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Heidelberger Zeitung — 1900 (Juli bis Dezember)

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Nr. 255-280 (01. November 1900 - 30. November 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37614#0489

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Ar. 281.

Dlninttstag, den 8. AovkNbkr

ISVV.

Oct. 28.
. 29.
, 30.
. 31.
. 31.
» 31.
Nov. i.
« 1.
- 2.
3.

Wochen-Chronik.
(Vom 28. Octobcr bis zum 3. November.)
: Die neue Königin von Serbien scheint sich
sehr gut in ihre Stellung gefunden und sich schon
manche Sympathie erworben zu haben.
: Die City . Fr e t w i l i g e n, die in Afrika gefachten
haben, ziehen in London ein. ES herrscht dort
großer Jubel und viel Betrunkenheit.
: In einigen Gegenden Spaniens zeigen sich
Carlistenbanden.
: Lord Salisbury legt die Leitung des englischen
auswärtigen Amte» in die Hände des bisherigen
Kricgsministers Lord LandSdowne und behält nur die
Prcmierschaft bet.
: Im ungarischen Abgeordnetenhause wird die Ehe
des Thronfolgers besprochen. Die Unobhängig-
keitspartci stellt sich dabei auf den Standpunkt, daß es
morganatische Ehen für Ungarn nicht gebe und die
etwaige Nachkommenschaft des Erzherzogs Franz
Ferdinand erbberechtigt sei.
: Das Kaiserpaar wohnt der Einweihung des Denk-
mals für Kaiser Wilhelm I. in Hildes heim bei.
: Bei den letzten Nachwahlen zum Reichstag hat sich ein
Rückgang der sozialdemokratischen Stimmen
gezeigt.
: Die Mannschaften des letzten großen deutschen
Truppentransportes nach China sind nun.
mehr sämmtlich in Nordchina eingetroffen.
: Die spanische Regierung ergreift strenge Maß-
regeln gegen die Carlisten und läßt zahlreiche
Parteigänger des Carlismus verhaften.
Nachrichten aus Südafrika ergeben, daß wieder zahl-
reiche Äurenschaaren gegen die Engländer auf
dem Plan stehen.

Die Karliftenunruhen in Spanien.
. Wer die Karlisten sind, das wußten unsere Großväter
1 ^ gut! Auch unseren Vätern brachten die Karlisten sich
^ kbtpfehlcnde Erinnerung. Doch uns stehen sie im Großen
Ganzen wegen der Fülle neuer Ereignisse etwas fern.
H Es verlohnt sich daher jetzt, wo zwar die spanische
^Sierung krampfhaft erklärt, die Unruhen seien ohne Be-
, ^ung, aber doch nicht umhin kann, den Belagerungs-
h üa„d über Theile der Monarchie zu verhängen, ein
Scheie im Buch der Geschichte zu blättern, um in Sachen
^ Karlistenbcwegung wieder auf das Laufende zu kommen.
, .Wir müssen bis auf die Regierung Ferdinands VII.
b^Ajgehen, welcher von 1807—33 regierte. Eine Unter-
seiner Regierung, welche Napoleon veranlaßt
2-M indem er seinen Bruder Joseph als König auf den
z^on setzte, hatten verständige Politiker dazu benutzt, dem
x obgleich Spanien eine Verfassung zu geben, um Vor-
st, wie sie unter der Regierung des Vaters von
hg Winand VII., Carl IV., sich ereignet hatten, zu ver-
Im Uebrigcn harrte das treu zu dem bourboni-
Hause stehende Volk auf die Rückkehr Ferdinands,
tg 1814 erfolgte. In den letzten Jahren seiner Regie-
I'eß der König nach, die Verfassungspartei, wie bis-
2,, _ .. ^ ^

h *Ug, die wegen der von jener beabsichtigten Einziehung
hg. '^Mensen Kirchenvermögens den König bisher untcr-
^ «t hatten. Schon jetzt richteten sie ihr Augenmerk auf
" Carlos, den Bruder des Königs,
h. Da nun der König keinen männlichen Leibeserben
Hak' ^ hatte er durch Dekret die in Spanien unter den
sch Würgern bestandene, von den Bourbons aber abge-
i>a, E weibliche Erbfolge wieder hergestellt und
wurde statt seines Bruders Carlos seine im Jahre
0 geborene Tochter Jsabella seine Nachfolgerin,
diere ^ seinem im Jahre 18 33 erfolgten Tode trat seine
Gemahlin Christine die Regentschaft für die kleine
jii??w an. Da sie sich auf die Verfassungspartei stützte,
Vene " ^ Mönche sofort Don Carlos, der ohne das
^^ekretKönig geworden wäre, als König Karl V. zu.

