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vierteljährl. 1.25 Mk.
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Fernsprech-Anschluß Nr. 82.
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15 Pf. für die lspaltige
Petitzetle oder deren Raum.
Für hiesige Geschäfts- und
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der Inserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.
Fernsprech-Anschluß Nr. 82
Xr. 155. Erstes Klaff. Samrlas, de» 7. Juli
190«.
Die Vorgänge in China.
Berlin, 0. Juli. Wolffs Telegraphenbureau meldet:
Der Kaiser telegraphirte an den Chef des Kreuzergeschwaders,
den Gouverneur von Kiautschou, den Generalgouverneur
von Schantung und die Vicekönige von Nanking und
Wutschau, er verpflichte sich auf sein kaiserliches Wort, für
jeden zur Zeit in Peking eingeschlossenen Fremden jeder
Nationalität, der lebend einer deutschen oder sonstigen
fremden Behörde übergeben wird, demjenigen, der diese
Auslieferung hcrbeisührt, 1000 Taels (1 Tael — ca.
3 Mk.) zu zahlen. Auch übernimmt der Kaiser alle
Kosten, die jedwede Uebermittelung seiner Zusage nach Peking
verursacht.
Berlin, 6. Juli. Der deutsche Consul in Tientsin
meldet vom 1. Juli: Ein soeben hier eingetroffcnes vom
20. Juni datirtes authentisches Schreiben vom eng-
lischen Gesandten in Peking an den hiesigen englischen
Consul bestätigt, daß der deutsche Gesandte Frhr. v.
Ketteler auf dem Weg zum Tsung-li-Aamen von chine-
sischen Soldaten erschossen wurde. Sein Begleiter,
der Dolmetscher Cordes, ist gefährlich verwundet
worden. Nach Annahme des englischen Gesandten war v.
Ketteler auf der Stelle todt, doch wurde sein Leichnam
nicht gefunden. Der englische Gesandte befürchtete am 20.
Juni einen Angriff auf die englische Gesandtschaft.
Bremen, 6. Juli. Die Weserzeitung veröffentlicht
folgendes der Firma Melchers u. Co. aus Shanghai vom
6. Juli zugegangene Telegramm: Wir haben Grund zu
glauben, daß alle Fremden in Peking umge-
bracht sind. Die Rebellen breiten sich im Norden Chinas
aus. Die Fremden in Tientsin werden die Stadt verlassen
müssen, da noch chinesische Angriffe erwartet werden. Die
Unruhen in Shantung nehmen zu, weisen jedoch noch keinen
Anlaß zu Besorgniß für das Aangtsegebiet und Shanghai
auf, da die Vicekönige in Wutchung und Nanking die Be-
fehle der gegenwärtigen Machthaber in Peking nicht aner-
kennen. Jedenfalls ist die Lage sehr ernst.
London, 6. Juli. Nach einem heute hier einge-
troffencn Telegramm aus Shanghai vom 5. ds. Mts.
haben sich, zuverlässigen Nachrichten zufolge, sämmtliche
Prinzen des kaiserlichen Hauses den Boxern
an geschlossen. (Es giebt 6000 kaiserliche Prinzen.
Haben sie sich in der That alle den Boxern angeschlossen,
so wird den Mächten nichts übrig bleiben, als eine neue
Dynastie einzusehen.)
Shanghai, 6. Juli. Nach Meldungen Londoner
Blätter sind vor mehreren Tagen im Norden und Osten
von Tientsin 30 000 Chinesen, von Lutai kommend, er-
schienen. Es gelang den russischen und japanischen
Truppen, sie zurückzuschlagcn; doch wurden die Operationen
der Truppen durch Mangel an Nahrung und Wasser be-
einträchtigt. Täglich träfen starke chinesische Verstärkungen
aus der Mandschurei ein. Nach einer weiteren Meldung
Londoner Blätter sind amerikanische Missionare
und andere Gerettete, im Ganzen 35 Personen, am 3. d.
in Tschifu eingetroffen. Die Times meldet: Der britische
Consul habe vorgestern, um ein letztes Rctrungsmittel zu
versuchen, an General Juanschkai telegraphirt und ihn
dringend gebeten, seinen Beistand zur Rettung der Euro-
päer in Peking zu leihen.
Deutsches Reich.
— Wie aus Rom gemeldet wird, hat der Papst dem
Kaiser seinen Dank und Glückwunsch zu dem scharfen
Vorgehen gegen China ausdrücken lassen. Die Haltung
des Papstes steht in diesem Falle durchaus im Einklang
mit der der deutschen klerikalen Presse, welche die Reden
des Kaisers in rückhaltloser Weise gebilligt hat.
