täglich.
nntags misgerwmmen.
^ FamilienblSttern
L^.kLS-"
Zustellgebühr.
8-rnsp
rech-Anschlutz Nr. 82.
Welherzer MiW.
JnsertionSgebühr
15 Pf. für die Ispaltige
Petttzelle oder deren Raum.
Für hiesige Geschäfts- und
Privatanzeigen bedeutend
ermäßigt.
Gratis-Anschlag
der Inserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsaulen.
Fernsprech-Anschluß Nr. 82
A4.
Fmiaz, de« 14. September
1900.
Woher die Krise?
Das Berliner Tageblatt schreibt:
Hak ^ vor etwa einem Jahre die Zeichen einer heran-
kjH Enden Geschäftskrise deutlicher wurden, richteten
^ Augen zunächst auf den Krieg in Südafrika. Von
^ . sEte das Verhängniß über unser Erwerbsleben
h.?"'l>rechen. Fast gleichzeitig kan, die unerhörte Knappheit
fiik °"oren Geldes und in ihrem Gefolge der hohe Zins-
Zeini ^ last unerschwingliche Diskont. Als Ursache be-
shh -"e man das Aufhören des Goldzuflusscs aus den
>y?l^kanischxn Minen. In normalen Zeiten würde man
b die Stockung des Absatzes nach Transvaal, noch
H ^lufhören des Goldzuflusses stark empfunden haben,
x- "uf ungeheueren Massenabsatz angewiesenen Waaren-
gx^üung unserer Tage ist natürlich das kleinste Absatz-
"nichtig. Der gewaltig gesteigerte Geldbedarf der
- übertriebenem Unternehmungsgeist besessenen Gegen-
Sem k natürlich durch eine erhebliche Beschränkung des
Tanten Goldzuflusses in unangenehme wirthschaftliche
hx^lorigkeiten gelangen. Dazu kommt, daß Milliarden
gelx Esi Geldes in den letzten Jahren im Auslande an-
Üt sind, ohne daß dieselben uns bisher den erwarteten
der k "Ebracht haben. Die fast treibhausartige Entwicklung
G..deutschen Industrie fand plötzlich ein Hemmniß in der
tzed .vPPheit. Es war viel Geld vorhanden, aber der
ic«t ^ war noch größer. Selbst zahlreiche „kleine Leute"
ihre Ersparnisse, um schnell viel zu verdienen, in
dgv' ^ Jndustriepapieren an. Mündelsichere Staats-
H-?Eie fanden schwer Absatz und sanken im Kurse; die
,r "urie brauchte für ihre riesenhaften Unternehmungen
^ Mm noch mehr Geld und hatte für dasselbe hohe
'EU zu zahlen.
ejy sieben der Vertheuerung des Geldes machte sich bald
h andere Erscheinung von großer wirthschaftlicher Trag-
Erm ^merkbar. Die in den letzten Jahren in vielen
der ^dszweigen durchgesetzte und oft erhebliche Steigerung
dert ^uarenpreise wirkte beschränkend auf den Waaren-
txej?""Eh zurück. Gleichzeitig machte namentlich die Hinauf-
3nd""ö des Kohlenpreises ihren Einfluß geltend. Der
h_.""rie wurde einerseits durch die Vertheuerung der
Ni- EU die Produktion sehr erschwert und oft ganz un-
gemacht, anderseits wurde die Mehrheit der Be-
"Uck ^ie Steigerung des Brennstoffes, wozu sich
Vixji 0'E Erhöhung der Miethen und vieler Lebensmittel-
^ 'E gesellte, so in Anspruch genommen, daß sie den
anderer Maaren auf das Nothwendigste beschränken
- °>e. Der Waarenverbrauch im Jnlande wurde also
x., uger und mit ihm der Absatz. Dazu kamen noch die
g^Estschen Wirren, die unsere Ausfuhr nach dort auf-
Vcnk haben. Die Geldknappheit, die Kohlennoth, die
die der Maaren, Lebensmittel und Miethen,
h^l^'Eren in Transvaal und in China wirken noch
dxx 'HE Einfluß ist keineswegs die wesentliche Ursache
H - ÜEgenwäriig in vielen Erwerbszweigen herrschenden
sj^/iitsstockung. Auch das Gefühl der politischen Un-
asia,*k ' das seit unserer engen Verwickelung in die ost-
„j^'"chen Angelegenheiten weite Kreise ergriffen hat, ist es
A /E. W^n über das deutsche Erwerbsleben eine ernste
I 'E hereinbricht, so ist sie hauptsächlich auf die plan-
Produktion zurückzuführen. Wir haben die
d^'""huiefähigkeit unserer Absatzgebiete überschätzt. Die
^apche Leistungsfähigkeit ist nicht nur, was die Güte der
tlj^"Misse anlangt, gewachsen. Die Neugründungen, Be-
de,, Erweiterungen, Spekulationen aller Art haben sich in
l>n.-. Etzten Jahren überstürzt. Mit einem bei sonst ernst-
En Geschäftsmännern geradezu lächerlichen Optimismus
glaubte man an die ewige Dauer der fetten Jahre. Man
erkannte nicht mehr die Natur der Dinge, war taub gegen
alle Warnungen, die darauf hinwiesen, daß die Treibhaus-
entwickelung nicht lange dauern könne, unser Erwerbsleben
bald wieder in ruhigere Bahnen einlenken werde, und
vorsichtige Mäßigung daher eine Pflicht geschäftlicher
Klugheit sei.
