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Heidelberger Zeitung — 1900 (Juli bis Dezember)

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Nr. 203-227 (01. September 1900 - 29. September 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37614#0259

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8ernsprech-A»schluß Nr. 82.


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Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Fr. 212.

Mittwoch, den 12. Lepikmdcr

isoo.

Wochenchronik.
(Vom 2. bis zum 8. September.)
Sept. 2.: Entgegen den ersten Meldungen ist die Regierung der
Vereinigten Staaten von Nordamerika
mit der von Rußland vorgeschlagenen Räumung
Pekings nicht einverstanden.
, 3.: Die Ch in e s e n haben ihre Feindseligkeiten gegen die
Fremden nahezu gänzlich eingestellt.
„ 4.: Eine der Andrse'schen Ballonexpedition
angehörige Flasche ist bei Vardoe aufgcfunden worden
Eine noch nicht näher untersuchte Notiz in derselben
spricht vom Jahre 1898.
, 5.: Im Haag findet der Schlußakt der Friedens
konserenz statt.
, b.: Von Amerika wird die Anregung lancirt, die Be-
satzung Pekings zu vermindern.
. 7.: Das Kaiserpaar trifft in Stettin zu den
Manövern ein.
„ 7.: Lord Roberts spricht die Annexion von Trans
vaal durch England aus.
. 7.: Der österreichische Reichsrath wird wegen
Arbeitsunfähigkeit aufgelöst.
„ 8.: Vom Landgericht Könitz wird der wegen Begünstigung
der Ermordung des Gymnasiasten Winter angeklagte
Jsraelski fceigesprochen. Der Mord erfährt keiner,
lei Aufklärung durch die Gerichtsverhandlung.

Der deutsche Schiffsbau im Urtheil Englands
Nichts kann den Briten mehr verletzen, als ein An-
M auf seine Suprematie zur See. Hat man auf der
Weltausstellung in Paris den Sieg der deutschen Technik
^erkannt, so verfolgt man jenseits des Kanals die weitere
Entwicklung der deutschen Industrie und Schifffahrt mit
gespannter Aufmerksamkeit und weit größerem Interesse,
.^s in Deutschland selbst. Namentlich die außerordentlich
^Nellen Fahrten des neuen Schiffes der Hamburg-Amerika-
^nie „Deutschland" geben den technischen Zeitschriften in
Island Stoff zu eingehenden Betrachtungen, in denen die
Aberkennung der Superiorität der deutschen Schiffe zum
^-heil aus dem ängstlichen Bemühen, die Triumphe der
Ätschen Schiffbaukunst abzuschwächen, erkennbar ist.
Inders z. B. der Sheffield Telegraph, der den Erfolg
^ Deutschen in folgendem Artikel ehrlich anerkennt:
,,Jn nichts hat sich die cnergievolle deutsche Politik,
in den jüngsten Jahren einen phänomenalen Aufschwung
^ Handels herbeigcführt hat, bezeichnender bethätigt, als
v "er Entwicklung der Handelsmarine. Wenngleich wir
jAich ihre Energie gelitten haben, können wir der Kühn-
und Kraft, mit der sie unserer Ueberlegenheit auf dem
i Eere den Handschuh hingeworfen hat, unsere Bewunde-
nicht versagen, und wir müssen zugestehen, daß der
ist ^ Erfolg der Tüchtigkeit der Unternehmung zu danken
hi' Sie hat Hamburg zum Rivalen Liverpools gemacht,
"uchtljch des Umfanges des Handels wie des Tonneri-
Ulid ^ der im Hafen verkehrenden Schiffe. Im Osten
sic? Westen haben die großen deutschen Schifffahrtslinien
kx? ^gesetzt, wenn nicht in Stellungen, von denen aus sie
Überseeischen Handel beherrschen, jedenfalls so günstig,
rs ° sie ernsthaft in den Wettbewerb mit englischen Firmen
ih'^ien können, im Passagier- wie im Frachtoerkehr. Und
dg- ^chiffsvau ist es bis zum Uederfluß bewiesen worden,
^ Deutschen, auch- mit unseren Besten verglichen,
jy ^ g,ehr zu lernen haben. Wir sind wirklich zwingend,
^Pstndlich an die letzterwähnte Thatsache erinnert
itanL die hervorragenden Leistungen zweier deutschen
^iianlischen Dampfer in dieser Woche. Der eine,
^ Wilhelm der Große" des Norddeutschen Lloyd,
fachte Southampton von Newyork nach einer Reise von
kejj .Tagen 19 Stunden 44 Minuten, was einer Schnellig-
don durchschnittlich 22,89 Knoten gleichkommt. Die
^Uchland", das schnellste Schiff in der Flotte der