Zu verfolgen, was ihm natürlich den Hatz der Mönche

Von den baskischen Provinzen ging die Erhebung aus,
die unter entsetzlichen Greueln beiderseits im Jahre 1840
endlich mit der Niederlage der Karlisten endete. Auf ihrer
Seite hatte auch unser nachmaliger General v. Göben mit-
gefochten.
Die Königin Jsabella regierte nun bis 1868, in welchem
Jahre sie, aber nicht von den Karlisten. vertrieben wurde. Es
folgten tiefgehende Wirren, die in ihrem Verlauf ja auch
den äußeren Anlaß zum deutsch-französischen Krieg von
1870/71 gaben, bis schließlich Jsabcllens Sohn Alfons XII.
den Thron seiner Väter bestieg. In den siebziger Jahren
erhob der Enkel des Kronprätendenten von 1833 als
Karl VII. von neuem die Fahne des Aufstandes, der aber-
mals unterdrückt wurde.
Bei den ganz ungesunden politischen Zuständen in
Spanien hat man es nicht vermocht, das Geschwür im
Staatskörper gänzlich zu beseitigen und auch jetzt wieder
scheint es aufbrechen zu wollen. Der jetzige Prätendent,
eben jener „Karl VII.*, residirt in Venedig; er selbst
scheint nicht mehr activ als Thronbewerber auftreten, son-
dern das seinem Sohn Don Jaime überlassen zu wollen.
Der ganze trostlose Wirrwarr der spanischen Politik ist
vor Allem daraus zu erklären, daß die ganze Fülle der Kräfte,
die sich in anderen Ländern auf Landbau, Gewerbe, Han-
del, Wissenschaft und Kunst vertheilt, bei dem südländisch
leicht erregbaren Volk der Spanier sich auf das für Spa-
nien immer enger werdende Gebiet der Politik drängt, in
einer Art, daß schließlich die ganze Politik als Geschäft
betrieben wird, in dem man sucht, durch seine politischen
Verbindungen, die häufig wechseln, sich ein fettes Pöstchen
zu verschaffen.
So sieht es in Hispanien aus!

Dauer der Verhandlungen die weitere Ausübung seiner
dienstlichen Funktionen untersagt.