Die gegenwärtige Lage unseres Wirthschaftslebens
lehrt, wie wenig Erfolg derartige Warnungen hatten.
Zahllose neue Fabriken, in Umfang und zweckmäßiger
Einrichtung mit einander wetteifernd, wurden weiter ge-
gründet, alle ausgerüstet mit den besten Erzeugnissen einer
glänzend entw selten Technik. Namentlich die Textil- und
die Eisenindustrie hat auf diesem Gebiet gewaltige Leistungen
aufzuweisen. Aber mit der Fähigkeit und Nothwendigkeit
unserer Industrie, gewaltige Waarenmengen herzustellen,
hat sich die Möglichkeit des Absatzes nicht in gleicher Weise
gesteigert. Wir haben die Stockung der Ausfuhr nach
Transvaal und China und die Ursachen erwähnt, die auf
dem inländischen Markt die Kaufkraft schwächten.
Viel empfindlicher ist es jedoch für uns, daß auch die
großen Absatzgebiete, die Vereinigten Staaten, England,
der Orient, Südamerika, die Balkanstaaten, die Steigerung
unserer Waarenerzeugung nicht mehr aufzunehmen vermögen.
Die Kaufkraft der dortigen Bevölkerung ist nicht im Ver-
hältniß zu unserem Waarenangebot gestiegen. Zwar haben
wir andere Völker, so England, Frankreich und Oesterreich,
auf dem Weltmarkt zurückgedrängt; der ihnen abgewonnene
Vorsprung wird jedoch für die deutsche Ausfuhr wieder
ausgeglichen durch die gleichzeitige starke Entwickelung der
eigenen Industrie unserer Absatzgebiete. Und diese Entwicke-
lung nimmt einen sehr schnellen Verlauf; besonders in den
Vereinigten Staaten, wo diese Entwickelung durch deutsches
Kapital und deutsche Intelligenz und Unternehmungslust
noch gefördert wird. Zahlreiche Maaren, die wir noch
vor wenigen Jahren nach dort lieferten, werden jetzt von
der eigenen Industrie hergestellt. Namentlich in der Textil-
industrie kann man in dieser Beziehung lehrreiche Erfahrungen
machen. Einzelne Zweige unseres Textilwaarenexports
werden von der nordamerikanischen Fabrikation einfach aus-
geschaltet.
Wie fast regelmäßig bei einer hereinbrechenden Krise,
so ist auch dieses Mal die Textilindustrie zuerst
getroffen. Aber zahlreiche Erwerbszweige, in denen heute
die Beschäftigung eine noch gute ist, werden folgen. Die
Lage unserer Eisenindustrie würde schon heute eine schwierige
sein, hätte sie nicht noch die sehr großen Aufträge der
Eisenbahn- und Marineverwaltung auszuführen. Diese
Bestellungen erreichen jedoch ihr Ende. Wenn man die
Lebensbedingungen unserer Eisen- und Maschinenindustrie
gewissenhaft prüft, wird man schwerlich zu der Ueberzeugung
gelangen, daß die gegenwärtig bereits in anderen Zweigen
der deutschen Arbeit Verheerungen anrichtende Krise an
Eisen und Stahl glücklich vorüberziehen werde.
Trotzdem wäre es unrecht, den Muth sinken zu lassen
und die Lage als hoffnungslos anzusehen. Es ist ein
alter Erfahrungssatz, daß, wenn die Dinge ihren Tiefstand
erreicht haben, die Lage sich wieder zum Besseren wendet.
So zurückhaltend auch der Verbrauch zur Zeit sein mag,
so sicher ist es auch, datz er nicht aus der Welt verschwin-
den kann. Ueber kurz oder lang werden sich jene Bedürf-
nisse Mieder gebieterisch geltend machen, durch deren Be-
friedigung die Industrie alimentirt wird. Wie auf Regen
stets Sonnenschein zu folgen pflegt, so wird sich auch aus
der Periode des Niederganges unzweifelhaft eine solche des
erneuten Aufschwunges entwickeln.
Die Vorgänge in China.
