«»scheint täglich.
Sonntags ausgenommen.
Preis
mit Familienblättern
monatlich 50 Pf.
frei in's Haus gebracht.
Durch die Post bezogen
Vierteljahr!. 1.25 Mk.
ausschließlich Zustellgebühr.
Fernsprech-Anschluß Nr. 82.
JnsertionSgebühr
15 Pf. für die Ispaltige
Petitzeile oder deren Raum.
Für hiesige Geschäfts- und
PrivatanzeiAen bedeutend
ermäßigt.
Gratis-Anschlag
der Inserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.
Fernsprech-Anschluß Nr. 83
Xr. 161.
Samstag, dm 14. Juli
woo.
Das Wahlergebnis in Mülhansen
gibt dem Berliner Berichterstatter der Neuen Zürcher Ztg.
Anlaß zu einer sehr interessanten Betrachtung, in der ein
ganz richtiger Kern steckt. Es heißt da:
Auf den imperialistischen Geist im allerweitesten
Sinne möchte ich die Niederlagen zurückführen, welche die
Socialdemokraten mehrfach, jetzt eben wieder in Mülhausen
erlitten haben. Ihr Organ erklärt die Sache allerdings
recht vernünftig, indem es auf den Einfluß der schutzzöllneri-
Ichen Stimmung im Elsaß und darauf hinweist, daß sich
Wohl bei der letzten Wahl die gesammte Opposition den
Socialdemokraten angeschlossen und diese mächtig hat an-
schwellen lassen. Das alles mag bis zu einem gewissen
Grade richtig sein, aber die Socialdemokraten haben an
verschiedenen Punkten ähnliche Niederlagen erlitten und jeden-
falls nicht die Fortschritte gemacht, auf welche sie aus anderen
Gründen hätten rechnen können. Der innerste Grund
ist jedenfalls der, daß ihre internationale
Politik dem allgemeinen Gefühle nicht ent-
spricht. Ich habe schon früher darauf hingewiesen, wie
Närrisch es z. B. von Herrn Liebknecht ist, immerfort auf
der „gefälschten" Emscr Depesche herumzureiten und da-
durch, da diese Sache gar keine actuelle Bedeutung hat,
Nur den Gegnern Deutschlands beizuspringen, welche be-
haupten, die Franzosen seien an dem Kriege von 1870
ganz unschuldig. Nur der böse Bismarck habe ihn ange-
Kttelt. Französische Chauvinisten haben ja ihre guten
Gründe, so etwas zu behaupten, aber ein Deutscher, der
ihnen hilft, verdient mindestens ins Irrenhaus gesteckt zu
werden! Die süddeutschen Socialdemokraten sind politisch
viel klüger als die norddeutschen und speciell die Berliner,
welche die allerschlimmste doktrinäre Abart sind, und als
solche der Partei denselben Schaden thun werden, wie ihn
dichter der politischen äußersten Linken gethan hat.
Die Vorgänge in China.
Ueber das Schicksal ver Europäer in Peking ist man
vuch heute noch im Ungewissen. In Shanghai wird eine
veue chinesische Darstellung verbreitet, die den letzten An-
griff und dieUeberwältigung der noch behaupteten Gesandt-
schaften Englands und Rußlands auf die Nacht vom 6.
7. Juli verlegt. Prinz Tuan befehligte danach das
Zentrum, Kangyi unterstützte ihn, Prinz Zaiyin comman-
virtc den rechten, Prinz Jinlin den linken Flügel. Um 7
^hr Morgens, so behauptet dieser Bericht, waren nach Be-
Evdjgung des Kampfes alle Europäer todt, und die Straßen
v>u die Gesandtschaften herum mit Leichen von Chinesen
Vnd Europäern bedeckt. Prinz Tsching und Wangwengschao
^>en mit ihren Truppen den Europäern zu Hilfe geeilt,
"ber geschlagen worden und beide gefallen. Europäer,
fwer davon mit einer Säbelwunde am Kopf, wären durch
Thore entkommen.
. Es muß Jedem überlassen bleiben, wieviel er von
dieser Darstellung glauben will. Vielfach wird angenommen,
?chß, wenn die Europäer in Peking umgebracht worden
Md, dies in der Zeit kurz vor dem 1. Juli geschehen sein
chüsse. Wenn sie am 6. Juli noch lebten, dann würden sie
Merhaupt am Leben bleiben, denn bis dahin sei die Gegen-
chvolution stark genug geworden, um die Boxerpartei an der
Ländlichen und sehr verhängnißvollen Mordthat zu ver-
ändern.
. Li-Hung-Tschang erhielt am 6. d. M. auf dem Land-
es ein kaiserliches handschriftliches Edikt,
chorin alle Gouverneure um schleunige Truppen-
Endungen zur Hilfe gegen die Rebellen, zu
?Nen offenbar auch Prinz Tuan gerechnet wird, ersucht
»vlden. Li-Hung-Tschang will auf dieses Edikt hin, das
eine Meldung aus Kanton Unzweifelhaft echt bezeichnet,
einige tausend Mann nach Peking schicken. Auch die
anderen Gouverneure werden voraussichtlich Truppen ent-
senden.
