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Heidelberger Zeitung — 1900 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 255-280 (01. November 1900 - 30. November 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37614#0459

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Xr. 255.

DomrstW, den 1. Mlieiubtt

IS00.

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auf die Heidelberger Zeitung für die Monate November
und December melden bei allen Postanstalten, den Brief-
trägern, den Agenten, bei den Trägern in der Stadt, so-
wie in der Expedition, Untere Neckarftr. 21, fortwährend
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gebracht; durch die Post bezogen für die Monate Novem-
ber und December, wenn am Schalter abgeholt, 84 Pfg.,
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Reichseisenbahngemeinschaft.
Der Schwab. Merk, freut sich darüber, daß der
Gedanke der Reichseisen b ahngemeinsch aft in
Württemberg sichtliche Fortschritte mache und er weist
darauf hin, daß derselbe auch in Sachsen an Boden ge-
winne, wo z. B. die Leipziger Neuesten Nachrichten dafür
eintretcn. In den weiteren Ausführungen wird dann aber ein
Merkwürdiger Begriff von Reichseisenbahngemeinschaft auf-
gestellt. Es wird einfach auf die preußisch-hessische Ge-
meinschaft hingewiesen und der Beitritt zu derselben em-
pfohlen. Nach unserem Begriff wäre das indessen durchaus keine
Reichseisenbahngemeinschaft, sondern eine Verpreußung der
deutschen Eisenbahnen. Der große Unterschied, ob das
Preußische Ministerium und der preußische Landtag oder ob
der Bundcsrath und der Reichstag über die deutschen Bahnen
zu befinden haben sollen, ist doch mit Händen zu greifen
und sollte in der Diskussion nicht verwischt werden.

Ein klerikales Blatt gegen die Zulassung der
Jesuiten.
Der klerikale Bayerische Kurier, dessen Chefredakteur
ein Geistlicher ist, der in gewissen hohen Kreisen Münchens
gern gesehen wird und auch im Ordinariat Beziehungen hat,
nimmt zur Jesuitenfrage folgende Stellung:
Die bayerische Regierung wird die Jesuiten
nicht ins Land lassen, auch wenn das Jesuitengesetz auf-
gehoben ist; Bayern hat sich das Recht, dieses zu verwei-
gern, durch das Konkordat Vorbehalten, und es seitdem
stets ausgeübt. Will man die Rückkehr der Jesuiten er-
reichen, dann finge man am besten mit einer Reorgani-
sation des Jesuitenordens an und ließe die Patres
Grisar die Oberhand gewinnen. Wir sind sehr begierig,
ob nur der Abdruck der Grisar'schcn Rede auf dem Mün-
chener Gelehrtenkongreß in den Akten des Kongresses er-
scheinen darf. Sobald der Jesuitenorden als Ganzes sich
den berechtigten Zeitansprüchen fügt, auch nicht absolut
über alle anderen theologischen und staatskirchlichen Ten-
denzen „herrschen" will, wird er wegen seiner im kleb-
rigen großen Leistungen die Sympathien der ganzen katho-
lischen Bevölkerung haben, die er jetzt nicht hat. Dann
würde seine Zurückberufung nach Deutschland sicherlich
erfolgen.

Zum Lippischen Thronfolgestreit.
Die Frage, ob die Stammmutter der gesammten heu-
tigen Lippe-Biesterfelder Linie, Modeste v. Unruh, als
ebenbürtige Frau anzusehen sei, schien durch den Spruch
deS Dresdener Schiedsgerichts endgiltig erledigt; nichts-
destoweniger taucht sie immer wieder auf — neuerdings
im Rechtsstreit der Linie Lippe-Weißenfeld gegen den
Grafregenten Ernst zur Lippe-Biesterfeld, in welchem Kläger
dem Beklagten das Recht zum Genuß der sogenannten
E>PPischen Rente bestritten hat. Das Landgericht Detmold
batte die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat
dagegen das Oberlandesgericht Celle das Urtheil des Land-