Der Korrespondent der Times in Peking hat während
der Belagerung unablässig versucht Nachrichten an die
Küste zu senden, aber keiner seiner Boten ist durch die
chinesischen Truppen gelangt. Jetzt holt er, was er da-
mals nicht ausführen konnte, nach. Gegenüber den Lügen
der chinesischen Beamten und den Vertretern Chinas im
Ausland stellt er fest, daß die Angriffe auf die Gesandt-
schaften auf Befehl der Kaiserin-Regentin or-
ganisirt wurden durch Jungt u, Tungfuhsiang und
Lipingheng, hohe Regicrungsbeamte, die durch
kaiserlichen Erlaß angewiesen waren, die
Gesandten durch Feuer, Schwert und Aus-
hungerung zu vernichten. Während der Belagerung
beschossen Krupp'sche Geschütze, die auf der Mauer der
kaiserlichen Stadt und auf dem dem Palast gegenüber ge-
legenen Thore der Stadtmauer aufgestellt waren, die Ge-
sandtschaften. Am 25. Juni wurde versucht, die Fremden
durch niedrigsten Verrath in Sicherheit zu wiegen,
um dann einen unerwarteten, gleichzeitigen Angriff zu
unternehmen, der vom kaiserlichen Palaste aus
geleitet wurde. Während der ganzen Zeit der zwei-
monatigen Belagerung durfte keine Nahrungszufuhr durch
die chinesischen Truppen durchgelassen werden. Am 18. Juli
jedoch hatten die chinesischen Minister die Frechheit, einige
Melonen, Eis und einen Sack Mehl in die britische Ge-
sandtschaft zu schicken, wo die Frauen und Kinder sich
uufhiclten, aber es wurde Verrath befürchtet und
niemand wollte das Mehl essen, weil man fürchtete, daß
es vergiftet sei. Während der Verhandlungen gegen
Ende der Belagerung, als Waffenstillstand war, arbeiteten
die chinesischen Truppen Tag und Nacht und führten von
dem kaiserlichen Wagenpark aus eine Mine unter die bri-
tische Gesandtschaft und das zweistöckige Gebäude, das die
britischen Dolmetschereleven bewohnten. Daß wir gerettet
wurden, war ein wunderbarer Zufall; vielleicht wäre am
nächsten Tage eine Explosion erfolgt, die einen Weg in die
Gesandtschaft gebahnt und großen Verlust an Menschen-
leben zur Folge gehabt hätte. Eine ähnliche, von den
kaiserlichen Truppen angelegte Mine explodirte in der
Peitang-Kathedrale und verschlang 200 chinesische Christen.
Ferner unterminirten die Chinesen während des Waffen-
stillstandes die Stadtmauer unter der amerikanischen Barri.
kade; auch hier kam der Entsatz grade zur rechten Zeit.
Hier herrscht tiefe Entrüstung darüber, daß die Gesandten
Lofengluh und Wutongfang, die durch schamlose Lügen und
die Uebermittlung falscher kaiserlicher Erlasse den Aufbruch
der Rettungsexpedition solange verzögerten, bis es fast zu
spät war, noch mit allen Ehren in London und Washing-
ton empfangen werden.
Was der Korrespondent der Limes da erzählt, ist In-
zwischen im Wesentlichen bekannt geworden, aber es ist doch
sehr gut, daß die Kulturwelt durch diesen kurzen präzisen
Bericht daran erinnert wird, daß sie von den Chinesen
Genugthuung zu fordern hat für dieses allen inter-
nationalen Gebräuchen Hohn sprechende Verfahren der
Kaiserin von China und ihrer obersten Rathgeber. Die
Kulturwelt ist es sich schuldig, dergleichen von China nicht
ungestraft hinzunehmen. Im Lichte der Morison'schen
Ausführungen erscheint der eilfertige Räumungsvorschlag
Rußlands doch als besonders unglücklich.
Weiter schreibt Morison noch: Die Rede, die der
deutsche Kaiser an seine Truppen bei ihrer Abreise
gehalten hat, ist mit Begeisterung gelesen worden. Aber
diese Begeisterung wurde beeinträchtigt durch die Kunde,
daß der Kaiser nichtsdestoweniger dem chinesischen Ge-
sandten gestattete, an seinem Hofe beglaubigt zu bleiben.
verschämte und unverschämte Armuth.
3)
Bilder aus dem Leben von Arthur Zapp.
(Fortsetzung.)
^yerri--' verließ den Armen die Fassung und Selbst-
^txj-E>chung. Seine Tdränen rannen unaufhaltsam in
'Eben b"- Nie habe ich einen Menschen so bitterlich weinen
>vllr l,"och dazu einen erwachsenen, gebildeten Mann. Es
Man ^Ehtbar. Mich durchschauerte es heiß und kalt und meine
Mj.Weichherzige, brach ebenfalls in Thronen aus.
tch da", , E" den Armen und trösteten ihn. Mil Geld war
halb-» ^ selbst so wenig gesegnet, daß ich ihm nur einen
^Eil,k!°'k Io" spenden konnte. Werthvoller war wohl das
dgz ,"e,d, dgz ich ihm gab, da er darum gebeten hatte, weil
schon an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit ange-
d>0lg E" sei. Dazu versprachen wir unserm Gast, daß wir
wsird " >rüh unter unserm Wüschevorrath Musterung halten
"Eich Entbehrliches von den Kleidern unserer
bt,n„ E'ur seinen Sohn zusammenpacken und thm selbst über-
" würden. Der Mann schied mit lebhaftestem Danke,
Tt^EM er selbst seinen Namen und seine Adresse auf einem
P? ^"*"Er ausgezeichnet hattc-
p"serm"m 3rau und ich, wir machten uns auch richtig
lichxy" Besprechen gemäß am andern Tage mit einem ftatl-
Phcker ^""et aus. Unterwegs sprachen wir noch bei einem
Eilizufn, um für den Kleinen verschiedene Äackioaaren
die n. Wir freuten uns im Voraus und malten uns
"nd j "öENven Augen des armen Knaben und seine Freude
ENtd-k.? Glück aus. Wie vergnügt er in den gewiß lange
"Uen Kuchen einbauen würde I
Acht ^langten wir an unserm Ziel an, Houston Street
vis „.-.schwarz. Wir suchten das Haus ab, vom untersten
Hesy A "bersten Stockwerk, wir klopften an alle Thürrn.
