorleserin. Oft wenn ich
dabei zufällig aus dem Buche aufblickre, sah ich sein Äuge
mit seltsam wehwüthigem Ausdruck auf mich gerichtet, und
ich merkte, daß ihn ganz andere Gedanken beschäftigten, als
der Gegenstand, von dem das Buch handelte. Oft nahm er
mir's aus der Hand, wenn er glaubte, das Thema sei für
mich zu trocken und könne mich langweilen, und dann holte
er ein anderes Buch herbei, und suchte Kapitel heraus, denen
auch ein Laie einiges Interesse abgewinnen konnte, die aber
für ihn vielleicht gar keinen Werth hatten. Häufig frag er
mich nach meiner Mutter, ich mußte ihm von ihr erzählen,
und selbst den kleinsten, geringfügigsten Zügen aus ihrem
Leben lauschte er mit einer Aufmerksamkeit, die an Andacht
grenzte.
„Je mehr ich sein reines, kindliches Herz kennen lernte,
desto widerwärtiger berührte mich das Benehmen der Wirth-
schafterin Frau Bruscher. Zwar war sie stets freundlich
gegen mich, doch merkte ich bald, daß ich es mit einem ebenso
schlauen, a!s mißtrauischen Weibe zu thun hatte. >sie suchte
mich auszuforschen, wie ich in dieses Haus gekommen sei; in
ihrer Wißbegierde stellte sie mir förmlich Schlingen, in die ich
freilich nicht fallen konnte, da ich selbst nicht mehr zu lagen
wußte, als daß Professor Georgi meine Mutter in früheren
Jahren gekannt und daß ich ihm einen Brief von ihr über-
bracht habe, über dessen Inhalt ich selbst nichts wisse.
_(Fortsetzung folgt.)

Stadt-Theater.
O Heidelberg, 2. Juli.
Ga st spiel Adalbert Matkowsky.
„Das Leben ein Traum". Dramatisches Gedicht in
5 Akten von Calderon.
Mit Bitterniß ist gemenget die Wohllust der Kreatur. Ein
unglücklicher Zufall läßt drüben über'm Ozean Hunderte von
Menschenleben aus Feuersgluthcn in's kühle Grab Hinabfinken.
Passiv, ohne Möglichkeit des Widerstandes, sind sie auf den
 
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