— Die Chinesen in Berlin, die zahlreichen Mit-
glieder der Gesandtschaft und die sonst dort lebenden, sind
seit dem Eintreffen der Schreckensnachrichten stark be-
ängstigt und haben wirklich Furcht um ihre Sicherheit,
wozu natürlich nicht der geringste Grund vorliegt. Der
chinesische Gesandte ist krank geworden, er verläßt seine
Wohnung nicht mehr und hat die Geschäfte einem Stell-
vertreter übergeben. Die übrigen Chinesen haben plötzlich
europäische Tracht angelegt, verstecken ihren Zopf theils
unter den Hut, theils unter Perrücken. Einer hat ihn im
hohen Stehkragen verschwinden lassen. So fehlt es nicht
an Komik in ernster Zeit, denn die Söhne des „himm-
lischen Reiches" sind trotz aller Verkleidung ohne Weiteres
erkennbar und fallen in dem ihnen ungewohnten Kostüm
mitteleuropäischer Gigerl mindestens so auf wie in ihrer
Nationaltracht.
Kiel, 5. Juli. Nach dem Eintreffen der Mobil-
machungsordre ließen die Kommandanten sämmtlicher
Linienschiffe die Mannschaften auf Achterdeck antreten und
verlasen den Befehl des Kaisers, welchen die Besatzungen
mit brausenden Hurrahrufen beantworteten. Heute Mittag
fand ein Kriegsrath auf dem Flaggschiff „Kurfürst
Friedrich Wilhelm" statt. Anwesend waren der
Geschwaderchef und sämmtliche Kommandanten. Die Aus-
reise ist auf Sonntag Vormittag festgesetzt. Der
Kriegsrath des Chinageschwaders fegte fest: Heute Ueber-
nahme der Munition. Freitag: llebernahme der Kohlen
und der fehlenden Munition, Sonnabend: llebernahme
des Seeproviants. Abends sind sämmtliche Linienschiffe
Und der Kreuzer „Hela" abgangsfertig. Die China-
Division dampft direkt nach Gibraltar, ohne Wilhelms-
hafen anzulaufen. Die Linienschiffe erhielten 13 See-
meilen Geschwindigkeit vorgeschrieben.
Wilhelmshaven, 5. Juli. Heute trafen 15Armce-
offiziere als Ersatz des Scebataillons ein. Eine fieberhafte
Thätigkeit herrscht im Bekleidungsamt für die Herstellung
von 2500 Tropenanzügen. Die zweite Expe-
dition soll 5000 Mann stark werden. Koutre-
admiral Geißler reiste nach Kiel zur llebernahme des
Kommandos über die China-Division ab.
Wilhelmshaven, 6. Juli. Auf allerhöchsten Be-
fehl verbleibt der Kreuzer „Condor" in Afrika. Der zu
seiner Ablösung bestimmte „Bussard", sowie der kleine
Kreuzer „Schwalbe" haben sich schleunigst nach China
zu begeben.
Baden. Die Konst. Ztg. schreibt: Eine seltsame
Petition unterbreitete Emil Roth aus Konstanz der 2.
Kammer. Er verlangt, der Landtag möge dafür sorgen,
daß die Inschriften „Kgl. Preußisch" von den Militär-
gebäuden in Baden entfernt werden. Die Petitionscom-
mission trat gar nicht in die Behandlung dieser Petition
ein und die 2. Kammer billigte am Mittwoch den Beschluß
der Commission.
Elsaß-Lothringen. Bei der vorletzten Reichstagswahl
in Mülhausen wurde der Sozialdemokrat Bueb im ersten
Wahlgang mit 13 610 Stimmen gewählt. Die bürger-
lichen Parteien waren nicht einig. Bueb ist inzwischen von
seiner eigenen Partei zur Niederlegung des Mandats ver-
anlaßt worden, da er ihr zu bürgerlich vorkam. Der neue
sozialdemokratische Bewerber Emmel gehört zwar auch zu
den Gemäßigten, allein die Vorgänge hatten doch guf die
Partei schwächend eingewirkt. Emmel bekam nur 7688
Stimmen, während die bürgerlichen Parteien sich auf die
Kandidatur des Liberalen Schlumberger geeinigt hatten
und für dieselbe 17 731 Stimmen aufbrachten. Das Reichs-
land hat nunmehr keinen sozialdemokratischen Vertreter mehr
im Reichstag. Schlumberger erhielt doppelt so viel Stim-
men als Emmel, und dann noch einmal 2355 mehr l Wir
glauben nicht, daß ein so wahrhaft überwältigender Sieg
viele Gegenstücke in der Geschichte der parlamentarischen
Kämpfe haben wird. Für Mülhausen, das ein volles
Jahrzehnt unter der socialdemokratischen Zwingherrschaft
gestanden hatte, ist ein solcher Erfolg des einwüthigen
Zusammenhaltens der bürgerlichen Bevölkerung natürlich
von ganz besonderer Bedeutung. Wie wenig nobel die
Sozialdemokratie kämpft, das mag folgende Stelle aus
ihrem letzten Wahlaufruf lehren. Sie lautet: „Wähler,
die einzige Antwort, die der Partei würdig ist, der wirk-
samste Fußtritt, den Ihr dem im Namen der Ordnung
operircnden ehrlosen Gesindel versetzen könnt, ist die ein-
müthige Wahl des Kandidaten Emmel." Die Wähler haben
die richtige Antwort auf diese Gemeinheit gegeben.
