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Heidelberger Zeitung — 1900 (Juli bis Dezember)

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Nr. 176-202 (01. August 1900 - 31. August 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37614#0165

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Xr. 189.

Dsnunsiag, den IK.Auzust

180«.

Eine Rede des Kaisers über China.
Bei den Angehörigen eines deutschen Offiziers, der sich
mit einem der Truppentransportdampfer auf dem Wege
nach China befindet, ist ein Brief deS Offiziers eingegangen,
der dem B. L.-A. zur Verfügung gestellt wird. In die-
sem Briefe wird auch eine Ansprache des Kaisers an die
Offiziere mitgetheilt, soweit die Offiziere sie gemerkt und
gemeinsam zusammengestellt haben. Der Kaiser sagte:
„Sie gehen ernsten Sachen entgegen.
Ganz gegen meine Absicht haben sich die Verhältnisse
in China bis auf's äußerste zngespitzt. Ich beabsichtigte
vor vier Jahren der Welt durch Meine Zeichnung: „Völker
Europas, wahrt Eure heiligsten Güter!", da sich die Worte
zu leicht verwischen, einen Fingerzeig zu geben, aber Meine
Warnungen blieben unbeachtet. Die Verhältnisse, so wie
sie liegen, haben ihren Grund in der gänzlichen Unter-
schätzung des Gegners. Hälten die Gesandten die Gährung
>m Volke geahnt und besser zu schätzen gewußt, so würden
sie sich bei den Truppen ihrer Regierungen in Sicherheit
gebracht haben. So haben wir diese Schmach erleiden
Müssen. Ruhen Sie nicht eher, als bis der Gegner zu
Boden geschmettert auf den Knieen um Gnade fleht.
Damit Sie, meine Herren, wenn Sie von andern
fremdländischen Offizieren gefragt werden, Bescheid wissen,
will Ich Ihnen gleich Meine politischen Absichten sagen,
nämlich: Unterdrückung des Aufstandes, exemplarische Be-
strafung der Aufrührer, Wiederherstellurg des Status gno
Nuto, Einsetzung einer starken Regierung, die uns die
flächigen schriftlichen Garantieen dafür bieten kann, daß
solche Zustände nicht wieder eintreten. Wer das sein wird.
Weiß Ich noch nicht; es heißt ja auch, die Kaiserin sei
schon geflohen. Außerdem scheint neben dem Chinescn-
aufstand auch ein Mandschuaufstand ausgebrochen zu sein.
Einer Auftheilung des weiten chinesischen Reiches werde
Ich mich auf das entschiedenste widersetzen; daran ist nach
Meiner Meinung vorläufig ganz und gar nicht zu denken,
denn das würde noch zu vielen anderseitigen Verwicklungen
Anlaß geben. Der Chinese ist nun einmal an eine cen-
trale Regierung gewöhnt. So ist es unter dem bisherigen
Kaiserreich uns und unserem Handel am günstigsten.
Was nun Ihren Feldzug anbelangt, so hüten Sie sich
vor allem vor Unterschätzung des Gegners. Der Chinese
tst, wie mir Hanplmann Mauve gesagt, ein braver Sol-
dat, der auch am Schießen Freude hat, und in der Hand
tüchtiger Führer ein nicht zu unterschätzender Gegner, mit
den modernsten Waffen ausgerüstet und gut von euro-
päischen Instruktoren ausgebildet. Herr Major! Sie wer-
den die Herren eingehend über das Wesen, über die Taktck
flNd Fechtart der Chinesen instruiren. Blden Sie sich stets
ein, einen gleichwcrthigen europäischen Gegner vor sich zu
daben. Aber vergessen Sie auch seine Hinterlist nicht.
Behandeln Sie ihn gut, denn er ist um die Finger zu
wickeln; aber er hat ein viel zu ausgeprägtes Gerechtig-
keitsgefühl, um scheinbar ungerechte Schläge und schlechte
Behandlung zu ertragen. Vor Allem warne Ich vor Zer-
splitterung der Kräfte; dem Admiral Seymour würde es
Nicht so ergangen sein, wenn er nicht mit 2000 Mann
gegen eine Millionenstadt vorgegangen und außerdem besser
Unterrichtet gewesen wäre, was um so bedauerlicher ist,
uls Seymour schon als Scekadett bei der Einnahme der
Takuforts milgekämpft hat und die Erfahrungen, die er
dar vierzig Jahren gemacht hat, auf seine jetzige Lage
hatte übertragen müssen.
Eines möchte Ich Ihnen noch ans Herz legen. Meine
Herren. Wir können darin von den Engländern lernen,
die hierin sehr praktisch sind und gerade in den letzten

