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Heidelberger Zeitung — 1900 (Juli bis Dezember)

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Nr. 255-280 (01. November 1900 - 30. November 1900)
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Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Ar. 272. Elkes Klatt.Mittwoch, -kn 21. N«>>cmbtt

ISO«.

Die Vorgänge in China.
Die Wiederherstellung der Eisenbahn Peking-
Tientsin macht rasche Fortschritte, sodaß erwartet wird,
ue werde bis Ablauf dieses Monats beendet sein. Ueber-
mes sind Vorkehrungen getroffen für die Verlängerung der
Eahn bis Peking mit einem Bahnhof dicht am Tempel
Himmels. Das wird eine große Verbesserung sein,
der bisherige Endbahnhof außerhalb der Stadtumwal-
mehr als 4 englische Meilen von den Gesandt»
'Haften entfernt liegt.
Dagegen thun, wie aus Peking gemeldet wird, die
Fussen fast nichts Ernstliches zur Ausbesserung der
^Hanghaikwan-Bahn, das ist die Bahn, die von
^arigku in nordöstlicher Richtung, nicht allzuweit von der
Auste entfernt, nach dem Hafenort Shanghaikwan führt,
^enn die Bahnstrecke nicht bald vervollständigt wird, so
^ird durch das Zufrieren des Peiho die Verbindung mit
Außenwelt beeinträchtigt. Ernste Verzögerungen und
ästige Ungelegenheiten im Transport der Lebensmittel
der Posten könnten daraus erwachsen. Wie cs heißt,
versucht werden, den Hafen von Taku offen zu halten.
A^nn dies gelingt, werden die Truppen dorr und in
Peking von der Shanghaikwanbahn so gut wie un-
"bhängig sein.
Die Vicekönige des Jangtse thales haben, wie das

3te

Ah

Giersche Bureau meldet, die Verschiffung der Reis-

gaben nach Singanfu eingestellt, weil sie be-

r>. v ^
fürchteten, daß die Verbündeten sie abfangen. Das ist
-hr wichtig; wenn erst die Roth beim chinesischen
onklopft, dann wird man den Frieden ernstlich

llswen. Was jetzt für Friedensvcrhandlungen am chine-
^'chen Hose ausgegeben wird, ist mehr oder minder als

- -ödie anzusehen. So hat am 17. d. Li-Hung-
ü'lchang den fremden Gesandten ein aus Singanfu da-
^rtcs kaiserliches Edikt mitgctheilt, worin die Bestrafung
rrjenigcn Prinzen und Beamten, die bei den letzten Un-
sich als Rädelsführer betheiligt haben und deren Verur-
teilung zum Tode die Mächte verlangten, festgesetzt ist.
ei der Uebermittelung dieses Ediktes erklärte Li-Hung-
. lchang, die darin festgesetzten Strafen seien die äußersten,
. er die der Hof zu verfügen in der Lage sei. Er wider-
te dabei die ständigen Ausflüchte aller chinesischen Unter-
i ndler. Ihm und dem Prinzen Tsching sei vom Kaiser
dick, ^"öste Bestrafung angedroht, wenn die Gesandten
zur Annahme dieses Compromisses gebracht würden,
verfügten Strafen grenzen ans Lächerliche. Der
^og Lai wird unter Entziehung seines Gehaltes im
2eine Stufe niedriger gestellt, und ein anderer wird
furtheilt, in Zurückgezogenheit über seine Sünden nach-