Sachsen. Dresden, 6. Juli. Wenn das Befin-
den des Königs sich auch in erfreulicher Weise gebessert
hat, so ist, wie das Hofmarschallamt mittheilt, die Besserung
doch noch nicht soweit vorgeschritten, daß sie dem König
gestattet, die Huldigung des Festzuges des 13. deutschen
Bundesschiebens entgegenzunehmsn oder den Fest platz zu
besuchen.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
Amtsvorstand, Geh. Reg.-Rath Dr. Gross in Bruchsal das
Ritterkreuz erster Klasse mit Eichenlaub des Ordens vom Zäh-
rtnger Löwen verliehen, dem charakterisirtcn außerordentlichen
Professor Dr. Joachim Teichmüller an der Technischen Hoch-
schule in Karlsruhe die etatmäßige Amtsstelle eines außerordent-
lichen Professors für Elektrotechnik an der genannten Hochschule
übertragen, dem Medizinalrath Alfred Fritschi aus Freiburg
die etatmäßige Amtsstelle eines Strafanstaltsarztes am Landes-
gesängniß Freiburg und dem praktischen Arzt Dr. Fried.Lumpp
aus Kork die etatmäßige Amtsstelle eines Strafanstaltsarztes am
Männerzuchthaus Bruchsal übertragen.
— Seine Königliche Hoheit der Groß Herzog haben den
Jngenieurpraktikanten Hermann Bürgel in in Rastatt zum
Regierungsbaumeister bei der Wasser- und Straßenbanverwaltung.
den Buchhalter Georg Liedel in Konstanz znm Ober-
buchhalter der Bezirksfinanzverwaltung ernannt, die Steuerkom-
mtssäre Konstantin Reinkunz in Engen, Friedrich Blansch
in Ueberlingen und August Jäger in Schopfheim landesherr-
lich angestellt, den Notar Eugen Burckhardt in Rhein-
bischofsheim in den Amtsgerichtsbezirk Pforzheim, den Notar
Karl Lederte in Wiesloch und den Notar Dr. Karl Lingert
in Krautheim in den Amtsgerichtsbezirk Kehl und den Notar
Ernst Serg er in Rickenbach in denÄmtsgerichtsbezirk Tauber-
bischofsheim versetzt.
— Seit 1. Juli l. I. besteht eine weitere sehr günstige
Zugsverbindung für den Verkehr von badischen Stationen
nach Köln über Frankfurt a. M. in Anschluß an den V-Zug 12:
Basel ab 235 Nachmittag, Freiburg ab 3.28 Nachm., Karlsruhe
ab 5.40 Nachm., Heidelberg ab 6.36 Nachm., Frankfurt a. M.
an 8.12, ab 8.45 Abends, Köln an 12.27 Nachts. Dieser Zug
ührt auch ab Frankfurt nur 1. und II. Wagenklasse, ist aber
nicht V-Zug.
Karlsruhe, 6. Juli. Der Großherzog und die
Großherzogin trafen heute Vormittag gegen 9 Uhr
hier ein und wurden am Bahnhof von dem Oberststall-
meister Freiherrn v. Holzing-Berstett empfangen. Nach der
Ankunft im Großh. Schlosse nahm Se. König!. Hoheit der
Großherzog Meldungen entgegen. Um 11 Uhr empfing
Se. König!. Hoheit den Staatsminister Nokk zu längerer
Besprechung. Am späteren Abend begeben sich Ihre Kgl.
Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin nach dem
Bahnhof und werden dort bis zu der um 1 Uhr Nachts
erfolgenden Abreise nach Gmunden ihren Salonwagen be-
ziehen. Die Prinzessin Wilhelm ist heute früh 7 Uhr 23
Min. mit Gefolge nach Gmunden abgereist.
Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
32) (Fortsetzung.)
Voll scheuer Bewunderung blickte Gerth auf Konstanze.
Welch' heroisches Herz wohnte in diesem MädchenI Eine
Märtyrerin kindlicher Aufopferung sah er vor sich, die lieber
den Schein eines schrecklichen Verbrechens auf sich nahm, als
einen Makel auf eine Todte fallen zu lassen. Welche unver-
gleichliche Seelenstärke, welch' hoheitsvoller Charakter war
wer dem Jrrenhause überantwortet und mit den elendesten
Geschöpfen zusammengetban worden I Er wußte aber auch
vun, was er diesem edlen Mädchen galt. Nicht der Tod,
nicht lebenslängliche Gefangenschaft in diesem Kerker geistiger
Umnachtung vermochte ihr das Wort zu erpressen, welches
lhr Erlösung bringen konnte; vor der ganzen Welt trug sie
das Brandmal der Mörderin, — nur von ihm allein wollte
Ue nicht verkannt sein!
»Fräulein Konstanze," sagte er in feierlich ernstem Tone,
«das unbegrenzte Vertrauen, welches Sie mir entgegengebracht
Men, schützt Ihr Geheimniß bei mir sicherer als tausend
s^lde, die Sie mir Mördern könnten; aber kann nichts Sie
aewegen, auch vor der Welt Ihr Schweigen zu brechen, um
Jvie Freiheit wieder zu erlangen? Niemanden gibt es, dem
Freiheit so kostbar wäre wie mir- Vielleicht wissen Sie
das längst!"