Monaten viele Truppentransporte gehabt haben. Machen
Sie mit Ihren Leuten recht viele Laufspiele, damit sie nicht
mit erschlafftem Körper nach dem guten Essen und der ge-
ringen Bewegung plötzlich in die großen Anstrengungen
hineinkommen.
Im Verkehr mit Offizieren anderer Nationen fallen
selbstverständlich alle politischen Gefühle weg. Ob Eng-
länder oder Russe, Franzose oder Japaner, wir kämpfen
alle gegen denselben Feind zur Aufrechtcrhaltung der Ci-
vilisation; wir besonders für unsere Religion. Machen
Sie dem deutschen Namen, der Flagge und Mir Ehre.
Und nun, Meine Herren, glückliche Reise!"
„Dies sind fast genau die Worte Seiner Majestät,"
bemerkte der Briefschreiber. „Seine Majestät sprach mit
scharfer Betonung und sehr bestimmt und doch wieder so
kameradschaftlich und gnädig. Darauf gab er den Kom-
mandanten und Hauptlcuten die Hand und blieb nachher
noch längere Zeit in unserem Kreise."

Ein Brief des Corvettenkapitäns Lans.
Wesel, 13. August. Nachstehende Briefe des Kor-
vettenkapitäns Lans, die soeben bei seinen hiesigen
Verwandten eingetroffen sind, wurden der Weseler Zeitung
zum Abdruck übergeben:
S. M. S. Kaiserin Augusta. Taku, 27. Juni 1900.
Ihr Lieben! Mein erster Versuch, mit einer Füllfeder zu
schreiben, soll Euch herzliche Grüße bringen und Euch mit-
theilen, daß es mir verhältnißmäßig gut geht. Was war
das für eine schwere, aber interessante Zeit, die wir auf
dem „Iltis" durchgemacht haben. Den 17. Juni werde
ich so leicht nicht vergessen. Fünf Stunden dauerte der
Kampf. Der „Iltis" wurde wohl von den Chinesen als
einer der Hauptgegner angesehen und dementsprechend mit
einem Granatfeuer beehrt, das eines schweren Panzerschiffes
würdig gewesen wäre. 17 Volltreffer an Granaten (12
bis 21 om Kaliber) haben wir bekommen, von den die bei
weitem größere Zahl im Schiff krepirt ist und hier leider
so viele meiner braven Leute getödtet oder verwundet hat.
Das Verhalten meiner Offiziere und Mannschaften war
einfach großartig. Es war eine Freude, mit ihnen zu
kämpfen. Auch die am Kampf betheiligten Schiffe der
anderen Nationen „Lion" (franz.), „Algerine" (engl.),
„Bodoe", „Koretz", „Giljack" (russ.) haben sich tapfer ge-
schlagen. Ich habe hauptsächlich mit dem Engländer Seite
an Seite gekämpft. Dreiviertel Stunden vor Beendigung
des Kampfes — wir hatten schon zwei Forts ganz nieder-
gekämpft, gegen 6 Uhr früh — kam ich an die Reihe.
Eine dicht bei mir auf der Brücke krepirende Granate zer-
schlägt beide Knochen des linken Unterschenkels zwei Finger
breit über den Knöcheln und zerreißt das Fleisch. Gleich-
zeitig in beiden Beinen, Brust, Gesicht etwa 25 kleine
Splitterwunden; das ganze linke Gesicht verbrannt. Der
Kerl sah schön aus! Ich blieb aber bei Besinnung, war
gleich wieder auf den Beinen, d. h. nur auf dem rechten.
(Heute gehts nicht mehr weiter mit dem Schreiben.)
28. Juni 1900. Ich mußte aber bald das Kommando
abgeben. Wie ich heruntertransportirt werden sollte,
krepirte wieder eine Granate in der Nähe, riß die Treppe
fort und ich falle mit allen Trümmern 15 Fuß tief an
Deck. Davon spüre ich jetzt noch alle Knochen! Um
6 Uhr 40 Min. verkündigte eine furchtbare Explosion im
Fort und brausende Hurrahs meiner Mannschaft das Ende
des Kampfes und den Sieg. Mir fiel damit ein Stein
vom Herzen. Was hätte aus dem „Iltis" werden können!
Ein Treffer in Kessel- und Munitionsräume — Und der
gute „Iltis" wäre erledigt gewesen! Unsere Kameraden