Süd

^nken. Die Prinzen Tuan und Tschwang sollen nur

H Mulden verbannt, aber nicht zu Gefängnißstrafen
j,. Urtheilt werhcn. Prinz Traings, der bereits degradirt
i>i' Uürd eingesperrt. Prinz Tschui-Seng darf seinen Palast
Ht verlassen. Prinz Duelan hat sein Gehalt verloren
N,, ist um eine Rangstufe zurückversetzt. Der Censor
^uvgien ist um zwei Rangstufen zurückversetzt worden,
b ^ Justizminister wurde degradirt, behält jedoch sein Amt
q ' Was Tungfuhsiang betrifft, so wird erklärt, daß es
.. uiögijch sei, sich seiner Person zu bemächtigen, da er

bedeutende Truppen-Abtheilungen verfüge. Seine
tig^ . surig sei vertagt, bis man sich seiner Person bemäch-

q^f hat. Dieses Edikt wird eine ganz andere Wirkung
iu^uben, als die Chinesen dachten. Es wird die Gesandten
^ dem Beschluß, für die Rädelsführer die Todesstrafe zu
ungen, nur- bestärken.

Die Ermordung v. Kettelers.
Der Reichsanzeiger veröffentlicht den Bericht des Lega-
tionsraths v. Below, datirt Peking, den 23. September,
an den Gesandten o. Mumm über die Ermordung des
Gesandten v. Ketteler. v. Below theilt hierin den
bekannten Vorfall mit der Uhr v. Kettelers mit, der zur
Entdeckung des Mörders führte, dessen Vernehmung durch
den Dolmetscher Cordes am 8. und 21. September er-
folgte. Die Richtigkeit der Aussagen des Mörders, des
Mantschusoldaten Enhai sei zweifellos. Enhai habe sich
als Mörder bekannt; er habe auf höheren Befehl ge-
handelt. Welcher Prinz den Befehl gegeben, scheine Enhai
wirklich nicht zu wissen, was bei seiner untergeordneten
militärischen Stellung begreiflich sei. Dem Bericht Belows
sind Abschriften der Protokolle der Vernehmungen Enhais
beigefügt. In der Vernehmung am 2. September sagte
er unter Anderem aus: Am 16. Juni, Abends, sei von
einem Prinzen im Lager der Befehl eingetroffen: »Es ist
Krieg. Wenn Ihr einen Fremden seht, so schießt ihn
nieder!" Auf Befehl des Lagerhauptmanns habe er,
Enhai, dann 30 Mann auf den Platz neben der Hataman-
straße geführt und den ersten Schuß aus einem Gewehr
auf die Sänfte abgefeuert. Der Gesandte sei rückwärts
niedergefallen und sofort todt gewesen. Bei der zweiten
Vernehmung am 21. September sagte Enhai u. a. noch,
er bäte, da er doch sterben müsse, die Execution möglichst
zu beschleunigen, und wiederholte, er wisse wirklich nicht,
welcher Prinz den Befehl gegeben habe, Prinz Tschung
sei Höchstkommandirender, Tuan Chef eines Truppenkorps
gewesen. Es sei nicht besonders befohlen worden, auf
einen Gesandten oder gar auf den deutschen Gesandten zu
schießen; der Befehl hieß nur: Schießt auf die
Fremden! Auch die Polizisten hätten gewußt, daß auf
die Fremden geschossen werden solle. Nachdem Enhai dann
am 20. Juni Morgens den tödtlichcn Schuß auf v. Kette-
ler abgefeuert habe, habe letzterer noch eine Patrone aus
seinem Revolver abgefeuert, einige Worte gesagt und sei
dann todt hingefallen. Enhai habe den Revolver und die
Uhr v. Kettelers an sich genommen, ersteren aber an einen
Kommandanten abgeliefert. Die Leiche v. Kettelers sei
zum Schutz gegen die wilden Soldaten Tungfuhsiangs be-
wacht worden.

