Erscheint täglich.
Sonntags ausgenommen.
Preis
mit Famillenblättem
monatlich 5V Ps.
. srei in'S Hau» gebracht,
«urch die Post bezogen
vierteljährl. 1.25 Mk.
'»»schließlich Zustellgebühr.
^svrech-Anschluh Nr. 82.
JnserttonSgebühr
15 Pf. für die Ispalttge
Petitzeile oder deren Raum.
Für hiesige Geschäfts- und
Privatanzeigcn bedeutend
ermäßigt.
Gratis-Anschlag
der Inserate auf den Plakat»
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulm.
Fernsprech-Anschluß Nr. 82
Kr. 241.
Dicuslaz, de» 16. Mobec
19W.
O du mein Oesterreich!
^ Es ist wohl noch erinnerlich, daß der Erzbischof
<vr. Stadler von Serajewo (Bosnien) sich bei dem Ver-
r!!, . großkroatische, centrifugale Politik zu treiben, eine
"Harfe kaiserliche Rüge zugezogen hat. Darauf hat nun
n? Erzbischof nichts Eiligeres zu thnn gehabt, als nach
'/""l zu reisen, um gegen die Willensmeinung des Kaisers
«Ufzubegehren.
. Man ist im Vatikan auch darauf eingegangen und hat
Bischof überaus liebevoll empfangen; der Papst selbst
^ ihn wegen der „Erschwerung seines Wirkens
/ Bosnien" herzlich bedauert und ihn sehr huldvoll
°"abschiedet.
Diese Episode wird noch übertroffen durch eine Aeußc-
/"8, die Leo XIII. gegenüber der ihn besuchenden Erz-
vrrzogin Alice und ihren Töchtern Anna, Margaretha
Hermann gethan hat. Wir haben über diesen Vor-
schon kurz berichtet. Die Salzburger Kirchenzeitung
rzahlt über die '/Jtündige Audienz folgendes Nähere:
, Nachdem der heilige Vater sehr lange über die katholische
aiversitäl in Salzburg gesprochen hatte, schloß er dieses
. Heina mit den Worten: „Die Universität in Salzburg
/St mir sehr am Herzen; gebe Gott, daß ich ihre Grün-
,?"S erlebe und sie segnen kann." Der Papst lenkte das
Gespräch auf die Zustände Oesterreichs; er zeigte sich
/bau über alles unterrichtet und bezeichnet« die Ver«
/Unisse unseres Kaiser st aates als sehr
/"urig. Mit einer für dieses Alter gar nicht zu er-
ntenden Lebendigkeit besprach Se. Heiligkeit die
"nschenfurcht und Feigheit hochgestellter,
/".flußreicher Persönlichkeiten unseres
Deiches und brachte diese mit den traurigen
L" ständen in einen innigen Zusammenhang,
/s Erzherzogin Anna auf den Knicen den Heiligen Vater
^ den Segen für alle Bekannten, Wohlthäter und
freunde bat, hob er die jugendliche Prinzessin auf und sie
"bevoll anblickend, sprach er: „Höre. Tochter! Gehe hin
/".bringe allen meinen Segen, denen Du ihn bringen
/"st, und sage ihnen, der Heilige Vater hat mir bei der
udienz den Segen für
-Later
"in
Segen für Dich gegeben." Der Heilige
entließ die Erzherzoginnen mit den Worten: „Gehet
und verkündet der Welt, daß es noch
."tholjsche Prinzessinnen gebe, die den Muth
°hen, den Heiligen Vater zu besuchen." —
d Man vergegenwärtige sich, daß der Papst zu Mitgliedern
Herrscherhauses spricht, welches über das Land, dessen
/rhältnisse als sehr traurige bezeichnet werden,
Urscht I Mußten sie nicht unwillig werden, vonMenschen-
/"cht und Feigheit hochgestellter einfluß-
/ ich er Persönlichkeiten ihres Vaterlandes reden
/hören? Wir wollen hier nicht das Verhalten der fürst-
,/en Damen kritisiren, denn das hätte keinen Zweck und
/int nns auch der Thatsache der päpstlichen Worte gegen-
j / unwichtig. Für uns im deutschen Reich aber ist cs
/ressaitt zu constatiren, daß man in Rom nicht gerade
auf Wien zu sprechen ist. „Schlimmeres Unrecht
Oesterreich nie widerfahren", schreibt die Neue
Okere Presse bei Besprechung des Falles. Und in der
h"t. man kann diese Sprache des heiligen Stuhles
° Senüber dem stets gut päpstlich gesinnten Haus Habs-
nur als Unrecht, als schreienden Undank bezeichnen.
M die Verhetzung der Nationen, wobei der Klerus
Sen die Deutschen mithilfl, sondern den Mangel an
fügender Unterwürfigkeit gegen den Vatikan will der
/"Vst für die traurige Lage Oesterreichs verantwortlich
/Herr! Ein Grund mit für die Animosität Leo's XIII.
—St wobi in dem bundcsfreundlichen Verhältniß zu dem
„kirchenräuberischen" Italien und dem „protestantischen"
deutschen Kaiserreich.
