Erscheint täglich.
Sonntags ausgenommen.
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mit Familienbläftern
monatlich 50 Pf.
frei in's Haus gebracht.
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Vierteljahr!. 1.25 Mk.
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15 Pf. für die Ispaltige
Petitzeile oder deren Raum.
Für hiesige Geschäfts- und
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der Inserate auf den Plakat«
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulm.
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«r. 153.
Dmumstas, den 5. Juli
I90V.
Wochenchronik.
(Vom 24. bis zum 30. Juni.)
Juni 24.: Rußland bringt die Truppen des Amur'schen Militär-
bezirks in Kriegszustand.
„ 2S.: In Mainz findet eine große Gutenbergfeier
mit einem prächtigen Festzug statt.
„ 25.: General Seymour ist von dem aus Tientsin abge-
gegangenen Hilfskorps entsetzt worden; er kehrt nach
Tientsin zurück, ohne Peking erreicht zu haben, also
auch ohne die Gesandten.
„ 26.: Admiral Seymour hat 62 Tobte und 200 Ver-
wundete. Lei seiner Befreiung durch das Entsatz-
korps erleidet auch dieses beträchtliche Verluste. 13
Deutsche sind gefallen, 23 verwundet worden.
„ 28.: Die 2. bad. Kammer stimmt der Abschaffung des
Orgelparagraphen im Elementarunterrichtsgesetz zu.
„ 28.: Erzherzog Franz Ferd inand erklärt in feier-
licher Weise seine demnächst zu schließende Ehe mit der
Gräfin Chotek für eine morganatische, die daraus etwa
entspringenden Kinder für unebenbürtig und weder in
Oesterreich noch in Ungarn thronfolgeberechtigt.
„ 29.: Ter B u r e n kr ie g in Südafrika hat den Charakter
eines Guerillakrieges angenommen. Er kann sich noch
beträchtlich in die Länge ziehen.
„ 30.: Der Kreuzer „Fürst Bismarck" geht nach O st-
asien ab.
„ 30.: Die Landungsbrücken des Nordd. Lloyd in H o-
bokcn brennen ab; dabei werden die Schiffe
„Main", „Bremen" und „Saale" schwer beschädigt.
Zahlreiche Menschenleben gehen dabei zu Grunde.
Rede des Kaisers über die Weltpolitik.
Wilhelmshaven, 3. Juli. Zum Stapellauf des
Linienschiffes „Wittelsbach" war das Kaiser-
paar, das Großherzogspaar von Oldenburg und Prinz
Rupprecht von Bayern erschienen. Letzterer führte die
Kaiserin. Ferner waren zugegen Graf Bülow, Admiral
v. Tirpitz, der Gesandte Bayerns Graf Lerchenfeld, die
Admiralität und das Gefolge des Kaiserpaares. Die
Werftarbeiter standen auf und neben dem Schiffe, auf den
Tribünen befand sich ein zahlreiches Publikum. Der
Stapcllauf ging glatt von statten. Der Kaiser schritt die
von der Matrosenartillerie gestellte Ehrenkompagnie ab und
ließ sich Werftbeamle vorstellen.
Nach dem Stapellauf des „Wittelsbach" fand im Offi-
zierskasino ein Festmahl statt. Prinz Rupprecht von
Bayern sprach hierbei seinen Dank und seine Freude aus
für seine Stellung L 1a. arrits des Seebataillons und schloß
Mit einem Hoch auf den Kaiser. Der Kaiser erhob sich
hierauf zu folgendem Trinkspruch:
Ew. König!. Hoheit danke ich für die freundlichen
Worte, welche Sie an mich zu richten die Güte hatten.
Ew. Kgl. Hoheit haben heute bei der Taufe des neuen
Schiffes die Unterstützung erwähnt, welche die Wittels-
bacher den deutschen Kaisern zu Theil werden ließen.
Ich möchte dabei noch an eine Episode aus der Vor-
geschichte unserer Häuser erinnern: Auf den Gefilden von
Rom war es einem Vorfahren Ew. Königl. Hoheit im
Verein mit einem meiner Vorfahren beschicken, einer
seltenen Auszeichnung theilhaftig zu werden. Hoch zu
Roß, in Stahl gepanzert, angesichts der feindlichen
Reitergeschwader, erhielten sie durch Kaiser Heinrich VII.
