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Heidelberger Zeitung — 1900 (Juli bis Dezember)

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Nr. 255-280 (01. November 1900 - 30. November 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37614#0521

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

267. Erstes Platt.

Donnerstag, den 15 Doneiaber

ISV0.

Thronrede zur Eröffnung des Reichstags.
Geehrte Herren!
0. Nachdem Ich Sie zu erneutem Wirken im Dienste des
Gemeinwohls berufen habe, entbiete Ich Ihnen namens
"er verbündeten Regierungen Gruß und Willkommen.
Die Ereignisse im fernen Osten haben unter
"Hen gesitteten Völkern der Erde tiefe Erregung hervor-
^rusen. Fanatischer Haß und finsterer Aberglaube, auf»
Sestachelt von gewissenlosen Rathgebern des Pekinger
Avfes, hatten mißleitete Massen des chinesischen Volke« zu
^keuelthaten getrieben gegen die friedlich unter ihnen
Eilenden Vorposten abendländischer Civllisation und christ-
'scher Kultur. Bei dem muthig unternommenen Versuch,
aufziehendc Gefahr zu beschwören, starb Mein Ge-
mndter von meuchlerischer Hand. Die Fremden in der
Hauptstadt sahen sich an Leib und Leben bedroht. Aber
A? Schreckensbotschaft einte, was sonst getrennt. Alle
-Nationen, gegen die sich der unerhörte Angriff richtete,
Glossen sich eng zusammen, und einmüthig kämpften
Schulter an Schulter ihre Söhne. Und wie die Feldzeichen
Austen gemeinsam wehen, so zeigen sich die Regierungen
A ihren Berathungen von dem einstimmigen Wunsche be-
j^lt, möglichst bald wieder geordnete Zustände herbsi-
Muhren und nach Bestrafung der Hauptschuldigen der
Wiederkehr solcher Störung des Weltfriedens für die
Zukunft vorzubeugen.
Gern hätte Ich auf die Kunde von dem Ausbruche der
girren in China alsbald die Volksvertretung um Mich
Aftammelt. Wie das deutsche Volk mit seinen Fürsten
Ä Ausfahrt der freiwillig zu den Fahnen geeilten wehr-
haften Jugend und ihrer Führer mit Kundgebungen freu-
a>Scn Stolzes und muthiger Zuversicht begleitete, einer
Zuversicht, die seither durch das Verhalten unserer Krieger
hur dem Vaterlande wie vor dem Auslande voll gerecht-
h^tigt ist, so würde gewiß auch die Volksvertretung mit
patriotischer Entschlossenheit für die zu ergreifenden Maß-
Aüeln eingetretcn sein und hierdurch deren Wucht gesteigert
Huben. Aber während nur das Eine sicher war, daß ohne
Zögern gehandelt werden mußte, war die Grundlage für
Ar zu fassenden Beschlüsse, zumal bei der Unsicherheit des
Nachrichtendienstes, schwankend, standen demgemäß die uns
Wachsenden Aufgaben noch keineswegs fest, und entzog
"ch damit das Maß der nothwendigen Aufwendungen
r*Uer finanziellen Schätzung. Wenn hiernach davon ab-