«chlvarzl Niemand im Hause erinnerte sich, als wir
die Beschreibung unseres Gastes gegeben hatten, jemals einem
solchen Manne begegnet zu sein.
Wir konnten den Gedanken, daß hier vielleicht ein
Schwindel vorläge, nicht fassen. Das schien uns undenkbar.
Die lebhafte Schilderung des Mannes, seine Verzweiflung,
die Tdränen, die Fluth von Thränen, die er vergossen, das
alles konnte unmöglich Verstellung. Komödie gewesen sein.
Gewiß, der Mann hatte sich verschrieben. Vielleicht sollte
es achtzehn statt acht heißen. Wir frugen in No. 18 nach.
Dasselbe Resultat. Wir ließen uns nicht die Mühe ver-
drießen, auch noch nach Houston Street 80 zu pilgern. Ver-
gebens! Es blieb uns nichts übrig, als unverrichteter
Sache, kleinlaut, bedrückt, mit einer sehr peinlichen Empfindung
im Herzen sammt unserm zusammen geschnürten Bündel nach
Hause zurückzukehren.
Wir haben nie wieder etwas von dem angeblichen „Guts-
besitzer" gehört noch gesehen und so ist wohl kein Zweifel,
daß wir es gar nicht mit einem Bedürftigen zu thun
gehabt haben, der mit komödiantenhafter Geschicklichkeit
verstand, das Mitleid der anderen sich tributpflichtig zu
machen.
Noch wiederholt habe ich später die Erfahrung gemacht,
daß gerade diejenigen, die am beredtesten ihre angebliche
Noch zu schildern und uns in Rührung zu setzen verstehen,
gar nickt die Bedürftigsten sind. Die wirklich Nothleideuden,
die verschämten Armen, sind in der Regel unbeholfen und
voll Scheu und will man überhaupt von ihnen erfahren,
muß man sie erst in ihrem Schlupfwinkel aufsuchen, wo
sie sich und ihre Leiden vor den Augen der Welt schamhaft
verbergen.
Als ich, nach dem alten Vaterland zurückgekehrt, in Berlin
eine Wochenschrift redigirte, erhielt ich einst eine interessante
kleine Erzählung zugesandt. Auf der einen Seite war die
frische, anschauliche Darstellung überaus anziehend und wirk-
sam, aber auf der anderen Seite stieß eine gewisse Herbheit
der Gefühle und die Düsterheit des Kolorits den Leser ab-
Ich schrieb an den Verfasser und bar um seinen Besuch,
da ich ihm eine kleine Aenderung Vorschlägen wollte.
Ein junger Mann mit interessanten Zügen und einer
wahrscheinlich vom vielen Studiren und Arbeiten bleichen
Gesichtsfarbe erschien auf der Redaktion. Er war peinlich
sauber gekleidet, wenn auch nicht gerade elegant. Aber nichts
an ihm verrieth eine etwa vorhandene Nothlage. Es lag
etwas Scheues, Zurückhaltendes in seinem Wesen. Ich hätte
gern etwas Näheres über seine Vergangenheit und sein
jetziges Leben erfahren, ober er war wortkarg und schien
meine diskreten Andeutungen nicht verstehen zu wollen.
Es blieb mir also nichts weiter übrig, als mich auf das
zu beschränken, was ich ihm hinsichtlich seiner Arbeit und
der von mir gewünschten Umarbeitung zu sagen hatte. Er
hörte mich aufmerksam an und empfahl sich. Schon am
anderen Tage brachte er sein Manuskript zurück. Ich las
die von ihm geänderten Stellen durch, erklärte den Beitrag
nunmehr für angenommen und entließ den jungen Mann
mit den Worten: „Honorar und Beleg-Nummern gehen
Ihnen nach Abdruck zu."
Ich sah, wie ihm die Röthe ins Gesicht schoß; er schien
noch einen Augenblick zu zaudern, plötzlich verbeugte er sich
stumm und ging. Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich
mußte in den nächsten Tagen viel an den jungen Schrift-
steller denken. Er interessirte mich wirklich. Er war so
anders gewesen als andere junge Kollegen. Ich harte in
seinem Wesen und in seinen Mienen etwas bei seinen jungen
Jahren merkwürdig Freudloses, Ernstes, ja, Düsteres gelesen.
Wer weiß, in welchen Verhältnissen er lebte! Ich machte
mir Vorwürfe, daß ich ihn das zweite Mal so kaltherzig
hatte davongehen lassen und mir einem Male wollte es mir
in der Erinnerung scheinen, als ob er noch etwas auf dem
Herzen gehabt und nur darauf gewartet hätte, daß ich ihn
darum befragte. Ich vergegenwärtigte mir ieine ganze Er-
scheinung, seine erniten, fast traurigen Mienen und sein Roth-
Werden, sein Zögern, als ich die verabschiedenden Worte zu
ihm gesprochen halte.