den Ritterschlag. Der Vorgang ist im Bilde auf der
Jacht „Hohenzollern" verewigt. Die Nachkommen jener
tapferen Fürsten halfen sich gegenseitig bei Mühldorf,
wo der Hohenzoller dem König Ludwig von Bayern die
Schlacht gewann. Wie damals der Wittelsbacher und
der Hohenzoller Seite an Seite kämpften für das Wohl
des Volkes, so wird es auch jetzt und in Zukunft ge-
schehen. Ew. Kgl. Hoh. hatte in diesen Tagen Gelegenheit,
wichtigen Entschlüssen bcizuwohncn und Zeuge historischer
^ Augenblicke zu sein, die einen Markstein in der Geschichte
unseres Volkes bedeuten. Ew. Kgl. Hoh. konnten sich über-
zeugen, wie mächtig der Wellenschlag des Ozeans an unseres
Volkes Ohr klopft und es zwingt, als ein großes Volk
seinen Platz in der Welt zu behaupten, mit einem
Worte zur Weltpolitik. Der Ozean ist unent-
behrlich für Deutschlands Größe, aber der
Ozean beweist auch, daß auf ihm und in der Ferne
jenseits von ihm ohne Deutschland, ohne den deutschen
Kaiser keine große Entscheidung mehr fallen darf. Ich
bin nicht der Meinung, daß unser deutsches
Volk, das vor30 Jahren unter der Führung
seiner Fürsten gesiegt und geblutet, sich bei
Seite schieben lasse. Geschähe das, so wäre
es ein für alle Mal mit der Weltmacht-
stellung des deutschen Vol kes vorbei. Ich bin
nicht gewillt, es einst dazu kommen zu lassen. Hierfür
geeignete und wenn es sein muß, auch die schärfsten
Mittel rücksich slos anzuwenden, ist nicht nur
meine Pflicht, sondern auch schönstes Vorrecht. Ich bin
überzeugt, daß ich hierbei Deutschlands Fürsten und
das gesammte Volk fest geschlossen hinter mir habe.
Daß Ew. Kgl. Hoheit die Ehrenstellung L In suits
des Seebataillons anzunehmen geruhten, ist von hoher
Bedeutung, gerade in dem Augenblicke, wo Bayern,
Württemberger, Sachsen und Preußen nach dem fernen
Osten gehen, um die Ehre der deutschen Flagge herzu-
stellen. Wie das Haus Wittelsbach 1870 zu den
Waffen griff, um für Deutschlands Ehre, Einigung und
Kaiserwürde zu fechten, jo möge ich alle Zeit des edlen
Geschlechtes Unterstützung sicher sein. Als Vertreter
dieses erlauchten Hauses begrüße ich Ew. Kgl. Hoheit
mit dem Wunsche, daß die engen Beziehungen, in
Ew. Kgl. Hoheit durch die Stellung L la suits zu meiner
Marine getreten sind, alle Zeit Euer Kgl. Hoheit In-
teresse für dieselbe lebendig erhalten mögen. Ich trinke
auf das Wohl Sr. Kgl. Hoheit des Prinzen Rupprecht
von Bayern. Hurra, Hurra, Hurra!"
Preßftimmen über die erste Wilhelmshavner
Rede des Kaisers.
Die Ansprache des Kaisers an die für China bestimmten
Truppen hat in der europäischen Presse sehr leb-
haften Wiederhall gefunden. Alle größeren Blätter
Oesterreich-Ungarns sprechen sich zustimmend aus.
In der Londoner Presse findet die Rede beifälligste Auf-
nahme. Sowohl der berechtigte und beredte Ausdruck
zorniger Entrüstung, die im rechten Augenblick frei von
mattherziger Empfindsamkeit das Wort „Rache" aussprach,
als anderseits die staatskluge Beschränkung, die dabei das
Zusammengehen der Mächte festhielt, finden allgemeine
Würdigung und Zustimmung; in den namhaftesten Blättern
wie im Privatgcspräch in London verlautet durchweg der
Gedanke, die Kaiserrede habe in einem Augenblick erschüt-
ternder Spannung einschlagend und tonangebend gewirkt.
Die französischen Blätter sind von der Rede des Kaisers
geradezu entzückt. So schreibt der Figaro, die Rede
Kaiser Wilhelms habe in Frankreich einen starken
Wieder hall gefunden. Der Kaiser habe jene Sprache
geführt, der Frankreich immer Beifall zollen werde. Er
habe, wie schon so oft, auch diesmal den richtigen beredten
Ton angeschlagen. Wenn man die Ansprache in ihren
Einzelheiten prüfe, so sehe man, daß sie von politischem
Geiste allerersten Ranges erfüllt sei. Kaiser Wilhelm habe
eine Soldaten daran erinnert, daß die Russen, Engländer
und Franzosen für die Sache der Civilisation und des
Christenthums kämpfen. Diese patriotischen Worte, ange-
stchts deren alle Meinungsverschiedenheiten verschwänden,
müsse man rückhaltlos bewundern. Der Matin
erklärt, die Ansprache des Kaisers gebe in beredter Weise
dem Gefühle der Solidarität Ausdruck, das ange-
sichts der gemeinsam erlittenen Unbilden die Herzen
aller Europäer erfüllen. Der Sinn der Rede gehe
dahin, daß die Fahne nicht einer einzelnen Macht, sondern
der Mächte von ganz Europa, die sich zu einem Werke
der Menschlichkeit und Civilisation vereinigt haben, auf
den Mauern von Peking wehen müßten. Die „Lanterne"
schreibt, es sei unmöglich, sich tha tkräfti ger und klarer
auszusprecheu; eine solche Erklärung käme ungefähr einer
Kriegserklärung gleich.