Hamburg-Amerika-Linie, durchlief auf ihrer zweiten Reise —
schon auf ihrer Jungfernreise erwies sie sich als ein Re-
kordbrecher — die Entfernung von Newyork bis
Southampton in 5 Lagen 11 Stunden 45 Minuten, das
macht volle 23,32 Knoten in der Stunde, da die durch-
meffene Entfernung 3073 Seemeilen beträgt. Ob es sich
für uns lohnt, dies Resultat zu erreichen oder zu schlagen,
das mag dahingestellt bleiben; aber wir müssen gestehen,
daß es unfern Nationalstolz zweifelsohne verletzt, zur See
zurückgedrängt zu sein, wenn auch nur bezüglich der
Schnelligkeit. Wir wissen wohl, Schnelligkeit ist in der
Seeschifffahrt nicht das einzig Erstrebenswcrthe, aber sie
ist doch weit mehr als eine Gefühlssache. Gleiche Be-
quemlichkeit, Comfort, Ausrüstung und Sicherheit voraus-
gesetzt — worin die deutschen Schifffahrtslinien hinter
unseren nicht znrückstehen — wird der Reisende auf das
schnellste Schiff gehen, gerade wie er für seine Landreisen
den besten Schnellzug wählt. Die „Deutschland" hatte
1100 Passagiere an Bord, alle ihre Kabinen waren besetzt.
Gegenwärtig haben wir nichts, das in der Dampfschiff-
fahrt auf einen Wettstreit mit den deutschen Siegern
sich einlassen kann oder wenigstens mit einem davon. Unsere
„Lucania" und „Campania" stehen hinter dem „Kaiser
Wilhelm der Große" nicht sehr weit zurück, und auch der
„Oceanic" ist dem letzteren in der Schnelligkeit nahezu
gleich, wie er das größte Schiff auf dem Meere ist, aber
die „Deutschland" ist allen den genannten merklich über-
legen. Und wir werden von noch mächtigerer Gegnerschaft
bedroht, denn Deutschland hat ein anderes Schiff im Bau,
das in Größe und Maschinenstärke alle voraufgehenden
Resultate dns Schiffbaues überragen soll.
Wenn wir unsere Inferiorität hinsichtlich der Schnellig-
keit zugestehen, so wollen wir nicht vergessen, daß das
Manko nicht unseren Ingenieuren und Schiffsbauern zur
Last fällt. Wir wissen, daß sie im Stande sind, uns
ebenso schnelle oder sogar noch schnellere Schiffe als die
deutschen „Flieger" zu bauen. Für uns ist indessen die
Kostenfrage entscheidend. — Die deutschen Linien brauchen
nicht so sehr auf den Profit zu sehen. Die großen Sub-
sidien, die sie vom Staat erhalten (Welche Subsidien er-
hallen denn die deutsch-amerikanischen Linien vom Reich?
D. R.), machen sie in hohem Maße gleichgiltig gegen die
Kosten, um an die Spitze zu kommen und sich dort zu
behaupten. Darin find ihre Wege nicht unsere Wege, und
natürlich find unsere richtig. Aber wie sehr wir auch an
unseren eigenen Methoden fcsthalten müssen, eS würde
thöricht sein, zu leugnen, daß Deutschland durch seine
mrchtlose und patriotische Politik unermeßlich an Ansehen
gewinnt und daß seine Triumphs auf Englands Kosten er-
rungen werden."

