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Heidelberger Zeitung — 1900 (Juli bis Dezember)

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Nr. 228-254 (01. Oktober 1900 - 31. Oktober 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37614#0403

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^rnsprech-Anschluß Nr. 82.


^ir. 244


FmtW. den 19. Ollvber

JnserttonSgebühr
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Pctitzetle oder deren Raum.
Für hiesige Geschäfts» und
Privatanzeiyen bedeutend
ermäßigt.
GratiS-Anschlag
der Inserate auf den Plakat«
tafeln der Hcidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82

woo.

Der Rücktritt Hohenlohe s.
Als Für st Bismarck vom Kaiser fortgeschickt wurde,
^ug ein Beben der Aufregung durch die deutsche Nation;
Caprivi seine Entlassung erhielt, gab das zu leb«
7^ter, ja zu theilweise leidenschaftlicher Diskussion Anlaß;
beim Rücktritt Hohenlohe's rührt sich kein Lüftchen,
^ ist, als wenn ein welkes Blatt sich vom Baum gelöst
und sanft zur Erde niedergeschwebt ist. Der Politiker
Hohenlohe ist eines natürlichen Todes gestorben; er hat
im Dienst des Reiches ausgelebt; der alte verdiente
der seinem engeren Vaterlande und dem deutschen
^°>che seine Kräfte über ein halbes Jahrhundert lang ge-
!^drnet hat, sehnte sich nach Ruhe. Er wird den Rest
^oer Tage in der Stille des Privatlebens verbringen,
ist menschlich begreiflich. Die besten Wünsche — man
sagen — des ganzen deutschen Volkes folgen ihm
°ohin nach.
. Zu Bismarck, dem leidenschaftlichen Titanen, mußte
ieder Deutsche Stellung nehmen; man war sein Freund
sein Feind. Auch Caprivi hatte leidenschaftliche Geg-
Ar und manche warme Freunde. „Onkel Chlodwig" war
zu alt, als er Kanzler wurde, um mit Temperament
^rken, und eine zu diplomatisch schmiegsame Natur, um
politische Schärfe in sein Amtiren bringen zu können. Er
,or der erfahrene und gute alte Mann, den man achtet
dessen stilles Wirken man anerkennt, wenn man es
mehr vermuthct als sieht.
- Aber es muß doch noch einmal betont werden, daß
^rst Hohenlohe eines vor seinen beiden Vorgängern vor-
^ hatte: er paßte zu dem Kaiser, der nach Bismarcks
Anspruch sein eigener Kanzler sein will. Sein verwandt-
östliches Verhältniß zum Kaiser, sein Alter, seine schmieg-
te und dabei doch zähe Natur machten ihn besonders
Eignet zum Zusammenwirken mit dem Kaiser. So hat
lit in der sechsjährigen Zeit der Kanzlerschaft Hohen-
Ue's von Reibungen nach oben nichts gehört,
s.. Den Wunsch, zurückzutreten, hatte Fürst Hohen-
o schon seit längerer Zeit, der definitive Entschluß scheint

ober

erst in den letzten Tagen gefaßt zu sein und da ist

^unn so schnell gegangen, daß die Ernennung des Nach-

l tZ publizirt wurde, ehe noch die Einreichung des Enl-
^'iungsgesuchs bekannt war. Die Entscheidung hat der
jn Homburg getroffen, wo Hohenlohe und Bülow
l.-tch anwesend waren. Fürst Hohenlohe hat sein Ent
"ff