Die Vorgänge in China.
Der Londoner Daily Expreß meldet aus Shanghai
vom 2. Juli: An dem Tage, an dem der deutsche Ge-
sandte ermordet wurde, waren alle Gesandten
in Peking aufgcsordert, nach dem Tsung-li-Iamen sich
zu begeben. Der englische, französische, russische und ame-
rikanische Gesandte weigerten sich, das Gcsandtschafts-
gebäude zu verlassen. Der deutsche Gesandte nahm die
Einladung au und verließ das Gesandtschaftsgebäude mit
einer kleinen Begleitung deutscher Marinesoldaten. Als er
vor dem Tsung-li-Iamen eintraf, wurde er von einer u n-
geheuren Menge chinesischer Soldaten an-
gegriffen und erhielt vier Schußwunden. Das Tsung-
li-Iamen wurde von dendeutschenMarinesoldaten
in Brand gesteckt. Die Aufrührer griffen die Ge-
saudtschaftsgebäude, von denen nur das englische, deutsche
und italienische übrig blieben, an. Die englische Gesandt-
schaft ist stark beschossen. Die englischen Wachen erlitten
große Verluste, da Munitionsmangel sie zwang, das Feuer
einzuschränken.
Auch der Londoner Daily Mail meldet, daß Herr v.
Ketteler in der geschilderten Weise das Opfer eines An-
schlags geworden sei, den man gegen sämmt liche Gesandten
gerichtet habe. Bestätigt sich diese Nachricht , dann wird
das Verschulden der gegenwärtigen Machthaber noch größer.
Von dem Zolldirektor Robert Hart, der sich schon lange
in chinesischen Diensten befindet und — wie es scheint —
sich unangefochten in Peking aufhält, ist ein Kurier in
Tientsin eingetroffen, welcher bestätigt, daß am 25. Juni
außer der deutschen, der englischen und der italienischen
Gesandtschaft alle übrigen Gesandtschaften in Peking zer-
stört waren und daß sämmtliche Diplomaten in der eng-
lischen Gesandtschaft von chinesischen Truppen beschossen
wurden. Der Kurier schilderte die Lage der britischen Ge-
sandtschaft als schrecklich. Sie sei mit Kranken und Ver-
wundeten gefüllt. Getödtete lägen haufenweise innerhalb
und außerhalb der Gesandtschaftsgebäude. Gefallene aller
Nationen lägen durcheinander. Seitdem sind zwei Wochen
verflossen. Die Lage muß für die Europäer noch schlim-
mer geworden sein. Wer weiß, ob noch einer von
ihnen lebt!
Die Zahl der in Peking befindlichen Gesandtschaftsmit-
glieder und Ausländer ist auf etwa 250 Köpfe anzusetzen,
die Schutzwachen belaufen sich zusammen auf 430 Mann,
nämlich 50 Deutsche, 79 Engländer, 75 Russen, 75 Fran-
zosen, 58 Amerikaner, 40 Italiener, 30 Oesterreicher und
23 Japaner. Ein Zug nach Peking, der vor drei Wochen
vielleicht noch mit 5000 Mann möglich war, wird Heute,
wo das ganze Land bis zur Küste in Aufruhr ist und die
ganze Etappenstraße von Peking bis Taku zu decken ist,
wohl das zehnfache Aufgebot erfordern. Laut Meldung
des britischen Admirals bestand das bis zum 30. Juni
Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
30) (Fortsetzung.)
„Frau Bruscher war immer um den Weg und von einer
Unermüdlichen Wachsamkeit, welche etwas Verletzendes hatte.
Mein Alleinsein mit dem Professor beschränkte sich, außer
^enn ich ihn in die Kirche bealeitete, nur auf die Stunden,
Mo ich ihm vorlas. stets aber fand sie dann einen
lZvrwand, sich im Zimmer irgend etwas zu schaffen zu
Aachen, und dann trat sie gewöhnlich so überraschend ein,
selbst der harmlose Gelehrte sich unangenehm davon be-
ehrt fühlte.
„Eines Tages erhielt ich von zu Hause einen Brief, der
Avc den Tod meiner Mutter meldete. Wo hätte ich in meinem
schmerze einen besseren Trost, eine tiefere Theilnahme suchen
-°vnen als bei meinem edlen Herrn, den ein inniges Freund-
l^aftsband einst mit der nun Entschlafenen verknüpft haben
Mtzte. Als er mich eintreten sah, das Taschentuch vor den
.^weinten Augen, in der Hand den offenen Brief mit dem
N, >ten schwarzen Trauerrande, ahnte er sogleich, welche
»""de ich ihm brachte, und in heftiger innerer Bewegung
Zufuhr ihm der Ausruf: „„Amalie ist todt! sie ist todt!""