(Schluß folgt.)
nntags misgerwmmen.
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Petttzelle oder deren Raum.
Für hiesige Geschäfts- und
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ermäßigt.
Gratis-Anschlag
der Inserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsaulen.
Fernsprech-Anschluß Nr. 82
A4.
Fmiaz, de« 14. September
1900.
Woher die Krise?
Das Berliner Tageblatt schreibt:
Hak ^ vor etwa einem Jahre die Zeichen einer heran-
kjH Enden Geschäftskrise deutlicher wurden, richteten
^ Augen zunächst auf den Krieg in Südafrika. Von
^ . sEte das Verhängniß über unser Erwerbsleben
h.?"'l>rechen. Fast gleichzeitig kan, die unerhörte Knappheit
fiik °"oren Geldes und in ihrem Gefolge der hohe Zins-
Zeini ^ last unerschwingliche Diskont. Als Ursache be-
shh -"e man das Aufhören des Goldzuflusscs aus den
>y?l^kanischxn Minen. In normalen Zeiten würde man
b die Stockung des Absatzes nach Transvaal, noch
H ^lufhören des Goldzuflusses stark empfunden haben,
x- "uf ungeheueren Massenabsatz angewiesenen Waaren-
gx^üung unserer Tage ist natürlich das kleinste Absatz-
"nichtig. Der gewaltig gesteigerte Geldbedarf der
- übertriebenem Unternehmungsgeist besessenen Gegen-
Sem k natürlich durch eine erhebliche Beschränkung des
Tanten Goldzuflusses in unangenehme wirthschaftliche
hx^lorigkeiten gelangen. Dazu kommt, daß Milliarden
gelx Esi Geldes in den letzten Jahren im Auslande an-
Üt sind, ohne daß dieselben uns bisher den erwarteten
der k "Ebracht haben. Die fast treibhausartige Entwicklung
G..deutschen Industrie fand plötzlich ein Hemmniß in der
tzed .vPPheit. Es war viel Geld vorhanden, aber der
ic«t ^ war noch größer. Selbst zahlreiche „kleine Leute"
ihre Ersparnisse, um schnell viel zu verdienen, in
dgv' ^ Jndustriepapieren an. Mündelsichere Staats-
H-?Eie fanden schwer Absatz und sanken im Kurse; die
,r "urie brauchte für ihre riesenhaften Unternehmungen
^ Mm noch mehr Geld und hatte für dasselbe hohe
'EU zu zahlen.
ejy sieben der Vertheuerung des Geldes machte sich bald
h andere Erscheinung von großer wirthschaftlicher Trag-
Erm ^merkbar. Die in den letzten Jahren in vielen
der ^dszweigen durchgesetzte und oft erhebliche Steigerung
dert ^uarenpreise wirkte beschränkend auf den Waaren-
txej?""Eh zurück. Gleichzeitig machte namentlich die Hinauf-
3nd""ö des Kohlenpreises ihren Einfluß geltend. Der
h_.""rie wurde einerseits durch die Vertheuerung der
Ni- EU die Produktion sehr erschwert und oft ganz un-
gemacht, anderseits wurde die Mehrheit der Be-
"Uck ^ie Steigerung des Brennstoffes, wozu sich
Vixji 0'E Erhöhung der Miethen und vieler Lebensmittel-
^ 'E gesellte, so in Anspruch genommen, daß sie den
anderer Maaren auf das Nothwendigste beschränken
- °>e. Der Waarenverbrauch im Jnlande wurde also
x., uger und mit ihm der Absatz. Dazu kamen noch die
g^Estschen Wirren, die unsere Ausfuhr nach dort auf-
Vcnk haben. Die Geldknappheit, die Kohlennoth, die
die der Maaren, Lebensmittel und Miethen,
h^l^'Eren in Transvaal und in China wirken noch
dxx 'HE Einfluß ist keineswegs die wesentliche Ursache
H - ÜEgenwäriig in vielen Erwerbszweigen herrschenden
sj^/iitsstockung. Auch das Gefühl der politischen Un-
asia,*k ' das seit unserer engen Verwickelung in die ost-
„j^'"chen Angelegenheiten weite Kreise ergriffen hat, ist es
A /E. W^n über das deutsche Erwerbsleben eine ernste
I 'E hereinbricht, so ist sie hauptsächlich auf die plan-
Produktion zurückzuführen. Wir haben die
d^'""huiefähigkeit unserer Absatzgebiete überschätzt. Die
^apche Leistungsfähigkeit ist nicht nur, was die Güte der
tlj^"Misse anlangt, gewachsen. Die Neugründungen, Be-
de,, Erweiterungen, Spekulationen aller Art haben sich in
l>n.-. Etzten Jahren überstürzt. Mit einem bei sonst ernst-
En Geschäftsmännern geradezu lächerlichen Optimismus
glaubte man an die ewige Dauer der fetten Jahre. Man
erkannte nicht mehr die Natur der Dinge, war taub gegen
alle Warnungen, die darauf hinwiesen, daß die Treibhaus-
entwickelung nicht lange dauern könne, unser Erwerbsleben
bald wieder in ruhigere Bahnen einlenken werde, und
vorsichtige Mäßigung daher eine Pflicht geschäftlicher
Klugheit sei.