^Mngsgesuch dorthin mitgebracht. Die amtliche Nach-
von dem Kanzlerwechsel lautet im Reichsanzeiger
lolgt: Se. Majestät der Kaiser und König haben Aller-
h.^llst geruht, dem Reichskanzler, Präsidenten des Staats-
z Uisteriums und Minister der Auswärtigen Angelegen-
' Fürsten zu Hohenlohe-Schillingsfürst,
l^Uzen v. Ratibor und Corvey, die nachgesuchte Ent»
tz0UNg aus seinen' Aemtern unter Verleihung der
ff Alanten zum Schwarzen Adlerorden zu er-
hz kn und den Staatsminister, Staatssekretär der Aus»
ff^'gen Angelegenheiten, Grafen v. Bülow. zum Reichs-
Präsidenten des Staatsministeriums und Minister
Auswärtigen zu ernennen.
h Der Reichsanzeiger veröffentlicht außerdem folgendes
lAp d scheiben des Kaisers an den Fürsten Hohen-
„Mein lieber Fürst, so ungern ich Sie auch aus
bisherigen Stellungen im Reichs- und Staatsdienst
" sehe, so habe ich doch geglaubt, mich nicht länger
bx^ Gewicht der Gründe, die Ihnen die Befreiung von
die^iirde Ihrer verantwortungsreicheu Neuster wünschens-
p erscheinen lassen, verschließen zu dürfen. Ich habe
Ihrem Antrag auf Dienstentlassung mit schwerem
^LkUstattgegeben. Es ist mir ein Bedürfniß, Ihnen

bei dieser Gelegenheit, wo Sie im Begriff stehen, eine lange
und ehrenvolle Laufbahn abzuschließen, für die langjährigen
treuen und ausgezeichneten Dienste, die Sie in allen Ihnen
übertragenen Stellungen dem Reiche und dem Staate,
meinen Vorfahren und mir mit aufopfernder Hingebung
und unermüdlicher Pflichttreue unter den schwierigsten Ver-
hältnissen geleistet haben, meinen wärmsten Dank noch
besonders auszusprechen. Möge Ihnen nach einer thaten-
reichen Vergangenheit durch Gottes Gnade ein langer und
glücklicher Lebensabend beschicken sein. Als äußeres Zeichen
meiner Anerkennung und meines dauernden Wohlwollens
ertheile ich Ihnen den hohen Orden vom Schwarzen Adler
mit Brillanten und lasse Ihnen dessen Insignien hierneben
zugehen und verbleibe Ihr wohlgeneigtester Kaiser und
König. Homburg v. d. H., 17 Oct. 1900. Wilhelm."

Der neue Reichskanzler.
Der neue Reichskanzler Bernhard v. Bülow steht im
52. Lebensjahre. Am 3. Mai 1849 zu Klein-Flottbek in
Holstein geboren, studirte er in den Jahren 1867—1870
in Lausanne, Leipzig und Berlin Rechts- und Staats-
wissenschaften und machte den Krieg gegen Frankreich mit.
(Er ist jetzt Rittmeister der Reserve im Bonner Königs-
Husaren-Regiment). Nachdem er 1372 die Referendar-
Prüfung bestanden hatte und beim Bezirkspräsidium in
Metz beschäftigt gewesen war, trat er 1874 in das Aus»
wärtige Amt über und war als Legationssckretär in Rom,
Petersburg und Wien thätig. Während des russisch-türki-
schen Krieges von 1877 und 1878 war er Geschäftsträger
in Athen, wurde dann dem Sekretariat des Berliner Kon-
gresses beigegcben und war von 1879—1884 anfangs
zweiter, dann erster Botschaftssekretär in Paris und wurde
darauf zum Botschaftsrath in Petersburg ernannt, wo er
häufig als Geschäftsträger wirkte, solange die bulgarische
Frage im Vordergründe stand, und erhielt 1888 den Ge-
sandtschaftsposten in Bukarest. Jn die Zeit seiner dortigen
Amtsführung fiel die Annäherung Rumäniens an den
Dreibund und der Abschluß des deutsch-rumänischen Handels-
vertrages. Im December 1893 wurde er zum deutschen
Botschafter am italienischen Hofe ernannt, im Jahre 1897
als Nachfolger des Frhrn. v. Marschall, des jetzigen Bot-
schafters in Konstantinopel, zum Staatssekretär des Aus-
wärtigen Amts. Unterm 22. Juni 1899 versetzte ihn der
Kaiser in den Grafenstand. Der Reichskanzler, der selber
lutherischer Konfession ist, hat sich am 9. Januar 1886
zu Wien mit Anna Maria Zoö Rosalie Beccadelli di
Bologna aus dem Hause der Principi di Camporeale,
Herrin des Marchesats Altevilla auf Sicilien, verheirathet,
die am 6. Februar 1848 zu Neapel geboren und katholi-
scher Konfession ist. Kinder sind dieser Ehe nicht ent-
sprossen. Die Gräfin Bülow war in erster Ehe mit dem
jetzigen preußischen Gesandten in Dresden, Grafen Karl
v. Dönhoff, einem Vetter des Reichstagsabgeordn. Grafen
August v. Dönhoff-Friedlichstein, verheirathet gewesen. Die
Ehe wurde 1884 getrennt. Ihr waren zwei Kinder ent-
sprossen, eine Tochter, die mit dem jetzigen deutschen Ge-
sandten in Stockholm, Grafen Nikolaus v. Wallwitz, ver-
heirathet ist, und ein Sohn. Die Mutter der Gräfin
Bülow ist die Wittwe des bekannten 1886 verstorbenen
italienischen Staatsmannes Marco Minghetti, der das
Bündniß Italiens mit Deutschland avgebahnt hat.