» war der Vorname meiner Mutter, den ich ihn zum ersten-
T» - ?)Ebreche» hörte. Ich hatte nur ein stummes Nicken,
sn?. '">loß er mich, überwältigt von einem Schmerze, der mich
erschreckte, in seine Arme. „„Meine arme Konftanze,""
H,kr er, „Du hast die Mutter verloren, aber Dein Vater lebt
i»°i ""A Dein wahrer ächter Vater — ich bin es. Ja, in
tzJ kr stunde sollst Du es wissen, daß Du meine Tochter,
lnir , "d bist, und nie werde ich dich von meinem Herzen
m l°"»k es noch schlägt."
UniC l Georgi war Ihr Vater?" rief Gerth erstaunt,
" w plötzlich flog vor seinem geistigen Blicke Schleier um
Schleier von dem Geheimnisse empor, welches Konftanze um-
hüllt hatte, daß er sich kaum schnell genug in der ihm
ganz neuen Stellung zurechtzufinden vermochte, die er Kon-
stanze so überraschend in der Verkettung von Jntriguen
und Wirrnissen einnehmen sah, deren unschuldiges Opfer sie
geworden war.
„Ja, er war mein Vater." sagte sie leise. „Im Stillen
bereits mit meiner Mutter verlobt, trat er als junger Docent
eine wissenschaftliche Reise nach Aegypten und Indien an.
Nach seiner Rückkehr wollte er um ihre Hand anhalten. In
Indien erkrankte er und lag Monate lana schwer darnieder,
von jeder Verbindrng mit der zivilisirten Welt abgeschnitten.
Ehe ich geboren ward, wurde meine Mutter durch ihre sitten-
strengen Eltern gezwungen» einen auswärts wohnenden jungen
Kaufmann zu heirathen. der ihren Fehltritt mit seinem Namen
zudeckte, ehe er offenkundig ward. Dieser Mann, der durch
das kleine Vermögen meiner Mutter in den Stand gesetzt
wurde, ein eigenes Geschäft zu gründen, war Herbronn, den
ich bis zu jenem Tage für meinen wirklichen Vater gehalten
und tief betrauert habe, als ich — im Gefängniß — sein
tragisches Ende erfuhr.
„Als Georgi von seiner langen Reise zurückkehrte, wurde
er vom Vater meiner Mutter hart zurückgewiesen, nie erfuhr
er deren Aufenthalt, nie den Namen ihres Gatten Er solle
sie als todt betrachten, wurde ibm gesagt. Meine Mutter
fügte sich, sie war sich ihrer Pflichten gegen den Mann
bewußt, der sie vor Schande bewahrt, und dem sie am Altar
Treue gelobt hatte. Nie gab sie dem Geliebten ihrer Jugend-
jahre ein Lebenszeichen, obwohl sie über den berühmt ge-
wordenen Archäologen zuweilen in der Zeitung las und aus
dieser Quelle auch den Ort seines Wirkungskreises kannte.
Als sie fühlte, daß sie bald sterben werde, und mein künftiges
Schicksal bedachte, empfahl sie mich seiner Fürsorge, seinem
Schutze, und entdeckte ihm. daß ich seine Tochter sei. Der
Brief, den ich ihm überbrachte, war das erste Lebenszeichen,
das er nach achtzehn langen Jahren wieder von ihr erhielt.
Bei meinem Anblick hatte er geglaubt, sie selbst zu sehen, wie
sie emst gewesen, denn ich bin ihrem Jugend ilde sprechend
ähnlich."
Konftanze schwieg. Das laute Bekenntniß, welches sie
noch niemals ausgesprochen, sondern bisher still in ihrer
Brust verschlossen, hatte alle schmerzlichen Erinnerungen
wieder in ihr aufgewühlt, alte Wunden von neuem aufge-
rlssen. Sie war sehr angegriffen und brachte lange Zeit kein
Wort mehr hervor.
„Professor Georgi — Ihr Vater!" wiederholte Gerth, aus
einem tiefen Nachdenken erwachend, wie im Selbstgespräch;
denn dieser Gedanke drehte sich in seinem Geiste beständig in
einem Kreise, über den er nicht hinauskommen konnte.
„Und ihn sollte ich, sein Kind, seine von ihm so zärtlich
geliebte Tochter, — ihn sollte ich grausam ermordet haben!"
rief Konftanze, den Blick anklagend nach oben gerichtet, „und
die Hand, mit der ich in rasendem Schmerz über sein blutiges
Haupt strich, wurde gegen mich zur Anklägerin; und weil ich
nicht verrathen konnte, welche innigen Beziehungen mich mit
dem Tobten verbanden, nahm man meine Verwirrung für
ein Anzeichen meiner Schuld!"
_ (Fortsetzung folgt.)
Stadt-Theater.
/I Heidelberg, 5. Juli.
Gastspiel Adalbert Matkowsky.
„Kean" oder Genie und Leidenschaft. Lustspiel
in 5 Aufzügen frei nach dem Französischen des Alex. Dumas,
von Ludwig Barnay.
Wenn das Stück nicht schon nach dem großen englischen
Tragöden „Kean" genannt worden wäre, hätte man es auch
„Davison", „Sonnenthal", „Matkowsky" nennen, oder ihm den
Namen irgend eines anderen hervorragenden Schauspielers geben
können. Was an ihm interessant ist, das ist der Blick in das
Naturell, in das Seelenleben und auf das äußere Gebähten eines
bedeutenden Schausp ielcrs.