Die Vorgänge in China.
Das Reuter'sche Bureau meldet aus Shanghai vom
8.: Der amerikanische Generalconsul erfuhr nach eingehen-
den Nachforschungen, daß nachgewiesener Weise während
der letzten Unruhen 56 Missionare, darunter 34 Eng-
länder und 22 Amerikaner, ermordet worden find. Es
läge ferner große Wahrscheinlichkeit vor, daß noch 37
Missionare in Taguenfu getödtet worden seien. Die
Liste der Vermißten weise 109 Engländer und 61
Amerikaner auf. Es sei unmöglich, die Zahl der ermor-
deten Katholiken festzusiellen; diese schließe jedoch viele
ranzösische Priester und barmherzige Schwestern ein, welche
n dem Gebiet ermordet wurden, in dem die Russen kämpf-
ten. Auch verschiedene schwedische und dänische Protestanten
wurden getödtet. Der Mord und die Verfolgung

I unter den chinesischen Christen dauern fort.
Ueberall wurden von chinesischen Gelehrten und kleinen
Beamten Denkschriften an die Kaiserin-Regent in gesandt,
worin ihr gedankt wird, daß sie das Land von den Frem-
den befreit habe. Eine Meldung aus dem Inneren be-
weise, daß, abgesehen von den von den fremden Truppen
besetzten Landestheilen, die chinesische Bevölkerung glaubt,
die Kaiserin habe große Siege errungen und die Auslän-
der aus dem Lande vertrieben. — Nach Angabe des
Bischofs Graves wären sogar 167 Missionare getödtet
worden, davon viele mit furchtbaren Grausamkeiten.
Li-Hung-Tschang hat, wie die Times meldet, an
den Thron unter dem 7. d. eine Denkschrift gerichtet,
in der er bittet, daß der Hof nach Peking zurück-
kehre. Gleichzeitig richtete er an den Vicekönig von
Wutschang eine Botschaft, in der es heißt, es sei schwer,
die Rückkehr des Hofes anzurathen, da es augenscheinlich
die Absicht der Mächte sei, sich der Personen der Führer
der reaktionären Bewegung zu bemächtigen. Wenn auch
die Denkschrift Li-Hnng-Tschangs an den Thron diese
Absicht der Mächte erwähnt, sei die Rückkehr des Kaisers
nicht wahrscheinlich.
Es scheint, daß die Frage, ob der Hof nach Peking
zurückkehrt, jetzt in den Vordergrund treten wird. Die
Mächte haben durchblicken lassen, daß sie die Rückkehr des
Hofs als eine Erleichterung der weiteren Verhandlungen
ansehen würden. Wie man die Chinesen kennt, werden sie
nun sogleich versuchen, den Wunsch der Mächte für sich
auszuschlachten und ihrerseits Bedingungen an die Rückkehr
des Hofes zu knüpfen, worüber dann zu verhandeln wäre.
Im Verhandeln sind die Chinesen bekanntlich Meister; sie
mögen immer noch hoffen, die Mächte auseinanderzubringen,
wenn ihnen nur die nöthige Zeit dazu gewährt wird. So
meldet die Times, der chinesische Gesandte in London er-
suchte Li-Hung-Tschang dringend, sich zu bemühen, die
Zustimmung der Mächte zur Räumung Pekings zu er-
halten, da sonst Rußland sich genöthigt sehen sollte, seinen
Vorschlag abzuändern. Dies würde noty wendiger Weise
eine Verminderung seines Ansehens zur Folge haben. Wie
der Gesandte da Rußland vorschiebt, das ist nicht übel!
Vom Prinzen Tsching, der von den Japanern nach
Peking geleitet worden sein soll und der als ein geeigneter
Friedensunterhändler bezeichnet Niro, ist heute Alles still.
Der zweite Admiral des deutschen Kreuzergeschwaders
meldet aus Taku vom 10. d. Mts.: „Batavia" ist am
9. d. Mts. Vormittags hier eingetroffen. Die Ausschiffung
zweier Kompagnien wurde sofort begonnen. Ein Bataillon
wurde in der Nacht gelandet. Kapitän Pohl traf in
Tientsin ein.
Daily Mail meldet aus Tientsin: Die Vorräthe> in
Peking sind knapp. Plünd erung s-Abtheilungen,
welche von Offizieren geführt werden, sind mit Zustimmung
der Behörden organisirt. Alles Geld, welches gefunden
wird, kommt in einen Prisen-Fonds. (Die Verantwortung
für die Richtigkeit dieser auffallenden Meldung muß dem
englischen Blatt verbleiben. Red.) Post und Telegraph
sind noch nicht organisirt; jeden Tag w erden Postsäcke be-
raubt und Telegraphendrähte zerschnitten.

