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Heidelberger Zeitung — 1900 (Juli bis Dezember)

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Nr. 150-175 (02. Juli 1900 - 31. Juli 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37614#0099

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Erscheint täglich.
Sonntags ausgenommen.

, Preis
mit Familienblättern
monatlich 5V Pf.
frei in's HauS gebracht.
Durch die Post bezogen
Vierteljahr!. 1.25 Mk.
«uSschließlich Zustellgebühr.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82.


JnsertionSgebühr
15 Pf. für die Ispaltige
Petitzeile oder deren Raum.'
Für hiesige Geschäfts- und
Privatanzeigen bedeutend
ermäßigt.
Gratis-Anschlag
der Inserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäule«.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Xr. 173.

Sonirlig, den 28. Juli

isov.

Bestellungen
auf die Heidelberger Zeitung für die Monate August und
September werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern,
den Agenten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der
Expedition, Untere Neckarftr. 21, angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht; durch die Post bezogen für die Monate August
und September, wenn am Schalter abgeholt, 84 Pfg.,
mit Zustellgebühr Mk. 1-14.
Die Abfahrt des ersten Theiles der Seebrigade.
Bremerhaven, 27. Juli. Der Kaiser sowie das
Prinzenpaar Heinrich besichtigten heute früh die Dampfer
»Batavia", „Dresden" und „Rhein" und begaben sich so-
dann wieder an Bord der kaiserlichen Jacht „Hohenzollern".
Die Kaiserin besichtigte den Dampfer „Dresden". Um 8'/^
Uhr traf der erste Militärzug hier ein, dem in kurzen Ab-
ständen weitere folgten. Im Ganzen trafen 4000 Mann ein.
Sie wurden auf dem hiesigen Bahnhofe festlich empfangen
und von der Garnisonverwaltung gespeist. Gleichzeitig fand
die Vertheilung der in reichem Maße eingegangenen Liebes-
gaben durch Mitglieder der hiesigen Kriegervereine statt.
Der Kaiser kam mit den Prinzen Eitel Friedrich und
Adalbert und dem Reichskanzler um 1 Uhr an Land. Vor
der Halle des Norddeutschen Lloyd begrüßte der Kaiser die
einzelnen Abtheilungen und hielt von einer improvisirten
Tribüne herab eine Rede etwa folgenden Inhaltes:
Neue überseeische Aufgaben treten an das deutsche Reich
heran, früher als viele Landsleute erwartet hätten, habt Ihr
die Verpflichtung, eure Brüder im Ausland zu schützen, eine
Ausgabe, die das alte römische Reich nicht hat erfüllen
können. In dreißigjähriger Friedenszeit ist die Armee nach
den Grundsätzen meines großen Großvaters ausgebildet
worden und an Euch ist es jetzt, die Probe zu liefern, ob
diese Grundsätze richtig find. Eure Kameraden von der
Marine haben diese Probe bestanden, sie haben das Lob auch
der auswärtigen Führer geerntet. Ihr habt die Aufgabe,
schweres Unrechtzu sühnen, einen unerhörten
Bruch des Völkerrechtes. Ihr zieht geaen ein Volk, das
aus eine uralte Cultur stolz ist. Bewährt Euch in der alten
Tüchtigkeit, bewährt im Leiden Euch als Christen und knüpft
Ehre und Ruhm an die deutschen Waffen und die deutschen
Fahnen. Ihr werdet fechten gegen ein gut bewaffnetes,
verschlagenes und grausames Volk. Kommt ihr an den Feind,
io wißt: Pardon wird nicht gegeben, Gefangene
werden nicht gemacht. Führt die Waffen so, daß noch
nach tausend Jahren kein Chinese es wagt, einen Deutschen
scheel anzusehen. Euch begleite der Segen Gottes und die
Gebete des ganzen Volkes und meine Gedanken folgen jedem
einzelnen von Euch. Eröffnet der Cultur für alle Zeit den
Weg und nun reiset glücklich. Adieu Kameraden!
Die „Batavia" ging um 1'/,, die „Halle" um 2,
die „Dresden" um 2^ Uhr unter begeisterten Kundge-
bungen ab.
Die Borgänge in China.
Wie der Daily Telegraph aus Canton unter
dem 24. Juli berichtet, veröffentlicht der stellver-
tretende Vizekönig Tak-su eine Bekanntmachung,
in welcher er den Wortlaut eines kaiserlichen
Dekrets vom 23. Tage des sechsten Monats
angiebt, welches lautet:
Wir haben Tientsin verloren. In Peking werden große
Vorbereitungen getroffen. Der Friede kann nicht
erlangt werden, wenn wir nicht zuvor einen
Krieg bestehen. Wir fürchten, daß die Vizekönige und
Gouverneure auf die Sicherheit der fremden Gesandten,
deren Leben wir bis aufs Aeußerste zu schützen bemüht sind,
Rücksicht nehmen und dies als Grund betrachten, Flieden
^U schließen und die Vertheidiaungsmaßnahmen zu vernach-
lässigen. In diesem Falle werden die Provinzen endloses
Unheil über uns dringen. Sie müssen vielmehr Ma ß-
vahmensür Defensive und Offensive energisch
betreiben. Anderenfalls müssen sie die Folgen tragen,