Das Andere ist Beiwerk und demnach von untergeordneter
Sonntags ausgenommen.
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(Vom 24. bis zum 30. Juni.)
Juni 24.: Rußland bringt die Truppen des Amur'schen Militär-
bezirks in Kriegszustand.
„ 2S.: In Mainz findet eine große Gutenbergfeier
mit einem prächtigen Festzug statt.
„ 25.: General Seymour ist von dem aus Tientsin abge-
gegangenen Hilfskorps entsetzt worden; er kehrt nach
Tientsin zurück, ohne Peking erreicht zu haben, also
auch ohne die Gesandten.
„ 26.: Admiral Seymour hat 62 Tobte und 200 Ver-
wundete. Lei seiner Befreiung durch das Entsatz-
korps erleidet auch dieses beträchtliche Verluste. 13
Deutsche sind gefallen, 23 verwundet worden.
„ 28.: Die 2. bad. Kammer stimmt der Abschaffung des
Orgelparagraphen im Elementarunterrichtsgesetz zu.
„ 28.: Erzherzog Franz Ferd inand erklärt in feier-
licher Weise seine demnächst zu schließende Ehe mit der
Gräfin Chotek für eine morganatische, die daraus etwa
entspringenden Kinder für unebenbürtig und weder in
Oesterreich noch in Ungarn thronfolgeberechtigt.
„ 29.: Ter B u r e n kr ie g in Südafrika hat den Charakter
eines Guerillakrieges angenommen. Er kann sich noch
beträchtlich in die Länge ziehen.
„ 30.: Der Kreuzer „Fürst Bismarck" geht nach O st-
asien ab.
„ 30.: Die Landungsbrücken des Nordd. Lloyd in H o-
bokcn brennen ab; dabei werden die Schiffe
„Main", „Bremen" und „Saale" schwer beschädigt.
Zahlreiche Menschenleben gehen dabei zu Grunde.
Rede des Kaisers über die Weltpolitik.
Wilhelmshaven, 3. Juli. Zum Stapellauf des
Linienschiffes „Wittelsbach" war das Kaiser-
paar, das Großherzogspaar von Oldenburg und Prinz
Rupprecht von Bayern erschienen. Letzterer führte die
Kaiserin. Ferner waren zugegen Graf Bülow, Admiral
v. Tirpitz, der Gesandte Bayerns Graf Lerchenfeld, die
Admiralität und das Gefolge des Kaiserpaares. Die
Werftarbeiter standen auf und neben dem Schiffe, auf den
Tribünen befand sich ein zahlreiches Publikum. Der
Stapcllauf ging glatt von statten. Der Kaiser schritt die
von der Matrosenartillerie gestellte Ehrenkompagnie ab und
ließ sich Werftbeamle vorstellen.
Nach dem Stapellauf des „Wittelsbach" fand im Offi-
zierskasino ein Festmahl statt. Prinz Rupprecht von
Bayern sprach hierbei seinen Dank und seine Freude aus
für seine Stellung L 1a. arrits des Seebataillons und schloß
Mit einem Hoch auf den Kaiser. Der Kaiser erhob sich
hierauf zu folgendem Trinkspruch:
Ew. König!. Hoheit danke ich für die freundlichen
Worte, welche Sie an mich zu richten die Güte hatten.
Ew. Kgl. Hoheit haben heute bei der Taufe des neuen
Schiffes die Unterstützung erwähnt, welche die Wittels-
bacher den deutschen Kaisern zu Theil werden ließen.
Ich möchte dabei noch an eine Episode aus der Vor-
geschichte unserer Häuser erinnern: Auf den Gefilden von
Rom war es einem Vorfahren Ew. Königl. Hoheit im
Verein mit einem meiner Vorfahren beschicken, einer
seltenen Auszeichnung theilhaftig zu werden. Hoch zu
Roß, in Stahl gepanzert, angesichts der feindlichen
Reitergeschwader, erhielten sie durch Kaiser Heinrich VII.