gerichts vom 23. Juni d. I. aufgehoben und den Lippe-
Biesterfelder Grafen für nicht rentenberechtigt erklärt und
dies damit begründet: „1. Der Brudervergleich von 1749
Z 18, demzufolge zur Ebenbürtigkeit der Ehen in den
Linien Biesterfeld und Wcißenfeld mindestens freiherrlicher
Titel der Frau erforderlich ist, ist in voller Giltigkeit. Er
ist weder durch nachfolgende Gesetze, noch durch Gewohn-
heit abgeschafft; 2. die Stammmuter der Biesterfelder
Linie, Modeste v. Unruh, ist nicht freiherrlichen Standes
gewesen; 3. die Ansicht, daß der polnische Zweig der Fa-
milie v. Unruh als Mitglied des polnischen Adels hoch-
adeligen Charakter gehabt habe und deßhalb unter allen
Umständen als ebenbürtig anzusehen sei, ist unhaltbar;
4. Modeste v. Unruh ist demnach in Rücksicht auf die
Rente unebenbürtig und daher 5. der im Jahre
1883 verstorbene Graf Karl zur Lippe-Biesterfeld d-r letzte
Bezugsberechtigte in der Biesterfelder Linie gewesen." —
So berichtet die Deutsche Juristenzeitung Nr. 20. Es ist
ein eigcnthümliches Verhängniß, daß die Modeste v. Unruh
nie zur Ruhe kommen kann, denn nun wird wohl auch
das Reichsgericht noch zu sprechen haben.

Veränderungen im englischen Kabinet.
Nach dem Daily Telegraph hat Lord Salisbury
auf Rath seines Arztes und in Anbetracht seiner siebzig
Jahre beschlossen, nur die Premierschaft zu behalten,
das Portefeuille des Auswärtigen aber abzugeben. Sein
Nachfolger im Auswärtigen Amt wird Lord Lans-
downe, der bisherige Kricgsminister. Damit wird die
Thüre zu einer größeren Umbildung des Kabinets ge-
öffnet. Der Daily Telegraph spricht im Leitartikel auch
bereits von der Möglichkeit, daß das Ministerium des
Innern und nach und nach noch einige andere Minister-
sitze freiwerden könnten. Das Interessanteste bei diesen
Mittheilungen ist vorläufig, daß die Frage der Führer-
schaft im Unter Hause zunächst in der Schwebe zu
bleiben scheint. Arthur Balfour, der bisher bei Ab-
wesenheit oder Krankheit seinen Chef im Auswärtigen Amt
vertrat und dort als muthmaßlicher Nachfolger galt, bleibt
anscheinend zunächst im Unterhaus, wahrscheinlich weil
augenblicklich Chamberlains Nachfolge in der
Führerschaft des Hauses noch auf Schwierigkeiten
stößt. Lord Lansdownes Rücktritt vom Kriegsamt wird
in England durchweg lebhafte Billigung finden. Die
Frage seines Ersatzes in diesem Amt war schon seit eini-
ger Zeit Gegenstand stiller Kämpfe. Lord Lansdowne
wird als auswärtiger Staatssekretär unter Salisburys
Oberaufsicht wenig Beanstandung finden. Er spricht gut
französisch, ist eine sympathische Persönlichkeit und macht
ein großes Haus. Er zählt zu den liberalen Unionisten.

