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Heidelberger Zeitung — 1900 (Juli bis Dezember)

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Nr. 255-280 (01. November 1900 - 30. November 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37614#0553

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^nsprech-Anschluß Nr. 82.
273.


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Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Donvnstaz, -kn 22. NMinber

190«.

^°v. 5.:

Chronik.
(Vom 4. bis zum 17. November.)
Im Prozeß gegen den Berliner Bankier und
Millionär Sternberg machen die Aussagen eines
Schutzmannes über versuchte Beeinflussung durch Vor-
gesetzte Aufsehen. Der Polizeidirektor v. Meerschetdt,
der mit dem Angeklagten verkehrte und Darlehen von
ihm erhielt, wird vom Amt suspendirt.
» 5.: Erzbischof Nörber empfängt eine Deputation des
Freiburger Vereins Arbetterschutz und gibt ihr gegen-
über sein Rundschreiben über die christlichen Vereine
preis.
» 5.: In Bremen wird ein Pestfall festgestellt. Der-
selbe bleibt zum Glück vereinzelt.
» 6-: Rußland ist dem deutsch-englischen Ab-
kommen betreffs China im Wesentlichen bei-
getreten.
» 6.: Bei den Wahlen zum Kongreß in den Ver-
einigten Staaten von Nordamerika siegen
die Republikaner, so daß die Wiederwahl Mac
Kinley' s zum Präsidenten sicher ist.
» 7.« In China finden noch kleine Gefechte der Truppen
der Mächte mit Chinesen statt.
» 8.: Bei Offenbach ereignet sich ein schweres Eisen-
bahnunglück durch Auffahren eines Kurszuges
aus einen V-Zug. Zwölf Personen werden getödlet,
einige verletzt.
» 10.: Der württembergische Staatsminister v. Mitt-
nacht tritt in den Ruhestand. Minister des Aus-
wärtigen wird Frhr. v. Soden, mit dem Vorsitz
im Staatsministerium wird der Kriegsminister Schott
von Schotten st ein betraut.
» 11.: Die Nachtragsforderung für die chinesische
Expedition beträgt bis zum 1. April 152 Millionen
Mark.
X 11.: In China hat dieHinrichtung dreier Man»
darinen aus Paotingfu, die an den dortigen
Christenmetzeleien Schuld waren, einen tiefen Eindruck
gemacht.
-> 12.: Der Erzbischof in Gnesen hat den Reichstags-
Kandidaten der deutschen Katholiken in Mescrttz.
Bomst, den Probst Krzesinski, in einem Schreiben
scharf angelaffen.
» 13.: Die Gesandten in China haben sich über ein
Programm geeinigt. Dasselbe verlangt u. A, daß
ein kaiserlicher Prinz nach Berlin gehe, um das Be-
dauern des chinesischen Kaisers über die Ermordung
des deutschen Gesandten auszudrücken.
» 14.: Der Reichstag wird mit einer Thronrede vom
Kaiser eröffnet.
» 15.: Es erscheint die Ansvrache des engeren Au s-
schusses der nationalliberalen Partei
Badens. Darin wird die direkte Wahl zum Landtag
und gleichzeitig die Etntheilung der größeren Städte
in eine ihrer Abgeordnetenzahl entsprechende Anzahl
von Wahlbezirken, die Gesammterneuerung der Zweiten
Kammer und die Reform der Erste» Kammer verlangt.
Die Frage der Abschaffung der Stichwahlen soll einer
weiteren Diskussion ausgesctzt werden.
» 15.: Der Zar ist am Typhus erkrankt.
" 16.: In Breslau wirft eine geisteskranke Frauensperson,
Namens Schnapke, ein Handbeil nach dem an
ihr vorül erfahrenden Kaiser, zum Glück ohne den
Kaisek zu treffen.
» 17.: Der deutsche ArbeitSmarkt hat sich in letzter
Zeit merklich verschlechtert.
Vom Reichstage.
Eine Gruppe vereinigter Konservativer, Centrumsleute
Nationalliberaler beantragt eine Abänderung des
Lolitari f g esetzes vom 15. Juli 1879, wonach an
,/elle der tarifmäßigen Eingangsabgaben gegenüber Staa-
heb-

b

welche ihrerseits von deutschen Waarm Werthzölle er-
auch solche erhoben werden sollen.
Die freisinnige Volkspartei bringt einen Gesetzentwurf
tv. die eingetragenen Berufsvereine ein.
Die Nationalliberalen unter der Führung von Dr.
befürworten eine Anregung der Regierung wegen
^EsGxsxtzentwurfes, der den Verlust der Reichs-