den Ritterschlag. Der Vorgang ist im Bilde auf der
Jacht „Hohenzollern" verewigt. Die Nachkommen jener
tapferen Fürsten halfen sich gegenseitig bei Mühldorf,
wo der Hohenzoller dem König Ludwig von Bayern die
Schlacht gewann. Wie damals der Wittelsbacher und
der Hohenzoller Seite an Seite kämpften für das Wohl
des Volkes, so wird es auch jetzt und in Zukunft ge-
schehen. Ew. Kgl. Hoh. hatte in diesen Tagen Gelegenheit,
wichtigen Entschlüssen bcizuwohncn und Zeuge historischer
^ Augenblicke zu sein, die einen Markstein in der Geschichte
unseres Volkes bedeuten. Ew. Kgl. Hoh. konnten sich über-
zeugen, wie mächtig der Wellenschlag des Ozeans an unseres
Volkes Ohr klopft und es zwingt, als ein großes Volk
seinen Platz in der Welt zu behaupten, mit einem
Worte zur Weltpolitik. Der Ozean ist unent-
behrlich für Deutschlands Größe, aber der
Ozean beweist auch, daß auf ihm und in der Ferne
jenseits von ihm ohne Deutschland, ohne den deutschen
Kaiser keine große Entscheidung mehr fallen darf. Ich
bin nicht der Meinung, daß unser deutsches
Volk, das vor30 Jahren unter der Führung
seiner Fürsten gesiegt und geblutet, sich bei
Seite schieben lasse. Geschähe das, so wäre
es ein für alle Mal mit der Weltmacht-
stellung des deutschen Vol kes vorbei. Ich bin
nicht gewillt, es einst dazu kommen zu lassen. Hierfür
geeignete und wenn es sein muß, auch die schärfsten
Mittel rücksich slos anzuwenden, ist nicht nur
meine Pflicht, sondern auch schönstes Vorrecht. Ich bin
überzeugt, daß ich hierbei Deutschlands Fürsten und
das gesammte Volk fest geschlossen hinter mir habe.
Daß Ew. Kgl. Hoheit die Ehrenstellung L In suits
des Seebataillons anzunehmen geruhten, ist von hoher
Bedeutung, gerade in dem Augenblicke, wo Bayern,
Württemberger, Sachsen und Preußen nach dem fernen
Osten gehen, um die Ehre der deutschen Flagge herzu-
stellen. Wie das Haus Wittelsbach 1870 zu den
Waffen griff, um für Deutschlands Ehre, Einigung und
Kaiserwürde zu fechten, jo möge ich alle Zeit des edlen
Geschlechtes Unterstützung sicher sein. Als Vertreter
dieses erlauchten Hauses begrüße ich Ew. Kgl. Hoheit
mit dem Wunsche, daß die engen Beziehungen, in
Ew. Kgl. Hoheit durch die Stellung L la suits zu meiner
Marine getreten sind, alle Zeit Euer Kgl. Hoheit In-
teresse für dieselbe lebendig erhalten mögen. Ich trinke
auf das Wohl Sr. Kgl. Hoheit des Prinzen Rupprecht
von Bayern. Hurra, Hurra, Hurra!"
Preßftimmen über die erste Wilhelmshavner
Rede des Kaisers.
Die Ansprache des Kaisers an die für China bestimmten
Truppen hat in der europäischen Presse sehr leb-
haften Wiederhall gefunden. Alle größeren Blätter
Oesterreich-Ungarns sprechen sich zustimmend aus.
In der Londoner Presse findet die Rede beifälligste Auf-
nahme. Sowohl der berechtigte und beredte Ausdruck
zorniger Entrüstung, die im rechten Augenblick frei von
mattherziger Empfindsamkeit das Wort „Rache" aussprach,
als anderseits die staatskluge Beschränkung, die dabei das
Zusammengehen der Mächte festhielt, finden allgemeine
Würdigung und Zustimmung; in den namhaftesten Blättern
wie im Privatgcspräch in London verlautet durchweg der
Gedanke, die Kaiserrede habe in einem Augenblick erschüt-
ternder Spannung einschlagend und tonangebend gewirkt.
Die französischen Blätter sind von der Rede des Kaisers
geradezu entzückt. So schreibt der Figaro, die Rede
Kaiser Wilhelms habe in Frankreich einen starken
Wieder hall gefunden. Der Kaiser habe jene Sprache
geführt, der Frankreich immer Beifall zollen werde. Er
habe, wie schon so oft, auch diesmal den richtigen beredten
Ton angeschlagen. Wenn man die Ansprache in ihren
Einzelheiten prüfe, so sehe man, daß sie von politischem
Geiste allerersten Ranges erfüllt sei. Kaiser Wilhelm habe
eine Soldaten daran erinnert, daß die Russen, Engländer
und Franzosen für die Sache der Civilisation und des
Christenthums kämpfen. Diese patriotischen Worte, ange-
stchts deren alle Meinungsverschiedenheiten verschwänden,
müsse man rückhaltlos bewundern. Der Matin
erklärt, die Ansprache des Kaisers gebe in beredter Weise
dem Gefühle der Solidarität Ausdruck, das ange-
sichts der gemeinsam erlittenen Unbilden die Herzen
aller Europäer erfüllen. Der Sinn der Rede gehe
dahin, daß die Fahne nicht einer einzelnen Macht, sondern
der Mächte von ganz Europa, die sich zu einem Werke
der Menschlichkeit und Civilisation vereinigt haben, auf
den Mauern von Peking wehen müßten. Die „Lanterne"
schreibt, es sei unmöglich, sich tha tkräfti ger und klarer
auszusprecheu; eine solche Erklärung käme ungefähr einer
Kriegserklärung gleich.
Die Vorgänge in China.