Man wird hoffentlich in Oesterreich dies Vorkommniß
nicht auf die leichte Achsel nehmen. Mit furchtbarer Klar
heit tritt das Bestreben des Vatikan's in der oben er-
wähnten Affaire Stadler hervor, wo das Gtoßkroatenlhum
gezüchtet werden soll. Ob aber das Verhängniß auf-
zuhaltcn ist? Wohl nimmt ja die „Los von Rom-
dewegung" zu; Bedeutung kann sie nur gewinnen, wenn
sie sich in regierende Kreise ansdehnt. — Ein Zeichen der
Reaktion gegen die päpstlichen Worte ist vielleicht in dem
Gerücht zu erblicken, daß der gegen den heiligen Stuhl
allzu nachgiebige Botschafter Graf Revertera abberufen
werden soll. Zwar wird das Gerücht dem.ntirt, allein
der Umstand, daß es sofofort auftauchte, zeigt an, welchen
Eindruck das Vorgehen des päpstlichen Stuhles in Oester-
reich gemacht hat.
Die Schlußworte des Papstes sind übrigens ein deut-
licher Wink nach München, wo der Prinzregent der Prin-
zessin Ludwig Ferdinano eine Romreise untersagt hatte,
um Verstimmungen im Quirinal zu vermeiden.
Das Blatt berichtet
ich hätte an Mme.
eine dumme und
Was die Königin Natalie sagt.
Ueber Serbien hat sich die Königin-Mutter
Natalie einem Mitarbeiter der Magdeb. Ztg. gegenüber in
Biarritz sehr offen und scharf ausgesprochen,
darüber:
Die Königin erklärte: „Die Beschuldigung
Draga beleidigende Postkarten gerichtet, ist
infame Bosheit, die niedrige Rache einer entlassenen Kammerzofe.
Das Ganze war nur ein Vorwand, um die wenigen Beamten
meines Haushaltes in Belgrad zu entlassen und ihre Pension in
die Tasche zu stecken. Nie war ein Mann mehr in seine Frau
vernarrt, als mein armer Sohn König Alexander." „Darf ich
fragen, wie die große Herzlichkeit zwischen dem König und Draga
entstand?" „Draga ist eine jener Brünetten, die etwas darin
suchen, für Blonde zu schwärmen, ihre Romanzereien sind aller-
dings nichts als stroherner Mondschein, aber so künstlich sie auch
sind, ihre erlogene Sentimentalität und ihr weltgewandtes
Raffinement siegten dann bald über den volle 15 Jahre jüngeren
König. Möge die Komödie ihr nicht zum Drama werden. Die
Geschichte begann mit heimlichen Spaziergängen im Mondschein,
um die bald Jedermann wußte. Dann folgten Scenen, in denen
Draga sich in wilder Leidenschaft gegen meine Ermahnungen und
strengen Verweise aufbäumte, weil ich sie ermahnte, nicht durch
ihre schuldbeladene Koketterie politische Allianzen zu Hintertreiben,
die von um so größerer Wichtigkeit waren, als sie König
Alexander erlaubt hätten, das unerträglich Joch seines Vaters
abzuschütteln, dieses bösen Genius Serbiens und des Fluches
meines ehelichen Lebens." „Eurer Majestät ist zweifellos das
Gerücht bekannt. Rußland habe, um eine deutsche Heirath zu
Hintertreiben, die Sie angeblich begünstigten, seinen Vertreter in
Belgrad angewiesen, die Liebespläne des Königs Alexander zu
begünstigen und Mme. Draga eine Million Rubel als Hochzeits-
geschenk des Zaren zu überreichen, während eine gleiche Summe
König Milan zur Verfügung gestellt werden sollte, falls er
strengste Neutralität beobachte? „Jene Gerüchte," entgegnete die
Königin, „gehen mich nichts an, aber es ist Thatsache, daß ich
lieber eine deutsche Prinzessin auf dem Throne Serbiens als
Gemahlin meines Sohnes gesehen hätte, als eine kleinliche, un-
bedeutende serbische Unterthanin, die Caprice eines Augenblicks,
ein geriebenes, intrigantes, beschränktes und engherziges Ding.
Ernst ist das Leben, wenn die Flitterwochen schwinden-, in
diesem Falle ist alles „Flitter , ob es schwindet oder nicht."
„Und wie wird das so lieblich in Belgrad angestimmte königliche
Duett ausklingen?" „Das werde ich Ihnen sagen, wenn Sie bei
Ihrem nächsten Besuche mir ankündigen, daß König Milan wieder
einmal seine letzten Rubel verthan hat."
Deutsches Neich
— Der Reichskanzler hat sich am 15. ds. nach
Homburg v. d. H. begeben.
— Der Wirkliche Gehe me Rath Heinrich von
Kusserow, ehemaliger preußischer Gesandte in Hamburg,
ist am 15. in Bassenheim gestorben.
— Den Kindern des ehemaligen Staatssekretärs der
Marine, Hollmann, ist der erbliche Adel verliehen
worden. Hollmann hat für sich selbst, wie s. Zt. auch
Falk, auf den Adel verzichtet.