Eiu Opfer.
Roman von B. Saworra.
Autorisirte Bearbeitung nach dem Englischen.
^ (Fortsetzung.)
»Ach wünschte, ich wäre anders," seufzte Bertha.
»Wenn Du anders wärest, meine Bertha." erwiderte er,
g>.?Lw er sich in den Stuhl zurücklehnte und ihre Hand er-
wl, 1 um sie zu sich heranzuzieden, „wenn Du anders wärest.
Habest Du nie meine Liebe gewonnen haben. Ein halbes
hätte mir nicht genügt- Ich könnte keine Frau lieben,
wir nicht ihr ganzes Denken und Sein hingäbe,
dusi?? >vls Kind hatte ich kein Jmercsse für Sachen, die nicht
A schließlich mir gehörten. Du weißt, wie ich als Knabe
-gwes liebte; aber seit ihrer Verlobung war meine Zunei-
ken« iür sie gänzlich verstorben. Wenn Du, ehe Du mich
ieki " gelernt — anderen Männern zugelächelt hättest oder
wA wir nicht ganz ausschließlich angehören würdest, wäre
tkz'vv Liebe für Dich bald erkaltet. Gieb mir einen Kuß,
gj^chtes Kind, und sei zufrieden — ich bin es; wünsche
gl daß Du anders wärest."
kriss brlha erschienen diese egoistischen Worte über alle Bc-
zärtlich und liebevoll; sie war überglücklich,
soh^etzt bemerkte er, daß sie blaß und angegriffen aus-
sgn,»2ch bin in den letzten Tagen nicht ganz wohl gewesen,"
sie.
»Au viel im Zimmer gesessen?"
tzi »/(ein. Wir waren aus einem Ball bei Frau von Rost,
ivggswcht — vielleicht war das zu viel für mich. Judith
ein--^üern hingehen. Du weißt doch, daß Frau von Rost
Sousine von Mark ist."
Nnn» ? ^ eine Cousine von den Fronklands?" wiederholte
lam ^ bald erstaunt, halb belnstiat. Dann lachte er: »Was
denn Herr von Rost zu der Verlobung?"