Der Londoner Daily Expreß meldet aus Shanghai
vom 2. Juli: An dem Tage, an dem der deutsche Ge-
sandte ermordet wurde, waren alle Gesandten
in Peking aufgcsordert, nach dem Tsung-li-Iamen sich
zu begeben. Der englische, französische, russische und ame-
rikanische Gesandte weigerten sich, das Gcsandtschafts-
gebäude zu verlassen. Der deutsche Gesandte nahm die
Einladung au und verließ das Gesandtschaftsgebäude mit
einer kleinen Begleitung deutscher Marinesoldaten. Als er
vor dem Tsung-li-Iamen eintraf, wurde er von einer u n-
geheuren Menge chinesischer Soldaten an-
gegriffen und erhielt vier Schußwunden. Das Tsung-
li-Iamen wurde von dendeutschenMarinesoldaten
in Brand gesteckt. Die Aufrührer griffen die Ge-
saudtschaftsgebäude, von denen nur das englische, deutsche
und italienische übrig blieben, an. Die englische Gesandt-
schaft ist stark beschossen. Die englischen Wachen erlitten
große Verluste, da Munitionsmangel sie zwang, das Feuer
einzuschränken.
Auch der Londoner Daily Mail meldet, daß Herr v.
Ketteler in der geschilderten Weise das Opfer eines An-
schlags geworden sei, den man gegen sämmt liche Gesandten
gerichtet habe. Bestätigt sich diese Nachricht , dann wird
das Verschulden der gegenwärtigen Machthaber noch größer.
Von dem Zolldirektor Robert Hart, der sich schon lange
in chinesischen Diensten befindet und — wie es scheint —
sich unangefochten in Peking aufhält, ist ein Kurier in
Tientsin eingetroffen, welcher bestätigt, daß am 25. Juni
außer der deutschen, der englischen und der italienischen
Gesandtschaft alle übrigen Gesandtschaften in Peking zer-
stört waren und daß sämmtliche Diplomaten in der eng-
lischen Gesandtschaft von chinesischen Truppen beschossen
wurden. Der Kurier schilderte die Lage der britischen Ge-
sandtschaft als schrecklich. Sie sei mit Kranken und Ver-
wundeten gefüllt. Getödtete lägen haufenweise innerhalb
und außerhalb der Gesandtschaftsgebäude. Gefallene aller
Nationen lägen durcheinander. Seitdem sind zwei Wochen
verflossen. Die Lage muß für die Europäer noch schlim-
mer geworden sein. Wer weiß, ob noch einer von
ihnen lebt!
Die Zahl der in Peking befindlichen Gesandtschaftsmit-
glieder und Ausländer ist auf etwa 250 Köpfe anzusetzen,
die Schutzwachen belaufen sich zusammen auf 430 Mann,
nämlich 50 Deutsche, 79 Engländer, 75 Russen, 75 Fran-
zosen, 58 Amerikaner, 40 Italiener, 30 Oesterreicher und
23 Japaner. Ein Zug nach Peking, der vor drei Wochen
vielleicht noch mit 5000 Mann möglich war, wird Heute,
wo das ganze Land bis zur Küste in Aufruhr ist und die
ganze Etappenstraße von Peking bis Taku zu decken ist,
wohl das zehnfache Aufgebot erfordern. Laut Meldung
des britischen Admirals bestand das bis zum 30. Juni
Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
30) (Fortsetzung.)
„Frau Bruscher war immer um den Weg und von einer
Unermüdlichen Wachsamkeit, welche etwas Verletzendes hatte.
Mein Alleinsein mit dem Professor beschränkte sich, außer
^enn ich ihn in die Kirche bealeitete, nur auf die Stunden,
Mo ich ihm vorlas. stets aber fand sie dann einen
lZvrwand, sich im Zimmer irgend etwas zu schaffen zu
Aachen, und dann trat sie gewöhnlich so überraschend ein,
selbst der harmlose Gelehrte sich unangenehm davon be-
ehrt fühlte.
„Eines Tages erhielt ich von zu Hause einen Brief, der
Avc den Tod meiner Mutter meldete. Wo hätte ich in meinem
schmerze einen besseren Trost, eine tiefere Theilnahme suchen
-°vnen als bei meinem edlen Herrn, den ein inniges Freund-
l^aftsband einst mit der nun Entschlafenen verknüpft haben
Mtzte. Als er mich eintreten sah, das Taschentuch vor den
.^weinten Augen, in der Hand den offenen Brief mit dem
N, >ten schwarzen Trauerrande, ahnte er sogleich, welche
»""de ich ihm brachte, und in heftiger innerer Bewegung
Zufuhr ihm der Ausruf: „„Amalie ist todt! sie ist todt!""
» war der Vorname meiner Mutter, den ich ihn zum ersten-
T» - ?)Ebreche» hörte. Ich hatte nur ein stummes Nicken,
sn?. '">loß er mich, überwältigt von einem Schmerze, der mich
erschreckte, in seine Arme. „„Meine arme Konftanze,""
H,kr er, „Du hast die Mutter verloren, aber Dein Vater lebt
i»°i ""A Dein wahrer ächter Vater — ich bin es. Ja, in
tzJ kr stunde sollst Du es wissen, daß Du meine Tochter,
lnir , "d bist, und nie werde ich dich von meinem Herzen
m l°"»k es noch schlägt."