Homburg, 15. Okt. Folgendes Bulletin über
den Gesundheitszustand Ihrer Majestät der Kaiserin
Friedrich vom 14. Oktober wird im hiesigen Taunus-
boten durch Oberbürgermeister Dr. Tettenborn veröffentlicht:
Ihre Majestät die Kaiserin Friedrich leidet seit längerer Zeit
an neuralgischen Schmerzen. Infolge andauernder Be-
schwerden hat sich allmählich ein Erschöpfungszustand bemerk-
bar gemacht, der von einem Anfall von akuter Herz-
schwäche gefolgt war. Im Anschluß daran hat sich ein
sekundärer Lungenkatarrh entwickelt, der unter leichter
Steigerung der Temperatur und wechselnder Pulsfrequenz
noch fortbesteht. Eine momentane Lebensgefahr ist gegen-
wärtig nicht vorhanden. Indessen muß die Wieder-
holung eines solchen Heizschwächezustandes als ein das
Leben unmittelbar gefährdendes Ereigniß erachtet werden.
Auf den Wunsch und mit Rücksicht auf die hohe Patientin
ist bisher von der Ausgabe von Bulletins Abstand genom-
men worden. Friedrichshof, 14. Oktober. Gez. Professor
Renvers. Leibarzt Tr. Spielhagen.
Baden. Es ist sehr beachtenswcrth, daß das Schrei-
ben des Erzbischofs über die christlichen Gewerkschaften
von Centrumsblättern abfällig beurtheilt wird. So schreibt
die Köln. Volkszeitung:
Wir stehen nicht an, diese Kundgebung als eine tief bedauer-
liche zu bezeichnen, die sich nur durch irrige Information des
Herrn Erzbischofs von Freiburg erklären läßt. Die Freiburger
Kundgebung wendet sich in einer jeden Zweifel ausschließenden
Weise und mit großer Schärfe auch im Ausdruck gegen die christ-
liche Gewerkschaftsbewegung schlechthin, bei der das Wort christ-
lich „nur ein leerer Schall und Aushängeschild" sei, die mit „un-
ausbleiblicher Konsequenz nur der Sozialdemokratie zu Gute
kommen" könne. Dieser Vorwurf trifft zahlreiche Männer geist-
lichen und weltlichen Standes, auch hervorragende Parlamentarier
des Centrums, deren ganze Vergangenheit einen solchen Verdacht
unbedingt ausschließt. Weit über lOOOliO deutsche Arbeiter,
unseres Wissens überwiegend Katholiken, sind in Gewerkschaften
vereinigt, die sich ausdrücklich „christliche" nennen; um diese Be-
zeichnung als bloßes „Aushängeschild" und die Gewerkschaften
als Vorfrucht der Sozialdemokratie zu behandeln, müßte man
das bündigste BeweiSmaterial zur Hand haben.
Das Kölner Cenirumsblatt hofft also, daß die „christ-
lichen" Gewerkschaften, oder doch ein größerer Thcil der-
selben, vor dem Hingleiten zur Sozialdemokrate zu retten
sind. Der Freiburger Erzbischof ist anderer Ansicht. Wenn
badische geistliche Centrumsführer Arm in Arm mit den
Sozialdemokraten in den Wahlkampf ziehen, wenn Centrum
und Sozialdemokratie gemeinsame Siegesfeste begehen, so
werden beide einander dadurch so nahe gebracht, daß der
Uebergang der Cemrums-Gewerkschaften zur Sozialdemo-
kratie in der That nur eine Frage der Zeit ist.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Expeditionsassistent August Rund in Ettlingen wurde
nach Sichern und Expedittonsassistent Heinrich Wick in Neustadt
nach Freiburg versetzt.
Karlsruhe, 15. Okt. Am Sonntag nach der
Einweihung der Christuskirche begaben sich der Groß-
herzog und die Grobherzogin mit der Prinzessin Wilhelm
und der Erbprinzessin von Anhalt in das Atelier des
Bildhauers Professors Volz, wo der Generalleutnant z. D.
Hofmann anwesend war. Professor Volz zeigte dem hohen
Besuche seinen Entwurf für ein „Prinz Wilhelm-Denkmal."
Die höchsten Herrschaften waren von dieser werthvollen
künstlerischen Arbeit sehr befriedigt und freuten sich über
die schöne Auffassung und Wiedergabe der Persönlichkeit
des theueren Heimgegangenen. Montag früh hörte der
Großherzog den Vortrag des Geheimen Legationsraths
2)
Ein Opfer.
Roman von B. Saworra.
Autorisirte Bearbeitung nach dem Englischen.
(Fortsetzung.)
Mi.-Mas kann ich für Sie thun? Kann ich Ihnen irgend-
lut. °?bllfl>ch sein?" fragte Doktor Grävener d'e ihn zurück-
lende Dame.
ei-"Ha — darum erlaubte ich mir, Sie anzureden: ich habe
»er, A^e an Sie; aber davon nachher! Diese Dame möchte
Ihre Hilfe in Anspruch nehmen; möchten Sie ihr zuerst
^ Aufmerksamkeit zuwenden?"
he-^'org Grävener bewundert die Ruhe und Selbstbe-
t>at- i "S des jungen Mädchens. Er hat als Arzt berech-
Widerwillen gegen hysterische Erregung und weiß ruhige
'Ung doppelt zu schätzen,
dj »Wollen Sie ihr gütigst rathen, was sie tbun soll?" fährt
Dame fort. „Sie muß durchaus nach London
»Mn beute Nacht. Ihr Gatte wird in großer Sorge
kia»i ^>n. Sie möchie sobald als irgend möglich nach
^.Mückgelangen."