Deutsches Reich.
— Der heilige Krieg gegen den Protestantis-
mus ist auf dem Katholikentage vor etwa 7500 Katholiken
in einer hinreißenden, flammenden Rede des Domini-
kanerpaters Bonaoentura aus Berlin von Neuem
eroklamirt worden. Ein neuer Peter von Amiens ist auf-
gestanden, so hat der Centrums sichrer Dr. Lieber den

verschämte und ««verschämte Armttth.


häufen sich Armuth und Elend so, wie in der
"Uf Und d"ch Ei die Noth. deren Anblick sich einem
M " Straßen in mannigfaltiger Gestalt aufdrängt, oit
geheuchelte und nut dem Mitleid, dem edelsten
^vj-, "es Menschenherzens, wird ein frivoles, spekulatives
Es Grieben.
°dt>de c* vor Jahren, als eines Tages in der Mittags-
9>>e gdgs einer der neuen Straßen des Berliner Westens
deta^egekleidete ältliche Dame in Hut und Mantel an mich
entschuldigen, mein Herr," redete sie mich mit
Fohl.^er, stammelnder Stimme an, „ich bin nicht ganz
? möchte gern mit dem Omnibus nach Hause fahren.
I-Ück v?dbe ich sie stockte, senkte den Blick und ein Aus-
a°-ende» Berlegenheit beherrschte die wie mir schien blassen,
?!^n. qn.Züge — „leider habe ich mein Portemonnaie ver-
^ leih^Uden Sie wohl so gütig sein, mir zwanzig Pfennig
^echt?. nner hastigen, instinktiven Bewegung fuhr meine
" die Taiche. Es war mir peinlich, daß eine Dame
i^dsgi,^ einen so lumpigen Geldbetrag bitten mußte. Ich
i>» "lew A" ih" das Beschämende der Situation. Rasch riß
dl ->>en k, .^emonnaie heraus und steckte ihr schnell die er-
?Ewen Nickel in die Hand. Dann lüftete ich höflich
i>, l und entfernte mich ellig, um ihr den demüthigen
!ck Toch Ovaren.
V?"ie ein paar Schritten drehte ich mich um und
Ä.'d- in-?» der Dame zurück. Hätte ich ihr nicht meinen
^de,k?„E"^chutz anbieten sollen, bis der Omnibus kam?
ure Schwäche sie nicht vielleicht überwältigen?

Bilder aus dem Leben von Arthur Zapp.
(Nachdruck verboten.)