Deutsches Reich.
— Ucber die Ausreise der Truppen-Transport-
Kämpfer nach China liegen folgende letzte Meldungen vor:

Dresden (N.D. Lloyd) 13. Oct. in Tsingtau.
Palatia (Hamb. A.L.) 14. Oct. in Tsingtau.
Andalusia (Hamb. A.L.) 15. Oct. von Tsingtau.
Hannover (N.D. Lloyd) 17. Oct. von Shanghai.
Crefeld (N.D. Lloyd) 16. Oct. in Shanghai.
Cronberg, 18. Okt. Der Reichsanzeiger schreibt:
Der heutige ärztliche Bericht über das Befinden der
Kaiserin Friedrich besagt: Im Verlaufe der letzten
Tage trat eine erfreuliche Besserung ein. Das
Herz kräftigte sich, der Puls wurde regelmäßiger und
voller. Der Lungenkatarrh nimmt lan gsam ab. Fieber
besteht nicht mehr. Die Nahrungsau fnahme hebt sich
und damit der gesammte Kräftezustand. Eine langsam
fortschreitende Reconvalescenz der akuten Erkrankung ist zu
erwarten.
Hr mburg v. d. H.,'18. Okt. Um 11 Uhr fand
in Gegenwart des Kaiserpaares die Einsegnung des
Prinzen Adalbert durch den Garnisonvfarrer Goeus
unter Assistenz des Oberhofprcdigers Dry ander im
Bibliotheksaale des Schlosses statt. Die Feier erfolgte im
engsten Familienkreise. An ihr nahmen die hier anwesen-
den Mitglieder der königlichen Familie und die hier an-
wesenden Großwürdenträger thcil. Nach der Frühstücks-
tafel begaben sich das Kaiserpaar, iämmtliche Mit-
glieder der kaiserlichen Familie, die Damen und Herren
der Umgebung mit der elektrischen Bahn nach der Saal-
burg. Die Herrschaften gedenken von da aus nach
Schloß Friedrichshof zu fahren. — Der bisherige Reichs-
kanzler, Fürst Hohenlohe, reiste um 3 Uhr von
Homburg ab.
Baden. LO. Karlsruhe, 18. Okt. Die Minister v.
Brauer, Buchenberger u. Schenkel weilen gegenwärtig
in Paris zum Besuch der Weltausstellung, während Staats-
minister Dr. Nokk wegen Erkältung das Bett hüten muß.
Es ist darum nicht verwunderlich, daß heute beim Festakt
im Reichspostgebäude die eigentlichen „Spitzen" der Staats-
behörden fehlten; um so zahlreicher waren die Präsidenten,
Direktoren und Räthe der verschiedenen Ministerien und
Gerichte vertreten.
b.OKarlsruhe, 18. Oct. Die Einnahmen der Bad.
Staarsbahnen beliefen sich im Monat September d. I.
auf Mk. 6820650 (gegenüber Mk. 6 557630 im gleichen Monat
des Vorjahres). Die Gesammteinnahmen vom Januar bis October
betragen Mk. 56623 780 oder Mk. 4743 320 mehr als im
Vorjahre.
* Wann wird denn eigentlich die uationäl-lib.
Parteiführung mit der Ansprache an die Wähler
oder wie sich die Kundgebung sonst nennen wird, heraus-
treten? Bald sind 14 Lage seit dem Zusammentritt des
Engeren Ausschusses verflossen und noch immer ist kein
Hauch von dieser Ansprache zu verspüren. Strenges Still-
schweigen über den Hauptbeschluß ist proklamirt worden;
man enthält ihn den Parteigenossen vor, als wolle man
förmlich noch künstlich das Interesse der Parteiangehörigen
lähmen, während man wahrhaftig doch Grund hätte, es
möglichst zu beleben. Dazu kommt, daß Auslassungen aus
dem Kreise der sogen. Alten die Beschlüsse des Engeren
Ausschusses vorwegnehmen und in der Köln. Ztg. und in
der Straßb. Post dagegen losziehen. Ist das ein halt-
barer Zustand? Und wie lange sollen die Parteiangehö-
rigen sich das gefallen lassen?
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königl. Hoheit der Großherzog haben dem
Staatssecretär des Reichspostamts, Wirklichen Geheimen Rath
vonPodbielski das Großkreuz, sowie dem Postrath Rose
bei der Kaiserlichen Oberpostdirektion in Karlsruhe und dem
Postbaurath Saegert bei der Kaiserlichen Oberpostdirektion in
BreSlau das Ritterkreuz erster Klasse des Ordens vom Zähringer
Löwen verliehen.