Üekst ^vener blickt schnell Von dem Mädchen, das vor ihm
»ach der vollständig hilflos auSsehenden Frau uu
länmi "rs Fensters. Sie lehnt müde an der weiß ge-
d>Nai,L Wand und blickt wie abwesend in die Dunkelheit
bervnr 2br braunes, reiches Haar ist unter dem Hute
akguollen und hängt unordentlich, in halb gelösten
ketn/x" über ihre Schultern. In ihrer Apathie regt sie
kein »o^ wieder zu ordnen. Doktor Grävener fühlt
^iner " "ei solchem Sichgehenlassen; es liegt nicht in
Mild« ^eatur thatenloser Schwäche gegenüber Nachsicht und
üben. Er wendet sich wieder dem Mädchen zu.
»oie Reifenden werden nach Deerham befördert," sagt
er. „In weniger als einer Stunde werden sie es erreichen,
zeitia genug, um in den Zug zu gelanacn, der um 9 Uhr
30 Minuten nach London abgeht. Hallod, Fvxley — bist
Du es?" Die letzie» Worte gelten einem groycn jungen
Mann, der soeben an der offenen Thür vorüberschreilet;
sofort bleibt er stehen.
„Fährst Du nach Deerham?" ruft Georg Grävener-
„Jawohl —, der Zug geht sogleich ab."
„Bitte, nimm diese Dame unter Deinen Schutz. Sie muß
auch noch heute Abend nach London zurückkehren."
Die Frau an dem Fenster ist noch zu benommen, um
sprechen zu können. Sie äußert kein Dankeswort, sie folgt
dem jungen Mann verwirrt, hiflos, wie ein erschrecktes Kind.
Ein Zittern geht durch ihre Glieder, lastend streckt sie die
Hände aus, als ob das Zimmer dunkel wäre.
Der junge Mann bietet ihr seinen Arm und sie ver-
schwinden aus dem Gesichtskreise.
„Nun. gnädiges Fräulein," sagt Georg Grävener ruhig,
„womit kann ich Ihnen dienen?"
Das junge Mädchen zögert mit der Antwort. Ihr Antlitz
ist todtenblctch, sie sucht ihre Selbstbeherrschung krampfhaft
auf.-echt zu erhalten, aber er sieht, wie ein Zittern sie durch-
fährt. Sic wendet ihre Augen von dem Arzt nach der ge-
schlossenen Thür des kleinen Nebenzimmers.
„Ist er verwundet?" fragt sie.
„Er liegt am Sterben!" sagt Grävener ruhig.
Plötzlich har sein Ausdruck sich geändert. Fest, mit
ernstem Forschen blickt er nach ihr hm. sie ist ein wenig
zurückgetrelcn, bis zu dem Holzstuhl, der vor dem Tisch stehl;
sie legt ihre Hände auf die Lehne, umfaßt sie krampshast.
Unwillkürlich schaut er auf diese Hände, er bemerkt, daß sie
keinen Rtng trägt. Dann suchen seine Augen noch einmal
prüiend ihr Antlitz.
„Waren Sie mit ihm?" fragt er in ruhigem, aber etwas
strengem Tone. „Sind Sie die Dame, die er zu sehen
wümchie?"
Das Mädchen machte eine erneute Anstrengung, ruhig
und gefaßt zu erscheinen, unbefangen seinem Blick standzu-
ballen, ohne Beben zu sprechen, aber sie muß ihre ganze
Kraft zusammennebmen.
„Ich möchte ihn gern sehen," sagte sie nach einer Pause.
„Gerade darum wollte ich Sie bitten. Ich darf ihn doch
sehen, nicht wahr? Ich muß es."
Ohne ein Wort der Erwiderung tritt Georg Grävener
näher, er geht nach der Thür des kleinen Zimmers; als er
sie öffnet, legt das junge Mädchen die Hand aus seinen Arm.
„Bitte, lassen Sie mich allein hineingehen," fleht sie.
Schweigend giebt er seine Zustimmung. Er öffnet die
Thür, um sie eintreten zu lassen, dann schließt er sie lang-
sam hinter sich. Er seufzt, halb sorgenvoll, halb ungeduldig.
Das also ist Frau Lewis — dieses Mädchen mit dem süßen,
lieben Gesicht, den treuen Augen! Eine Dame, deren
Namen nur zögernd, unsicher von dem Manne genannt
wurde, der sich für ihren Gatten ausgab — eine Dame,
deren Hand nicht das Symbol ihrer Frauenwürde trägt!
_ (Fortsetzung folgt.)
Stadt-Theater.
O Heidelberg, 16. October.
„Iphigenie auf Tauris", von Goethe.
Als Goethe im Jahre 1802 einmal an Schiller über die
Iphigenie schreibt, sie sei „ganz verteufelt human", antwortet
Schiller: „Das, was Sie das Humane darin nennen, wird
diese Probe besonders gut aushalten." Und Schiller irrte sich
nicht.
Das deutsche Bürgerthum, solange es für Verfassung und
Freiheit kämpfte, hat überall die „Iphigenie" begeistert ausge-
nommen ; und wenn an einer entscheidenden Stelle des
Stückes Thoas sagt ^Erster Entwurf 1779): „Du weißt, daß Du
mit einem Barbaren sprichst, und traust ihm zu, daß er der
Wahrhe l Stimme vernimmt?" und' Iphigenie ihm antwortet:
„Es hört sie jeder unter jedem Himmel, dem ein edles Herz,
von Göttern entsprungen, den Busen wärmt", so war damit
Sonntags ausgenommen.