Ein seines flüchtiges Roth, welches über ihr Antlitz huschte,
vkrrieib ihm, daß sie es wußte.
. »Daß Sie die Tochter des Hingemordeten sind, daß für
lene von maßloser Habsucht beherrschten Frau, der dies
Mannt war, ein großes Erbe auf dem Spiele stand, —
aas ist das wichtigste Glied in der Kette von Entlastungs-
Menten, die ich bereits in der Hand halte. Der Mörder
albst, dessen Frau Bruscher sich als Werkzeug bedient hat, ist
so gut wie entdeckt. Hören Sie mich an, welche über-
raschenden Erfolge der Thätigkeit des Detektives bereits zu
verdanken sind."
„Oh! sagen Sie mir nichts davon!" bat Konstanze in-
ständig, „geben Sie Ihre edelmütdigen Bemühungen auf; die
letzte Krönung desselben würde doch das Grab meiner Mutter
schänden. Das Blut meines Vaters schreit um Rache, und
nichts wünschte ich mehr als die Sühne dieses Verbrechens;
aber auch die Ehre meiner Mutter ist mir heilig, und für sie
würde ich ruhigen Herzens mein Haupt auf den Block gelegt
haben. Nimmer, nimmer werde ich um solchen Preis meine
Freiheit erkaufen!"
„Konstanzei" rief der junge Arzt, indem er sich ihr zu
Füßen warf und bebend ihre Hände ergriff, „haben Sie keinen
Lohn für den Mann, der, wie kein anderer, an Ihre Unschuld
glaubte?" .
Sie lächelte verklärt, denn sie wußte, was er mit diesen
scheinbar selbstsüchtigen Worten sagen wollte. „Meine Liebe
bis in den Tod," antwortete sie, „meine Liebe, bis mem
armes Leben in diesen Mauern erlischt!"
Sie beugte sich auf ihn herab und bot ihm den Mund
zum Kusse dar.
In Wonne und Schmerz zugleich sog er den süßen, reinen
Hauch ihres Mundes ein und preßte das geliebte Mädchen
an sein Herz.
Dann sprang er Plötzlich auf und durchmaß mit heftigen
Schritten die Zelle wie ein gefangener Löwe.
„Konstanze, es giebt nur Einen Weg für Sie und mich,"
sagte er in leisem, beschwörendem Tone, vor ihr stehen
bleibend. „Sie müssen fliehen! Die Mittel zu Ihrer Be-
freiung liegen in meiner Hand. Ich versehe Sie mit anderen
Kleidern und öffne Ihnen unter dem Schutze der Nacht die
Zelle; einen Schlüssel zur Seitenpforte, die ins Freie führt,
habe ich als Anstaltsarzt bei mir. Wir haben nur den
Wächter zu fürchten, aber ich werde ihn zu täuschen wissen,
und ihn für die Folgen seines Jrrthums reich entschädigen.
Alle Vorbereitungen, die unsere Flucht sichern, werde
ich aufs sorgfältigste treffen. Ich bin reich und unabhängig
und führe Sie nach einem fernen Lande, wo uns niemand
findet."
Er hielt sie in seinen Armen, während er ihr dies zu-
flüsterte. Bei jedem seiner Worte spiegelte sich in ihrem
Antlitz, in ihrem schönen großen Auge die Empfindung zärt-
licher Dankbarkeit ab für das, was er für sie thun wollte.
Aber mit dieser Empfindung mischte sich auch ein Zug schmerz-
licher Entsagung.
„Und wenn der Fluchtversuch mißglückte?" erwiderte sie.
ihm mit der Hand sanft über das Haar streichend. „Ein un-
vorhergesehener, ganz geringer Zwischenfall, ein zufälliges
Geräusch, die Schlaflosigkeit einer Wärterin kann alle noch so
geschickt angelegten Fluchtpläne zu Nichte machen, ehe noch
die gefährlichste aller Klippen, der Wächter, in Frage
kommt. Ein unglücklicher Ausgang ist sicherer vorauszu--
zusehen, als das Gelingen, und welch' schwere Verant-
wortlichkeit Sie dann als Arzt dieser Anstalt treffen
würde, das wage ich mir kaum auszumalen. — Nein, nein!
versuchen Sie nicht, meine Bedenken zu beschwichtigen,
versuchen Sie nicht, mir zuzureden, wollte ich einem
Wagniß. bei dem Sie Alles aufs Spiel setzen, meine Zu-
stimmung geben."
Er bat, er flehte, doch sie blieb unerbittlich. Die Ehre
des jungen Arztes war ihr so heilig wie die Ehre ihrer
Mutter.
Ein paar Tage später befand man sich in Sankt Rochus
in großer Aufregung. Eine der Kranken war spurlos ver-
schwunden. Bleich und starr wie ein Marmorbild, vernahm
Doktor Gerth die Kunde, daß die Verschwundene Konstanze
Herdronn sei. Es gab keinen Winkel in der ganzen An-
stalt, wo nicht nach ihr gesucht worden wäre, aber vergebens.