wenn Gebiet durch ihre zögernde und falsche Haltung ver-
loren geht.
Tak-su, heißt es, sei ein erbitterter Feind der
Ausländer, er läßt die militärischen Rüstungen und die
Vorkehrungen an den Küstenplätzen beschleunigen und hat
die Zurückziehung von vier kleinen europäischen
Kanonenbooten verlangt, welche in Eanton zur
Zeit vor Anker liegen, nämlich zweier französischer, eines
britischen und eines amerikanischen Schiffes. Dieselben
sollen hinter die Bogueforts zurückqehen. Chinesische
Kanonenboote, von Leuten des Schwarzflaggenhäupt-
lings Lao bemannt, machen den Kanal hinter Scha-mce
unsicher, weitere 18 Boote liegen unterhalb der kaiser-
lichen Staatswcrft. Die Haltung der Bevölkerung
Canto ns wird von Tag zu Tag feindseliger.
Ein in Hongkong eingctroffener Privatbrief aus Eanton
bestätigt, daß die als D reifa ltigkeitsbund bekannte
Geheimgesellschaft einen Angriff auf den Stadttheil
Schönsten plane. Das Gefühl der Unruhe in Eanton
nimmt zu.
Ein Opiumfarmer in Hongkong erhielt ein Telegramm,
welches besagt, daß Li-Hung-Tschang nicht in der
Lage sei, nach Peking weiter zu gehen und nach Eanton
zurückkehren wird. Man erwartet, daß er auf der Rück-
kehr Hongkong besuchen wird. (Nach neueren Berichten
soll Li-Hung-Tschang sehr gealtert sein und nicht mehr die
geistige Spannkraft wie früher besitzen.)
Auch in Shanghai ist die Unruhe unter den
Ausländern wieder im Steigen. Nach dem Bericht-
erstatter des Daily Expreß treffen täglich Dschunken mit
chinesischen Truppen, Boxern, die als Kulis verkleidet
sind, in Shanghai ein. In dem Arsenal, das voll von
Kriegsmaterial ist, laufen fortwährend weitere Zufuhren
ein. Auf den Werften von Wusung, Mudfort, Kiangyin
und der Silberinsel sind neue Geschütze in Position ge-
bracht. Die Besatzungen Nankings und Wutsangs werden
stetig verstärkt und die Vizekönige räumen ein, sie würden
nicht lange dem von Li und Scheng auf sie geübten Druck,
sich dem Prinzen Tuan anzuschließen, standhalten können.
Deshalb sah man mit Ungeduld dem Eintreffen des
Admirals Seymour mit der britischen Flotte, welche die
Vizekönige stärken würde, entgegen. Mittlerweile stockt
das Geschäft in Shanghai, wie es heißt, seit 2 Monaten
vollständig. Gegenwärtig steht schon fest, daß angesichts
des Ausfalles der Zölle die nächste Zinsrate der aus-
wärtigen Schuld nicht aufzubringen sein werde.
Nach einer Meldung des Daily Expreß aus Shanghai,
die mit anderen Telegrammen übereiustimmt, führt Li-
Hung-Tschang unter dem Eindruck des Zweifels, der
von den Konsuln bezüglich der Zuverlässigkeit seiner Mit-
theilungen geäußert wird, eine sehr scharfe Sprache. Er
behauptet und setzt sein Wort dafür ein, daß sowohl die
Gesandten als auch Sir Robert Hart noch am Leben
seien, daß aber der Vormarsch gegen Peking unfehlbar
zur Niedermetzclung der noch Ueberlebenden führen würde.
Mittwoch Abend erklärte er dann, einige der Gesandten
seien bereits unter Bedeckung unterwegs, so daß man fast
stündlich ihre Ankunft in Tientsin erwarten könne. In
London wie in Shanghai glaubt vorderhand Niemand an
die Richtigkeit dieser Angaben. Man argwöhnt vielmehr,
daß die Machthaber in Peking und Li die Fabel der
Abreise nach Tientsin auftischen, um demnächst die Ueber-
wältigung der Bedeckung, sowie der Gesandten durch die
Boxerschaaren während des Marsches zu melden un.d so
die Verantwortung für den allgemeinen Gesandtenmord
von sich abzuwälzen.
Bei der Direction der Hankan-Peking Eisenbahngesell-

