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Heidelberger Zeitung — 1900 (Juli bis Dezember)

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Nr. 281-304 (01. Dezember 1900 - 31. Dezember 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37614#0705

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

2S5. Elkes Mit. DiktislW, de» 18. vmiiibtt

1900.

Die Ansprache des Kaisers an die
znrückgekehrten Chinakämpfer.
In seiner Ansprache im Berliner Zeughaus an die zu-
rückgekehrten Chinakämpfer sagte der Kaiser ungefähr
Folgendes:
„Als Ich Euch mit banger Spannung ziehen ließ,
konnte man noch nicht überblicken, wie sich die Ver-
hältnisse gestalten würden, aber ich wußte, daß ich mich
auf Euch verlassen konnte. Im Namen des deutschen
Volkes sage ich Euch hiermit Dank. Ihr
habt Euren Fahneneid gehalten und Jeder von
Euch wird in schwerer Stunde an den Fahneneid ge-
dacht haben und es wird Euch die Bedeutung des-
selben klar geworden sein. Eure Hand hat nicht ge-
zittert und das Auge hat sich nicht getrübt und so habt
Ihr in schwerem Kampf den Sieg errungen. Der Herr
der Hcrrschaaren hat Euch geführt und hat Euch ge-
schützt und Euch wieder glücklich und sicher in die Hei -
Math zurückkehren lassen. Dafür seid Ihr und müssen
wir ihm dankbar sein. Das Auge des Hochseltgen
Kaisers Wilhelm des Großen und seines edlen
Sohnes ruhte auf Euch. Ich habe Euch in die
Reichshaupt st adl einziehen lassen, damit auch das
deutsche Volk Gelegenheit habe, Euch seinen enthusia-
stischen Willkommengrub zu bieten. Von heute
an ist kein Zweifel mehr darüber, daß Heer und
Marine eines sind, eines kann sich auf das andere
verlassen, eines zollt dem andern die gleiche Achtung und
darüber soll Niemand mehr im Zweifel sein
(hier sprach der Kaiser mit erhobener Stimme und
schwenkte mit der Rechten den Marschallstab) daß,
wo ich meine blauen Jungen hinsetze, sich
Niemand darüber setzt. Nun seid Gott befohlen
und empfangt nochmals meinen kaiserlichen Dank."
Von den Matrosen und Marinesoldaten, die in Berlin
einzogen, erhielten 7 Mann des Marineinfanteriedetache-
rnents, die unter dem Grafen Soden die Gesandtschaft in
Peking vertheidigt haben, das Militärehrenzeichen I. Klasse,
40 Mann des „Iltis" erhielten das Militärehrenzeichen
II. Klasse.

Deutsches Reich
— Dem Bundesrath ging der Entwurf einer Be-
kanntmachung über die Approbation als Arzt zu,
deren ß 2 lautet: Die Approbation wird demjenigen er-
thetlt. welcher die ärztliche Prüfung vollständig bestanden
und den Bestimmungen über das praktische Jahr ent-
sprochen hat; der ärztlichen Prüfung hat die Ablegung
einer Vorprüfung vorherzugehen; die Zulassung zu den
Prüfungen und zu dem praktischen Jahre sowie die Er-
theilung.der Approbation sind zu versagen, wenn schwere
strafrechtliche oder sittliche Verfehlungen vorliegen. Die
Begründung hebt als Aenderung gegenüber dem gel-
tenden Rechtszustand hervor die Verlängerung der Studien-
zeit auf fünf Jahre infolge der Zunahme des Lehrstoffes
in sämmllichen Disciplinen und der Nothwendigkeit, die
Spezialfächer, die in den letzten Jahren an Bedeutung ge-
wonnen haben, dem Lehrplane beizufügen, andere Lehr-
zweige, vor allem die Jrrenheitkunde, in erweitertem Maße
zu berücksichtigen. Nach Ablegung der ärztlichen Prüfung
sollen die Candidaten unter den Augen erfahrener be-
währter Aerzte noch einen praktischen Vorbereitungsdienst
durchmachen, von dessen ordnungsmäßiger Zurücklegung die
Ertheilung der Approbation abhängig ist. Die Begrün-
dung spricht ausdrücklich die Zulassung der Abiturienten