draußen auf den großen Schiffen mußten unthätige Zu-
schauer bleiben. Näher als 10 Seemeilen, gleich 2'/,
deutsche Meilen, konnten sie wegen des flachen
Wassers nicht heran. Mein Telegramm vom 18. Juni
(„Befinden gut") werdet Ihr erhalten haben. Es geht
mir jetzt wieder ziemlich gut, aber die vielen kleinen Wun-
den und die beim Sturz zerschundenen Knochen ließen mich
in den ersten sechs Tagen nur wenig Schlaf finden. Ich
habe vorzügliche ärztliche Pflege. Sie hoffen, da bisher
alles gut heilt und kein Fieber hinzugekommen ist, den
Fuß zu erhalten. Jeden zweiten Tag Morgens Verband-
wechsel. Großes Freudenfest! Die Aerzte haben mir ver-
sprochen, ein Lexikon anzulcgen, worin alle Ehrentitel, mit
denen ich sie bombardire, gesammelt werden.
29. Juni. Gestern Abend kam der Admiral Bendemann mit
einem Telegramm des Kaisers zu mir. Ich habe vom Kaiser
den Orden xour Io inorite erhalten. Das ist doch zuviel!
Ich habe nur meine Pflicht gethan. Ich war ganz ge-
rührt. — Heute Vormittag kamen meine Peiniger und
haben mir unter Chloroform-Narkose einen Gipsverband
angelegt, in den morgen ein Fenster zur Beobachtung der
Wunde eingeschnitten werden soll. Voraussichtlich fahre
ich in einigen Tagen nach Jokohama in's deutsche Hospital.
— Mit den besten Grüßen u. s. w-
Corvettenkapitän Lans erhielt, wie der Ostasiat. Lloyd
mittheilt, vom Kommandanten des englischen Kanonenbootes
„Algerine", Commandeur Slade,ein Schreiben, in dem
dieser unter andern, ausdrücklich heroorhebt, daß Kapitän
Lans „tlls IstL anä sonl" (das Leben und die Seele)
der ganzen Beschießung und Eroberung der Takuforts ge-
wesen sei.