Man ersieht hieraus, daß die legitime Regierung, die
ganz weggefegt zu sein schien, wieder aus der Versenkung
emporgetaucht ist und Verbindungen mit den nicht insur«
girten Provinzen des Reiches unterhält.
Nach zuverlässigen Meldungen ist auf dem Landweg
zwischen Korea und China jede Telegrahcnverbin-
dung unterbrochen. Das Gleiche gilt für die Tele-
graphenverbindung zwischen Tsch-.m und Shanghai. Des-
halb müssen die Telegramme jetzt mittelst Schiff von Taku
nach Chimulfu gebracht und von dort über Japan und
Singapore weitcrbefördert werden, was mit großem Zeit-
verlust verbunden ist.
Sonst liegen bemerkenswerte Nachrichten aus Ost-
asten heute nicht vor.
Deutsches Reich
— Der Staatssekretär des ReichSpostamtcs erließ eine
Verfügung, wonach im Briefverkehr mit den nach
China gehenden deutschen Truppen allgemeine
Portofreiheit Platz greift. Zur Begleitung der in
Formation begriffenen Seebrigade für China wurde eine
eigene Feldpost gebildet; fü'- sie wurden 5 Beamte,
3 Unterbeamte und 2 Postillone stsstimmt. Die Abtheilung
soll sich am 24. nach China einsRiffen.
— Die Familie des in Pekng ermordeten deutschen
Gesandten v. Kette ler erhielt, wie die Köln. Volksztg.
aus Münster (Westphalen) meldet, durch Vermittlung des
deutschen Konsuls in Canton eine Beileidsdepesche
Li-Hung-Tschangs.
— In diesem Jahre sind etwa 2000 deutsche
ländliche Arbeiter aus Ungarn (Schwaben) ins
Reich eingeführt nn den. Die Schwaben in Ungarn haben
sich stark vermehrt und es fehlt ihnen au Arbeitsge legenheit
in der Heimath. Da ist es naheliegend, sie nach Deutsch-
land zu berufen.
Baden. 1H Karlsruhe, 13. Juli. Heute Abend
'/,6 Uhr fand in der Kaserne des hiesigen Leib-Grenadstr-
Regiments eme Feier statt, anläßlich des 25jährigcn Ge-
denktages des Eintrittes S. K. H. des Erbgroßherzogs in
das Regiment. Anwesend waren Prinz Karl, Graf
Rhena, der kommandirende General von Bülow, der frühere
Kommandirende des Regiments von Schlichting, sowie
viele alte Offiziere des Regiments. Um ^6 Uhr erschien
S. K. H. der Er bgroßh erzog. Der Kommandeur
Oberst von Fernow begrüßte S. K. H. mit einer Ansprache,
in welcher er der Bedeutung des Tages gedachte und mit
einem Hoch auf S. K- H. schloß. Der Erbgroßherzog
erwiderte hierauf mit folgenden Worten: „Mein Herr
Oberst, ich danke Ihnen von Herzen für die warmen
Worte, mit denen Sie mich hier begrüßt haben, mit denen
Sie des Tages gedachten, an dem ich vor 25 Jahren die
Ehre hatte, durch S. Majestät Kaiser Wilhelm I. in das
Regiment eingestellt zu werden. Mit Freude gedenke ich
der Tage, welche ich in den Reihen des Regimentes zu-
bringen durfte." Der Erbgroßherzog hob hierauf in be-
redten Worten den kameradschaftlichen Geist des Regimentes
hervor. „Es erfüllt mich mit Stolz", so fuhr S. K. H.
fort, „eine so lange Reihe von Jahren dem Regimente an-
gehören zu dürfen und ich glaube meinem Danke nicht
besser Ausdruck verleihen zu können, als indem ich das
Regiment auffordere, mit mir einzustimmen in den Ruf,
in dem wir uns bei allen patriotischen Feiern vereinigt
fühlen, Kaiser Wilhelm, unser gnädigster Herrscher, und
unser durchlauchtigster Landesherr Großherzog Friedrich
Hurrah, Hurrah, Hurrah". Die Regimentsmusik intonirte
die Nationalhymne, worauf ein Parademarsch folgte. Um
^9 fand ein Diner im Offizierskasino statt, wobei die
Ueberreichung des Ehren säbels erfolgte.