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. srei in'S Hau» gebracht,
«urch die Post bezogen
vierteljährl. 1.25 Mk.
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^svrech-Anschluh Nr. 82.
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Petitzeile oder deren Raum.
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der Inserate auf den Plakat»
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und den Plakatsäulm.
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Kr. 241.
Dicuslaz, de» 16. Mobec
19W.
O du mein Oesterreich!
^ Es ist wohl noch erinnerlich, daß der Erzbischof
<vr. Stadler von Serajewo (Bosnien) sich bei dem Ver-
r!!, . großkroatische, centrifugale Politik zu treiben, eine
"Harfe kaiserliche Rüge zugezogen hat. Darauf hat nun
n? Erzbischof nichts Eiligeres zu thnn gehabt, als nach
'/""l zu reisen, um gegen die Willensmeinung des Kaisers
«Ufzubegehren.
. Man ist im Vatikan auch darauf eingegangen und hat
Bischof überaus liebevoll empfangen; der Papst selbst
^ ihn wegen der „Erschwerung seines Wirkens
/ Bosnien" herzlich bedauert und ihn sehr huldvoll
°"abschiedet.
Diese Episode wird noch übertroffen durch eine Aeußc-
/"8, die Leo XIII. gegenüber der ihn besuchenden Erz-
vrrzogin Alice und ihren Töchtern Anna, Margaretha
Hermann gethan hat. Wir haben über diesen Vor-
schon kurz berichtet. Die Salzburger Kirchenzeitung
rzahlt über die '/Jtündige Audienz folgendes Nähere:
, Nachdem der heilige Vater sehr lange über die katholische
aiversitäl in Salzburg gesprochen hatte, schloß er dieses
. Heina mit den Worten: „Die Universität in Salzburg
/St mir sehr am Herzen; gebe Gott, daß ich ihre Grün-
,?"S erlebe und sie segnen kann." Der Papst lenkte das
Gespräch auf die Zustände Oesterreichs; er zeigte sich
/bau über alles unterrichtet und bezeichnet« die Ver«
/Unisse unseres Kaiser st aates als sehr
/"urig. Mit einer für dieses Alter gar nicht zu er-
ntenden Lebendigkeit besprach Se. Heiligkeit die
"nschenfurcht und Feigheit hochgestellter,
/".flußreicher Persönlichkeiten unseres
Deiches und brachte diese mit den traurigen
L" ständen in einen innigen Zusammenhang,
/s Erzherzogin Anna auf den Knicen den Heiligen Vater
^ den Segen für alle Bekannten, Wohlthäter und
freunde bat, hob er die jugendliche Prinzessin auf und sie
"bevoll anblickend, sprach er: „Höre. Tochter! Gehe hin
/".bringe allen meinen Segen, denen Du ihn bringen
/"st, und sage ihnen, der Heilige Vater hat mir bei der
udienz den Segen für
-Later
"in
Segen für Dich gegeben." Der Heilige
entließ die Erzherzoginnen mit den Worten: „Gehet
und verkündet der Welt, daß es noch
."tholjsche Prinzessinnen gebe, die den Muth
°hen, den Heiligen Vater zu besuchen." —
d Man vergegenwärtige sich, daß der Papst zu Mitgliedern
Herrscherhauses spricht, welches über das Land, dessen
/rhältnisse als sehr traurige bezeichnet werden,
Urscht I Mußten sie nicht unwillig werden, vonMenschen-
/"cht und Feigheit hochgestellter einfluß-
/ ich er Persönlichkeiten ihres Vaterlandes reden
/hören? Wir wollen hier nicht das Verhalten der fürst-
,/en Damen kritisiren, denn das hätte keinen Zweck und
/int nns auch der Thatsache der päpstlichen Worte gegen-
j / unwichtig. Für uns im deutschen Reich aber ist cs
/ressaitt zu constatiren, daß man in Rom nicht gerade
auf Wien zu sprechen ist. „Schlimmeres Unrecht
Oesterreich nie widerfahren", schreibt die Neue
Okere Presse bei Besprechung des Falles. Und in der
h"t. man kann diese Sprache des heiligen Stuhles
° Senüber dem stets gut päpstlich gesinnten Haus Habs-
nur als Unrecht, als schreienden Undank bezeichnen.
M die Verhetzung der Nationen, wobei der Klerus
Sen die Deutschen mithilfl, sondern den Mangel an
fügender Unterwürfigkeit gegen den Vatikan will der
/"Vst für die traurige Lage Oesterreichs verantwortlich
/Herr! Ein Grund mit für die Animosität Leo's XIII.
—St wobi in dem bundcsfreundlichen Verhältniß zu dem
„kirchenräuberischen" Italien und dem „protestantischen"
deutschen Kaiserreich.