Deutsches Reich.
— Dem Bundesrath ging der Etat des Reichsamts
des Innern für 1901 zu. Darin werden gefordert zur
Förderung der Ausbildung der Schiffsjungen und zur
Besserstellung von Arbeitern und gering besoldeten
Beamten im Betriebe des Reiches zwei Millionen Mark.
Ferner ist als Beitrag des Reiches zu den Kosten des
Ausbaues der Hohkönigsburg eine erste Rate von
150000 Mark eingestellt.
Bremerhaven, 30. October. Der Lloyddampfer
„Princeß Irene" hat um 5 Uhr Nachmittags mit 300
Mann Ersatztruppen für das Pionier-Bataillon in
China unter lebhaften Kundgebungen des auf der Staden-
mauer versammelten Publikums, den Klängen der Militär-

kapelle und dem Absingen des Liedes „Deutschland, Deutsch-
land über alles" den Hafen verlassen.
Hildesheim, 31. Octbr. Der Kaiser und die
Kaiserin sind heute um halb 2 Uhr unter dem Jubel
der Bevölkerung hier zur Einweihung des Denkmals
Kaiser Wilhelm's I. eingetroffen. Die Stadt ist festlich
geschmückt. Nachdem die Tochter des Oberbürgermeisters
der Kaiserin einen Strauß überreicht und ein kurzes Ge-
dicht vorgetragen hatte, begab sich das Kaiserpaar nach
dem Denkmalsplatz. Das Wetter ist herrlich. Auf dem
Wege zum Denkmalsplatz wurde das Kaiserpaar jubelnd
begrüßt. Beim Denkmal war eine Compagnie der 79er
aufgestellt. Nach einer Ansprache des Regierungspräsidenten
fiel auf ein Zeichen des Kaisers die Hülle unter Musik-
klängen. Der Kaiser besichtigte hierauf das Denkmal
und sprach seine volle Anerkennung darüber aus.
Baden. L.O. Karlsruhe, 31. Octbr. Erzbischof
Nörber gewährte den Vorständen der christ lich e n G e-
werkschaften Mannheims am Sonntag eine Audienz,
in der er sich, lt. Mannb. Volksbl., überzeugen ließ,
„daß die Gewerkschaften Badens auf positiv christlichem
Boden stehen. Er erklärte deßhalb, daß er diese Gewerk-
schaften (trotz seiner Befürchtung für die Zukunft) nicht
verurtheilen wolle und forderte auf, vorwärts zu schreiten
auf der betretenen Bahn, aber sich durch Niemanden von
den christlichen Grundsätzen abbringen zu lassen." Die
ultramontane Presse schließt aus diesen Worten, daß das
Fuldaer Pastoralschreiben und der erzbischöfliche Erlaß auf
die bestehenden christlichen Gewerkschaften keine Anwen-
dung finden können. Dieser Schluß kann natürlich den
Herrn Erzbischof nicht der Pflicht entheben, zu erklären,
welche christlichen Gewerkschaften er denn eigentlich in
seinem Erlaß gemeint hat. Vorläufig gibt es noch
keine christlichen Gewerkschaften in Wolkenkuckuksheim, die,
man im Nothfall vorschützen könnte, sondern nur „bestehende"
ob diese in Baden domizilirt sind oder anderswo, ist für
die Beurtheilung des Erlasses gleichgiltig. Findet denn
die Presse, die angeblich für „Wahrheit" kämpft, nicht den
Muth, zu konstatiren, daß der Herr Erzbischof den Rück-
zug angctreten hat?
8. 0. Karlsruhe, 31. Oct. Die kirchlich-liberale
Vereinigung hielt heute im Saale der „Vier Jahreszeiten"
ihre Jahresversammlung ab. Vormittags fand eine ge-
schlossene Mitgliederversammlung statt, in der interne Vereins-
angelegenhetten erörtert wurden. Um '/z4 Uhr begann die öffent-
liche Versammlung, der u. A. auch zahlreiche Damen anwohnten.
Nachdem Stadtpfarrer H ö n i g - Heidelberg die Erschienenen be-
grüßt hatte, hielt Pfarrer Holdermann aus Rütteln einen
formvollendeten Vortrag über den Fall Weiugart in seiner
Bedeutung für die evangelische Kirche und schlug zum Schluß
folgende Resolution vor: „Die Landcsversammlung der kirchlich-
liberalen Vereinigung spricht über die Amtsentsetzung des Pfarrers
Weingart in Osnabrück ihr tiefstes Bedauern und dem Gemaß-
regelten selbst für seine Ueberzeugung treue, herzliche Sympathie
aus. Sie erachtet dieses Urtheil als eine schwere Schädigung
des Ansehens der evangelischen Kirche in der heutigen Zeit und
protestirt gegen die Anschauung von der juristischen Bindung der
Geistlichen durch den Buchstaben der Bekenntnisse als gegen ein
durchaus unevangelisches, wissenschaftlich unhaltbares und in
seinen Konsequenzen sittlich verwerfliches Prinzip. Der Geltung
desselben, bezw- dem Versuch, diesem Prinzip in der evangelischen
Landeskirche Geltung zu verschaffen, sich zu widersetzen, betrachtet
die kirchlich-liberale Vereinigung als eine ernste Pflicht aller frei-
gesinnten Protestanten Deutschlands und begrüßt die Bestrebungen,
welche eine Solidarität derselben bezwecken." Die Resolution
wurde einstimmig angenommen und sodann die Versammlung
durch Stadtpfarrer Hönig geschlossen.
— Mit seiner falschen Anschuldigung gegen Professor
Böhtlingk, als habe dieser in einer Versammlung des
Eisenbahnreformvereins zwei Minister beleidigt, ist der Be-
obachter bekanntlich gründlich abgefahren. Der betreffende
Redakteur hat um Entschuldigung nachsuchen und Abbitte