der Realgymnasien und Oberrealschulen zu
medizinischen Prüfungen unter bestimmten Voraus-
setzungen aus.
Baden. Der nationalliberalc Bezirksverein Weinheim
hat in seiner am 16. ds. abgehaltenen, aus Stadt und
Land stark besuchten Generalversammlung die nachstehende
Resolution mit sehr großer Mehrheit angenommen:
Der nationlliberale Bezirksverein Weinheim erklärt sich mit
der von dem engeren Parteiausschusse in dessen Rundschreiben vom
12. November d. I. befürworteten Stellung zur Wahlrechtsfrage
nicht einverstanden; auch die von der nationalliberolen Fraktion
während der letzten Landtagstagung gemachten Vorschläge ent-
sprechen nicht dem Bedürfniß des Landes, weil sic keine genügende
Bürgschaft für die Erreichung des damit beabsichtigten Zweckes
gewähren. Der Verein ist zwar der Ansicht, daß die Ersetzung
des indirekten durch das direkte Wahlverfahren wüuschenswerth
sei, er hält aber daran fest, daß das allgemeine, gleiche Wahlrecht
nicht ausschließlich für die Zusammensetzung der 2. badischen
Kammer maßgebend sein solle.
Daß der Weinheimer nationalliberale Verein sich nicht
auf den Standpunkt des engeren Ausschusses stellen werde,
war nach verschiedenen Andeutungen des Weinheimer An-
zeigers vorauszuschen. Daß aber selbst die 7 Privilegir-
ten, welche die nationalliberale Fraktion auf dem letzten
Landtag zugestehen wollte, den Weinheimern nicht genügen,
das geht über alle Vermuthung hinaus. Was die Wein-
heimer eigentlich als Cautelen verlangen, das sagen sie
leider nicht.
* Die Freiburger philosophische Fakultät hat
sich bekanntlich mit Erfolg dagegen gewehrt, daß „katho-
lische Philosophie", die nichts anderes als Theologie ist,
in die Fakultät eingeschmuggelt werde. Sie solle in der
theologischen Fakultät bleiben, wo sie hingehöre. Der be-
treffende Dozent, Herr Baumgartner, wird nunmehr
nach Breslau gehen. Die dortige philosophische Fakultät
hat sich zwar gegen seine Berufung, wie das Bcrl. Tgbl.
sagt, mit Entschiedenheit ausgesprochen, allein der Herr
Minister Studt hat über die Köpfe der Fakultätsmitglieder
hinweg den genannten Priester zum Professor ernannt,
ihn somit der Fakultät anfgedrängt, was durchaus
nicht zu billigen ist. —Der Beob. erhebt gegen uns die
Anschuloigung, wir hätten uns in der Angelegenheit Baum-
gartner engherzig gezeigt. Wir müssen diesen Vorwurf
entschieden zurückweisen, denn es handelt sich hier um keine
Sache, in der das Herz in Frage kommt, sondern um eine
Angelegenheit der Wissenschaft von großer prinzipieller Be-
deutung. Wenn ein junger Mann zur Universität kommt,
um Philosophie zu hören, und man bietet dem Unerfah-
renen in der philosophischen Fakultät Theologie, so ist das
— um keinen schärferen Ausdruck zu gebrauchen — eine
falsche Vorspiegelung. Wir müssen dagegen um so lauter
protcstiren, als wir darin einen der systematischen Versuche
des Ultramontanismus erblicken, die Wissenschaft in dog-
matische Bande zu schlagen. Die Philosophie hat zu ihrer
Grundlage das natürliche menschliche Erkenntnißvermögen.
Wer in sie andere Erkenntnißquellen hineinzutragen sucht —
mögen sie sein, welche sie wollen —, der sucht sie zu
fälschen und gegen einen solchen Versuch werden wir uns
immer gedrungen fühlen, laut unsere Stimme zu erheben.

Aus der Karlsruher .Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großhsrzog haben
dem Fabrikanten Bertbold Welte und dessen Sohne Edwin
Welte in Freiburg die Erlaubniß zur Annahme und zum Tragen
der ihnen von dem Sultan verliehenen Auszeichnungen er-
theilt, und zwar dem Ersteren für die Medaille für Gewerbe
und schöne Künste und den Medjidie-Orden vierter Klasse und
dem Letzteren für den Medjidie-Orden fünfter Klasse.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben den
Notar Karl Welker in Kenzingen in den Amtsgerichtsbezirk
Emmendingen und den Notar August s> uhler in Boxberg in