Die gegenwärtige Lage unseres Wirthschaftslebens
lehrt, wie wenig Erfolg derartige Warnungen hatten.
Zahllose neue Fabriken, in Umfang und zweckmäßiger
Einrichtung mit einander wetteifernd, wurden weiter ge-
gründet, alle ausgerüstet mit den besten Erzeugnissen einer
glänzend entw selten Technik. Namentlich die Textil- und
die Eisenindustrie hat auf diesem Gebiet gewaltige Leistungen
aufzuweisen. Aber mit der Fähigkeit und Nothwendigkeit
unserer Industrie, gewaltige Waarenmengen herzustellen,
hat sich die Möglichkeit des Absatzes nicht in gleicher Weise
gesteigert. Wir haben die Stockung der Ausfuhr nach
Transvaal und China und die Ursachen erwähnt, die auf
dem inländischen Markt die Kaufkraft schwächten.
Viel empfindlicher ist es jedoch für uns, daß auch die
großen Absatzgebiete, die Vereinigten Staaten, England,
der Orient, Südamerika, die Balkanstaaten, die Steigerung
unserer Waarenerzeugung nicht mehr aufzunehmen vermögen.
Die Kaufkraft der dortigen Bevölkerung ist nicht im Ver-
hältniß zu unserem Waarenangebot gestiegen. Zwar haben
wir andere Völker, so England, Frankreich und Oesterreich,
auf dem Weltmarkt zurückgedrängt; der ihnen abgewonnene
Vorsprung wird jedoch für die deutsche Ausfuhr wieder
ausgeglichen durch die gleichzeitige starke Entwickelung der
eigenen Industrie unserer Absatzgebiete. Und diese Entwicke-
lung nimmt einen sehr schnellen Verlauf; besonders in den
Vereinigten Staaten, wo diese Entwickelung durch deutsches
Kapital und deutsche Intelligenz und Unternehmungslust
noch gefördert wird. Zahlreiche Maaren, die wir noch
vor wenigen Jahren nach dort lieferten, werden jetzt von
der eigenen Industrie hergestellt. Namentlich in der Textil-
industrie kann man in dieser Beziehung lehrreiche Erfahrungen
machen. Einzelne Zweige unseres Textilwaarenexports
werden von der nordamerikanischen Fabrikation einfach aus-
geschaltet.
Wie fast regelmäßig bei einer hereinbrechenden Krise,
so ist auch dieses Mal die Textilindustrie zuerst
getroffen. Aber zahlreiche Erwerbszweige, in denen heute
die Beschäftigung eine noch gute ist, werden folgen. Die
Lage unserer Eisenindustrie würde schon heute eine schwierige
sein, hätte sie nicht noch die sehr großen Aufträge der
Eisenbahn- und Marineverwaltung auszuführen. Diese
Bestellungen erreichen jedoch ihr Ende. Wenn man die
Lebensbedingungen unserer Eisen- und Maschinenindustrie
gewissenhaft prüft, wird man schwerlich zu der Ueberzeugung
gelangen, daß die gegenwärtig bereits in anderen Zweigen
der deutschen Arbeit Verheerungen anrichtende Krise an
Eisen und Stahl glücklich vorüberziehen werde.
Trotzdem wäre es unrecht, den Muth sinken zu lassen
und die Lage als hoffnungslos anzusehen. Es ist ein
alter Erfahrungssatz, daß, wenn die Dinge ihren Tiefstand
erreicht haben, die Lage sich wieder zum Besseren wendet.
So zurückhaltend auch der Verbrauch zur Zeit sein mag,
so sicher ist es auch, datz er nicht aus der Welt verschwin-
den kann. Ueber kurz oder lang werden sich jene Bedürf-
nisse Mieder gebieterisch geltend machen, durch deren Be-
friedigung die Industrie alimentirt wird. Wie auf Regen
stets Sonnenschein zu folgen pflegt, so wird sich auch aus
der Periode des Niederganges unzweifelhaft eine solche des
erneuten Aufschwunges entwickeln.
Die Vorgänge in China.