Prozeß Sternberg.
Berlin, 7. Nov. Zu Beginn der heutigen Sitzung wurde
Poltzeidireklor v. Meerscheidt-Hüllessem nochmals ein-
gehend vernommen über seine gesellschaftlichen und pekuniären
Beziehungen zu Sternberg. v. Meerscheidt-Hüllessem
erklärt, daß auch seine Frau und Tochter keine Geschenke von
Sternberg erhalten haben. Wenn auch Stierstädter in eine
andere Abtheilung gekommen sei, so hätte Commissar v. TreSkow,
zu dessen Decernat die Sache Sternberg gebürte, jederzeit Stier-
städter wieder zu der Sache heranztehen können. Zur Charak-
teristik seines Verhaltens zu Sternberg thetltc Zeuge mit, daß
ihm Sternberg eins weitere Hypothek von 1000 Mark auf sein
Grundstück zu Binz als zu unsicher abgeschlagen habe. Weiterhin
erklärt v. Meerscheidt-Hüllessem, daß weder Sternberg noch eines
der mit ihm in Zusammenhang stehenden Finanzinstitute mit
Wechseln Meerscheidts in Berührung stehe. Regicrungsrath
Dieterici vom Polizeipräsidium sagte dann bei seiner Ver-
nehmung aus, er habe erst durch die gegenwärtigen Verhand-
lungen erfahren, daß der Polizeidirektor v. Meerscheidt-Hüllessem
zu dem Angeklagten Sternberg in gesellschaftlichen Beziehungen
gestanden habe. Aber selbst wenn er bereits zur Zeit der Er-
richtung der ncueu Abtheilung der Criminalpolizei, wobei die
Beschäftigung des. Criminalschutzmanns Stierstädtcr geändert
wurde, Kenntniß davon gehabt hätte, würde er keineswegs Be-
denken darüber geäußert haben. Der erste Prozeß Sternberg
war beendet und somit auch die Recherchen. Bei Wiederaufnahme
der letzteren brauchte Commissar v. Treskow nur den Wunsch zu
äußern, daß ihm Stierstädter wieder zur Verfügung gestellt
werde. Soviel er wisse, sei dies auch geschehen. Weiter bekundet
Zeuge aus eigener Kenntniß, daß v. Meerschetdt keineswegs ein
besonderes Interesse für Sternberg in seinen amtlichen Hand-
lungen bekundete und daß er alle Verfügungen u. s. w. erst von
Dieterici unterzeichnen ließ. Was den Criminalschutzmann
Stierstädter betreffe, so habe er seine Befugnisse nicht überschritten.
Im weiteren Verlause hebt Vertheidiger Dr. Sello hervor,
daß die Verlheidigung sich zu keiner Zeit des Verfahrens auf
v. Meerscheidt gestützt habe. Dieterici wird hierauf entlassen,
v. Meerscheidt wird schließlich vereidigt. Morgen Fortsetzung.
Die amtliche Berliner Korrespondenz meldet: Nach dem Er-
gebnisse der gestrigen Gerichtsverhandlung wurde dem Poliz ei-
direktor v. Meerscheidt-Hüllessem noch während der

Deutsches Reich.
— Am Vormittag des 7. d. fand im Lustgarten in
Berlin in Gegenwart des Kaisers die Vereidigung
der Rekruten der Garnisonen Berlin, Spandau, Char-
lottenburg und Groß-Lichterfelde statt. Anwesend waren
die Prinzen des Königlichen Hauses, die Generalität, die
Admiralität, sowie die fremdherrlichen Offiziere. Um 10
Uhr erschien der Kaiser zu Pferde, mit dem Feldmarschall-
stabe in der Hand und ritt die Front ab. Die Vereidi-
gung erfolgte brigadeweise, jedesmal vor dem Kaiser, welcher
dann in die Mitte des Vierecks trat und eine Ansprache
hielt. Der commandirende General des Gardecorps brachte
ein Hurrah auf den Kaiser aus.
Baden. L.O. Karlsruhe, 6. Nov. Die Deutsche
Ztg. veröffentlicht eine Zuschrift aus dem „südlichen,
schwärzeren Theile* Badens über den ultramontanen
Einfluß in Baden, die nicht verfehlen wird, in Lehrer-
kreisen Aufsehen zu erregen. Sie lautet: „Die Bad.
Regierung gilt im Reiche wohl noch überall als stramm
nationalliberal. Bei näherem Zusehen wird man jedoch
finden, daß in der festen Mauer überall Breschen sind,
durch die der Ultramontanismus ungehindert ein- und
ausschlüpft. So steht ies z. B. im Schulwesen. Ge-
räts» ein Volksschullehrer mit einem kathol. Pfarrer in
persönlichen oder dienstlichen Streit, so kann er auf seiner
Hut sein; selbst bei klarstem Rechte wird der Lehrer nicht
ohne einen Wischer davonkommen, während der geistliche
Herr fast regelmäßig die Treppe — hinauffällt. Der
Großh. Oberschulrath besteht zwar in seiner Mehrheit aus
äußerlich liberalen Herren, aber der einzige ausgesprochen
ultramontane Rath steckt das ganze übrige Kollegium in
die Tasche. Wie das Haupt, so die Glieder! Ein
Gymnasialdirektor, der einst als Vorkämpfer des Alt-
katholizismus galt, ist jetzt eine Säule der Centrums-
partei. An seinem Gymnasium duldet er keinen Lehrer,
der nicht auf diese Partei etngeschworen ist, und wehe
dem kathol. Praktikanten, der nicht die vorgeschricbenen
Pflichten seiner Kirche pünktlich erfüllt. Ein treuer Diener
der Kirche jedoch kann im Unterricht, wie außer Dienst
sich Vieles erlauben, ehe ihm sachte auf die Finger ge-
klopft wird. Wie der Anhang des Centrums eine bessere
Empfehlung ist, als ein Vetter im Konsistorium, dafür
erlebt man bei jeder Ernennung oder Versetzung die hand-
greiflichsten Proben. Ein ganz junger Lehrer, aber ultra-
montaner Heißsporn, wird Vorstand einer großen Real-
schule, weil der bisherige katholische Vorstand ausgesprochen
nationalliberal war und dem ultramontanen Stadtrath
nicht paßte. Direktor an einer der größten höheren
Mädchenschulen des Landes ist ein Mann, der aus rein
evangelischer Gegend stammt, aber seine Kinder hat
katholisch werden lassen. Diese Handlung bildet in Baden
wohl die beste Empfehlung, wie sich jüngst wieder zeigte,
wo ein junger Professor von einer Realschule an ein
Gymnasium versetzt wurde, und dort auf unmittelbaren
Befehl des OberschulrathS Unterricht in Prima bekam,
über einen viel älteren Amtsgenossen hinweg, der diesen
Unterricht schon länger einwandfrei ertheilt hatte. Diese
Beispiele lassen erkennen, wie mächtig auch in dem schein-
bar sturmfreien Baden die römische Macht bereits an-
geschwollen ist. Tie liberalen kathol. Beamten, deren es
trotz ihrer augenfälligen Zurücksetzung noch eine ziemliche
Anzahl gibt, lassen ihre Kinder völlig in der Gewalt der
kathol. Priester und haben es sich deshalb selbst zuzu-