Daß sie entkommen sei, konnte keinem Zweifel mehr unter-
liegen.
(Fortsetzung folgt.)
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190«.
Die Vorgänge in China.
Berlin, 0. Juli. Wolffs Telegraphenbureau meldet:
Der Kaiser telegraphirte an den Chef des Kreuzergeschwaders,
den Gouverneur von Kiautschou, den Generalgouverneur
von Schantung und die Vicekönige von Nanking und
Wutschau, er verpflichte sich auf sein kaiserliches Wort, für
jeden zur Zeit in Peking eingeschlossenen Fremden jeder
Nationalität, der lebend einer deutschen oder sonstigen
fremden Behörde übergeben wird, demjenigen, der diese
Auslieferung hcrbeisührt, 1000 Taels (1 Tael — ca.
3 Mk.) zu zahlen. Auch übernimmt der Kaiser alle
Kosten, die jedwede Uebermittelung seiner Zusage nach Peking
verursacht.
Berlin, 6. Juli. Der deutsche Consul in Tientsin
meldet vom 1. Juli: Ein soeben hier eingetroffcnes vom
20. Juni datirtes authentisches Schreiben vom eng-
lischen Gesandten in Peking an den hiesigen englischen
Consul bestätigt, daß der deutsche Gesandte Frhr. v.
Ketteler auf dem Weg zum Tsung-li-Aamen von chine-
sischen Soldaten erschossen wurde. Sein Begleiter,
der Dolmetscher Cordes, ist gefährlich verwundet
worden. Nach Annahme des englischen Gesandten war v.
Ketteler auf der Stelle todt, doch wurde sein Leichnam
nicht gefunden. Der englische Gesandte befürchtete am 20.
Juni einen Angriff auf die englische Gesandtschaft.
Bremen, 6. Juli. Die Weserzeitung veröffentlicht
folgendes der Firma Melchers u. Co. aus Shanghai vom
6. Juli zugegangene Telegramm: Wir haben Grund zu
glauben, daß alle Fremden in Peking umge-
bracht sind. Die Rebellen breiten sich im Norden Chinas
aus. Die Fremden in Tientsin werden die Stadt verlassen
müssen, da noch chinesische Angriffe erwartet werden. Die
Unruhen in Shantung nehmen zu, weisen jedoch noch keinen
Anlaß zu Besorgniß für das Aangtsegebiet und Shanghai
auf, da die Vicekönige in Wutchung und Nanking die Be-
fehle der gegenwärtigen Machthaber in Peking nicht aner-
kennen. Jedenfalls ist die Lage sehr ernst.
London, 6. Juli. Nach einem heute hier einge-
troffencn Telegramm aus Shanghai vom 5. ds. Mts.
haben sich, zuverlässigen Nachrichten zufolge, sämmtliche
Prinzen des kaiserlichen Hauses den Boxern
an geschlossen. (Es giebt 6000 kaiserliche Prinzen.
Haben sie sich in der That alle den Boxern angeschlossen,
so wird den Mächten nichts übrig bleiben, als eine neue
Dynastie einzusehen.)
Shanghai, 6. Juli. Nach Meldungen Londoner
Blätter sind vor mehreren Tagen im Norden und Osten
von Tientsin 30 000 Chinesen, von Lutai kommend, er-
schienen. Es gelang den russischen und japanischen
Truppen, sie zurückzuschlagcn; doch wurden die Operationen
der Truppen durch Mangel an Nahrung und Wasser be-
einträchtigt. Täglich träfen starke chinesische Verstärkungen
aus der Mandschurei ein. Nach einer weiteren Meldung
Londoner Blätter sind amerikanische Missionare
und andere Gerettete, im Ganzen 35 Personen, am 3. d.
in Tschifu eingetroffen. Die Times meldet: Der britische
Consul habe vorgestern, um ein letztes Rctrungsmittel zu
versuchen, an General Juanschkai telegraphirt und ihn
dringend gebeten, seinen Beistand zur Rettung der Euro-
päer in Peking zu leihen.
Deutsches Reich.
— Wie aus Rom gemeldet wird, hat der Papst dem
Kaiser seinen Dank und Glückwunsch zu dem scharfen
Vorgehen gegen China ausdrücken lassen. Die Haltung
des Papstes steht in diesem Falle durchaus im Einklang
mit der der deutschen klerikalen Presse, welche die Reden
des Kaisers in rückhaltloser Weise gebilligt hat.
— Die Chinesen in Berlin, die zahlreichen Mit-
glieder der Gesandtschaft und die sonst dort lebenden, sind
seit dem Eintreffen der Schreckensnachrichten stark be-
ängstigt und haben wirklich Furcht um ihre Sicherheit,
wozu natürlich nicht der geringste Grund vorliegt. Der
chinesische Gesandte ist krank geworden, er verläßt seine
Wohnung nicht mehr und hat die Geschäfte einem Stell-
vertreter übergeben. Die übrigen Chinesen haben plötzlich
europäische Tracht angelegt, verstecken ihren Zopf theils
unter den Hut, theils unter Perrücken. Einer hat ihn im
hohen Stehkragen verschwinden lassen. So fehlt es nicht
an Komik in ernster Zeit, denn die Söhne des „himm-
lischen Reiches" sind trotz aller Verkleidung ohne Weiteres
erkennbar und fallen in dem ihnen ungewohnten Kostüm
mitteleuropäischer Gigerl mindestens so auf wie in ihrer
Nationaltracht.