Deutsches Reich.
— Wie die Münch. N. Nachr. melden, habe der Gou-
verneur von Deutsch-Ostafrika, Generalmajor v. Liebert,
jetzt seinen Freunden selbst mitgetheilt, daß er nicht auf
seinen Posten zurückkehren werde.
Cronberg, 20. November. Der Kaiser trifft
morgen Mittag 12 Uhr von Homburg kommend in Fried-
richshof ein. Das Prinzenpaar von Schaumburg-Lippe
ist heute Mittag hier angekommen. Zur Geburtstags-
feier der Kaiserin Friedrich findet um halb 2 Uhr
Familientafel statt. Um halb 3 Uhr empfängt der Kaiser
die Kronberger Stadtvertretung zur Entgegennahme der
Glückwunschadresse für die Kaiserin Friedrich.
Deutscher Reichstag. Berlin, 20. Nov. Fortsetzung
der ersten Lesung der CH i n a v 0 rl a ge.
Abg. B a s s e r m a n n (ntl.): Wir werden uns den grauen
Theorien Bebels nicht anschließen, können insbesondere die
Chinesen mit Kulturvölkern und das Räubergesindel der Boxer
nicht unseren Freiheitskämpfern gleichstellen. Die Kiautschou-
vorlage ist unter Zustimmung des deutschen Volkes von der
großen Mehrheit des Reichstages angenommen worden. Auch
Bebel hat diesen Erwerb für naturgemäß erklärt. Wir können
nur bedauern, daß unsere L-chutzwache nicht stärker war. (Zu-
stimmung.) Nicht die Haltung der Missionen, sondern die Reform-
versuche des chinesischen Kaisers haben die revolutionäre Be-

wegung hervorgerufen. Bernstein hat in den sozialistischen
Monatsheften die Behauptung aufgestellt, die cultivirten Nationen
müßten auf die uncultivirten mit allen Mitteln etnwirken. Wir
halten nach wie vor die chinesische Politik für durchaus richtig;
sie entspricht auch den Interessen der Arbeiter. Viele Bedenken
hat auch die Rede des Reichskanzlers beseitigt. Die Lage, wie
sie sich nach Entsendung der Panzerdivision gestaltete, erwies die
Richtigkeit der Haltung der Mehrheit in der Flottenfrage. Lieber«
Kritik der Mobilmachung ist begründet. Bei der Abschieds frier
ist zu viel gesprochen worden und übereilte Worte sind gefallen.
Aber die maßlose Kritik der Sozialdemokraten hat im Volke
keinen Widerhall gefunden. Die Ernennung Graf Waldersees
ist ein schöner Erfolg der deutschen Politik. Erfreulich war die
Leistungsfähigkeit des Heeres, der Marineverwaltung, der
Reederei und die Pflichtfreudigkeit unserer Jugend. Soldaten»
denen solche Gefahren drohen, pflegen nicht zart mit dem Gegner
umzugehen. Die meist wohl echten „Hunnenbriefe" enthalten
zweifellos manche Renommage. Die Deutschen betheiltgten sich
an den Plünderungen in Tientsin und Peking nicht. Leider sind
gewisse Reden mit vorgekommenen Grausamkeiten in Verbindung
gebracht worden. Män solle daher sehr vorsichtig in der Wahl
seiner Worte sein. Die Nichteinberufung des Reichstags halten
Wir für einen schweren politischen Fehler. Ueberseeische Politik
kann nur gemacht werden mit dem Reichstage. Wir verdanken
dem Reichskanzler Hohenlohe vieles Gute, aber er hätte seinen
vollen Einfluß für die Einberufung des Reichstages einsetzen
müssen. Bezüglich der Indemnität sind wir der Ansicht Dr. LieberS.
Die Neuformationen sind eine Verletzung des Militärgesetzes.
Darüber wird in der Commission zu sprechen sein. Die Wahrung
der deutschen Ehre, Rechte und Interessen, die Achtung vor der
Volksvertretung möge der Zielpunkt der neuen Politik sein.
(Starker Beifall.)
Abg. Dr. v. Levetzow (cons.): Die Maßnahmen der Regie-
rung sind angesichts der vorgekommenen Barbarei allgemein ge-
billigt worden. Auch Redner hat sich über die Nichteinberufung
des Reichstages gewundert. Der Unterschied zwischen einer nach-
träglichen Genehmigung und Ertheilung der Indemnität ist nur
ein Spielen mit Worten. Graf Waldersec, der als alter Mann
sich solchen Strapazen unterzieht, verdient den Dank des Vater-
landes. Die Hunnenbricfe enthalten, ihre Echtheit vorausgesetzt,
viel Renommage. Für etwaige Ausschreitungen hat ja auch der
Krtegsminister Remedur zugesagt.