Ein Opfer.
Roman von B. Saworra.
ff Autorisirte Bearbeitung nach dem Englischen.
(Fortsetzung.)
Verrell sah noch jugendlich, - neben ihren kleinen
^ffv?En fast wie eine ältere Schwester aus. Groß, sehr
ff- mit zarten, frischen Farben, das reiche, blonde Haar
st ff^chterkopfe leicht in einen Knoten geschlungen, blickte
sff wren sanften, grauen Augen zufrieden in die Welt.
Men ^ff^icher Zug umspielte ihren lieblichen Mund, der
widersprechen, schwer einen Wunsch versagen konnte.
?st ^ruhten jetzt die sonst so fleißigen Hände im Schooße,
N ik??ve. die so gütig und flink alle Schäden heilten, welche
^Sffjsbaften Töchter reuevoll ihrer liebevollen Mutter am
Ke Di°^. beichteten.
Mich "wr Mädchen, die sie anmuthig umgaben, waren alle
Alliff' wit feingeschnittenen. frischen Gesichtern, aus denen
° Frohsinn strahlten, mit dunklen Augen, dunklen
".»und Grübchen in den zarten Wangen. Trotz ihrer
«n He ° einfachen Anzüge sahen sie reizend in ihrer Jugend-
°us. Die rosa Kleider, die sie trugen, waren im
s?H j ! Sommer gearbeitet, als sie noch kleiner, ihre Arme
.urzex waren. Die weißen Strohhüte, die halb ver-
Al>i> jss Grase lagen, hatten ihre Form verloren, das rosa
b Ht w, uuf war von der Sonne gebleicht. Doch das störte
>>Me Nx frohen Math; ausgewachsene Kleider und ver-
dew Asber waren ihnen nicht wichtig genug, um sie

Angelegenheit ihre Gemüther; in ihrer ltebenswür-
süi^Mev 'I? machten sie die Mutter zur Vertrauten ihrer
' "Me und suchten sie ihren Wünschen günstig zu
^de„2«um sollen wir denn immer noch mehr gebildet
' sagte Rosa. „Um -,8oä sgvs tbs Hussa" auf einem