Kiel, 5. Juli. Nach dem Eintreffen der Mobil-
machungsordre ließen die Kommandanten sämmtlicher
Linienschiffe die Mannschaften auf Achterdeck antreten und
verlasen den Befehl des Kaisers, welchen die Besatzungen
mit brausenden Hurrahrufen beantworteten. Heute Mittag
fand ein Kriegsrath auf dem Flaggschiff „Kurfürst
Friedrich Wilhelm" statt. Anwesend waren der
Geschwaderchef und sämmtliche Kommandanten. Die Aus-
reise ist auf Sonntag Vormittag festgesetzt. Der
Kriegsrath des Chinageschwaders fegte fest: Heute Ueber-
nahme der Munition. Freitag: llebernahme der Kohlen
und der fehlenden Munition, Sonnabend: llebernahme
des Seeproviants. Abends sind sämmtliche Linienschiffe
Und der Kreuzer „Hela" abgangsfertig. Die China-
Division dampft direkt nach Gibraltar, ohne Wilhelms-
hafen anzulaufen. Die Linienschiffe erhielten 13 See-
meilen Geschwindigkeit vorgeschrieben.
Wilhelmshaven, 5. Juli. Heute trafen 15Armce-
offiziere als Ersatz des Scebataillons ein. Eine fieberhafte
Thätigkeit herrscht im Bekleidungsamt für die Herstellung
von 2500 Tropenanzügen. Die zweite Expe-
dition soll 5000 Mann stark werden. Koutre-
admiral Geißler reiste nach Kiel zur llebernahme des
Kommandos über die China-Division ab.
Wilhelmshaven, 6. Juli. Auf allerhöchsten Be-
fehl verbleibt der Kreuzer „Condor" in Afrika. Der zu
seiner Ablösung bestimmte „Bussard", sowie der kleine
Kreuzer „Schwalbe" haben sich schleunigst nach China
zu begeben.
Baden. Die Konst. Ztg. schreibt: Eine seltsame
Petition unterbreitete Emil Roth aus Konstanz der 2.
Kammer. Er verlangt, der Landtag möge dafür sorgen,
daß die Inschriften „Kgl. Preußisch" von den Militär-
gebäuden in Baden entfernt werden. Die Petitionscom-
mission trat gar nicht in die Behandlung dieser Petition
ein und die 2. Kammer billigte am Mittwoch den Beschluß
der Commission.
Elsaß-Lothringen. Bei der vorletzten Reichstagswahl
in Mülhausen wurde der Sozialdemokrat Bueb im ersten
Wahlgang mit 13 610 Stimmen gewählt. Die bürger-
lichen Parteien waren nicht einig. Bueb ist inzwischen von
seiner eigenen Partei zur Niederlegung des Mandats ver-
anlaßt worden, da er ihr zu bürgerlich vorkam. Der neue
sozialdemokratische Bewerber Emmel gehört zwar auch zu
den Gemäßigten, allein die Vorgänge hatten doch guf die
Partei schwächend eingewirkt. Emmel bekam nur 7688
Stimmen, während die bürgerlichen Parteien sich auf die
Kandidatur des Liberalen Schlumberger geeinigt hatten
und für dieselbe 17 731 Stimmen aufbrachten. Das Reichs-
land hat nunmehr keinen sozialdemokratischen Vertreter mehr
im Reichstag. Schlumberger erhielt doppelt so viel Stim-
men als Emmel, und dann noch einmal 2355 mehr l Wir
glauben nicht, daß ein so wahrhaft überwältigender Sieg
viele Gegenstücke in der Geschichte der parlamentarischen
Kämpfe haben wird. Für Mülhausen, das ein volles
Jahrzehnt unter der socialdemokratischen Zwingherrschaft
gestanden hatte, ist ein solcher Erfolg des einwüthigen
Zusammenhaltens der bürgerlichen Bevölkerung natürlich
von ganz besonderer Bedeutung. Wie wenig nobel die
Sozialdemokratie kämpft, das mag folgende Stelle aus
ihrem letzten Wahlaufruf lehren. Sie lautet: „Wähler,
die einzige Antwort, die der Partei würdig ist, der wirk-
samste Fußtritt, den Ihr dem im Namen der Ordnung
operircnden ehrlosen Gesindel versetzen könnt, ist die ein-
müthige Wahl des Kandidaten Emmel." Die Wähler haben
die richtige Antwort auf diese Gemeinheit gegeben.