Abg. Richter (freist Volksp.): Allerdings war augenblick-
lich nach Kettelers Ermordung eine militärische Machtentfaltung
nöthig. Nöthtg waren die Seebrigade und die ostasiatische Di-
vision, nicht aber die Panzerbrigade und ebenso die zweite
Truppensendung vor Anfang September. Waldersees Kommando
war ein politischer Fehler, der vergrößert wurde durch das Trara
bet seiner Abreise. Die Politik ist jetzt theatralisch und dekorativ;
der Kaiser erläßt viel zu viel öffentliche Kundgebungen. Viel-
leicht macht der Kriegsminister seinen großen Einfluß dahin
geltend, daß der Kaiser sich über Inhalt und Form solcher Kund-
gebungen vorher mit den Ministern verständigt. Die Minister
müssen sich für solche Reden auch ohne Gegenzeichnung verant-
wortlich fühlen. Redner verbreitet sich über die Bremerhavener
Rede, in der das Wort über die Hunnen der Oeffentlichkeit vor-
enthalten werden sollte. Worte, wie das vom Rachefeldzug, miß-
fielen um so mehr, als grade noch das religiöse Moment des
Feldzuges so betont wurde. Verquickung von Politik und Reli-
gion verdirbt beides. Das bewiesen auch die Missionare. Wenn
der Staat sie übrigens schützt, muß er ihren Provocationen auch
Grenzen ziehen. Die Hunnenbriefe sind gut beglaubigt. 1870
sind solche Grausamkeiten nicht vorgekommen. Aber in früheren
Kriegen sagte der oberste Kriegsherr auch nicht: „Pardon wird
nicht gegeben." Der Reichskanzler ist bemüht, viel Wasser in den
Wein der kaiserlichen Reden zu thun. (Große Heiterkeit) Die
einzigen Mittel der Verbündeten seien Schleifung der Festungen
und Verbot der Waffeneinfuhr. Der größte Fehler der China-
politik sei gewesen, dem siegreichen Japan mit Rußland und
Frankreich im Bunde in den Arm zu fallen. Der Platz in der
Sonne sei schon heiß genug in Ktautschou, warum da weiter
gehen? Man solle auch nicht die ganzen Lasten, die bis April
wohl auf Vg Milliarde steigen würden, durch Anleihen decken.
Den guten alten Hohenlohe wolle man jetzt verantwortlich machen
für die Nichteinberufung des Reichstages! (Große Heiterkeit.)
Aber niemals habe man den Reichskanzler weniger wahr-
genommen, als in diesen Monaten. Graf Bülow sei thatsächlich
im Sommer leitender Staatsmann gewesen Es sei zweifellos,
daß der Reichstag einberufen worden wäre, wenn er mit dem
nöthigen Nachdruck dafür eingetreten wäre. Viel wichtiger, als
Sühne zu suchen, sei Wiederholungen vorzubeugen. Wenn man
auch dem gegenwärtigen Ministerium trauen könne, die Minister
seien wie die Blumen auf dem Felde. (Heiterkeit.) Die Zu-

zy,.,. Das Romanfeuilleton findet der Leser im heutigen
Blatt.