Man wird hoffentlich in Oesterreich dies Vorkommniß
nicht auf die leichte Achsel nehmen. Mit furchtbarer Klar
heit tritt das Bestreben des Vatikan's in der oben er-
wähnten Affaire Stadler hervor, wo das Gtoßkroatenlhum
gezüchtet werden soll. Ob aber das Verhängniß auf-
zuhaltcn ist? Wohl nimmt ja die „Los von Rom-
dewegung" zu; Bedeutung kann sie nur gewinnen, wenn
sie sich in regierende Kreise ansdehnt. — Ein Zeichen der
Reaktion gegen die päpstlichen Worte ist vielleicht in dem
Gerücht zu erblicken, daß der gegen den heiligen Stuhl
allzu nachgiebige Botschafter Graf Revertera abberufen
werden soll. Zwar wird das Gerücht dem.ntirt, allein
der Umstand, daß es sofofort auftauchte, zeigt an, welchen
Eindruck das Vorgehen des päpstlichen Stuhles in Oester-
reich gemacht hat.
Die Schlußworte des Papstes sind übrigens ein deut-
licher Wink nach München, wo der Prinzregent der Prin-
zessin Ludwig Ferdinano eine Romreise untersagt hatte,
um Verstimmungen im Quirinal zu vermeiden.
Das Blatt berichtet
ich hätte an Mme.
eine dumme und
Was die Königin Natalie sagt.
Ueber Serbien hat sich die Königin-Mutter
Natalie einem Mitarbeiter der Magdeb. Ztg. gegenüber in
Biarritz sehr offen und scharf ausgesprochen,
darüber:
Die Königin erklärte: „Die Beschuldigung
Draga beleidigende Postkarten gerichtet, ist
infame Bosheit, die niedrige Rache einer entlassenen Kammerzofe.
Das Ganze war nur ein Vorwand, um die wenigen Beamten
meines Haushaltes in Belgrad zu entlassen und ihre Pension in
die Tasche zu stecken. Nie war ein Mann mehr in seine Frau
vernarrt, als mein armer Sohn König Alexander." „Darf ich
fragen, wie die große Herzlichkeit zwischen dem König und Draga
entstand?" „Draga ist eine jener Brünetten, die etwas darin
suchen, für Blonde zu schwärmen, ihre Romanzereien sind aller-
dings nichts als stroherner Mondschein, aber so künstlich sie auch
sind, ihre erlogene Sentimentalität und ihr weltgewandtes
Raffinement siegten dann bald über den volle 15 Jahre jüngeren
König. Möge die Komödie ihr nicht zum Drama werden. Die
Geschichte begann mit heimlichen Spaziergängen im Mondschein,
um die bald Jedermann wußte. Dann folgten Scenen, in denen
Draga sich in wilder Leidenschaft gegen meine Ermahnungen und
strengen Verweise aufbäumte, weil ich sie ermahnte, nicht durch
ihre schuldbeladene Koketterie politische Allianzen zu Hintertreiben,
die von um so größerer Wichtigkeit waren, als sie König
Alexander erlaubt hätten, das unerträglich Joch seines Vaters
abzuschütteln, dieses bösen Genius Serbiens und des Fluches
meines ehelichen Lebens." „Eurer Majestät ist zweifellos das
Gerücht bekannt. Rußland habe, um eine deutsche Heirath zu
Hintertreiben, die Sie angeblich begünstigten, seinen Vertreter in
Belgrad angewiesen, die Liebespläne des Königs Alexander zu
begünstigen und Mme. Draga eine Million Rubel als Hochzeits-
geschenk des Zaren zu überreichen, während eine gleiche Summe
König Milan zur Verfügung gestellt werden sollte, falls er
strengste Neutralität beobachte? „Jene Gerüchte," entgegnete die
Königin, „gehen mich nichts an, aber es ist Thatsache, daß ich
lieber eine deutsche Prinzessin auf dem Throne Serbiens als
Gemahlin meines Sohnes gesehen hätte, als eine kleinliche, un-
bedeutende serbische Unterthanin, die Caprice eines Augenblicks,
ein geriebenes, intrigantes, beschränktes und engherziges Ding.
Ernst ist das Leben, wenn die Flitterwochen schwinden-, in
diesem Falle ist alles „Flitter , ob es schwindet oder nicht."
„Und wie wird das so lieblich in Belgrad angestimmte königliche
Duett ausklingen?" „Das werde ich Ihnen sagen, wenn Sie bei
Ihrem nächsten Besuche mir ankündigen, daß König Milan wieder
einmal seine letzten Rubel verthan hat."
Deutsches Neich
— Der Reichskanzler hat sich am 15. ds. nach
Homburg v. d. H. begeben.
— Der Wirkliche Gehe me Rath Heinrich von
Kusserow, ehemaliger preußischer Gesandte in Hamburg,
ist am 15. in Bassenheim gestorben.
— Den Kindern des ehemaligen Staatssekretärs der
Marine, Hollmann, ist der erbliche Adel verliehen
worden. Hollmann hat für sich selbst, wie s. Zt. auch
Falk, auf den Adel verzichtet.
Homburg, 15. Okt. Folgendes Bulletin über
den Gesundheitszustand Ihrer Majestät der Kaiserin
Friedrich vom 14. Oktober wird im hiesigen Taunus-
boten durch Oberbürgermeister Dr. Tettenborn veröffentlicht:
Ihre Majestät die Kaiserin Friedrich leidet seit längerer Zeit
an neuralgischen Schmerzen. Infolge andauernder Be-
schwerden hat sich allmählich ein Erschöpfungszustand bemerk-
bar gemacht, der von einem Anfall von akuter Herz-
schwäche gefolgt war. Im Anschluß daran hat sich ein
sekundärer Lungenkatarrh entwickelt, der unter leichter
Steigerung der Temperatur und wechselnder Pulsfrequenz
noch fortbesteht. Eine momentane Lebensgefahr ist gegen-
wärtig nicht vorhanden. Indessen muß die Wieder-
holung eines solchen Heizschwächezustandes als ein das
Leben unmittelbar gefährdendes Ereigniß erachtet werden.