Hrsehen worden ist, den Reichstag zu einer außerordent-
lichen Sitzung behufs verfassungsmäßigen Beschlusses über
Au Kostenaufwand zu berufen, so hegen doch die ver-
bündeten Regierungen das Vertrauen, daß die Volksver-
tretung den unvermeidlich gewordenen Ausgaben ihre nach-
rägliche Zustimmung nicht versagen werde. Galt
A doch, nicht nur schwer bedrohte deutsche Interessen zu
'Mützen, sondern auch die Ehre des deutschen Namens
ohne Verzug zu wahren. Gegenwärtig läßt sich der durch
As ostasiatische Unternehmen verursachte Aufwand für das
Aufeudc Rechnungsjahr übersehen; er bildet den Gegen-
stand einer besonder« Creditvorlage, die Ihnen
^vrt zugehen wird.
. In dem Entwürfe zum Reichshaushalts.Etat haben,
A»ik dem natürlichen Steigen der Einnahmen und den vom
Reichstag in der vorigen Tagung beschlossenen Steuer-
Ahöhungen, für fast alle Zweige der Reichsthätigkeit reichere
Mittel angesetzt werden können, insbesondere zu Zwecken
"kr Fürsorge für die Arbeiter und der Landesvertheidigung.
^ Ein Zolltarifgesetz ist soweit vorbereitet, daß die
Erläge des Entwurfs an den Bundesrath im Laufe
"rs Winters zu erwarten ist.
Nächst den in der vorigen Tagung nicht verabschiedeten
Entwürfen einer Seemanns-Ordnung und der damit
A. Zusammenhang stehenden Gesetze, werden neue Vorlagen
beschäftigen, durch welche einerseits eine einheitliche
Akstallung der öffentlich-rechtlichen Seite des Privat-
Akrsicherungswesens herbeigeführt, anderseits die
Neichsgesetzgebung über das Urheberrecht mit der fort-
geschrittenen Rechtsentwicklung in Einklang gebracht werden soll.
, Vorbereitet wird eine durch die Neugestaltung der
Affallversicherungsgesetze bedingte Abänderung der Vor-
schriften über die Unfallfürsorge für Beamte und
T'klsonen des Soldatenstandes sowie eine Vorlage, welche
Ak Vorschriften über den Verkehr mit Wein zu ver-
bessern bezweckt.
Die Beziehungen des Reichs zu allen auswärtigen
Mächten sind fortdauernd gut und freundlich. Mit Weh-
Avth gedenke Ich Meines Verbündeten und theuren Freun-
ds, des Königs Humbert, welcher in seinem königlichen
^ruf als Opfer eines fluchwürdigen Anschlags fiel,
y. Auf der Weltausstellung zu Paris, wo das
iachbarland dem friedlichen Wettstreite der Völker eine
Ältliche Stätte bereitet hatte, ist deutschem Fleiße und
Zutscher Kunstfertigkeit reiche Anerkennung zutheil ge-
vrden. Dieser Erfolg, den Sie gewiß mit Mir freudig,
kgrüßen, wird der nationalen Arbeit auf allen Gebieten
u Sporn zu neuen Anstrengungen und immer größeren
"'stuiigen sein.
„ Möchten die Berathungen, denen Sie sich, geehrte
^krren, «« Einvernehmen mit den verbündeten Regie-
gen widmen wollen, unter dem Beistände der göttlichen
dem theuren Vaterlande zum Segen gereichen!