Stadt-Theater.
O Heidelberg, 21. November,
r ein Schauspiel in drei Aufzügen von Henrik Ibsen,
'^piel von I ren e T riefch.^

Katastrophe im Hause Helmer wurde uns gestern vor-
E.H dargestellt. Seitdem Hr. Sigl im Frühjahr 1899 zu
^eid,, Benefiz den „Dr. Stockmann" spielte, haben wir in
tp^eiberg keinen Ibsen mehr gesehen. Von allen seinen Dich-
sewV werden voraussichtlich neben der „Nora" und dem „Volks-
Ajw» ""r „Rosmersholm" und der „Borkman" tiefeindrtngende
Drg"enwirkung behalten. Mit der Aufführung dieser letzten
irfg^n könnte unser Repertoire eine zweckmäßige Erweiterung
fix ist ygy dem Stamme, dem Rebekka West, iHedda Gab-
dvy Helene Alving entsprossen. Es ist dies der Willensstärke,
^ ' ' ' " ' Frauentypus germani-

sche»H"chtvollen Trieben bewegte, stolze ^
Utes, adliger Gesinnung, dem weder eine falsche Er-
Khx "8 und trübe häusliche Verhältnisse, noch eine verfehlte
-teb-,.Ursprünglich eigenen Sinn haben rauben können. Wie
die ^f.a den edlen Genossen sucht, wie Hedda und Frau Alving
"din,- aßten Bande lösen, die sie dem verkümmerten oder ver-
Manne verbinden, so trennt sich die freudigstolze Nora
Erzphilister Helmer. Ich betone dies, da mir dies
doile^Ackmal der „Rora", Stolz und Willensstärke, in der pracht-
kn?, Umstellung des Frl. Irene Triesch, ein klein wenig
Ȁr.s-? gekommen zu sein scheint. Nora, die naive Egoistin, die
U>ld 'HMvendertn", hat sich doch mit eisernem Willen bezwungen
su lxjs, stch vom Munde abgespart, um Günther die Abzahlungen
sie hat sich eingeschlossen und in heimlicher Arbeit
tzungen für Zeitschriften angefertigt, um etwas für ihren
,stkli6?u verdienen. „Ihr alle glaubt", klagt sie, „zu etwas
fichj ^ Ernstem taug' ich nicht." Man üversieht es nur zu
Uk welch' kräftigem, gesunden Willen sie ist. Wohl giebt
^ uz wie ein Kind, aber dies Kind ist stark und trotzig.

Frl. Triesch stellte die lustige Frau Helmer mit vollendeter
Kunst dar, sie legte dann in den folgenden Akten den stärksten
Accent auf die Verzweiflung, gleich als würde Noras Entlarvung !
und nicht Noras Befreiung gespielt. Helmer ist nun doch eftimal f
der Ehe. mit ihr unwürdig. „Aengstige Dich um nichts, Nora, !
sei offenherzig, dann werde ich zugleich Dein Wille und Dein
Gewissen sein." Das ist er. Er will ihr alle Selbstverant-
wortung nehmen. Sie aber will selbst Gericht über stch halten,
sie will unter eigener Verantwortung, frei handeln.
Diese ruhige Entschlossenheit, welche nichts haben darf von der
Entrüstung einer gereizten Gouvernante, diese erhabene Ruhe
eines Menschen, der einen geraden Weg vor sich sieht, kam nicht
ganz zur Geltung; cs war das Sieghafte etwas zu vermissen;
Wie Stockmann hat jetzt Nora einsam den rechten Weg gefunden;
zum ersten Mal athmet sie aus tiefster Brust neue Lüfte und
strömt ihr Lebensgefühl in eigensten Worten aus. Das braucht
nichts Hartes und Allzuherbes zu haben, wie es in der Darstel- ^
lung des Frl. Triesch wurde. Solch' einem Entschluß, der aus
der Wahrheit ist, fehle der Ton der Bitterkeit. Das alles stnd
Dinge, die das Ganze der wundervollen Leistung des Fräulein
Triesch nicht beeinträchtigen, nur in gewisser Weise färben kön-
nen. Ein Lachen, ein so tiefes, fröhliches Lachen hat die, e
Nora, sie spielt mit ihren Kleinen mit einer Lust und Kindlich-
keit, sie redet zur Freundin, zu dem Freunde und dem Gatten mit
einer Herzlichkeit und Schelmerei, die einfach bewunderungswürdig
sind. Wenn sie die Tarantella getanzt hat, die sie an lene
italienische Reise und ihr großes Opfer erinnern muß, das sie
für ihren Gatten brachte, welch' ein prachtvoller Ausdruck banger
Wildheit in dieser Nora des Frl. Triesch.
Und dann das Erkalten und Erstarren bei der Enthüllung, als
das Wunderbare ausgeblieben ist und sich Helmers ganze All-
täglichkeit offenbart hat. Wie meisterhaft! Das Publikum war i
enthusiasmirt und feierte die Künstlerin durch immer wieder er- !
muten Hervorruf. Einen besseren Partner als Herrn Rudolph ^
wird Fräulein Triesch nicht häufig finden. Den Ton des zer- §
streuten Geschäftsmanns, des ästhetisch angehauchten, weichlichen ,
Durchschnittscharakters, dessen verliebte Anwandlungen über die ^
Enge und Kälte seiner Natur nicht täuschen können, Herr