den Amtsgerichtsbezirk Kenzingen versetzt. Das Justizminsterium
hat dem Notar Karl Welker das Notariat Emmendingen II und
dem Notar August HuhlerdaS Notariat Kenzingen zugewiesen.
Karlsruhe, 17. Dez. Gestern Sonntag früh 10
Uhr fand in der Schloßkapelle in Baden ein Gottesdienst
statt, bei welchem der Hofprediger Fischer die Predigt hielt.
Vormittags erhielten der Großherzog und die Großherzogin
den Besuch des Fürsten und der Fürstin zu Fürstenberg,
welche von Donaueschingeu kommend in Schloß Baden ein-
trafen. Um 1 Uhr fand Frühstückstafel statt, an welcher
der Fürst und die Fürstin sowie die Prinzessin Amölie zu
Fürstenberg thcilnahmen. Am Abend besuchten die Fürsten-
berg'schen Herrschaften das Theater und wohnten in der
Großherzoglichen Hofloge der Aufführung der Elsässer
Theatergesellschaft an. Darnach verweilten die fürstlichen
Gäste noch bei den Großherzoglichen Herrschaften, bis es
Zeit zur Abreise war, und verließen Baden mit dem Schnell-
zug, der sie nach Böhmen bringen soll.
Ausland.
Frankreich. Paris, 17. Dez. Der Marine-
minister sandteeinen Ordonnanzoffizier auf die deutsche
Botschaft, um seine Teilnahme anläßlich des Unter-
ganges des „Gneisenau" auszudrücken.
Italien. Rom, 17. Dez. Der Papst hielt ein ge-
he imeS Co nsistori um ab. Nach der Ansprache beauf-
tragte er die Cardinäle mit der Vornahme der Ceremonie
der Schließung der heiligen Thüren. Ferner ernannte der
Papst mehrere Bischöfe.
Spanien. Madrid, 17. Dez. Die Königin-Re-
ge nt in drückte anläßlich des Unterganges des „Gneisenau"
dem deutschen Kaiser ihr Beileid aus.

Aus Stadt und Land.
Heidelberg, 18. December.
(?) ViirgerauSschntz-Sitzung vom 17. Dec. Kurz nach 5 Uhr
«öffnete der Vorsitzende, Ooerbürgermeister Dr. Wilckens,
die Sitzung. Anwesend sind 99 Mitglieder. Der Oberbürger-
meister gedenkt des unter so erschütternden Umständen erfolgten
Hinscheidens des Bürgerausschußmitgliedes Ritzhaupt; dieser
Mann habe allen öffentlichen Angelegenheiten reges Interesse
und klares Verständniß entgegengebracht. Ganz besondere Ver-
dienste habe sich der nunmehr Verblichene als Vorstand der Orts-
krankenkasse erworben. Die Versammlung ehrt den Dahtngeschie-
denen durch Erheben von den Sitzen. Es wurde nunmehr in
die Berathung der Vorlage I, betr. die Aufnahme eines
Darlehens von 300 000 Mk. bei der städtischen Sparkasse
durch die Ltadtgemeinde eingetrcten. Der Obmann des Stadt-
verordnelen-Vorstandes, Rechtsanwalt Leonhard, gab in dieser
Sache zunächst einige Erläuterungen über die z. Zt. herrschende
Lage des Geldmarktes, welche gar nicht günstig sei und die Be-
gebung einer größeren Anleihe als nicht rathsam erscheinen
lasse; Redner findet cs für natürlich und praktisch, wenn die
Stadt für die Deckung ihrer Bedürfnisse bei ihrem eigenen
Finanzinstitut Geld aufnimmt. Werde unter günstigeren Ver-
hältnissen die Aufnahme eines größeren Anlehens möglich, so
könne dieser Betrag wieder an die Sparkasse abgeführt werden.
Der Oberbürgermeister ist nicht in der Lage, eine Zusage
zu geben, daß aus längere Zeit hinaus die Aufnahme eines An-
lehens hinausgeschoben werden könne; es hänge das von der
Lage des Geldmarktes ab. Die Ansichten über die Gestaltung
der allgemeinen finanziellen Verhältnisse gingen sehr auseinander;
es sei zu hoffen, daß die ersten Monate des neuen Jahres eine
Klärung des Geldmarktes bringen und dementsprechend gelte es
zu handeln. Die endgiltige Ordnung der Gelbvedürfntßfrage
könne von der Stadt nicht mehr lange hinausgeschoben werden.
Das bei der Eisenbahnschuldentilgungskasse aufgenommenc Geld
könne, da nur eine vierteljährliche Kündigung vorgesehen sei,
jederzeit zurückverlangt werden. Redner meint, es wäre wohl
am Platze, bei dieser Gelegenheit auch die Gestaltung der Ver-
hältnisse des städt. Elektri zitätsw erkes zur Sprache zu
bringen. In welcher Größe der Nachtragskredit für dieses Werk
nöthig werde, könne erst nach erfolgter Abrechnung bestimmt
werden. Es sei in der Presse in letzter Zeit mehrfach in nicht
zutreffender Weise über die Entwicklung des Elektrizitätswerkes
volemisirt worden: es sei die Meinung verbleitet, als ob der