L6. Karlsruhe, 13. Juli. Die Residenz rüstet sich zum fest-
lichen Empfang des Prinzen Max und seiner Gemahlin, die
morgen Vormittag halb 11 Uhr in Karlsruhe ihren Einzug halten
werden. Im Laufe des heutigen Tages sind zahlreiche Fürst-
lichkeiten hier eingetroffen, um das Neuvermählte Paar bei
seiner Ankunft zu begrüßen, so Prinz Georg Wilhelm von Braun-
schweig, Großfürst Michael Michailowitsch, der Kronprinz und die
Kronprinzessin von Griechenland (die von den Großherzoglichen
Herrschaften am Bahnhof empfangen wurden), ferner der Erb-
prinz und die Erbprinzessin von Leiningen, Herzog Friedrich
Adolf von Mecklenburg, sowie der Fürst und die Fürstin von
Fürstenberg. Gestern Abend ist auch Prinz Karl aus Marien-
bad zurückgekehrt.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
evangelischen Stadlpfarrer Kirchenrath Theodor Greiner in
Mannheim das Kommandeurkreuz zweiter Klasse des Ordens
vom Zähringer Löwen verliehen und denselben auf sein Ansuchen
wegen vorgerückten Lebensalters und körperlicher Leiden unter
Anerkennung seiner langjährigen, treugeleisteten Dienste auf
I.October d.J. in den Ruhestand versetzt, dem Oberpostasststenten
Grau in Karlsruhe die Erlaubniß zur Annahme und zum
Tragen des ihm verliehenen Königlich Preußischen Kronenordens
vierter Klasse ertheilt, den Hilfsarzt Dr. Hermann Stengel
an der Heil- und Pflegeanstalt zu Pforzheim zum etatmäßigen
Arzt an dieser Anstalt ernannt, den Registrator Heinrich Fackler
beim Ministerium des Innern, die Bezirksgeometer Wilhelm
Brugier in Mosbach, Albert Dörflinger in Lörrach und
Gustav Tscherter in Schopfheim, sowie den Bezirksthierarzt
Wilhelm Müller in Waldshut landesherrlich angestellt.
— Durch Entschließung Großh. Ministeriums des Innern
vom 10. Juli d. I. wurde Revident Eugen Rastätter beim
Statistischen Landesamt zum Revisor bei dieser Stelle ernannt.
Ausland.
Norwegen. Bergen, 13. Juli. Der deutsche Kaiser
hat heute früh 8 Uhr die Reise nach Aalsund fortgesetzt.
Asien. Der Berichterstatter des Expreß in Singa-
pore meldet einen Mordanfall auf den chinesischen Re-
former Kangyuwei, der dort auf englischem Boden
weilte und gegen die Anschläge der Pekinger Mordsendlinge
seit üniger Zeit Tag und Nacht von vier bewaffneten
Sikhs bewacht wurde. Nachdem auch die Vergiftungs-
Versuche fehlgcschlagen, sandten die Chinesen zwei gedungene
wohlgekleidete Japaner zu ihm, die arglos empfangen wor-
den seien und ihn schwer verwundet zu Boden geschlagen
hätten, ehe. man sie entwaffnen und verhaften konnte.
Kangyuwei soll in bedenklichem Zustand darnieder liegen.
Der britische Gouverneur habe eine Untersuchung veran-
staltet.
Afrika. Die böse Schlappe welche die Engländer
bei Nitrals-Nek davongetragen haben, zeigt, wie sehr die
Buren ihnen im Kleinkrieg noch zu schaffen machen können.
Allein solch einzelne Erfolge können doch das Kriegsglück
nicht mehr zu Gunsten der Buren wenden. Nur ein ein-
heitliches energisches Zusammenwirken der Buren und ein
frisches Darauflosgehen in dem Anfang des Krieges hätte
ihnen den Erfolg sichern können. Beides hat leider
gefehlt.
Eisenbahnreform nnd Landtag.
Mit dem Endergebniß des zu Ende gehenden Landtages,
insbesondere mit den Beschlüssen der Zweiten Kammer, haben
die Vorkämpfer der Eisenbahn-Reform allen Grund, zufrieden z»
ein. Die pessimistische Auffassung des Eisenbahnetats, wie dte-
elbe Eingangs im Berichte des Vorsitzenden der Budgetkommission
noch obwaltete, ist schließlich so gründlich überwunden worden,
daß statt der im Finanzexposö vorgesehenen 79 Millionen Kredite
ür die nächste Budgetperiode deren über hundert bewilligt
worden sind; mehr, als die Regierung beantragt hat.
Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
(Fortsetzung.)
Ig -Himmel! was habe ich diesem Spione alles vorge-
Wn," rief die Dame mit gedämpfter Stimme. „Bei
ej?"em ersten Besuche erfand ich das Märchen von dem mit
Rubinschmuck durchgegangenen Ehegemahl, nur um
Vorwand zu haben, mich in der Höhle des Fuchses
Wuschen. Als ich dann zu Dir eilte, um Dich von der
dx^hr, die uns von ihm droht, zu unterrichten, und während
V Überfahrt von dem Geheimnißvollcn erzählen hörte, der
Fwderhofe verborgen gehalten wird, gab mir dies die
dx^tsetzung zu meinem Märchen ein und verhalf mir auf
tzj" Einsall, den Aufenthalt meines Märchenprinzen in den
hjjMenhof zu verlegen und das Wasser zu unserem Ver-
»b "Feten zu machen. Um Allrams Zweifel zu beseitigen,
h>.°er Gast ,m Lindenhofe auch wirklich der Gesuchte sei,
H.fen mir das Hinken und der Sprachfehler sehr willkommene
Phn. aus der Verlegenheit. Darauf zeigte er mir die
six°togravgie eines Mannes, auf den. wie er sagte, diese
s^.mz.eichen paßten. Ich besonn mich nicht lange, sondern
^ la, dieser sei es."