Sachsen. Dresden, 6. Juli. Wenn das Befin-
den des Königs sich auch in erfreulicher Weise gebessert
hat, so ist, wie das Hofmarschallamt mittheilt, die Besserung
doch noch nicht soweit vorgeschritten, daß sie dem König
gestattet, die Huldigung des Festzuges des 13. deutschen
Bundesschiebens entgegenzunehmsn oder den Fest platz zu
besuchen.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
Amtsvorstand, Geh. Reg.-Rath Dr. Gross in Bruchsal das
Ritterkreuz erster Klasse mit Eichenlaub des Ordens vom Zäh-
rtnger Löwen verliehen, dem charakterisirtcn außerordentlichen
Professor Dr. Joachim Teichmüller an der Technischen Hoch-
schule in Karlsruhe die etatmäßige Amtsstelle eines außerordent-
lichen Professors für Elektrotechnik an der genannten Hochschule
übertragen, dem Medizinalrath Alfred Fritschi aus Freiburg
die etatmäßige Amtsstelle eines Strafanstaltsarztes am Landes-
gesängniß Freiburg und dem praktischen Arzt Dr. Fried.Lumpp
aus Kork die etatmäßige Amtsstelle eines Strafanstaltsarztes am
Männerzuchthaus Bruchsal übertragen.
— Seine Königliche Hoheit der Groß Herzog haben den
Jngenieurpraktikanten Hermann Bürgel in in Rastatt zum
Regierungsbaumeister bei der Wasser- und Straßenbanverwaltung.
den Buchhalter Georg Liedel in Konstanz znm Ober-
buchhalter der Bezirksfinanzverwaltung ernannt, die Steuerkom-
mtssäre Konstantin Reinkunz in Engen, Friedrich Blansch
in Ueberlingen und August Jäger in Schopfheim landesherr-
lich angestellt, den Notar Eugen Burckhardt in Rhein-
bischofsheim in den Amtsgerichtsbezirk Pforzheim, den Notar
Karl Lederte in Wiesloch und den Notar Dr. Karl Lingert
in Krautheim in den Amtsgerichtsbezirk Kehl und den Notar
Ernst Serg er in Rickenbach in denÄmtsgerichtsbezirk Tauber-
bischofsheim versetzt.
— Seit 1. Juli l. I. besteht eine weitere sehr günstige
Zugsverbindung für den Verkehr von badischen Stationen
nach Köln über Frankfurt a. M. in Anschluß an den V-Zug 12:
Basel ab 235 Nachmittag, Freiburg ab 3.28 Nachm., Karlsruhe
ab 5.40 Nachm., Heidelberg ab 6.36 Nachm., Frankfurt a. M.
an 8.12, ab 8.45 Abends, Köln an 12.27 Nachts. Dieser Zug
ührt auch ab Frankfurt nur 1. und II. Wagenklasse, ist aber
nicht V-Zug.
Karlsruhe, 6. Juli. Der Großherzog und die
Großherzogin trafen heute Vormittag gegen 9 Uhr
hier ein und wurden am Bahnhof von dem Oberststall-
meister Freiherrn v. Holzing-Berstett empfangen. Nach der
Ankunft im Großh. Schlosse nahm Se. König!. Hoheit der
Großherzog Meldungen entgegen. Um 11 Uhr empfing
Se. König!. Hoheit den Staatsminister Nokk zu längerer
Besprechung. Am späteren Abend begeben sich Ihre Kgl.
Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin nach dem
Bahnhof und werden dort bis zu der um 1 Uhr Nachts
erfolgenden Abreise nach Gmunden ihren Salonwagen be-
ziehen. Die Prinzessin Wilhelm ist heute früh 7 Uhr 23
Min. mit Gefolge nach Gmunden abgereist.
Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
32) (Fortsetzung.)
Voll scheuer Bewunderung blickte Gerth auf Konstanze.
Welch' heroisches Herz wohnte in diesem MädchenI Eine
Märtyrerin kindlicher Aufopferung sah er vor sich, die lieber
den Schein eines schrecklichen Verbrechens auf sich nahm, als
einen Makel auf eine Todte fallen zu lassen. Welche unver-
gleichliche Seelenstärke, welch' hoheitsvoller Charakter war
wer dem Jrrenhause überantwortet und mit den elendesten
Geschöpfen zusammengetban worden I Er wußte aber auch
vun, was er diesem edlen Mädchen galt. Nicht der Tod,
nicht lebenslängliche Gefangenschaft in diesem Kerker geistiger
Umnachtung vermochte ihr das Wort zu erpressen, welches
lhr Erlösung bringen konnte; vor der ganzen Welt trug sie
das Brandmal der Mörderin, — nur von ihm allein wollte
Ue nicht verkannt sein!
»Fräulein Konstanze," sagte er in feierlich ernstem Tone,
«das unbegrenzte Vertrauen, welches Sie mir entgegengebracht
Men, schützt Ihr Geheimniß bei mir sicherer als tausend
s^lde, die Sie mir Mördern könnten; aber kann nichts Sie
aewegen, auch vor der Welt Ihr Schweigen zu brechen, um
Jvie Freiheit wieder zu erlangen? Niemanden gibt es, dem
Freiheit so kostbar wäre wie mir- Vielleicht wissen Sie
das längst!"