Die Ansprache des engeren Ausschusses der nationalliberalen Partei Badens.
Karlsruhe, den 14. Nov.
Seitens des engeren Ausschusses der nationalliberalen Partei geht den nationalliberalen Bezirksvereinen des
Landes in den nächsten Tagen folqenbes Schreiben vom 12. d. Mts. zu:
In einer am 7. Oktober d. I. in Baden stattgehabten Besprechung des engeren Ausschusses der badi-
schen nat.-lib. Partei, welcher die meisten der ihr angehörigen Reichs- und Landtagsabgeordneten beiwohnten,
ist die Frage eingehend erörtert worden, wie sich die Partei zum direkten Landtagswahlrecht zu stellen habe.
Das Ergebniß der Besprechung war, daß beschlossen wurde, in dieser Sache dem Landesausschuß die An-
nahme des Standpunktes vorzuschlagen, welcher aus den unten folgenden Darlegungen ersichtlich ist. Indem
wir die Bezirksvereine bitten, die Angelegenheit zum Gegenstand dortiger Berathung zu machen, damit der
Landesausschuß in der Lage ist, s. Zt. auf Grund des Votums wohl instruirter Vertreter seine Beschlüsse zu
fassen, haben wir zur Sache selber zu bemerken:
In Bezug auf die Verfassungsreform hat die national-liberale Fraktion der Zweiten Kammer auf dem
letzten Landtage dahin Stellung genommen, daß ihrerseits der Einführung des direkten Landtagswahlrechts zu-
gestimmt werde, falls
1. die Städte, welche mehrere Abgeordnete direkt zu wählen haben, in Wahlbezirke eingetheilt werden,
in denen je ein Abgeordneter gewählt wird,
2. bei der Wahl die relative Mehrheit im ersten Wahlgang für genügend erklärt wird, vorausgesetzt,
daß der Gewählte mindestens ein Drittel aller abgegebenen Stimmen erhalten hat,
3. alle vier Jahre eine Gesammterneuerung der Kammer stattfindet,
4. eine Reform der Ersten Kammer im Rahmen der in der Denkschrift der Großh. Regierung über die
Zusammensetzung der Ständeversammlung gemachten Vorschläge erfolgt, und
5. den Abgeordneten der Zweiten Kammer, deren Zahl im Wesentlichen die gleiche bleiben soll, wie
bisher, die aber künftighin direkt zu wählen wären, 7 Abgeordnete hinzutreten, welche von den, die badische
Staatsangehörigkeit besitzenden Mitgliedern der Bürgerausschüsse der fünf größten Städte des Landes direkt
gewählt werden.
Es entsprechen diese Bedingungen, insoweit sie sich auf die Eintheilung der Städte mit mehreren Ab-
geordneten in Wahlbezirke, auf die Nichteinführung der sog. Stichwahlen, auf die periodische Gesammterneuerung
der Kammer sowie auf die Reform der Ersten Kammer beziehen, in der Hauptsache bereits früher Seitens der
national-liberalen Partei für den Fall einer Verfassungsreform gestellten Forderungen, sowie auch dem, was
die Großh. Regierung für diesen Fall in der von ihr ausgearbeiteten, dem letzten Landtage vorgelegten Denk-
schrift in Aussicht genommen hatte.
Wenn dann von der nationalliberalen Fraktion der Zweiten Kammer noch weiter beantragt war, daß
zu den allgemein und direkt zu wählenden Abgeordneten 7 Abgeordnete hinzutreten sollten, welche von den die
badische Staatsangehörigkeit besitzenden Mitgliedern der Bürgerausschüsse der fünf größten Städte des Landes
im Wege geheimer Abstimmung zu wählen gewesen wären, so lag darin ein Versuch, dem in der Denkschrift
der Gr. Regierung näher ausgeführten Gedanken Rechnung zu tragen, daß es in: Interesse einer gewissen
Stetigkeit unserer staatlichen Entwicklung geboten sei, zu den auf Grund des allgemeinen Stimmrechts
m geheimer und direkter Wahl zu wählenden Abgeordneten eine Anzahl Abgeordnete treten zu lassen,
welche ebenfalls in direkter und geheinier Wahl, aber nicht von allen wahlberechtigten Staatsbürgern,
sondern nur von denjenigen zu wählen seien, welche durch ihre Bcthätigung in den Selbsrverwaltnngsorganen
des Landes nähere Einsicht in die öffentlichen Geschäfte gewonnen hätten. War auch dieser Gedanke für die
Fraktion in dem Umfange, in welchem ihn die Gr. Regierung verwirklichen wollte, unannehmbar, indem dar-
nach die Zahl der auf Grund des allgemeinen Stimmrechts zu wählenden Abgeordneten SO, die Zahl der
nicht aus allgemeinen Wahlen hervorgehenden Abgeordneten der Zweiten Kammer aber 25 betragen sollte, und
gab der Fraktion auch die von der Gr. Regierung beabsichtigte Zusammensetzung der Wahlkollegien für die
nicht aus allgemeinen Wahlen hervorgehenden Abgeordneten zu mancherlei Bedenken Anlaß, so schien doch dem
ganzen Gedanken insofern ein berechtigter Kern innezuwohnen, als es bei der raschen Zunahme der Einwohner-
zahl der größten Städte des Landes unter den obwaltenden Verhältnissen zum Mindesten als zweifelhaft be-