»i^Donnerwetter, das war gewagt!" meinte der Säge»
fv ^P^in lieber Heinrich, wenn man einmal A gesagt hat.
dWuß man auch B sagen. In so gefährlicher Lage, wie
darf man vor einem Wagniß nicht zurückschrecken.
tüjjc'Wrdest vielleicht eine Gänsehaut bekommen, wenn Du
"uf welche Karte ich mein Spiel gesetzt hatte, als ich
"wf um die große Erbschaft aufnahm. Konstanze
»pz,F°nn brauchte nur ein einziges Wort auszusprechen —
war verloren."
"<vas für ein Wort, Tante? Was für ein Wort?"
„Rege Dich nicht auf, Heinrich; sei zufrieden, daß sie das
Wort nicht aussprach und nie aussprechen wird, und daß
ich Dich nicht mit einem Geheimniß belaste, welches Dir
schlaflose Nächte bereitet haben würde."
„Ich will es aber wissen!" sagte der Müller finster und
herriich.
„Wenn Du darauf bestehst," erwiderte die Tante etwas
eingeschüchtert, „so sollst Du es erfahren, aber erst, wenn
alles glücklich abgelaufen ist. Jetzt höre weiter. Daß ich in
der Photographie, die mir Allram zeigte, meinen vorgeblichen
Ehegemahl erkannte, scheint ihn hauptsächlich bestimmt zu
haben, mir seine Zusage zu geben. Vielleicht habe ich dem
GeheiMnißvollen im Lindenhofe da etwas seingebrockt, aber
wer er auch sein mag. — von Allram wird ihm nichts ge»
fchehen." Sie begleitete die letzten Worte mit einem bos-
haften Lachen.
„Der Detektiv kommt also?" frug der Müller.
„Heute Nacht elf Uhr wird er am Fährhause sein und
uns dort erwarten. Und merke Dir's: wenn Du mich in
seiner Gegenwart anreden solltest, so nennst Du mich Frau
Baronin, denn diesen Titel mußte ich mir in der weiteren
Ausschmückung meines Märchens beilegen, wie ich dir später
erzählen werde."
Der Neffe stieß zu dieser Standeserhöhung seiner Tante
ein kurzes höhnisches Gelächter aus.
„Nun aber der Fährmann!" sagte die Tante, ihren Aerger
über diese Geringschätzung verbeißend. „Ich war damals
freilich außer mir, als ich in ihm Wipvach erkannte, welcher
in der tief verschleierten Dame, die er heute zum dritten
Male übergesetzt hat, glücklicherweise die ehemalige Wirth-
schafterin seines Onkels nicht vermuthet- Ich fürchtete
Belästigungen und Betteleien von dem Enterbten. Wie stehst
Du mit ihm? Ich muß das genau wissen."
Der Müller zuckte die Achseln und schwieg.
„Hast Du mir neulich alles über ihn gesagt? Du er-
zähltest, daß ihr in der Garnison gute Bekannte wurdet, daß
er sich Deiner bediente, wenn es eine Liebesbotschaft zu be-
stellen oder etwas ins Versatzamt zu tragen gab, und Dich
dafür sehr freigebig belohnte, und daß ihr beide den Militär-
dienst zu gleicher Zeit verlassen habt. Wie und wann ihr
später wieder zusammengerroffen seid, darüber hast Du Dich
nicht ausgesprochen. Ich erfuhr von Dir nur, daß Du Dich
Jahre lang mit der Absicht getragen hast, ihm nach Amerika
zu folgen und deshalb mit ihm in Briefwechsel geblieben bist.
Weil er Dir in jedem Briefe schrieb, wie glänzend es ihm
dort gehe, kitzelte Dich der Ehrgeiz. Du wolltest ihm be-
weisen» daß Du es auch vorwärts gebracht hättest, und
schriebst ihm, daß Du Mühlenbesitzer geworden seiest. Das
war nicht sehr klug von Dir, mein lieber Neffe. Aber Du
begingst auch noch die Unvorsichtigkeit, ihm Deinen neuen
Aufenthalt zu nennen und ihn anzuweisen, seine Briefe an
Grotjan zu adressiren, das sei der Name des früheren Be-
sitzers und unter dieser Firma ginge der Betrieb der Mühle
weiter. Das sollte sich rächen. Eines Tages kommt Wippach
selbst, mittellos, abgerissen wie ein Landstreicher. Ob er
durch Unglücksschläge plötzlich verarmt war, wie er behauptet,
oder ob er in seinen Briefen nur geprahlt hat und nun
Deine günstigere Lebensstellung für sich ausbeuten will, das
muß dahingestellt bleiben. Du giebst ihm die Fährmanns-
stelle und natürlich dauert es nicht lange, da bat er heraus-
gebracht, daß Du den falschen Namen Grotjan führst. Nun
wirst Du ihn nicht wieder los, kannst ihn nicht sortjagen,
trotz seiner gefährlichen Trunksucht, denn Deine Namens-
sälschung ist eine Waffe in seiner Hand."
„Gerade so, wie sie es in Deiner Hand war, verehrte
Tante," warf der Neffe höhnisch ein.