schaft in Brüssel gingen zwei Telegramme aus China ein.
In dem ersten am 25. Juli aufgebenen, theilt die General-
direction der Gesellschaft in China mit, daß die La ge der
Fremden in Peking sich bessere und daß in Hankau
alles ruhig sei. In dem zweiten in Shanghai unterm
26. Juli ausgefertigten und vom chinesischen Telegraphen-
director Scheng Unterzeichneten Telegramm wird erklärt,
daß die Sicherheit der Arbeiter durch einen vom Vicekönig
von Hupe anerkannten Neutralitätsvertrag gewährleistet sei.
Scheng erklärt ferner, wenn die Direction der Gesellschaft
die Arbeit einstellen sollte, wie er erfahren habe, könne er
für die Sicherheit nicht einstehen, da die entlassenen Ar-
beiter sich der aufständischen Bewegung anschließen und
dazu beitragen dürften, die Unruhen zu vermehren. In-
folge dessen müsse er, Scheng, die Verantwortung ablehnen.
Unter dem 4. d. M. schreibt der englische Gesandte
aus Peking in einem in Tientsin eingetroffenen Briefe,
daß die Gesandtschaft unaufhörlich beschossen würde
und 44 Tobte und doppelt soviel Verwundete habe. Die
amerikanische, englische, deutsche, russische und französische
Gesandtschaften würden noch gehalten. Entsatz sei dringend
nolhwendig, da die Eßvorräthe nur noch für 14 Tage
reichten und die chinesische Regierung nichts zum Schutz
unternehme. Am 26. traf in Tientsin der Pferdeknecht
des Frhrn v. Kcttelec ein, welcher behauptet, am 9. d. M.
hätte die Gesandtschaft noch Stand gehalten.
Die Daily Mail veröffentlicht einen aus Shang-
hai eingegangenen Brief des britischen Gesandten
in Peking, in dem es heißt: „Wir erhalten von
den Behörden keinen Beistand. 3 Gesandt-
schaften stehen noch, darunter befindet sich die britische.
Wir halten auch einen Theil der Wälle der Stadt. Die
Chinesen beschießen uns mit einem Zzölligen und einigen
kleineren Geschützen. Wir können jeden Tag ver-
nichtet werden, an Geschossen und Nahrung
herrscht Mangel. Wir wären schon umgckommen,
wenn die Chinesen nicht so feige wären und auf
uns einen Angriff unternommen hätten; wenn wir nicht
bedrängt werden, können wir uns noch 13 Tage halten,
sonst höchstens noch 4. Die Eutsatzkolonne wird nur
geringen Widerstand finden. Die Guts atzkolonne soll ent-
weder durch das östliche Thor oder auf dem Flußweg
vorrücken. Die Verluste der Fremden in Peking hatten
am 14. ds. Mts. 40 Tobte und 80 Verwundete be-
tragen."
WolffsBureau meldet ausTientsin vom 24. d.M.:
Heute traf aus Peking vom 15. ds. Mts. ein Bote
bei einem hiesigen Zollbeamten ein mit der Meldung, die
Soldaten des Prinzen Tsching hätten gegen die
Truppen des Generals Tung gekämpft und seien ge-
schlagen worden. DieFremdenvertheidigten sich
in der nördlichen Kathedrale in der Nähe
der verbotenen Stadt.