* Das Nomanfeuilleton findet der Leser im heutigen
zweiten Blatt._
IV. Konzert des Bach Vereins.
Fx Heidelberg, 18. December.
Ein ausgesprochenes Liszt-Konzert! Es muß überraschen,
daß gerade an einem solchen hohen Festtage Prof. Wolfram
den Dirigentenstab abgibt. Freilich, rubig konnte er es thun, —
um selbst anderwärts sein Weihnachtsmystertum zu dirigiren, —
war er doch in der Lage, ihn der genialen Hand Mottl's anzu-
verlraucn. Wo zwei solcher Kräfte zusammengewirkt, da mußte
es denn auch gut werden. Ein Retoucheur von Mottls Art wird
stets willkommen sein. Man erlebte wieder des Dirigenten un-
vergleichliche Kunst, aus den Werken die höchste Kraft und die
zarteste Regung herauszuholen. Sein Taktstock zieht wie ein
Magnet an, was nur von Wirkung in den Kompositionen ver-
borgen liegt.
Von den groben Chorwerken Liszt's ist dieses Mal die
„Ungarische Krönungsmesse" den hier bekannten Werken angeretht
worden. Sie brachte keine Ueberraschung und keine Enttäuschung.
Wie immer, war Liszt interessant. Hinter der „Grauer Messe"
an Bedeutung zurückbleibend, erregt die „Krönungsmesse" jenen
Widerstreit unserer Empfindungen, den LiSzt auf so vielen Ge-
bieten bei einem objektiven Hörer erregt. Man ist glücklich,
wenn man ihn, der es verdient, wie kein Zweiter, zu lieben
vermag; man beugt sich vor dem eminenten Geist und dem
wächtigen Schaffensdrang und wird betrübt bei dem fühlbaren
Ringen nach dem musikalischen Ausdruck.
Liszt dichtet und malt, schwelgt in Stimmung und Färbung,
findet wunderbare Einzelheiten, entzückende Passagen, instrumen-
tirt unvergleichlich, aber so manche seiner Werke, wie die „Krö-
nungsmesse", haben keine Conturen, keine plastischen musikalischen
Gebilde erheben sich; man verfolgt mit freudigem Staunen die
schönen Einzelheiten, ohne von einem bestimmten Gesammtetndruck
gepackt und überzeugt zu werden.
Bei kirchlicher Musik dürfte man nicht von pikanten Reizen
sprechen. Und doch ist es gerade ein pikanter Retz, welcher der
Krönungsmesse ihre Eigenart verleiht — das ungarische Colortt.