„Ich will nicht mit Dir rechten, Heinrich, aber es war
mehr als unvorsichtig von Dir, ihm Deinen Aufenthalt zu
verrathen — diesem Menschen, welcher, weil sein Onkel mich
in das Erbe einsetzte, auf das er einst selbst Aussicht hatte,
einen tödtlichen Haß gegen mich hegen muß."
_ (Fortsetzung folgt.)
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und den Plakatsäulen.
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Xr. 161.
Samstag, dm 14. Juli
woo.
Das Wahlergebnis in Mülhansen
gibt dem Berliner Berichterstatter der Neuen Zürcher Ztg.
Anlaß zu einer sehr interessanten Betrachtung, in der ein
ganz richtiger Kern steckt. Es heißt da:
Auf den imperialistischen Geist im allerweitesten
Sinne möchte ich die Niederlagen zurückführen, welche die
Socialdemokraten mehrfach, jetzt eben wieder in Mülhausen
erlitten haben. Ihr Organ erklärt die Sache allerdings
recht vernünftig, indem es auf den Einfluß der schutzzöllneri-
Ichen Stimmung im Elsaß und darauf hinweist, daß sich
Wohl bei der letzten Wahl die gesammte Opposition den
Socialdemokraten angeschlossen und diese mächtig hat an-
schwellen lassen. Das alles mag bis zu einem gewissen
Grade richtig sein, aber die Socialdemokraten haben an
verschiedenen Punkten ähnliche Niederlagen erlitten und jeden-
falls nicht die Fortschritte gemacht, auf welche sie aus anderen
Gründen hätten rechnen können. Der innerste Grund
ist jedenfalls der, daß ihre internationale
Politik dem allgemeinen Gefühle nicht ent-
spricht. Ich habe schon früher darauf hingewiesen, wie
Närrisch es z. B. von Herrn Liebknecht ist, immerfort auf
der „gefälschten" Emscr Depesche herumzureiten und da-
durch, da diese Sache gar keine actuelle Bedeutung hat,
Nur den Gegnern Deutschlands beizuspringen, welche be-
haupten, die Franzosen seien an dem Kriege von 1870
ganz unschuldig. Nur der böse Bismarck habe ihn ange-
Kttelt. Französische Chauvinisten haben ja ihre guten
Gründe, so etwas zu behaupten, aber ein Deutscher, der
ihnen hilft, verdient mindestens ins Irrenhaus gesteckt zu
werden! Die süddeutschen Socialdemokraten sind politisch
viel klüger als die norddeutschen und speciell die Berliner,
welche die allerschlimmste doktrinäre Abart sind, und als
solche der Partei denselben Schaden thun werden, wie ihn
dichter der politischen äußersten Linken gethan hat.
Die Vorgänge in China.
Ueber das Schicksal ver Europäer in Peking ist man
vuch heute noch im Ungewissen. In Shanghai wird eine
veue chinesische Darstellung verbreitet, die den letzten An-
griff und dieUeberwältigung der noch behaupteten Gesandt-
schaften Englands und Rußlands auf die Nacht vom 6.
7. Juli verlegt. Prinz Tuan befehligte danach das
Zentrum, Kangyi unterstützte ihn, Prinz Zaiyin comman-
virtc den rechten, Prinz Jinlin den linken Flügel. Um 7
^hr Morgens, so behauptet dieser Bericht, waren nach Be-
Evdjgung des Kampfes alle Europäer todt, und die Straßen
v>u die Gesandtschaften herum mit Leichen von Chinesen
Vnd Europäern bedeckt. Prinz Tsching und Wangwengschao
^>en mit ihren Truppen den Europäern zu Hilfe geeilt,
"ber geschlagen worden und beide gefallen. Europäer,
fwer davon mit einer Säbelwunde am Kopf, wären durch
Thore entkommen.
. Es muß Jedem überlassen bleiben, wieviel er von
dieser Darstellung glauben will. Vielfach wird angenommen,
?chß, wenn die Europäer in Peking umgebracht worden
Md, dies in der Zeit kurz vor dem 1. Juli geschehen sein
chüsse. Wenn sie am 6. Juli noch lebten, dann würden sie
Merhaupt am Leben bleiben, denn bis dahin sei die Gegen-
chvolution stark genug geworden, um die Boxerpartei an der
Ländlichen und sehr verhängnißvollen Mordthat zu ver-
ändern.
. Li-Hung-Tschang erhielt am 6. d. M. auf dem Land-
es ein kaiserliches handschriftliches Edikt,
chorin alle Gouverneure um schleunige Truppen-
Endungen zur Hilfe gegen die Rebellen, zu
?Nen offenbar auch Prinz Tuan gerechnet wird, ersucht
»vlden. Li-Hung-Tschang will auf dieses Edikt hin, das
eine Meldung aus Kanton Unzweifelhaft echt bezeichnet,
einige tausend Mann nach Peking schicken. Auch die
anderen Gouverneure werden voraussichtlich Truppen ent-
senden.
Man ersieht hieraus, daß die legitime Regierung, die
ganz weggefegt zu sein schien, wieder aus der Versenkung
emporgetaucht ist und Verbindungen mit den nicht insur«
girten Provinzen des Reiches unterhält.