Der Korrespondent der Times in Peking hat während
der Belagerung unablässig versucht Nachrichten an die
Küste zu senden, aber keiner seiner Boten ist durch die
chinesischen Truppen gelangt. Jetzt holt er, was er da-
mals nicht ausführen konnte, nach. Gegenüber den Lügen
der chinesischen Beamten und den Vertretern Chinas im
Ausland stellt er fest, daß die Angriffe auf die Gesandt-
schaften auf Befehl der Kaiserin-Regentin or-
ganisirt wurden durch Jungt u, Tungfuhsiang und
Lipingheng, hohe Regicrungsbeamte, die durch
kaiserlichen Erlaß angewiesen waren, die
Gesandten durch Feuer, Schwert und Aus-
hungerung zu vernichten. Während der Belagerung
beschossen Krupp'sche Geschütze, die auf der Mauer der
kaiserlichen Stadt und auf dem dem Palast gegenüber ge-
legenen Thore der Stadtmauer aufgestellt waren, die Ge-
sandtschaften. Am 25. Juni wurde versucht, die Fremden
durch niedrigsten Verrath in Sicherheit zu wiegen,
um dann einen unerwarteten, gleichzeitigen Angriff zu
unternehmen, der vom kaiserlichen Palaste aus
geleitet wurde. Während der ganzen Zeit der zwei-
monatigen Belagerung durfte keine Nahrungszufuhr durch
die chinesischen Truppen durchgelassen werden. Am 18. Juli
jedoch hatten die chinesischen Minister die Frechheit, einige
Melonen, Eis und einen Sack Mehl in die britische Ge-
sandtschaft zu schicken, wo die Frauen und Kinder sich
uufhiclten, aber es wurde Verrath befürchtet und
niemand wollte das Mehl essen, weil man fürchtete, daß
es vergiftet sei. Während der Verhandlungen gegen
Ende der Belagerung, als Waffenstillstand war, arbeiteten
die chinesischen Truppen Tag und Nacht und führten von
dem kaiserlichen Wagenpark aus eine Mine unter die bri-
tische Gesandtschaft und das zweistöckige Gebäude, das die
britischen Dolmetschereleven bewohnten. Daß wir gerettet
wurden, war ein wunderbarer Zufall; vielleicht wäre am
nächsten Tage eine Explosion erfolgt, die einen Weg in die
Gesandtschaft gebahnt und großen Verlust an Menschen-
leben zur Folge gehabt hätte. Eine ähnliche, von den
kaiserlichen Truppen angelegte Mine explodirte in der
Peitang-Kathedrale und verschlang 200 chinesische Christen.
Ferner unterminirten die Chinesen während des Waffen-
stillstandes die Stadtmauer unter der amerikanischen Barri.
kade; auch hier kam der Entsatz grade zur rechten Zeit.
Hier herrscht tiefe Entrüstung darüber, daß die Gesandten
Lofengluh und Wutongfang, die durch schamlose Lügen und
die Uebermittlung falscher kaiserlicher Erlasse den Aufbruch
der Rettungsexpedition solange verzögerten, bis es fast zu
spät war, noch mit allen Ehren in London und Washing-
ton empfangen werden.
Was der Korrespondent der Limes da erzählt, ist In-
zwischen im Wesentlichen bekannt geworden, aber es ist doch
sehr gut, daß die Kulturwelt durch diesen kurzen präzisen
Bericht daran erinnert wird, daß sie von den Chinesen
Genugthuung zu fordern hat für dieses allen inter-
nationalen Gebräuchen Hohn sprechende Verfahren der
Kaiserin von China und ihrer obersten Rathgeber. Die
Kulturwelt ist es sich schuldig, dergleichen von China nicht
ungestraft hinzunehmen. Im Lichte der Morison'schen
Ausführungen erscheint der eilfertige Räumungsvorschlag
Rußlands doch als besonders unglücklich.
Weiter schreibt Morison noch: Die Rede, die der
deutsche Kaiser an seine Truppen bei ihrer Abreise
gehalten hat, ist mit Begeisterung gelesen worden. Aber
diese Begeisterung wurde beeinträchtigt durch die Kunde,
daß der Kaiser nichtsdestoweniger dem chinesischen Ge-
sandten gestattete, an seinem Hofe beglaubigt zu bleiben.
verschämte und unverschämte Armuth.
3)
Bilder aus dem Leben von Arthur Zapp.
(Fortsetzung.)
^yerri--' verließ den Armen die Fassung und Selbst-
^txj-E>chung. Seine Tdränen rannen unaufhaltsam in
'Eben b"- Nie habe ich einen Menschen so bitterlich weinen
>vllr l,"och dazu einen erwachsenen, gebildeten Mann. Es
Man ^Ehtbar. Mich durchschauerte es heiß und kalt und meine
Mj.Weichherzige, brach ebenfalls in Thronen aus.
tch da", , E" den Armen und trösteten ihn. Mil Geld war
halb-» ^ selbst so wenig gesegnet, daß ich ihm nur einen
^Eil,k!°'k Io" spenden konnte. Werthvoller war wohl das
dgz ,"e,d, dgz ich ihm gab, da er darum gebeten hatte, weil
schon an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit ange-
d>0lg E" sei. Dazu versprachen wir unserm Gast, daß wir
wsird " >rüh unter unserm Wüschevorrath Musterung halten
"Eich Entbehrliches von den Kleidern unserer
bt,n„ E'ur seinen Sohn zusammenpacken und thm selbst über-
" würden. Der Mann schied mit lebhaftestem Danke,
Tt^EM er selbst seinen Namen und seine Adresse auf einem
P? ^"*"Er ausgezeichnet hattc-
p"serm"m 3rau und ich, wir machten uns auch richtig
lichxy" Besprechen gemäß am andern Tage mit einem ftatl-
Phcker ^""et aus. Unterwegs sprachen wir noch bei einem
Eilizufn, um für den Kleinen verschiedene Äackioaaren
die n. Wir freuten uns im Voraus und malten uns
"nd j "öENven Augen des armen Knaben und seine Freude
ENtd-k.? Glück aus. Wie vergnügt er in den gewiß lange
"Uen Kuchen einbauen würde I
Acht ^langten wir an unserm Ziel an, Houston Street
vis „.-.schwarz. Wir suchten das Haus ab, vom untersten
Hesy A "bersten Stockwerk, wir klopften an alle Thürrn.