Deutsches Reich.
— Die Nordd. Allgem. Ztg. veröffentlicht einen vom
Chef des Kreuzergeschwaders übermittelten längeren Aus-
zug aus dem Kriegstagebuch des Kapitäns z. S. v. Use-
dom von der Expedition des Admirals Seymour. Am
Schluffe des Tagebuches heißt es: Die Deutschen
ließen keine Waffen, keinen Verwundeten oder Vermißten
zurück. Alle Gefallenen wurden mit militärischen Ehren
begraben.
— „Fürst Bismarck" ist am 26. d. Mts. in Co-
lombo eingetroffen und am 27. nach Singapore weiter-
gegangen. — Die zweite Division des ersten Geschwaders

Die Frauen im serbischen Königshause.
Es ist merkwürdig, welche bedeutende Rolle die Frauen in
Men politischen Wandlungen Serbiens gespielt haben, seitdem
Reses Land von der Familie Obrenowitsch regiert wird. Auch
das Schicksal des Königs Alexander, der trotz seiner vierund-
^wanzig Jahre bereits eine politische Vergangenheit hat, scheint
ßch jetzt durch eine Frau erfüllen zu wollen.
^ Der Begründer dieser Dynastie war, wie man weiß, der
Bauer Milosch Obrenowitsch. Milosch war nach unseren Be-
llriffen ein ungebildeter Mensch, der weder lesen noch schreiben
wnnte. Die Rcgierungsdekrete pflegte er nach Analphabctenart
Wt drei Kreuzen zu zeichnen. Nichtsdestoweniger war er ein
Mann von großer Tapferkeit und vieler Begabung, ein geborener
Staatsmann und Organisator.
... Seine Frau, die Knjäsin Militza, war ihm durchaus eben-
bürtig. Ebenfalls einer Bauernsamilie entstammend, war sie
voller Thatkraft und überaus muthig, dabei politisch sehr rege;
ue unterhielt sogar sehr oft hinter dem Rücken, des fürstlichen
Amahls Beziehungen zur Opposition. Sie wußte, daß der
Mrst es mit der ehelichen Treue nicht allzu genau nahm. Dar«
vver setzte sie sich aber in der Regel hinweg; nur durfte es zu
reinem Skandal kommen. Eines Tages brachte sich Fürst Milosch
r>n hübsches „Stubenmädchen" von auswärts mit, mit dem er
?vr Aller Augen eine Liebelei anfing. Fürstin Militza verbot
v'es der Schönen, und als diese trotzdem dem Fürsten ihre Gunst
Mandle und damit noch prahlte, schoß die beleidigte Militza das
Mädchen nieder und verließ das Haus. Milosch gertcth in Wuth,
's er von dieser schrecklichen That erfuhr; er eilte der Fürstin
vvch und schwor hoch und theuer, er werde sie Niederschlagen,
AM,, und Mg xr sie treffe. Indessen floh die Frau nicht weit.
..Mblütig wartete sie den erzürnten Gatten ab und deutete ihm
^chelnd an, daß er höchst wahrscheinlich den sehnsuchtsvoll er-
-.vrleten Stammhalter mit erschlagen werde. Milosch war be-
fligt; er küßte der muthigen Gattin die Hand und brachte sie
" >ein Haus zurück.