zeichnet werden muß, ob die wichtigen wirthschaftlichen und kulturellen Interessen dieser Städte in der Zweiten
Kammer durch lediglich auf Grund des allgemeinen und direkten Wahlrechts gewählte Vertreter allezeit in
ausreichender Weise werden wahrgenommen werden. Man kam daher zu dem erwähnten Vorschläge, der sich
auch deshalb empfahl, weil er wenigstens noch einen Anknüpfungspunkt zu einer Verständigung mit den beiden
anderen gesetzgebenden Faktoren zu bieten schien.
Wir wollen und können uns aber darüber nicht täuschen, daß es nicht möglich sein wird, diesen Vor-
schlag auf die Dauer festzuhalten. Er hat draußen im Lande bei unfern eigenen Parteigenossen nur mäßigen
Anklang gefunden und es wachsen im eigenen Lager immer mehr die Stimmen, welche sich für die Einführung
des direkten Wahlverfahrens für die Zweite Kammer ohne eine Kautel dieser Art aussprechen.
Dieselben machen geltend, daß, wenn überhaupt von einer gewissen Gefahr des Ueberwiegens radikaler
Strömungen gesprochen werden könne, diese mit dem allgemeinen gleichen Wahlrecht, aber nicht damit Zusammenhänge,
daß künftighin direkt gewählt werden solle. Auch unter der Herrschaft des indirekten Wahlverfahrens sei eine
Reihe von Wahlbezirken an die Sozialdemokratie verloren gegangen und die früher mit diesem Wahlsystem
vielleicht verbunden gewesene Wirkung, daß die Abgeordneten-Wahl im Wesentlichen von Solchen vollzogen
werde, denen nach Bildung und Besitz ein größerer Einfluß zukomme, sei längst illusorisch geworden.
Wer die Vorgänge bei den Landtagswahlen in Baden seit einer Reihe von Jahren verfolgt hat, muß
die Richtigkeit dieser Behauptung zugeben. Die Gefahr, daß radikale politische Elemente in der Zweiten
Kammer die Oberhand gewinnen könnten, hängt in der That nicht mit dem direkten, sondern mit dem all-
gemeinen gleichen Wahlrecht zusammen. Dieses besteht aber in unserem Lande seit drei Jahrzehnten, und es
denkt von uns Niemand an die Beseitigung desselben. Es kann vielmehr nur daraus hingewirkt werden, daß
durch Hebung der Bildung und durch politische Aufklärung des Volks der bezeichneten Gefahr begegnet
sowie namentlich auch bei einer Reorganisation der Ersten Kammer dafür gesorgt werde, daß in derselben
die staatserhaltenden Elemente auch fernerhin in wirksamer Weise vertreten bleiben.
Im Weiteren kann darüber kein Zweifel bestehen, daß, obwohl die Form des indirekten Wahlverfahrens
bei uns rechtlich seither noch festgehalten worden ist, die Landtagswahlen bei uns schon seit einer Reihe von
Jahren tatsächlich insofern direkt vollzogen werden, als eigentlich überall vor der Wahl der Wahlmänner die
als Abgeordneter in Aussicht genommene Persönlichkeit bereits proklamirt wird und die Wahlmänner von vorn-
herein ans den Namen dieses Kandidaten gewählt werden, also zur Wahl des Abgeordneten mit gebundener
Marschroute sich einfinden.
Dazu kommt, daß das indirekte Wahlverfahren, wie nicht zu, verkennen ist, die Theilnahmlosigkeit der
Wähler gerade in den Mittelständen, und zwar nicht bloß in den Städten, sondern auch in vielen Landbezirken
auf bedenkliche Art fördert. Viele Wähler empfinden es, nachdem sie seit dreißig Jahren zum Reichstag direkt
zu wählen berechtigt sind, als eine lästige Bevormundung, daß ihnen ein solches Recht bei den Landtagswahlen
vorenthalten wird, und verlieren in Folge davon an diesen Wahlen das Interesse in einem Maße, welches
häufig zur Stimmenthaltung führt.
Ob bei dieser Sachlage das indirekte Wahlverfahren als eine Kautel gegen den Radikalismus an-
gesehen werden kann, ist denn doch im höchsten Grade zweifelhaft. Uns scheinen vielmehr die Verhältnisse bereits jetzt
so zu liegen, daß die auf eine ruhige Weiterentwicklung unseres Staatslebens im Sinne eines vernünftigen, ge-
mäßigten Fortschritts hinwirkenden Parteien bei Einführung des direkten Wahlverfahrens günstigere Aussichten
hätten, als bei Beibehaltung des indirekten Wahlsystems, welches viele gutgesinnte Wähler von der Wahlurne
geradezu zurückhält und überdies noch in den größeren Städten des Landes einen kaum mehr mobil zu
machenden Apparat erfordert.
Die nat.-lib. Partei ist deßhalb schon seit längerer Zeit zu der Anschauung gelangt, daß für sie kein
Anlaß gegeben sei, noch weiter an dem indirekten Landtagswahlverfahren festzuhalten, in welchem sie eine
Schranke gegen den Radikalismus nicht zu erblicken vermag, das vielmehr unter den jetzigen Verhältnissen einer
gesunden Fortentwicklung unseres politischen Lebens im Lande eher Schaden als Nutzen bringen dürfte.
 
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