ang eHörigkeit für Deutsche und die Naturalisation von
Ausländern erschweren soll.
Den bereits von der freisinnigen Volkspartei ein-
gebrachten Gesetzentwurf die Abänderung des Wahl-
gesetzes betr. hat auch das Centrum eingebracht.
Ferner bemüht sich dieselbe Partei für die Reichsboten
um Anwesenhcitsgelder und freie Fahrt in einem
Antrag Gröber und Lerno. Diese Frage dürfte eine leb-
hafte Diskussion Hervorrufen. Die Stimmung für Ge-
währung von Diäten ist in den letzten Jahren angesichts
der häufigen Beschlußunfähigkeit des Reichstages gewachsen.
Abg. v. Levetzow und Genossen beantragen, die Ver-
bündeten Regierungen zu ersuchen, einen Gesetzentwurf vor-
zulegcn, durch welchen die Besteuerung von Saccharin
und ähnlichen Süßstoffen in einer Höhe gesichert wird,
die der bestehenden Zuckersteuer und der Süßkraft der
künstlichen Süßstoffe entspricht.
Abg. Oertel und Genossen beantragen Vorlegung
eines Gesetzentwurfes zur Regelung des Auswande-
rungswesens.
Abg. Graf Oriola (nat.-lib.) brachte eine Inter-
pellation ein, den Reichskanzler um Auskunft zu ersuchen,
ob die Vorarbeiten für die vom Kriegsminister in Aus-
sicht gestellten Vorlagen, betreffend Revision der
Militärpensionsgesetze, beendet seien, und ob an-
zunehmcn sei, daß diese Vorlage im Laufe der Session an
den Reichstag gelangt.
Abg. Hitze und Genossen (Centr.) beantragen, die ver-
bündeten Regierungen zu ersuchen, für die Förderung des
Friedens zwischen Arbeitgebern und Arbeit-
nehmern gesetzliche Bestimmungen über die Formen her-
beizuführen, in welchen die Arbeiter durch ihr Vertrauen
besitzende Vertreter an der Regelung gemeinsamer Ange-
legenheiten betheiligt werden. Der Antrag regt eine ent-
sprechende Ausgestaltung der Gewerbegerichte an.
Die Abgg.Paasche (nat.-lib>), Rö sicke(wild) undSp eck
(Centr.) beantragen, einen Zusatzantrag vorzulegen, worin
unter Herabsetzung der Steuer für kleinere und mittlere
Brauereien und entsprechender Erhöhung für die großen
Brauereien bestimmt wird, daß zur Bereitung des nicht
zum Export bestimmten Bieres keine anderen Stoffe als
Malz. Hopfen, Hefe und Wasser zu verwenden seien, daß
aber während einer dreijährigen Uebergangszeit der Zusatz
von Stärkezucker, Stärkesyrup und Zuckercouleur bei Be-
reitung der obergährigen und der sogenannten einfachen
Biere zu gestatten ist, sofern diese Zubereitung bei dem
Verkaufe bekanntgegeben wird.
Der Abg. Ni bl er (kons.) und Genossen brachten einen
Antrag ein auf Abänderung des Gesetzes betreffend den
Reichsinvalidenfonds von 1895, wonach die Unter-
stützungspflicht nur Denjenigen zu gewähren ist, deren Er-
werbsunfähigkeit infolge Alters oder anderer Gebrechen
dauernd oder um mehr als ein Drittel der Arbeitskraft
herabgesetzt ist. _

Deutsches Reich.
— Wenn auch die Centrumspolitik der polnischen Propa-
ganda gegenüber einstweilen unbelehrbar bleiben wird, so
läßt sich doch in verschiedenen Centrumsblältern im Lande
eine bemerkenswerthe Erkenntniß für die wirkliche Lage der
Dinge im Osten wahrnehmen. Ein westfälisches Centrums-
blatt sagt ganz richtig:
Daß die Polen die deutschen Katholiken vielfach ebenso gut als
ihre Feinde betrachten und behandeln, wie die deutschen Prote-
stanten, ist nun einmal eine Thatsache, die sich nicht wegleugnen
läßt. Dazu kommt, daß ein Theil dieser Presse gegen das Deutsch-
thum eine Sprache führt, die jeden Deutschen beleidigen muß.
Daß unter diesen Umständen bei manchen deutschm^Kathollken^,
„Zn Judiths Verlobung?" ^ ^
„Weißt Du nickt, daß Herr und Frau von Rost die ersten
waren, die ihr Haus dem jungen Pomerry verschlossen? ?
Ich glaube nicht, daß Herr von Rost mit seinem starren !
Festhalten an allem, was feiner Anstand und gute Sitte !
heißt, Judith so übermäßig gern in die Familie ausnehmen
wird."
„Robert —" ^ ^ ^ !
„Ich weiß, meine liebe Bertha, daß Du stets eifrig be- l
müht bist, die kleine Episode aus Judiths Leben in Vergessen-
beil zu bringen. Aber — das Gedächtniß ist manchmal hart-
näckig. Es ist nicht wegzuleugrien, daß Judith mit Pomerry
kokeitirte, und daß viel darüber gesprochen wurde; mir kamen >
ja nur Brocken zu Ohren, aber — das genügte."
„Es war ein ganz unschuldiges Courmachen — Judith
war noch so jung und kindisch — sie ist nickt im geringsten ^
zu tadeln — durchaus nicht." ^ ^ !
Bertha sprach eisria: ihre Lippen zitterten, die Farbe auf l
ihren Wangen kam und ging. Ihr Gatte beobachtete sie auf- >
merksam.
„Du wirst jedesmal so eifrig, wenn wir auf dieses Thema
kommen, daß Du gerade durch Deinen Elser Verbackt erregst.
Soll ich Dir sagen, welchen Verdacht S" ,
Sie bewegte ihre Lippen, aber sie brachte keinen Laut j
hervor; sie sank, vor Erregung zitternd, in den Stuhl, neben
dem sie stand. , .
„Als Judith vor drei Jahren hier war, unternahm sie
eine geheimnißvolle Reise; erinnerst Du Dich noch?"
„Ich — ich weiß nickt —" .
„Du mußt es natürlich wissen. Sie war an einem Abend
fortgegangen, und am nächsten Morgen erschien sie erst
wieder mit der Erklärung, daß sie Anni Munro in Bnrton
Hampstead besucht und den letzten Zug zur Rückfahrt ver-
säumt hatte. Das war ja glaubwürdig. Aber es gab doch
zu denken, daß Lance Pomerry an demselben Abend nach
derselben Richtung gereist war- Und — wie es manchmal
zufällig so kommt — in Murren traf ich Papa Munro mit