UniC l Georgi war Ihr Vater?" rief Gerth erstaunt,
" w plötzlich flog vor seinem geistigen Blicke Schleier um
Schleier von dem Geheimnisse empor, welches Konftanze um-
hüllt hatte, daß er sich kaum schnell genug in der ihm
ganz neuen Stellung zurechtzufinden vermochte, die er Kon-
stanze so überraschend in der Verkettung von Jntriguen
und Wirrnissen einnehmen sah, deren unschuldiges Opfer sie
geworden war.
„Ja, er war mein Vater." sagte sie leise. „Im Stillen
bereits mit meiner Mutter verlobt, trat er als junger Docent
eine wissenschaftliche Reise nach Aegypten und Indien an.
Nach seiner Rückkehr wollte er um ihre Hand anhalten. In
Indien erkrankte er und lag Monate lana schwer darnieder,
von jeder Verbindrng mit der zivilisirten Welt abgeschnitten.
Ehe ich geboren ward, wurde meine Mutter durch ihre sitten-
strengen Eltern gezwungen» einen auswärts wohnenden jungen
Kaufmann zu heirathen. der ihren Fehltritt mit seinem Namen
zudeckte, ehe er offenkundig ward. Dieser Mann, der durch
das kleine Vermögen meiner Mutter in den Stand gesetzt
wurde, ein eigenes Geschäft zu gründen, war Herbronn, den
ich bis zu jenem Tage für meinen wirklichen Vater gehalten
und tief betrauert habe, als ich — im Gefängniß — sein
tragisches Ende erfuhr.
„Als Georgi von seiner langen Reise zurückkehrte, wurde
er vom Vater meiner Mutter hart zurückgewiesen, nie erfuhr
er deren Aufenthalt, nie den Namen ihres Gatten Er solle
sie als todt betrachten, wurde ibm gesagt. Meine Mutter
fügte sich, sie war sich ihrer Pflichten gegen den Mann
bewußt, der sie vor Schande bewahrt, und dem sie am Altar
Treue gelobt hatte. Nie gab sie dem Geliebten ihrer Jugend-
jahre ein Lebenszeichen, obwohl sie über den berühmt ge-
wordenen Archäologen zuweilen in der Zeitung las und aus
dieser Quelle auch den Ort seines Wirkungskreises kannte.
Als sie fühlte, daß sie bald sterben werde, und mein künftiges
Schicksal bedachte, empfahl sie mich seiner Fürsorge, seinem
Schutze, und entdeckte ihm. daß ich seine Tochter sei. Der
Brief, den ich ihm überbrachte, war das erste Lebenszeichen,
das er nach achtzehn langen Jahren wieder von ihr erhielt.
Bei meinem Anblick hatte er geglaubt, sie selbst zu sehen, wie
sie emst gewesen, denn ich bin ihrem Jugend ilde sprechend
ähnlich."
Konftanze schwieg. Das laute Bekenntniß, welches sie
noch niemals ausgesprochen, sondern bisher still in ihrer
Brust verschlossen, hatte alle schmerzlichen Erinnerungen
wieder in ihr aufgewühlt, alte Wunden von neuem aufge-
rlssen. Sie war sehr angegriffen und brachte lange Zeit kein
Wort mehr hervor.
„Professor Georgi — Ihr Vater!" wiederholte Gerth, aus
einem tiefen Nachdenken erwachend, wie im Selbstgespräch;
denn dieser Gedanke drehte sich in seinem Geiste beständig in
einem Kreise, über den er nicht hinauskommen konnte.
„Und ihn sollte ich, sein Kind, seine von ihm so zärtlich
geliebte Tochter, — ihn sollte ich grausam ermordet haben!"
rief Konftanze, den Blick anklagend nach oben gerichtet, „und
die Hand, mit der ich in rasendem Schmerz über sein blutiges
Haupt strich, wurde gegen mich zur Anklägerin; und weil ich
nicht verrathen konnte, welche innigen Beziehungen mich mit
dem Tobten verbanden, nahm man meine Verwirrung für
ein Anzeichen meiner Schuld!"
_ (Fortsetzung folgt.)
Stadt-Theater.
/I Heidelberg, 5. Juli.
Gastspiel Adalbert Matkowsky.
„Kean" oder Genie und Leidenschaft. Lustspiel
in 5 Aufzügen frei nach dem Französischen des Alex. Dumas,
von Ludwig Barnay.
Wenn das Stück nicht schon nach dem großen englischen
Tragöden „Kean" genannt worden wäre, hätte man es auch
„Davison", „Sonnenthal", „Matkowsky" nennen, oder ihm den
Namen irgend eines anderen hervorragenden Schauspielers geben
können. Was an ihm interessant ist, das ist der Blick in das
Naturell, in das Seelenleben und auf das äußere Gebähten eines
bedeutenden Schausp ielcrs.
Das Andere ist Beiwerk und demnach von untergeordneter