Als kluge Frau hörte aber Frau Militza nicht aus, mit den
Gegnern ihres Mannes, denen sein strenges und eigennütziges
Regiment verhaßt war,, zu intriguiren. Sie hätte es gern ge-
sehen, wenn Milosch zur Abdankung gezwungen worden wäre
und sie die Regentschaft für den unmündigen Erben hätte führen
dürfen. Endlich war die Sache so weit gediehen, daß die Skup-
schttna den Fürsten Milosch absetzte. Seine Erklärung vom
12. Juni 1839, daß er zu Gunsten seines nachher jung ver-
storbenen Sohnes Milan abdankte, wurde mit dem Bescheid an-
genommen, daß er und die Fürstin das Land zu verlassen hätten.
Bekanntlich wurde der alte Milosch Obrenowitsch, nachdem
mittlerweile die verlotterten Karageorgewitsch völlig abgewirth-
schaftet hatten, am 23. December 1858 wieder auf den Thron
Serbiens berufen. Er starb am 26. September 1860.
Sein Zweitältester Sohn Michael, der bereits nach der Thron-
entsagung seines Vaters im Jahre 1839 und nach dem Tode
seines älteren Bruders Milan (dieser starb am 8. Juli desselben
Jahres) kurze Zeit regiert hatte» übernahm die Regierung zum
zweiten Male nach dem Ableben seines Vaters. Er war mit
einer Gräfin Hunyadi vermählt. Die Ehe war aber nicht glücklich,
sie blieb auch kinderlos. Indessen war doch der Fürst eine zu
fein gebildete Natur, um öffentliches Aergerniß zu geben. Seine
Gemahlin lebte getrennt von ihm in einem Badeort, und es ist
eine Verleumdung, wenn ihm eine Liebelei mit seiner Kousine
nachgesagt wird, die mit ihm gleichzeitig im Park von Topt-
schider am 10. Juni 1863 ermordet wurde. Eine zweite Dame,
die gleichfalls von den Kugeln der Mörder getroffen worden war,
kam mit dem Leben davon. Sie trug noch fünfundzwanzig Jahre
später die irgendwo in ihrem Körper eingekavselte Kugel mit sich
herum, „als ein abschreckendes Beispiel serbischer Grausamkeit in
der Politik", wie sie sich auszudrücken pflegte.
Unter der allgemeinen Entrüstung, die damals in Serbien
herrschte, reiste Jowan Ristitsch, der die Ermordung Michaels
während einer Reise im Auslande erfahren hatte, nach Paris,
wo sich damals Milan, ein Großneffe des Fürsten Milosch, be-
fand. Er nahm den vierzehnjährigen Schüler und brachte ihn

nach Belgrad, wo er am 2. Juli 1868 zum Fürsten proklamirt
wurde. Milans Vater, Milosch Obrenowitsch, war ein kranker
Mann, während die Mutter, eine Cousine Milosch's, Maria
Obrenowitsch, sich sehr lebenslustig gebärdete; sie trat offen-
kundig als die Geliebte des Fürsten Cusa von Rumänien auf.
Der junge Fürst erwies sich in sehr jungen Jahren als
großer Verehrer des weiblichen Geschlechts. Der soeben von der
Regierung zurückgetretene Dr. Wladan Georgewitsch war damals
der Leibarzt des noch minderjährigen Fürsten, für den Jowan
Ristitsch die Regentschaft führte. Ein junges Mädchen aus klein-
bürgerlicher Familie in Belgrad trat bald als künftige Fürstin
von Serbien auf und rühmte sich überall ihres Verhältnisses zu
Milan. Aber Ristitsch verstand keinen Spaß, mit rauhem Ein-
griff zerstörte er den Liebesroman. Erst als Milan volljährig
wurde, durfte er, einundzwanzig Jahre alt, am 17.October 1875
Fräulein Natalie Keschko heimführen. Es war dies eine Liebes-
Heirath, da Fräulein Keschko blendend schön war und eine sehr
gute Erziehung genossen hatte. Mütterlicherseits gehörte sie
einer vornehmen Bojarenfamilie aus Rumänien an, die den Titel
Fürst führen durfte. Auch bekam sie eine sehr hübsche Mitgift,
die man auf Millionen schätzen durfte. Die späteren Vorgänge
im königlichen Konak von Belgrad sind allgemein bekannt. Die
Liebesehe erwies sich nichts weniger als glücklich. Natalie wollte
nicht die Seitensprünge ihres Gemahls dulden, und so entstand
in Belgrad Skandal auf Skandal. Eine „Hofdame", die mit
Milan ein Liebesverhältniß hatte, wurde von der Königin eigen-
händig an den Haaren gepackt und die Treppe hinuntergeschletft.
Frau Natalie wollte sich keineswegs in die Rolle einer rcfigntrten
Dulderin schicken. Wie die Fürstin Militza unterhielt auch sie
Beziehungen zu der Opposition, und nach dem unglücklichen Aus-
gange des Krieges gegen Bulgarien, war sie nahe daran, zur
Regentin für ihren minderjährigen Tohn ernannt zu werden.
Aber Milan blieb auf dem Thron und unternahm einen Kampf
auf Leben und Tod gegen die Königin, die ihn mit offenem
Hohn und mit kalter Verachtung zu behandeln pflegte. Natalie
wollte sich mit ihrem Sohn nach Italien oder Deutschland zurück-
 
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