die mit den Polen zusammen leben müssen, die Begeisterung für
diese nicht allzu warm ist, begreifen wir durchaus. Wenn im Land-
tage und Reichstage diese Dinge zur Sprache kommen, dann thun
die polnischen Abgeordneten recht unschuldig; für die Aeußerungen
der polnischen Presse wollen sie nicht verantwortlich sein. Hat
man aber je davon gehört, daß sie die Ausschreitungen dieser
Presse desavouirt und sich bemüht hätten, ihr einen anderen Ton
beizubringen?
Cronberg, 21. November. Aus Anlaß des Ge-
burtstages der Kaiserin herrschte schon früh im
Schloß Friedrichshof reges Leben; von nah und fern
trafen Blumen in großer Menge ein. Auch viele Geschenke
von den Mitgliedern des königlichen Hauses gingen ein.
Nachdem gestern bereits Prinz und Prinzessin zu Schaum-
burg-Lippe angekommen waren, trafen heute Vormittag
10 Uhr das Erbprinzenpaar von Sachsen-Meiningen, das
Prinzenpaar Karl von Hessen u. a. zur Beglückwünschung
der Kaiserin ein. Die Herrschaften brachten Blumengaben
mit. Ununterbrochen fuhren Herren und Damen aus
Cronberg, Frankfurt, Homburg und Wiesbaden vor dem
Schloß Friedrichshof vor. um sich in das Fremdenbuch
einzuzeichnen. Der Kaiser traf kurz nach 1 Uhr mit
seinem Gefolge von Homburg kommend, wo er dem Gottes-
dienst beigewohnt hatte, auf Schloß Friedrichshof zur Be-
glückwünschung bei der Kaiserin Friedrich ein. Um halb
2 Uhr fand Tafel statt. Während derselben trank der
Kaiser auf das Wohl der Kaiserin Friedrich.
Baden. 8.6. Karlsruhe, 21. Nov. Der soz.-dem.
Volksfreund gab, wie gemeldet, in einer Besprechung der
Bureauwahl des Reichstags der Ansicht Ausdruck, daß,
wenn die Sozialdemokraten im Bad. Landtag die Freisinn-
Demokraten an Zahl einmal überflügelt haben und der
Posten des 2. Vicepräsidenten den Sozialdemokraten ange-
boten wird, Herr Dreesbach.nicht zögern werde, diese
Stelle mit allen Verpflichtungen zu übernehmen,
ohne dabei an seinem gut sozialdemokratischen Herzen Scha-
den zu nehmen. Das Organ des Herrn Dreesbach, die
Mannheimer Volksstimme, ist jedoch „erheblich anderer
Meinung". Sie erwartet bestimmt, daß es die badischen
Sozialdemokraten ebenso entschieden wie die norddeutschen
Genossen ablehnen werden, zu Hofe zu gehen. „Es wäre
übel bestellt um die badischen Sozialdemokraten, sollte die
Ansicht des Volksfreunds doch Gemeingut werden." Auch
der Bad. Beob. ist erstaunt über den neuesten Standpunkt
des Volksfreund, zweifelt aber nicht daran, daß die soz.-
demokratische Fraktion im gegebenen Fall bei der Bildung
des Vorstands der 2. Kammer berücksichtigt würde. —
Der Reichskanzler hat den Reichstag um die Ermächtigung
znr strafrechtlichen Verfolgung des Abg. Dreesbach
ersucht. Nach der Volksstimme kann es sich nur um das
seiner Zeit beschlagnahmte Flugblatt handeln.
— Die nationalliberale Partei des Hanauer
Landes hielt am 18. ds. in Willstädt eine Versamm-
lung ab. Bei Besprechung der Wahlrechtsfrage wurde
bemerkt:
Die Frage, ob indirekte oder direkte Wahl habe für
unser» Bezirk durchaus nicht die Bedeutung, die man ihr von
mancher Seite beilege. Wir sind auch bis jetzt gut gefahren und
werden es wohl auch in Zukunft. In Anbetracht des großen
Ganzen und um dem Zeitgeist Rechnung zu tragen, schließe man
sich dem Streben nach der direkten Wahl an, jedoch
nicht ohne alle Bedingungen, worunter man allerdings nicht die
früher genannten Kautelen verstanden haben will. Einer schranken-
losen direkten Wahl würde man eher das jetzige Wahlsystem vor-
ziehen. ES wurde hierbei unter manch' Anderem auch auf das
Beispiel des freiesten der Staaten, der nordamerikanischen Union,
hingewtescn, die heute noch ein dem unsrtgen ähnliches Wahl-
system haoe.
Man vermißt in dieser Darstellung eine bestimmte Er-
klärung über die Vorschläge des engeren Ausschusses der
nationalliberalen Partei.