«chlvarzl Niemand im Hause erinnerte sich, als wir
die Beschreibung unseres Gastes gegeben hatten, jemals einem
solchen Manne begegnet zu sein.
Wir konnten den Gedanken, daß hier vielleicht ein
Schwindel vorläge, nicht fassen. Das schien uns undenkbar.
Die lebhafte Schilderung des Mannes, seine Verzweiflung,
die Tdränen, die Fluth von Thränen, die er vergossen, das
alles konnte unmöglich Verstellung. Komödie gewesen sein.
Gewiß, der Mann hatte sich verschrieben. Vielleicht sollte
es achtzehn statt acht heißen. Wir frugen in No. 18 nach.
Dasselbe Resultat. Wir ließen uns nicht die Mühe ver-
drießen, auch noch nach Houston Street 80 zu pilgern. Ver-
gebens! Es blieb uns nichts übrig, als unverrichteter
Sache, kleinlaut, bedrückt, mit einer sehr peinlichen Empfindung
im Herzen sammt unserm zusammen geschnürten Bündel nach
Hause zurückzukehren.
Wir haben nie wieder etwas von dem angeblichen „Guts-
besitzer" gehört noch gesehen und so ist wohl kein Zweifel,
daß wir es gar nicht mit einem Bedürftigen zu thun
gehabt haben, der mit komödiantenhafter Geschicklichkeit
verstand, das Mitleid der anderen sich tributpflichtig zu
machen.
Noch wiederholt habe ich später die Erfahrung gemacht,
daß gerade diejenigen, die am beredtesten ihre angebliche
Noch zu schildern und uns in Rührung zu setzen verstehen,
gar nickt die Bedürftigsten sind. Die wirklich Nothleideuden,
die verschämten Armen, sind in der Regel unbeholfen und
voll Scheu und will man überhaupt von ihnen erfahren,
muß man sie erst in ihrem Schlupfwinkel aufsuchen, wo
sie sich und ihre Leiden vor den Augen der Welt schamhaft
verbergen.
Als ich, nach dem alten Vaterland zurückgekehrt, in Berlin
eine Wochenschrift redigirte, erhielt ich einst eine interessante
kleine Erzählung zugesandt. Auf der einen Seite war die
frische, anschauliche Darstellung überaus anziehend und wirk-
sam, aber auf der anderen Seite stieß eine gewisse Herbheit
der Gefühle und die Düsterheit des Kolorits den Leser ab-
Ich schrieb an den Verfasser und bar um seinen Besuch,
da ich ihm eine kleine Aenderung Vorschlägen wollte.
Ein junger Mann mit interessanten Zügen und einer
wahrscheinlich vom vielen Studiren und Arbeiten bleichen
Gesichtsfarbe erschien auf der Redaktion. Er war peinlich
sauber gekleidet, wenn auch nicht gerade elegant. Aber nichts
an ihm verrieth eine etwa vorhandene Nothlage. Es lag
etwas Scheues, Zurückhaltendes in seinem Wesen. Ich hätte
gern etwas Näheres über seine Vergangenheit und sein
jetziges Leben erfahren, ober er war wortkarg und schien
meine diskreten Andeutungen nicht verstehen zu wollen.
Es blieb mir also nichts weiter übrig, als mich auf das
zu beschränken, was ich ihm hinsichtlich seiner Arbeit und
der von mir gewünschten Umarbeitung zu sagen hatte. Er
hörte mich aufmerksam an und empfahl sich. Schon am
anderen Tage brachte er sein Manuskript zurück. Ich las
die von ihm geänderten Stellen durch, erklärte den Beitrag
nunmehr für angenommen und entließ den jungen Mann
mit den Worten: „Honorar und Beleg-Nummern gehen
Ihnen nach Abdruck zu."
Ich sah, wie ihm die Röthe ins Gesicht schoß; er schien
noch einen Augenblick zu zaudern, plötzlich verbeugte er sich
stumm und ging. Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich
mußte in den nächsten Tagen viel an den jungen Schrift-
steller denken. Er interessirte mich wirklich. Er war so
anders gewesen als andere junge Kollegen. Ich harte in
seinem Wesen und in seinen Mienen etwas bei seinen jungen
Jahren merkwürdig Freudloses, Ernstes, ja, Düsteres gelesen.
Wer weiß, in welchen Verhältnissen er lebte! Ich machte
mir Vorwürfe, daß ich ihn das zweite Mal so kaltherzig
hatte davongehen lassen und mir einem Male wollte es mir
in der Erinnerung scheinen, als ob er noch etwas auf dem
Herzen gehabt und nur darauf gewartet hätte, daß ich ihn
darum befragte. Ich vergegenwärtigte mir ieine ganze Er-
scheinung, seine erniten, fast traurigen Mienen und sein Roth-
Werden, sein Zögern, als ich die verabschiedenden Worte zu
ihm gesprochen halte.
(Schluß folgt.)