Ein seines flüchtiges Roth, welches über ihr Antlitz huschte,
vkrrieib ihm, daß sie es wußte.
. »Daß Sie die Tochter des Hingemordeten sind, daß für
lene von maßloser Habsucht beherrschten Frau, der dies
Mannt war, ein großes Erbe auf dem Spiele stand, —
aas ist das wichtigste Glied in der Kette von Entlastungs-
Menten, die ich bereits in der Hand halte. Der Mörder
albst, dessen Frau Bruscher sich als Werkzeug bedient hat, ist
so gut wie entdeckt. Hören Sie mich an, welche über-
raschenden Erfolge der Thätigkeit des Detektives bereits zu
verdanken sind."
„Oh! sagen Sie mir nichts davon!" bat Konstanze in-
ständig, „geben Sie Ihre edelmütdigen Bemühungen auf; die
letzte Krönung desselben würde doch das Grab meiner Mutter
schänden. Das Blut meines Vaters schreit um Rache, und
nichts wünschte ich mehr als die Sühne dieses Verbrechens;
aber auch die Ehre meiner Mutter ist mir heilig, und für sie
würde ich ruhigen Herzens mein Haupt auf den Block gelegt
haben. Nimmer, nimmer werde ich um solchen Preis meine
Freiheit erkaufen!"
„Konstanzei" rief der junge Arzt, indem er sich ihr zu
Füßen warf und bebend ihre Hände ergriff, „haben Sie keinen
Lohn für den Mann, der, wie kein anderer, an Ihre Unschuld
glaubte?" .
Sie lächelte verklärt, denn sie wußte, was er mit diesen
scheinbar selbstsüchtigen Worten sagen wollte. „Meine Liebe
bis in den Tod," antwortete sie, „meine Liebe, bis mem
armes Leben in diesen Mauern erlischt!"
Sie beugte sich auf ihn herab und bot ihm den Mund
zum Kusse dar.
In Wonne und Schmerz zugleich sog er den süßen, reinen
Hauch ihres Mundes ein und preßte das geliebte Mädchen
an sein Herz.
Dann sprang er Plötzlich auf und durchmaß mit heftigen
Schritten die Zelle wie ein gefangener Löwe.
„Konstanze, es giebt nur Einen Weg für Sie und mich,"
sagte er in leisem, beschwörendem Tone, vor ihr stehen
bleibend. „Sie müssen fliehen! Die Mittel zu Ihrer Be-
freiung liegen in meiner Hand. Ich versehe Sie mit anderen
Kleidern und öffne Ihnen unter dem Schutze der Nacht die
Zelle; einen Schlüssel zur Seitenpforte, die ins Freie führt,
habe ich als Anstaltsarzt bei mir. Wir haben nur den
Wächter zu fürchten, aber ich werde ihn zu täuschen wissen,
und ihn für die Folgen seines Jrrthums reich entschädigen.
Alle Vorbereitungen, die unsere Flucht sichern, werde
ich aufs sorgfältigste treffen. Ich bin reich und unabhängig
und führe Sie nach einem fernen Lande, wo uns niemand
findet."
Er hielt sie in seinen Armen, während er ihr dies zu-
flüsterte. Bei jedem seiner Worte spiegelte sich in ihrem
Antlitz, in ihrem schönen großen Auge die Empfindung zärt-
licher Dankbarkeit ab für das, was er für sie thun wollte.
Aber mit dieser Empfindung mischte sich auch ein Zug schmerz-
licher Entsagung.
„Und wenn der Fluchtversuch mißglückte?" erwiderte sie.
ihm mit der Hand sanft über das Haar streichend. „Ein un-
vorhergesehener, ganz geringer Zwischenfall, ein zufälliges
Geräusch, die Schlaflosigkeit einer Wärterin kann alle noch so
geschickt angelegten Fluchtpläne zu Nichte machen, ehe noch
die gefährlichste aller Klippen, der Wächter, in Frage
kommt. Ein unglücklicher Ausgang ist sicherer vorauszu--
zusehen, als das Gelingen, und welch' schwere Verant-
wortlichkeit Sie dann als Arzt dieser Anstalt treffen
würde, das wage ich mir kaum auszumalen. — Nein, nein!
versuchen Sie nicht, meine Bedenken zu beschwichtigen,
versuchen Sie nicht, mir zuzureden, wollte ich einem
Wagniß. bei dem Sie Alles aufs Spiel setzen, meine Zu-
stimmung geben."
Er bat, er flehte, doch sie blieb unerbittlich. Die Ehre
des jungen Arztes war ihr so heilig wie die Ehre ihrer
Mutter.
Ein paar Tage später befand man sich in Sankt Rochus
in großer Aufregung. Eine der Kranken war spurlos ver-
schwunden. Bleich und starr wie ein Marmorbild, vernahm
Doktor Gerth die Kunde, daß die Verschwundene Konstanze
Herdronn sei. Es gab keinen Winkel in der ganzen An-
stalt, wo nicht nach ihr gesucht worden wäre, aber vergebens.
Daß sie entkommen sei, konnte keinem Zweifel mehr unter-
liegen.
(Fortsetzung folgt.)