Rudolph traf ihn ausgezeichnet. Die Heimkehr vom Ball und
Ranks Abschied waren virtuos gespielt. Eine geradezu schöne
Stimmung hat diese Rankscene — der gütige Freund zum letzten
Mal an seinem Platze —; sie war auch dem vorzüglichen Spiel
des Herrn Bernau zu danken, der den Rank fein und sicher
zeichnete. Fräulein Herter war uns als Frau Linden etwas
zu kalt, Herr Birnbaum als Günther etwas zu unruhig. Sie
fügten sich dem Ensemble gut ein. — Es gab ein verspätetes
Klingelzeichen im ersten Akt beim ersten Auftreten Günthers,
außerdem sei zur Jnscenirung bemerkt, daß es etwas eng für's
Tarantellatanzen bei Helmers war und nicht sehr wohnlich.
So gibt es für uns zwei schöne Abende, wo ein Stück von
Weltbedeutung dank den Bemühungen des Herrn Direktor
Heinrich als Theaterleiters und Regisseurs auf unfern Brettern
erschiene» ist. _ Li- V.

Kleine Zeitung.
— Barmen, 16. Nov. Oberbürgermeister Dr. Lentze erläßt
folgende Bekanntmachung: „Bei einer in der Nacht vom 12.
zum 13. November d. I. abgehaltenen Revision wurden in hiesiger
Stadt 670 Hausthüren, 288 Hofthore und Einfahrten, 191
Fenster im Erdgeschoß, 44 Oberlichter und 65 Kellereingänge
un v erschlossen gefunden. Durch solche Fahrlässigkeit wird
in der jetzigen Jahreszeit und bet den langen dunklen Nächten
das Treiben der Diebe begünstigt; ich ersuche daher die Bürger-
schaft, auch an ihrem Theile in ausreichender Weise für den
Schutz ihres Eigenthums zu sorgen."
— Trier, 19. Nov. Der in verschiedenen Garnisonsorten des
8. Armeekorps unter den Soldaten aufgetrelene Typhus legte
die Vermuthung nahe, daß die Erkrankungen aus dem Manö-
ver eingeschleppt sind. Deshalb hat in den jüngsten Wochen
eine Sanitätscommission das diesjährige Manövergelände in der
Eifel bereist und nach eingehender Untersuchung festgestellt, daß
eine sehr große Anzahl von Etfelorten typhös ver-
feucht ist.
— Breslau, 17. Nov. Die Bresl. Ztg. berichtet: Ein selt-
samer Zufall wollte es, daß heute die Händlerin Selma
 
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