Nach zuverlässigen Meldungen ist auf dem Landweg
zwischen Korea und China jede Telegrahcnverbin-
dung unterbrochen. Das Gleiche gilt für die Tele-
graphenverbindung zwischen Tsch-.m und Shanghai. Des-
halb müssen die Telegramme jetzt mittelst Schiff von Taku
nach Chimulfu gebracht und von dort über Japan und
Singapore weitcrbefördert werden, was mit großem Zeit-
verlust verbunden ist.
Sonst liegen bemerkenswerte Nachrichten aus Ost-
asten heute nicht vor.
Deutsches Reich
— Der Staatssekretär des ReichSpostamtcs erließ eine
Verfügung, wonach im Briefverkehr mit den nach
China gehenden deutschen Truppen allgemeine
Portofreiheit Platz greift. Zur Begleitung der in
Formation begriffenen Seebrigade für China wurde eine
eigene Feldpost gebildet; fü'- sie wurden 5 Beamte,
3 Unterbeamte und 2 Postillone stsstimmt. Die Abtheilung
soll sich am 24. nach China einsRiffen.
— Die Familie des in Pekng ermordeten deutschen
Gesandten v. Kette ler erhielt, wie die Köln. Volksztg.
aus Münster (Westphalen) meldet, durch Vermittlung des
deutschen Konsuls in Canton eine Beileidsdepesche
Li-Hung-Tschangs.
— In diesem Jahre sind etwa 2000 deutsche
ländliche Arbeiter aus Ungarn (Schwaben) ins
Reich eingeführt nn den. Die Schwaben in Ungarn haben
sich stark vermehrt und es fehlt ihnen au Arbeitsge legenheit
in der Heimath. Da ist es naheliegend, sie nach Deutsch-
land zu berufen.
Baden. 1H Karlsruhe, 13. Juli. Heute Abend
'/,6 Uhr fand in der Kaserne des hiesigen Leib-Grenadstr-
Regiments eme Feier statt, anläßlich des 25jährigcn Ge-
denktages des Eintrittes S. K. H. des Erbgroßherzogs in
das Regiment. Anwesend waren Prinz Karl, Graf
Rhena, der kommandirende General von Bülow, der frühere
Kommandirende des Regiments von Schlichting, sowie
viele alte Offiziere des Regiments. Um ^6 Uhr erschien
S. K. H. der Er bgroßh erzog. Der Kommandeur
Oberst von Fernow begrüßte S. K. H. mit einer Ansprache,
in welcher er der Bedeutung des Tages gedachte und mit
einem Hoch auf S. K- H. schloß. Der Erbgroßherzog
erwiderte hierauf mit folgenden Worten: „Mein Herr
Oberst, ich danke Ihnen von Herzen für die warmen
Worte, mit denen Sie mich hier begrüßt haben, mit denen
Sie des Tages gedachten, an dem ich vor 25 Jahren die
Ehre hatte, durch S. Majestät Kaiser Wilhelm I. in das
Regiment eingestellt zu werden. Mit Freude gedenke ich
der Tage, welche ich in den Reihen des Regimentes zu-
bringen durfte." Der Erbgroßherzog hob hierauf in be-
redten Worten den kameradschaftlichen Geist des Regimentes
hervor. „Es erfüllt mich mit Stolz", so fuhr S. K. H.
fort, „eine so lange Reihe von Jahren dem Regimente an-
gehören zu dürfen und ich glaube meinem Danke nicht
besser Ausdruck verleihen zu können, als indem ich das
Regiment auffordere, mit mir einzustimmen in den Ruf,
in dem wir uns bei allen patriotischen Feiern vereinigt
fühlen, Kaiser Wilhelm, unser gnädigster Herrscher, und
unser durchlauchtigster Landesherr Großherzog Friedrich
Hurrah, Hurrah, Hurrah". Die Regimentsmusik intonirte
die Nationalhymne, worauf ein Parademarsch folgte. Um
^9 fand ein Diner im Offizierskasino statt, wobei die
Ueberreichung des Ehren säbels erfolgte.
L6. Karlsruhe, 13. Juli. Die Residenz rüstet sich zum fest-
lichen Empfang des Prinzen Max und seiner Gemahlin, die
morgen Vormittag halb 11 Uhr in Karlsruhe ihren Einzug halten
werden. Im Laufe des heutigen Tages sind zahlreiche Fürst-
lichkeiten hier eingetroffen, um das Neuvermählte Paar bei
seiner Ankunft zu begrüßen, so Prinz Georg Wilhelm von Braun-
schweig, Großfürst Michael Michailowitsch, der Kronprinz und die
Kronprinzessin von Griechenland (die von den Großherzoglichen
Herrschaften am Bahnhof empfangen wurden), ferner der Erb-
prinz und die Erbprinzessin von Leiningen, Herzog Friedrich
Adolf von Mecklenburg, sowie der Fürst und die Fürstin von
Fürstenberg. Gestern Abend ist auch Prinz Karl aus Marien-
bad zurückgekehrt.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
evangelischen Stadlpfarrer Kirchenrath Theodor Greiner in
Mannheim das Kommandeurkreuz zweiter Klasse des Ordens
vom Zähringer Löwen verliehen und denselben auf sein Ansuchen
wegen vorgerückten Lebensalters und körperlicher Leiden unter
Anerkennung seiner langjährigen, treugeleisteten Dienste auf
I.October d.J. in den Ruhestand versetzt, dem Oberpostasststenten
Grau in Karlsruhe die Erlaubniß zur Annahme und zum
Tragen des ihm verliehenen Königlich Preußischen Kronenordens
vierter Klasse ertheilt, den Hilfsarzt Dr. Hermann Stengel
an der Heil- und Pflegeanstalt zu Pforzheim zum etatmäßigen
Arzt an dieser Anstalt ernannt, den Registrator Heinrich Fackler
beim Ministerium des Innern, die Bezirksgeometer Wilhelm
Brugier in Mosbach, Albert Dörflinger in Lörrach und
Gustav Tscherter in Schopfheim, sowie den Bezirksthierarzt
Wilhelm Müller in Waldshut landesherrlich angestellt.