22)

Ein Opfer.
Roman von B. Saworra.
Autorisirte Bearbeitung nach dem Englischen.
(Fortsetzung.)

6. Kapitel.
^ hübsche kleine Haus von Frau von Rost in Belgravia
v, E? ^ ^stespracht.
Mas,- Vurpurtepvick war vor der offenen Thür über das
Pvtknn gebreitet und mit einem Baldachin überdacht. Die
Mlä« . > reich mit Farrenkräutern und Blumen geschmückt,
^ in Hellem Licht. Kleine Gruppen von ärmlich ge-
j>»d M Kindern standen lebhafl plaudernd zu beiden Seiten
Muten neugierig und erwartungsvoll in den einladen-
. , »Östlichen Raum.
Herren in leichten Ueberziehern kamen zu Fuß, sie
Men ?^en Augenblick stehen, um einige Damen vorüber zu
flösse' °>e eben aus einem Wagen gestiegen waren. Die
f>e A .Gesichter der Kinder, ihre hungriaen Augen erregten
M s-Mlksamkeit des jüngeren Herrn; ergriff in die Tasche
ihnen einige Nickel. Es war Mark, der mit Georg
EjM* jetzt die Treppe Hinaufstieg.

Me
M sr!>>^5cken in die gesträume. Frau von Rost empfing sie
,,, "°lichem Lächeln nahe dem kunstvoll drapirlen Ein-
»>- »Tn? Aallsaal.
""uktliT "ruß ick» loben I" nickte sie ihnen erfreut zu, „so
T Äe i?" erscheinen!"
Kk>r,h war eine kleine, etwas rundliche Dame, mit lebhaftem
Ausd^ument, gewinnendem Lächeln und liebenswürdigem
pMen dem frischen Gesicht, in den leuchtenden braunen
M trug ein schwarzes Spitzenkleid» das von Perlen
»-Meli, ?E>nen glänzte. Diamanten funkelten in dem schönen,
^i>ken an ihrem zarten Halse und den feinen Hand»