Die Vorgänge in China.
Am 9. August haben die Verbündeten, wie schon
mehrfach erwähnt, Hosiwu, halbwegs von Tientsin nach
Peking, besetzt. Nach der Einnahme des Ortes wurde,
um einer erneuten Festsetzung der Chinesen in verschanzter
Stellung vorzubeugen, der fliehende Feind sofort
verfolgt. Zur Abschneiduug der chinesischen Rück-
zugslinie auf Pantingfu stieß Kavallerie nach Süden
vor. Am 10. ds. gab der englische General in Hosiwu
Nachricht, die Verbündeten sein nur noch 27 engl. Meilen
von Peking entfernt; sie hätten nur geringen Widerstand
getroffen. Weiter heißt es in der Meldung: Der Feind
hatte sich zwar zu Vertheidigungsstellungen vorbereitet,
floh jedoch, als die Verbündeten heranrückten. Die
tartarische Kavallerie wurde von zwei Schwadronen
bengalischer Ulanen angegriffen. Viele Feinde sind ge-
fallen, mehrere Fahnen wurden erbeutet. Die Ver-
bündeten sind durch die Hitze sehr erschöpft. Sonst
tst der Gesundheitszustand und der Geist der Truppen
ausgezeichnet.
Auch eine datumlose Depesche des amerikanischeil
Generals Chaffee's aus Natow besagt: Wir trafen
gestern auf unbedeutenden Widerstand, es herrscht
jedoch eine entsetzliche Hitze. (Natow liegt etwa 12
Meilen jenseits Hosiwu's und ist in den Karten des
Kriegsdepartements als der schlimmste Wegetheil zwischen
Tientsin und Peking verzeichnet.)
Man hatte eigentlich viel weniger auf Hitze gerechnet,
als auf Regen. Die Hitze mag ja sehr belästigend und
angreifend sein, sie ist aber immer noch angenehmer, als
der sonst um diese Zeit in jener Gegend herrschende
Dauerregen.
Die naheliegende Vermuthung, daß das Heranrücken
der Verbündeten die Wirren in Peking zunächst steigern

Kalliope Mavros.
Erzählung von Adolf Flachs.
(Fortsetzung.)
, Es war kein Zweifel für Kalliope: damit wollte er ihr
E«en, daß er sie Üebt und daß er nicht Farbe bekennen
. . . wegen Zappa in Konstantinopel. Sie wußte ihm
herzlichen Dank für seine Zartheit. Sie billigte es jetzt
"flukommen, daß er nicht mündlich an sie herangetreten war
M schriftlich auch bloß angedeutet hatte, was er dachte und
Mite. In welche peinliche Verlegenheit wäre sie gekommen,
jfleiin er anders gehandelt hätte! Sie mußte doch erst lange,
jflyge erwägen, ob sie auch das Recht habe, ihn in das Ge-
Wmniß einzuweiheu. Dieser liebe vortreffliche Doktor
isNrnthner hat sie also nicht überrumpeln wollen, hat ihr
unangenehme Situation erspart. Und deshalb soll er
Antwort haben, obgleich er die Hoffnung nicht ausge-
sprochen dat, daß sie erwidern wird. Aber der Brief, obgleich
ist ihn in der ihr sehr geläufigen französischen Sprache entwarf,
.leitete ihr Schwierigkeiten. Sie hatte schon mindestens
Kauzig Briefbogen verdorben; sie wollte nicht zu wenig,
"°er auch nicht zu viel sagen. Endlich batte sie eine Fassung
ununden. die ihr recht war:
^ „Verehrter Herr Doktor!
.Mein geliebter Vater hat mir vor seinem Abschiede
UM: Schweigen, dulden und warten können, bringt Erfolg.
«,st!es Wort ist meine Devise geworden, es mag Ihnen er-
LM". weshalb ich selbst,dann schweige, wenn es zu reden
"'ch drängt, weshalb ich so Manches ertrage ohne zu murren
-flfl ohne davon zu lausen. Ick warte aus den Tag, ich
nKarte ihn nicht ohne eine gewisse Ungeduld, an dem ich
rrlfluhlten lieben Freunden gegenüber nicht mehr heimlich
jgM muß, das fällt mir schwerer, als Sie glauben, aber es
heute Nothwendigkeit.

Wie schade, daß die häßliche Wirklichkeit Ihren schönen
Traum plötzlich zerstört hat! Wer mag wissen, vielleicht
spinnt hierfür einmal die Wirklichkeit den Traum fort . . .
Ich würde Ihnen das von Herzen gönnen- Denn unter
den Vielen Menschen, die ich kennen gelernt habe, gehören
auch Sie mit zu den wenigen, die ich aufrichtig schätzen
gelernt habe.
Es würde mir große Freude bereiten, wenn Sie gclegent-
lich mir wieder einmal schreiben wollten . . . wie es Ihnen
gebt, woran Sie denken, was Sie sich wünschen und er-
hoffen. Und wenn Sie gar alle zwei Wochen am Sonntag
Vormittag Zeit und Lust finden, Ihre gewesene Patientin
zu besuchen, um mit ihr ein Stündchen zu verplaudern, das
wäre zu schön.