— Durch Entschließung Großh. Ministeriums des Innern
vom 10. Juli d. I. wurde Revident Eugen Rastätter beim
Statistischen Landesamt zum Revisor bei dieser Stelle ernannt.
Ausland.
Norwegen. Bergen, 13. Juli. Der deutsche Kaiser
hat heute früh 8 Uhr die Reise nach Aalsund fortgesetzt.
Asien. Der Berichterstatter des Expreß in Singa-
pore meldet einen Mordanfall auf den chinesischen Re-
former Kangyuwei, der dort auf englischem Boden
weilte und gegen die Anschläge der Pekinger Mordsendlinge
seit üniger Zeit Tag und Nacht von vier bewaffneten
Sikhs bewacht wurde. Nachdem auch die Vergiftungs-
Versuche fehlgcschlagen, sandten die Chinesen zwei gedungene
wohlgekleidete Japaner zu ihm, die arglos empfangen wor-
den seien und ihn schwer verwundet zu Boden geschlagen
hätten, ehe. man sie entwaffnen und verhaften konnte.
Kangyuwei soll in bedenklichem Zustand darnieder liegen.
Der britische Gouverneur habe eine Untersuchung veran-
staltet.
Afrika. Die böse Schlappe welche die Engländer
bei Nitrals-Nek davongetragen haben, zeigt, wie sehr die
Buren ihnen im Kleinkrieg noch zu schaffen machen können.
Allein solch einzelne Erfolge können doch das Kriegsglück
nicht mehr zu Gunsten der Buren wenden. Nur ein ein-
heitliches energisches Zusammenwirken der Buren und ein
frisches Darauflosgehen in dem Anfang des Krieges hätte
ihnen den Erfolg sichern können. Beides hat leider
gefehlt.
Eisenbahnreform nnd Landtag.
Mit dem Endergebniß des zu Ende gehenden Landtages,
insbesondere mit den Beschlüssen der Zweiten Kammer, haben
die Vorkämpfer der Eisenbahn-Reform allen Grund, zufrieden z»
ein. Die pessimistische Auffassung des Eisenbahnetats, wie dte-
elbe Eingangs im Berichte des Vorsitzenden der Budgetkommission
noch obwaltete, ist schließlich so gründlich überwunden worden,
daß statt der im Finanzexposö vorgesehenen 79 Millionen Kredite
ür die nächste Budgetperiode deren über hundert bewilligt
worden sind; mehr, als die Regierung beantragt hat.
Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
(Fortsetzung.)
Ig -Himmel! was habe ich diesem Spione alles vorge-
Wn," rief die Dame mit gedämpfter Stimme. „Bei
ej?"em ersten Besuche erfand ich das Märchen von dem mit
Rubinschmuck durchgegangenen Ehegemahl, nur um
Vorwand zu haben, mich in der Höhle des Fuchses
Wuschen. Als ich dann zu Dir eilte, um Dich von der
dx^hr, die uns von ihm droht, zu unterrichten, und während
V Überfahrt von dem Geheimnißvollcn erzählen hörte, der
Fwderhofe verborgen gehalten wird, gab mir dies die
dx^tsetzung zu meinem Märchen ein und verhalf mir auf
tzj" Einsall, den Aufenthalt meines Märchenprinzen in den
hjjMenhof zu verlegen und das Wasser zu unserem Ver-
»b "Feten zu machen. Um Allrams Zweifel zu beseitigen,
h>.°er Gast ,m Lindenhofe auch wirklich der Gesuchte sei,
H.fen mir das Hinken und der Sprachfehler sehr willkommene
Phn. aus der Verlegenheit. Darauf zeigte er mir die
six°togravgie eines Mannes, auf den. wie er sagte, diese
s^.mz.eichen paßten. Ich besonn mich nicht lange, sondern
^ la, dieser sei es."
»i^Donnerwetter, das war gewagt!" meinte der Säge»
fv ^P^in lieber Heinrich, wenn man einmal A gesagt hat.
dWuß man auch B sagen. In so gefährlicher Lage, wie
darf man vor einem Wagniß nicht zurückschrecken.
tüjjc'Wrdest vielleicht eine Gänsehaut bekommen, wenn Du
"uf welche Karte ich mein Spiel gesetzt hatte, als ich
"wf um die große Erbschaft aufnahm. Konstanze
»pz,F°nn brauchte nur ein einziges Wort auszusprechen —
war verloren."