Auf den Wunsch und mit Rücksicht auf die hohe Patientin
ist bisher von der Ausgabe von Bulletins Abstand genom-
men worden. Friedrichshof, 14. Oktober. Gez. Professor
Renvers. Leibarzt Tr. Spielhagen.
Baden. Es ist sehr beachtenswcrth, daß das Schrei-
ben des Erzbischofs über die christlichen Gewerkschaften
von Centrumsblättern abfällig beurtheilt wird. So schreibt
die Köln. Volkszeitung:
Wir stehen nicht an, diese Kundgebung als eine tief bedauer-
liche zu bezeichnen, die sich nur durch irrige Information des
Herrn Erzbischofs von Freiburg erklären läßt. Die Freiburger
Kundgebung wendet sich in einer jeden Zweifel ausschließenden
Weise und mit großer Schärfe auch im Ausdruck gegen die christ-
liche Gewerkschaftsbewegung schlechthin, bei der das Wort christ-
lich „nur ein leerer Schall und Aushängeschild" sei, die mit „un-
ausbleiblicher Konsequenz nur der Sozialdemokratie zu Gute
kommen" könne. Dieser Vorwurf trifft zahlreiche Männer geist-
lichen und weltlichen Standes, auch hervorragende Parlamentarier
des Centrums, deren ganze Vergangenheit einen solchen Verdacht
unbedingt ausschließt. Weit über lOOOliO deutsche Arbeiter,
unseres Wissens überwiegend Katholiken, sind in Gewerkschaften
vereinigt, die sich ausdrücklich „christliche" nennen; um diese Be-
zeichnung als bloßes „Aushängeschild" und die Gewerkschaften
als Vorfrucht der Sozialdemokratie zu behandeln, müßte man
das bündigste BeweiSmaterial zur Hand haben.
Das Kölner Cenirumsblatt hofft also, daß die „christ-
lichen" Gewerkschaften, oder doch ein größerer Thcil der-
selben, vor dem Hingleiten zur Sozialdemokrate zu retten
sind. Der Freiburger Erzbischof ist anderer Ansicht. Wenn
badische geistliche Centrumsführer Arm in Arm mit den
Sozialdemokraten in den Wahlkampf ziehen, wenn Centrum
und Sozialdemokratie gemeinsame Siegesfeste begehen, so
werden beide einander dadurch so nahe gebracht, daß der
Uebergang der Cemrums-Gewerkschaften zur Sozialdemo-
kratie in der That nur eine Frage der Zeit ist.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Expeditionsassistent August Rund in Ettlingen wurde
nach Sichern und Expedittonsassistent Heinrich Wick in Neustadt
nach Freiburg versetzt.
Karlsruhe, 15. Okt. Am Sonntag nach der
Einweihung der Christuskirche begaben sich der Groß-
herzog und die Grobherzogin mit der Prinzessin Wilhelm
und der Erbprinzessin von Anhalt in das Atelier des
Bildhauers Professors Volz, wo der Generalleutnant z. D.
Hofmann anwesend war. Professor Volz zeigte dem hohen
Besuche seinen Entwurf für ein „Prinz Wilhelm-Denkmal."
Die höchsten Herrschaften waren von dieser werthvollen
künstlerischen Arbeit sehr befriedigt und freuten sich über
die schöne Auffassung und Wiedergabe der Persönlichkeit
des theueren Heimgegangenen. Montag früh hörte der
Großherzog den Vortrag des Geheimen Legationsraths
2)
Ein Opfer.
Roman von B. Saworra.
Autorisirte Bearbeitung nach dem Englischen.
(Fortsetzung.)
Mi.-Mas kann ich für Sie thun? Kann ich Ihnen irgend-
lut. °?bllfl>ch sein?" fragte Doktor Grävener d'e ihn zurück-
lende Dame.
ei-"Ha — darum erlaubte ich mir, Sie anzureden: ich habe
»er, A^e an Sie; aber davon nachher! Diese Dame möchte
Ihre Hilfe in Anspruch nehmen; möchten Sie ihr zuerst
^ Aufmerksamkeit zuwenden?"
he-^'org Grävener bewundert die Ruhe und Selbstbe-
t>at- i "S des jungen Mädchens. Er hat als Arzt berech-
Widerwillen gegen hysterische Erregung und weiß ruhige
'Ung doppelt zu schätzen,
dj »Wollen Sie ihr gütigst rathen, was sie tbun soll?" fährt
Dame fort. „Sie muß durchaus nach London
»Mn beute Nacht. Ihr Gatte wird in großer Sorge
kia»i ^>n. Sie möchie sobald als irgend möglich nach
^.Mückgelangen."