Ein Opfer.
Roman von B. Saworra.
Autorisirte Bearbeitung nach dem Englischen.
*6) (Fortsetzung.)
„Diese Art von Zuneigung ist nicht für böse und gute
-^age berechnet: sie wollten nur die guten miteinander ge-
jUeßen. Sie batten keinen Bund geschlossen, der die Treue
I? den Tagen der Anfechtung, der Krankheit zur Pflicht
Mchy und der es fordert, in Liebe und Treue bei einander
Pv zum Tode auszuharren. Wenn sie geblieben wäre, würde
ue in jhrxr Stellung vielen Schwierigkeiten und Demüthigungen
Usgesetzt gewesen sein. Sie wußte das sicher und lhat, was
"ar sie am vortheilhaftesten war."
»Und Du hast nichts mehr von ihr gehört?"
-Niemals."
j, Die Freunde saßen so bei einander und plauderten, bis
^Tageslicht sich in Dämmerung verwandelte. Dann
Mrdcn sie durch ein leises Klopfen an der Thür unter-
jochen.
»Darf ich hineinkommen, Herr Doktor?" fragte eine
^"Mme.
»»Ah, Sie sind es, Frau Clet?" rief der junge Arzt.
Esse» "' Sie für eine Beleuchtung — und unser Abend-
^.»Jch war nickt sicher, ob die Herren zu Hause wären.
W zünde gleich die Lampe an, Herr Doktor, und das Abend-
r--^? bringe ich sofort. Ist Ihnen ein kaltes Rumpsteak
Hühnchen, etwas Käse? — Und hier ist auch eine
si,/El Das Mädchen von der alten Frau Mortlock brachte
soeben, eine Antwort wäre nicht nöthig."
n°s^.)ou Clet hatte die Lampe auf den Tisch gestellt und war
rostig hinausgegangen. Georg las die Karre,
nick"» rehrter Herr Doktor! Unser Hausmädchen fühlt sich
^ wohl, wir hoffen, es ist nur eine heftige Erkältung;