„Wer ist denn schon hier?" fragte Mark und schaute
spähend durch die beiden festlich erleuchteten Räume.
„Hören Sie doch. Georg!" lachte Frau von Rost-
„Wer ist schon hier?" Er fragt das mit so bewunderungs-
würdig gleichgiltiger Miene, als ob er nicht das geringste
persönliche Interesse dabei hätte.
„Sie — es giebt für Dich noch nur eine „Sie — ist noch
nicht erschienen, Mark."
Mark lächelte und that ganz unbefangen.
„Haben Sie die schöne junge Dame schon kennen gelernt ?"
fragte Frau von Rost Georg.
„Nein — noch nicht." .
„Sie kann sich wohl sehen lassen. Sre ist nicht nur
hübsch, sondern auch klug. Doch Sie müssen selbst urtheilen,
wir wollen nachher unsere Meinungen austauschen. Nun geht
weiter, meine Lieben. Hier kommt Frau von Crewdson,
ich muß meine zuvorkommendste Miene aussetzen. Georg,
Sie sind ja so liebenswürdig; bitte, machen Sie sich bei dem
Wenig schönen Mädchen niedlich, das dort am Fenster sitzt.
Sie kennen sie — Sie haben sie schon manchmal hier ge-
troffen."
„Wie heißt ne, Nelly?"
„Luise Stanley. Die Dome neben chr, die schon zu nicken
beginnt, ist ihre Großmutter; wenn sie nur nicht zu schnarchen
anfüngl! Luise ist auf den Gesellschaften immer mein Sorgen-
kind. Sie kann nicht tanzen, Georg, bildet sich aber ein, es
vortrefflich zu können. Gehen Sie. stärken Sie sie in dem
Glauben."
Die Freunde bewegten sich langsam durch den gefüllten
Saal. In einer fernen Ecke »aß eine behäbige, schläfrig aus-
sehende, alte Dame; neben ihr ein etwas plumpes, junges
Fräulein in leuchtendem Rosa. Das gelbe Haar war glatt
von der eckigen Stirn zurückgestrichen; sie blickte mit nichts
sagenden Augen aelangweilt um siaz und gähnte hinter dem
Fächer; die alte Dame gähnte offenbar.
Ein stattlicher Herr mit einer Glatze nahte sich ihnen,
sprach mit tiefer Verbeugung einige Worte, bot dann freund-

lich lächelnd der rosa gekleideten Dame den Arm und führte
sie in die Mitte des Saales, wo man gerade zu einer Qua-
drille zusammentrat.
„Ich bin meiner Pflicht enthoben." lächelte Georg zu-
frieden. „Fräulein Stanley hat einen anderen Tänzer ge-
sunden."
Die Zimmer waren groß und lustig, aber Frau von
Rosts Freunde und Bekannte eine Legion. Georg und Mark
wußten, daß ihr Ball an Ueberfülle leiden würde. Schon
jetzt — es war noch früh — kostete es Zeit und Mühe, sich
durch die fröhliche Menge in leuchtenden Festgewändern Bahn
zu brechen.
„Wir wollen hier stehen bleiben und zusehen," sagte Mark,
als sie glücklich eine Ecke zwischen den beiden Festräumen er-
reicht hatten-
„Neüy würde nicht zufrieden sein, wenn sie das sähe, be-
merkte Georg.
„O. es ist nicht anzunehmen, daß sie dazu kommt."
„Du weißt, sie rechnet darauf, daß ich mich der Damen
annehme, die besonders gclangweilt aussehen und ein Auge
aus die Herren habe, die zu umerneymend Vorgehen."
„Eine ungeheuerliche Aufgabe."
„Ich werde mich heute los und ledig aller Pflicht be-
trachten," sagte Georg behaglich — „wenigstens bis Fräulein
Verrell kommt."
„Du wirst meine Braut hoffentlich nicht „Fräulein Verrell"
nennen?"
„Wie denn?"
„Judith, natürlich."
„Ich hoffe. „Judith" wird die Vertraulichkeit gestatten.
„Mein Lieber, meine Frau kann für Dich niemals „Fräu-
lein Verrell" sein."
„Nein — nicht, wenn sie erst Deine Frau ist," scherzte
Georg.
(Fortsetzung folgt.)
 
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