"<vas für ein Wort, Tante? Was für ein Wort?"
„Rege Dich nicht auf, Heinrich; sei zufrieden, daß sie das
Wort nicht aussprach und nie aussprechen wird, und daß
ich Dich nicht mit einem Geheimniß belaste, welches Dir
schlaflose Nächte bereitet haben würde."
„Ich will es aber wissen!" sagte der Müller finster und
herriich.
„Wenn Du darauf bestehst," erwiderte die Tante etwas
eingeschüchtert, „so sollst Du es erfahren, aber erst, wenn
alles glücklich abgelaufen ist. Jetzt höre weiter. Daß ich in
der Photographie, die mir Allram zeigte, meinen vorgeblichen
Ehegemahl erkannte, scheint ihn hauptsächlich bestimmt zu
haben, mir seine Zusage zu geben. Vielleicht habe ich dem
GeheiMnißvollen im Lindenhofe da etwas seingebrockt, aber
wer er auch sein mag. — von Allram wird ihm nichts ge»
fchehen." Sie begleitete die letzten Worte mit einem bos-
haften Lachen.
„Der Detektiv kommt also?" frug der Müller.
„Heute Nacht elf Uhr wird er am Fährhause sein und
uns dort erwarten. Und merke Dir's: wenn Du mich in
seiner Gegenwart anreden solltest, so nennst Du mich Frau
Baronin, denn diesen Titel mußte ich mir in der weiteren
Ausschmückung meines Märchens beilegen, wie ich dir später
erzählen werde."
Der Neffe stieß zu dieser Standeserhöhung seiner Tante
ein kurzes höhnisches Gelächter aus.
„Nun aber der Fährmann!" sagte die Tante, ihren Aerger
über diese Geringschätzung verbeißend. „Ich war damals
freilich außer mir, als ich in ihm Wipvach erkannte, welcher
in der tief verschleierten Dame, die er heute zum dritten
Male übergesetzt hat, glücklicherweise die ehemalige Wirth-
schafterin seines Onkels nicht vermuthet- Ich fürchtete
Belästigungen und Betteleien von dem Enterbten. Wie stehst
Du mit ihm? Ich muß das genau wissen."
Der Müller zuckte die Achseln und schwieg.
„Hast Du mir neulich alles über ihn gesagt? Du er-
zähltest, daß ihr in der Garnison gute Bekannte wurdet, daß
er sich Deiner bediente, wenn es eine Liebesbotschaft zu be-
stellen oder etwas ins Versatzamt zu tragen gab, und Dich
dafür sehr freigebig belohnte, und daß ihr beide den Militär-
dienst zu gleicher Zeit verlassen habt. Wie und wann ihr
später wieder zusammengerroffen seid, darüber hast Du Dich
nicht ausgesprochen. Ich erfuhr von Dir nur, daß Du Dich
Jahre lang mit der Absicht getragen hast, ihm nach Amerika
zu folgen und deshalb mit ihm in Briefwechsel geblieben bist.
Weil er Dir in jedem Briefe schrieb, wie glänzend es ihm
dort gehe, kitzelte Dich der Ehrgeiz. Du wolltest ihm be-
weisen» daß Du es auch vorwärts gebracht hättest, und
schriebst ihm, daß Du Mühlenbesitzer geworden seiest. Das
war nicht sehr klug von Dir, mein lieber Neffe. Aber Du
begingst auch noch die Unvorsichtigkeit, ihm Deinen neuen
Aufenthalt zu nennen und ihn anzuweisen, seine Briefe an
Grotjan zu adressiren, das sei der Name des früheren Be-
sitzers und unter dieser Firma ginge der Betrieb der Mühle
weiter. Das sollte sich rächen. Eines Tages kommt Wippach
selbst, mittellos, abgerissen wie ein Landstreicher. Ob er
durch Unglücksschläge plötzlich verarmt war, wie er behauptet,
oder ob er in seinen Briefen nur geprahlt hat und nun
Deine günstigere Lebensstellung für sich ausbeuten will, das
muß dahingestellt bleiben. Du giebst ihm die Fährmanns-
stelle und natürlich dauert es nicht lange, da bat er heraus-
gebracht, daß Du den falschen Namen Grotjan führst. Nun
wirst Du ihn nicht wieder los, kannst ihn nicht sortjagen,
trotz seiner gefährlichen Trunksucht, denn Deine Namens-
sälschung ist eine Waffe in seiner Hand."
„Gerade so, wie sie es in Deiner Hand war, verehrte
Tante," warf der Neffe höhnisch ein.
„Ich will nicht mit Dir rechten, Heinrich, aber es war
mehr als unvorsichtig von Dir, ihm Deinen Aufenthalt zu
verrathen — diesem Menschen, welcher, weil sein Onkel mich
in das Erbe einsetzte, auf das er einst selbst Aussicht hatte,
einen tödtlichen Haß gegen mich hegen muß."
_ (Fortsetzung folgt.)