aber da morgen unser kleiner Neffe Harry wieder für einige
Tage zu uns kommt, sind wir besorgt; es herrscht so viel
Scharlachsieber. Würden Sie wohl die Güte haben, im Lause
des Abends noch einmal nach Susanna zu sehen? Ihre ergebene
Agnes Mortlock."
„Möchtest Du für eine kurze Zeit mit einem Buche oder
einer Zeitung vorlieb nehmen, Mark?" sagte der junge Arzt.
„Ich werde nicht lange fortbleiben."
„Ein Gang zu einem Patienten?"
„Ja, es ist nicht weit."
„Wenn Du nichts dagegen hast, will ich Dich begleiten,
erwiderte Mark. Und die beiden Freunde gingen zusammen
hinunter.
„Wir haben kaum fünf Minuten zu gehen, bemerkte
Georg. „Als ich Fräulein Mortlocks Handschrift erkannte,
fürchtete ich zuerst, es wäre ihrer Mutter etwas zugestoßen.
Die alte Dame hatte einen Schlagansall gehabt» er kann sich
jeden Augenblick wiederholen."
„Mortlock?" sragte Mark. „Fräulein Verrels — meiner
Braut Schwester — ist an einen Herrn Mortlock verheirathet.
Man liest seinen Namen oft in Zeitschriften."
„Robert MortlockI" rief Grävener. „Das ist dieselbe
Familie. Seine Mutter und Schwestern wohnen hier. Welch
sonderbares Zusammentreffen I"
„Du kennst Judiths Schwester?"
„Ich bin heute Morgen mit ihr zusammen gewesen. Sie
steht sehr apart aus." ^
„Gefällt sie Dir nicht?" fragte Mark prüfend.
„Sogar sehr; sie ist eine sehr fesselnde Erscheinung.
„Sie sieht natürlich sehr gut aus, wie die andern auch.
Judith ist das hübscheste Mädchen, das ich, je gesehen; aber
die jüngeren Schwestern sind auch lieblich, jede in ihrer Art."
„Lieblich möchte ich Frau Mortlock gerade nicht nennen.
Sie ist weniger hübsch, als anziehend; man kann sie nicht
leicht vergessen. Sie sieht aus wie ein Rittersräulein aus
dem Mittelalter, das eben aus dem Rahmen eines Gemäldes
gestiegen ist. Ihr Haar ist weiß wie Schnee, und die
Gesichtsfarbe dazu selten zart und frisch, diese Gegen-

sätze frappiren. Dazu geht sie so eigenlhümlich gekleidet.
Ich mußte sie immerfort ansehen. Wir waren nur einige
Minuten zusammen: ich glaube, ich sprach zu ihr über ihre
Kinder, aber — ich muß gestehen, ich weiß nicht, was ich
sagte."
„Du kennst sie also ziemlich genau?"
„Ich sah sie heute zum erstenmal."
„Da erkennt man den Doktor," lachte Mark. „Sieht
eine Dame zum erstenmal und spricht gleich mit ihr über
ihre Kinder."
„O, ich kenne die Kinderl Ich behandelte den kleinen
Harry, als er die Masern hatte. Seine Eltern waren auf
Reisen, die Kinder indessen hier bei der Großmutter. Doch,
da sind wir! Wird Dir die Zeit nicht lang werden?"
„Nein! Es ist ein wundervoller Abend; meine Gedanken
und eine Cigarre werden mich vortrefflich unterhalten, bis
Du wiederkommst."
Langsam ging Mark auf und nieder. Die kühle Abend-
luft that ihm wohl nach dem heißen Tage. Seine Gedanken
zauberten ihm liebliche Bilder vor, er schaute Judith in ihrer
Anmuth und Frische, wie sie ihm in den letzten Tagen nahe
gewesen.
(Fortsetzung folgt.)

Stadt-Theater.
O Heidelberg, 1. November.
„Der Probekandidat". Schauspiel in 4 Akten von
Max Dreyer.
Darf ein Lehrer in der Zoologie seinen Schülern von der
Darwin'schen Hypothese reden? Diese Frage wirft Dreyer im
„Probekandidaten" auf, und er will damit eigentlich fragen: Darf
ein Lehrer im Schulunterricht seine Ueberzeugnngen aussprechen,
vor seinen Schülern der Wahrheit die Ehre geben?
Das Stück zeigt: Man darf es nicht immer, man soll es
stets. Darin waren Autor und Publikum einig. Einig gegen
die Dunkelmänner!
 
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