Ich grüße

Sie herzlich
Kalliope Mavros."

Der Brief war fertig, ins Kouvert eingeschlagen, die
Adresse geschrieben, da klopfte es an die Thür und das
Mädcken trat ein, um Stanislaus anzumelden. Hastig ver-
barg Kalliope den Brief.
Bald darauf trat Stanislaus ein.
Sie erhob sich rasch, ging ihm entgegen und drückte ihm
warm die Hand- Er kniff die Lippen zusammen, beherrschte
sich — es fiel ihm unsagbar schwer, bei dem freundlichen
Empfang Ruhe zu bewahren.
„Lieber Herr Stanislaus, wie Sie schlecht aussehen.
Sind Sie noch krank? Armer! Kommen Sie, setzen Sie
sich zu mir... so. Und nun sagen Sie mir . . . was fehlt
Ihnen? Haben Sie vielleicht Kummer?"
Die freundlichen Worte, der herzliche Ton schnürten ihm
das Herz zusammen. O. das unselige Versprechen, zu
schweigen! Die Mutter hat ihm den Mund versiegelt, wer
weiß — vielleicht, vielleicht . . . wenn er jetzt reden dürfte . . .
Ist aber auch das Gelöbniß bindend, wenn es sich am Ende
um sein Lebensglück handelt? Er fühlte, daß er schwankte,
schwächer wurde, und er wollte doch nicht sein Wort brechen.
Er sah zu Boden und schwieg.

„Nun, Herr Stanislaus, haben Sie kein Vertrauen zu
mir? Ich bin Ihnen wirklich gut!"
Das hatte noch gefehlt! Er durfte nicht sprechen, weil
er gefesselt war . . - mit dünnen Fäden, die er durch die
leiseste Bewegung zerreißen konnte. Er seufzte tief aus, sah
Kalliope mit seltsam glühenden Augen an und kämpfte mit
sich den schwersten Kampf. Eben wollte er die zarten Fesseln
zerreiben, aber Kalliope hatte in einem Moment mit dem
subtilen Blick des Weibes in seinen Augen gelesen, was
er sagen wollte und aus Mitleid sprach sie in gewollt
kühlerem Ton:
„Herr Stanislaus, ich beobachte Sie seit längerer Zeit,
weil ich Ihnen aufrichtig gut bin. wie eine treue Schwester.
Und wie eine solche freute ich mich, als sie mit einem Male
die abschüssige Bahn verließen. Aber das genügt nicht. Sie
sind ein begabter, junger Mann, wollen Sie Ihren lebhaften
Geist hier, in dieser öden Provinzstadt, wo alles sich um
Gelderwerb dreht, verdunsten lassen? Ich kann mir nicht
denken, daß es sie befriedigen kann, in den Tag hinein zu
leben ohne ein höheres Ziel. Ziehen Sie doch hinaus in
jene schönere Stadl im Westen, wo die Wissenschaften und
die Künste blühen, wo die Atmosphäre erfüllt ist von dem
kräftigen Ozon des geistigen Lebens und von dem berauschenden
Parfüm der schönen Künste. Machen Sie in dieser schöneren
Lust Ihre Seele gesund und streben Sie das an. was Sie
lockt. Sie werden es erreichen, werden etwas Rechtes zu
Wege bringen. Und das Bewußtsein, daß sie etwas Nütz-
liches leisten, daß Sie nicht zu den vielen Ueberflüssigen
auf der Erde gehören, wird Sie erbeben und froh machen."
Stanislaus schlürfte förmlich jedes ihrer Worte ein ; was
sie sprach hatte für ihn einen bittersüßen Geschmack — bitter,
weil sie wahrhastig bloß wie eine rreue Schwester im zu-
redete. und süß. weil ihre Rede bewies, daß sie an ihm so
lebhaftes Interesse nahm.
_ (Fortsetzung folgt.)
 
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