seiner Gesellschaft — und sonderbarerweise konnten sie sich
dieses flüchtigen Besuches Deiner Schwester durchaus nicht
entsinnen."
„Du — Du hast sie gefragt?"
„O, sieh nicht so erschreckt aus, Bertha. Ich war diskret
— that es nur so beiläufig. Ich fürchte nur, Judiths Ver-
lobung wird nicht von langer Dauer sein, da sie in eine so
bochfeudale Familie hineingekommen ist. Man müßte sie
warnen. Sie kann^ die Karten aufmerksamer spielen, wenn
sie sieht, daß das Spiel sich gegen sie wendet."
„O, Robert, thue das nicht, sie ist so angegriffen, so —
versprich es mir — sage ihr es nicht."
Robert Mortlock zuckte lächelnd die Schultern.
„Meine liebe Bertha, einem modernen Geist ist nichts so
verlockend wie das Verbotene. Deine übertriebene Aengstlich-
keit reizt mich gerade. Ja — ich glaube sicher, daß ich mit
Judith darüber sprechen werde."-
_ (Fortsetzung folgt.)

Francesco d'Andrade-Liederabeud.
Fl Heidelberg, 22. November.
Können sich zwei schärfer contrastirende Sängernaturen folgen,
als Dr. Wüllner und d'Andrade? Wüllner, der reflectirende,
grübelnde Norden, der Portugiese, die üppige Sinnlichkeit deS
Südens. Die Stimme des letzteren war einer der glänzendsten
Barytons, die je erklangen. Von der strahlenden Pracht ist heute
viel verschwunden, der Metallglanz ist matter geworden. Und
doch ist es noch immer ein ungewötinlicher Genuß, dieses Organ
zu hören, gibt es auch nicht mehr verschwendrisch ans dem Vollen
her, wie früher. Es hat alle die Vorzüge, die ich die „romani-
schen" nennen möchte. Männerstimmen von so weiblicher, sammt-
artiger Weichheit gedeihen selten im Norden, ebensowenig die
leichte Beweglichkeit und erstaunliche Veranlagung für Coloratur.
Es gibt gebildete deutsche Sängerinnen, denen Läufe schwerer
fallen als Herrn d'Andrade.
Unter dem internationalen Einfluß hat sich der Künstler frei.
 
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