-AH Gleichgewicht zubrmäem
-» "lwlegenheit ihre Gemüthi

Heute erregte aber eine

asthmatischen Flügel spielen zu lernen? Denn unser Flügel
ist asthmathisch. Mutti I"
„Das ist nicht zu leugnen," lächelte Frau Verrell. „Wir
^ hatten ihn schon, als ich noch Kind war. Meine Eltern
kauften ihn billig aus einem Ausverkäufe für mich zum
! Neben — und — erlaubt — das war wohl vor fünfund-
zwanzig, dreißig, fünfunddreißig Jahren."
„Wir wollen ihn wieder billig auf einem Ausverkäufe
verkaufen," lachte Ellen. „Wir wollen ihn anzeigen, ja
Multi — und wir wollen Fräulein Büdget gleich mit an-
zeigen: „Eine Dame wünscht ihr Pianoforte und ihre
Pianistin abzugeben —"
„Letztere," unterbrach Rosa sie, „hat in ihrer Familie
seit vier Monaten als Erzieherin gewirkt; sie ist in vollem
Maße befähigt- kurze, aber höfliche Phrasen in den ver-
schiedenen Sprachen des gebildeten Europa zu lehren, ist
wohl vertraut mit dem Gebrauche des Globus; sie bat in
^ verschiedenen Familien der höheren Aristokratie gelebt und
kann als Zierde jeder Gesellschaft gelten, in die sie geführt
wird —"
„Um sie zu langweilen," fügte Ellen hinzu.
„Das arme Fräulein Büdget!" sagte Frau Verrell. „Ihr
habt sie gar nicht gern?"
„Wir wollen es gelinde auSdrücken, Herzensmutti," sagte
! Ellen. „Wir verabscheuen sie."
„Wir alle," setzte Life hinzu, „sogar Judith — wirklich
auch Judith, Multi."
„Und Judith itt doch so gut," sagte sie überzeugend.
„Wenn Judith jemand nickt mag, muß der Jemand schon
ganz furchtbar unausstehlich sein. Und das ist Fräulein
Budget — wirklich, Mutti. Sie liest die Adressen von den
Brieten, — ich glaube, wenn sie nur könnte, möchte sie auch
den Inhalt lesen; — bei den Postkarten thut sie es- Und,
Herzensmutti, warum müssen wir denn eine Erzieherin
haben? Lernen können wir doch nichts: wir sind zu flüch-
tig — ja, Fräulein Büdget sagt es. Und wir sind alle
schon so alt, so wundervoll alt. Manche Mädchen heirathen

schon von sechzehn Jahren, — wirklich, und Rosa ist fast
siebzehn. Ellen wird im August sechzehn. Und Lisa und ich
machen doch keine Fortschritte, nicht wahr, Lisa? Fräulein
Büdget sagt es. Was wir in einer Minute gelernt, haben
wir in der nächsten vergessen. Unser Gedäcktniß ist wie ein
Sieb. „Haslis iisurs sst-il? Husl Lgs ss-tu? 8uis-js ms
lavsr lss walus?" Das ist meine ganze Errungenschaft aus
den französischen Stunden, wirklich, Mutti! — Wenn ich
nun einmal nach Frankreich kommen sollte, was ja höchst
unwahrscheinlich ist, aber wir nehmen es an, und ein Fran-
zose beginnt eine Unterhaltung mit mir, könnte ich sagen:
Wie alt sind Sie? Bitte, darf ich mir die Hände waschen?
Du siehst, Mutti, eine Erzieherin nützt uns gar nichts, sie
macht uns nur unglücklich. Und dann — eine Erzieherin
ist so theuer!"
„Für Deine zwölf Jahre bist Du ja furchtbar weltklug,
liebste Di," fiel Rosa ein.
„Aber eine Erzieherin ist doch wirklich theuer," pflichtete
Lisa eifrig bei. „Du hast gut reden, Rose — Du und Ellen,
Jhr seid halb erwachsen und könnt die Stunden versäumen,
wenn es Euch paßt. Aber Di und ich haben es furchtbar
schwer, nicht wahr. Di? Vater sagt immer, wir müssen
uns einschränken, Multi, nicht wahr? Er sagt es, wenn
er den Schinken auf dem Frühstückstisch sieht, und er
sagt es — o, er sagt es bei leder Gelegenheit den ganzen
Tag. Wenn es nun doch !o nöthig ist, daß wir Ausgaben
streichen, so wollen wir doch Fräulein Büdget streichen, ja,
Mutti?"
„Gewiß ist cs kostspielig, eine Erzieherin im Hause zu
haben." beruhigte sie Frau Verrell. „Du mußt mit Vater
darüber sprechen. Aber vorläufig muß Fräulein Büdget
jedenfalls noch bei uns bleiben. Ihr wißt, sie ist uns durch
Robert empfohlen — sie ist eine entfernte Cousine von ihm
— und es würde ihn sehr unangenehm berühren —"
(Fortsetzung folgt.)
 
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