Aaer waS erblickte ich ? Die Frau war m der entgegen-
gesetzten Richtung davongeschcitten. Jetzt kam ihr ein Herr
entgegen und nun — ich wußte nicht, sollte ich meinen Augen
trauen — nun trat sie an den bei ihr Stehenbleibenden
heran, in derselben bittenden und zugleich mitletderregenden
Haltung, in der fte eine Minute früher mich angesprochen
halte- Ein paar Worte, der Herr griff, wie ich es gethan,
in seine Tasche, steckte der Bittenden etwas zu und ging
weiter.
Ich war starr, und unwillkürlich, ohne daß es eines be-
sonderen Beschlusses dazu bedurft hätte, ging ich der Frau
nach. Sie bog an der Ecke in die nächste Straße ein und
ich wurde abermals Zeuge, wie sie dasselbe Manöver, das sie
bereits zweimal mit Erfolg ausgesührt hatte, wiederum nicht
vergebens in Szene setzte.
Also eine Schwindlerin, die das Mitleid barmherziger
Menschen erwerbsmäßig ausbeutete! Schmerz und Zorn er-
griffen mich. Wäre ein Schutzmann in der Nähe gewesen,
ich hätte die Schamlose der strafenden Gerechtigkeit über-
liefert.
Ein Jahr daraus, an einem kühlen Novemberabend,
schleuderte ich nach meiner Gewohnheit durch die Straßen,
um mir nach angestrengter geistiger Arbeit Bewegung zu
machen. Auf den Steinstufen, die zu einem der Häuser
emvorführten, kauerte ein in ein schmieriges, fadenscheiniges
Kleid gehülltes Weib, dessen magere knochige Züge von
Hunger und Roth zu sprechen schienen. Man sah, wie sie
unter der Kälte zusammenbebte. Doch ein noch viel trau-
rigerer, herzbewegender Anblick war es, daß ihr im Schoße
ein nolbdürftig in ein altes, durchlöchertes Umschlagetuch
gewickeltes Kind ruhte. Das arme kleine Wesen konnte sechs
ooer acht Monate alt sein. Das Gesicht aber sah trotz Kind-
heit und Säuglingsalter blaß und verwelkt aus. Die
Augen waren geschlossen; das Kind der Armuth und des
Elends hielt seinen Schlaf unter freiem Himmel, in rauher
Nachlluft ab.
Ein heißes Weh durchfuhr mich. Ich hatte selbst Kinder,

die daheim, von zärtlicher Mutterliebe bewacht, in ihren
warmen, weichen Beltchen den Schlaf der Jugend und der
Gesundheit schliefen. In tiefer Erschütterung blieb
ich vor dem armen Weibe stehen. Sie streckte ihre Hand
ouS, ohne etwas zu sagen. Ein beredter, hilseflehender Blick
traf mich.
„Aber um Gotteswillen, liebe Frau," entfuhr es mir,
„warum gehen Sie nicht nach Hause ? Es ist zehn Uhr. Das
arme Kind wird sich auf den Tod erkälten."
„Das wäre das Schlimmste noch nicht," entgegnete die
Frau. Es lag so viel dumpfe Resignation, so viel trübe
Verzweiflung in den wenigen Worten, daß es mich kalt durch-
schauerte.
„Haben Sie denn keinen Ernährer," fragte ich, „keinen
Mann?"
„Mein Mann ist Invalide und kann nichts verdienen- Er
ist als Maurer vom Bau gefallen."
„Aber da muß er doch Invalidenrente bekommen," wandte
ich ein.
„Kriegt er nicht. Es sei seine eigene Schuld gewesen,
haben sie erklärt. Und das bischen Unterstützung, das uns
die Stadt giebt, reicht knapp für die Miethe."
„Ich griff in die Tasche und legte einen Thaler in die
Hand des armen Weibes. Sie dankte mit einem unbe-
schreiblichen Blick und mit den Worten: „Gott lohn' es
Ihnen, lieber Herr."
„Schon -gut! Aber nun gehen Sie nach Hause, liebe
Frau! Und sagen Sie mir auch Ihre Adresse. Ich komme
morgen zu Ihnen- Vielleicht kann ich etwas für Sie thun
und Ihnen Arbeit verschaffen. Wo wohnen Sie denn und
wie heißen Sie?"
Etwas zögernd kam die Antwort. Sie mochte soviel In-
teresse nicht erwartet haben.
„Lehmann. Pappel-Allee No. 12."
_ (Fortsetzung folgt.)
 
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