Üekst ^vener blickt schnell Von dem Mädchen, das vor ihm
»ach der vollständig hilflos auSsehenden Frau uu
länmi "rs Fensters. Sie lehnt müde an der weiß ge-
d>Nai,L Wand und blickt wie abwesend in die Dunkelheit
bervnr 2br braunes, reiches Haar ist unter dem Hute
akguollen und hängt unordentlich, in halb gelösten
ketn/x" über ihre Schultern. In ihrer Apathie regt sie
kein »o^ wieder zu ordnen. Doktor Grävener fühlt
^iner " "ei solchem Sichgehenlassen; es liegt nicht in
Mild« ^eatur thatenloser Schwäche gegenüber Nachsicht und
üben. Er wendet sich wieder dem Mädchen zu.
»oie Reifenden werden nach Deerham befördert," sagt
er. „In weniger als einer Stunde werden sie es erreichen,
zeitia genug, um in den Zug zu gelanacn, der um 9 Uhr
30 Minuten nach London abgeht. Hallod, Fvxley — bist
Du es?" Die letzie» Worte gelten einem groycn jungen
Mann, der soeben an der offenen Thür vorüberschreilet;
sofort bleibt er stehen.
„Fährst Du nach Deerham?" ruft Georg Grävener-
„Jawohl —, der Zug geht sogleich ab."
„Bitte, nimm diese Dame unter Deinen Schutz. Sie muß
auch noch heute Abend nach London zurückkehren."
Die Frau an dem Fenster ist noch zu benommen, um
sprechen zu können. Sie äußert kein Dankeswort, sie folgt
dem jungen Mann verwirrt, hiflos, wie ein erschrecktes Kind.
Ein Zittern geht durch ihre Glieder, lastend streckt sie die
Hände aus, als ob das Zimmer dunkel wäre.
Der junge Mann bietet ihr seinen Arm und sie ver-
schwinden aus dem Gesichtskreise.
„Nun. gnädiges Fräulein," sagt Georg Grävener ruhig,
„womit kann ich Ihnen dienen?"
Das junge Mädchen zögert mit der Antwort. Ihr Antlitz
ist todtenblctch, sie sucht ihre Selbstbeherrschung krampfhaft
auf.-echt zu erhalten, aber er sieht, wie ein Zittern sie durch-
fährt. Sic wendet ihre Augen von dem Arzt nach der ge-
schlossenen Thür des kleinen Nebenzimmers.
„Ist er verwundet?" fragt sie.
„Er liegt am Sterben!" sagt Grävener ruhig.
Plötzlich har sein Ausdruck sich geändert. Fest, mit
ernstem Forschen blickt er nach ihr hm. sie ist ein wenig
zurückgetrelcn, bis zu dem Holzstuhl, der vor dem Tisch stehl;
sie legt ihre Hände auf die Lehne, umfaßt sie krampshast.
Unwillkürlich schaut er auf diese Hände, er bemerkt, daß sie
keinen Rtng trägt. Dann suchen seine Augen noch einmal
prüiend ihr Antlitz.
„Waren Sie mit ihm?" fragt er in ruhigem, aber etwas
strengem Tone. „Sind Sie die Dame, die er zu sehen
wümchie?"
Das Mädchen machte eine erneute Anstrengung, ruhig
und gefaßt zu erscheinen, unbefangen seinem Blick standzu-
ballen, ohne Beben zu sprechen, aber sie muß ihre ganze
Kraft zusammennebmen.
„Ich möchte ihn gern sehen," sagte sie nach einer Pause.
„Gerade darum wollte ich Sie bitten. Ich darf ihn doch
sehen, nicht wahr? Ich muß es."
Ohne ein Wort der Erwiderung tritt Georg Grävener
näher, er geht nach der Thür des kleinen Zimmers; als er
sie öffnet, legt das junge Mädchen die Hand aus seinen Arm.
„Bitte, lassen Sie mich allein hineingehen," fleht sie.
Schweigend giebt er seine Zustimmung. Er öffnet die
Thür, um sie eintreten zu lassen, dann schließt er sie lang-
sam hinter sich. Er seufzt, halb sorgenvoll, halb ungeduldig.
Das also ist Frau Lewis — dieses Mädchen mit dem süßen,
lieben Gesicht, den treuen Augen! Eine Dame, deren
Namen nur zögernd, unsicher von dem Manne genannt
wurde, der sich für ihren Gatten ausgab — eine Dame,
deren Hand nicht das Symbol ihrer Frauenwürde trägt!
_ (Fortsetzung folgt.)
Stadt-Theater.
O Heidelberg, 16. October.
„Iphigenie auf Tauris", von Goethe.
Als Goethe im Jahre 1802 einmal an Schiller über die
Iphigenie schreibt, sie sei „ganz verteufelt human", antwortet
Schiller: „Das, was Sie das Humane darin nennen, wird
diese Probe besonders gut aushalten." Und Schiller irrte sich
nicht.
Das deutsche Bürgerthum, solange es für Verfassung und
Freiheit kämpfte, hat überall die „Iphigenie" begeistert ausge-
nommen ; und wenn an einer entscheidenden Stelle des
Stückes Thoas sagt ^Erster Entwurf 1779): „Du weißt, daß Du
mit einem Barbaren sprichst, und traust ihm zu, daß er der
Wahrhe l Stimme vernimmt?" und' Iphigenie ihm antwortet:
„Es hört sie jeder unter jedem Himmel, dem ein edles Herz,
von Göttern entsprungen, den Busen wärmt", so war damit