Jene magyarischen Weisen, die in den herrlichen Rhapsodien uns
so vertraut geworden sind, erklingen hier zu Ehren Gottes an
verschiedenen Stellen, und mit echtem Liszt-Esprit hat der
Komponist, bei dem auch im Leben Geistliches und Weltliches
sich so entzückend mischte, das Nationale kirchlich ftilisirt.
Es wäre wirklich ppiliströs. insbesondere in Anbetracht der
Gelegenheitskomposition, an diesem Beginnen Anstoß zu nehmen.
Es wäre auch philiströs, dem Kirchcnkomponisten, der eine
moderne Messe schaffen will, nicht jeden Spielraum zu lassen.
Aber bei Liszt wirkt eben Manches so gesucht und absichtlich.
Auf fast opernmäßiger Massenwirkung ein responsorienhaftes
Unisono, neben dem ungarischen Jnstrumentalstück das choral-
artige Thema.
Das Kyrie setzt nicht unbedeutend ein. Das Gloria gewinnt
seinen Reiz durch den zarten Mittelsay in 4,-änr. Das breit an-
gelegte, rhythmisch interessante Graduate schreitet mit großer
Wucht dahin. Die Chorzwischensätze weisen prächtige Details
auf und gelegentlich eine mächtige Steigerung. Das Credo ist
Liszt gewiß von Herzen gekommen. Ec wollte etwas rein schlicht
Kirchliches m diesem Unisono schaffen, die Wirkung ist zweifellos
anders, als er sich dieselbe gedacht. Träten nicht einige ablösende
Accorde dazwischen, klänge das Tonstück nicht in der wunder-
vollen Accordfolge des Amens aus, es würde mehr als eintönig
und reizlos wirken. Das Offertorium ist ein fesselndes, konzer-
tirendes Orchesterstück, erster geistreicher Instrumental-Liszt —
eine Ungarin, die den Schleier genommen. Das Sanctus ist
von einer Hellen klingenden Freudigkeit beseelt. Zur Einleitung
des Benedictus konzertirt eine Solovioline. Liszt will hier eine
kindliche Stimme etwas Herzlich-inniges sagen lassen; was zum
Ausdruck kommt, wirkt dürftig und nichtssagend. Ganz anders
gestaltet sich die Wirkung, wenn der Chor über das plötzlich
vcdeutend werdende Thema sich erhebt. Das agrrrro äsi hat keine
ausgeprägte Physiognomie, erst in dem raschen L-üm-Satz erhält
eS Temperament.
Die Messe klingt etwas schroff in dem militärisch kurzen
Amen aus.
Es ist so begreiflich, daß die strebende Mustkernatur gerade
bei dem geistvollen Liszt haften bleibt, es ist ,o natürlich, daß

bei dem Studium ein Werk von der Art der Messe mehr und
mehr gewinnt, für die Wirkung ist aber nur maßgebend der
objective, freilich nicht oberflächliche Hörer. Für ihn war die
Messe eine interessante Bereicherung, ein musikalischer Genuß im
besten, vornehmen Sinn; ein unvergängliches Werk, das den
Stempel der Genialität auf der Stirne trägt, hat man aber in
der Messe sicherlich nicht kennen gelernt.
In der „Hunnenschlacht" gibt sich für mich Liszt viel ur-
sprünglicher. Für die Philister wird dieses Tongemälde aller-
dings im Vergleich zur Messe wahrhaft Entsetzen erregend wirken.
Etwas paradox nimmt sich freilich die Hunnenschlacht in der
Kirche aus. Nun, die Hunnen sind ja durch allerhöchstes Wort
culturfähig geworden, warum sollten sie nicht auch kirchenfähig
geworden fein?
Liszt hat hier das Unikum geliefert, ein Bild, also eine
künstliche Schilderung aus dem realen Leben in Tonschilderung
umzusetzen, somit eine Nachzeichnung aus dritter Hand zu geben.
Zu was für Diskussionen könnte dieses Unikum aus der Pro.
grammmusik Gelegenheit geben! Vom programmmusikaltschen
Standpunkte aus ist die Hunnenschlacht, dieses Jnstrumental-
getümmel wirklich grandios. Man verfolgt und erlebt die un-
heimliche Geisterschlacht mit ihrem Gewoge, ihren Signalen bis
auf das Sausen der Pfeile und zittert unter dem Nervenkitzel
dieser tönenden Schilderung. Von der Frage der musikalischen
Berechtigung abgesehen, hat für mich diese Tonschlacht den großen
Reiz des Ungewöhnlichen. Leider vermag mir, wenn das
Schlachtengetöse verrauscht ist, die religiöse Apotheose nichts mehr
zu sagen. Nachdem die Orgel mit dem Choral eingesetzt, bietet
die zerstückle Tonmalerei nichts Greifbares mehr.
Die Aufführung der großen Werke war, ohne Mottl's
geniale Inspiration in Betracht zu ziehen, wiederum eine ganz
vorzügliche. Professor Wolfrum hat kürzlich in bescheidenen
Worten auf sein Wollen und Wirken zurückgevlickt. Er hätte
ruhig, stolz und selbstbewußt auflreten dürfen. Was er aus dem
Chor und dem Orchester geschaffen, ist einer wahrhaft begeisterten
Würdigung werlh. Man möge doch die Stadt aufwelsen, die
bei ähnlichen Mitteln Aehnliches anfzuwetsen hat. Es ist eine
wahre Freude, wie der Chor singt, wie das Orchester sich dem
 
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